Worüber wir sprechen

BLOG: NeuroKognition

Kognitive Fähigkeiten und Gehirnprozesse des Menschen
NeuroKognition

Schön, dass so viele von Ihnen gepostet und sich ihr Grundanliegen aus der Seele geschrieben haben. Entschuldigen Sie dass ich nicht sofort antworten konnte, es gibt gerade eine Menge Termine.
Damit wir nicht aneinander vorbei bloggen, möchte ich die Diskussion ein bisschen strukturieren.

Ich sehe in der pädagogischen Arbeit mindestens 3 Ebenen. Am Beispiel Fremdsprachenunterricht sehen sie so aus:

Ebene 1: Die Werkzeuge
Ich nenne sie auch Tools. Sie werden im Unterricht eingesetzt, um das Wissen, hier Fremdsprache, zu vermitteln. Es handelt sich um Vorgangsweisen und Lernmaterialien.
Beispiel: Die Lehrkraft möchte einen fremdsprachlichen Text – einen Dialog – präsentieren.
Dazu stehen ihr unterschiedliche Werkzeuge zur Verfügung, eine Hörverständnisübung, eine Lektüre, das Sprechen im Chor des Dialogs oder das Ansehen eines Videos, usw.
Durch die Verwendung eines dieser Werkzeuge sollen Lernende den Text formal (Grammatik, Wortschatz, Morphologie) und inhaltlich kennen lernen. Die Wahl und die Art, wie das Werkzeug eingesetzt wird, beeinflussen den Lernerfolg.

Ebene 2: Die persönliche Interaktion zwischen Lernenden und Lehrenden
Beispiel: Als ich in die Schule ging, machte sich niemand Gedanken darüber, wenn der Mathematiklehrer zu mir sagte, “Macedonia, du wirst Gleichungen ohnehin nie verstehen”. Nein, das war keine “motivierende Persönlichkeit”. Schlechte Interaktion kann die Wirkung guter Tools vernichten. Gute Interaktion kann hingegen – wie im Fall meiner begnadeten Sprachlehrerinnen – Lernende beflügeln. So sprach ich mit 18 Jahren, über meine Muttersprache hinaus, 4 weitere Sprachen fließend und wollte noch ein paar dazu lernen. Diesen Frauen verdanke ich meinen Werdegang.

Ebene 3: Rahmenbedingungen für die pädagogische Arbeit
Dazu gehören Themen wie überfüllte Schulklassen, Schulreformen und dergleichen. Sie haben mit pädagogischer Arbeit nichts zu tun, sie können sie aber maßgeblich beeinflussen bzw. beeinträchtigen.

Alle drei Ebenen sind wichtig und tragen dazu bei, dass Lernende in der Zeit x das Ziel erreichen, in unserem Beispiel, die Fremdsprache auch beherrschen, sie sprechen können.

In diesem Blog …

Auf Ebene 1, bei den Werkzeugen, habe ich viel praktische Erfahrung und im Bereich “Fremdsprache lernen mit Gesten” habe ich neurowissenschaftlich gearbeitet. Dieses Wissen teile ich gerne mit anderen Menschen, in der Überzeugung, dass es so besser geht. Tatsächlich geht es hier um praxisnahe Konzepte und nicht um Mäuse-Experimente.

Zu Ebene 2: Die Interaktion zwischen Lernenden und Lehrenden habe ich in der Praxis erlebt, habe aber darüber nicht wissenschaftlich gearbeitet. Da kann ich höchstens von meinen Unterrichtsrezepten berichten, sie mit Wissen aus der Kognitions- und Neurowissenschaft untermauern und mit Ihnen darüber diskutieren.

Ebene 3: Politiker und Administration können Strukturen verändern und bessere Lernumgebungen schaffen. Dennoch gibt es die Möglichkeit über gute Tools schlechte Rahmenbedingungen auszumerzen. Ich habe in meinem Sprachunterricht 15 Jahre täglich mit ca. 40 Personen im Hörsaal gearbeitet, das Problem der Überfüllung kenne ich gut. Lassen Sie uns darüber austauschen.

In diesem Blog lade ich Sie ein, sich auf die Diskussion einfach einzulassen, nicht vorschnell zu polarisieren, zu theoretisieren, nicht zu belehren. Es geht nicht um “entweder oder” und vergessen Sie die Definitionen und die Theoreme. Wir können miteinander und wir wollen bestimmt nicht gegeneinander.

Spitzer, Stern, Scheich haben Bahnbrechendes getan, indem sie die breite Öffentlichkeit für das Lernen mit Gehirn sensibilisiert haben.
Hier setzen wir an und konkretisieren für das Fach Fremdsprache: Jetzt doch, Rezepte mit Rezeptoren!

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Veröffentlicht von

Dr. Manuela Macedonia erforscht seit vielen Jahren neue Strategien, um das Erlernen von Fremdsprachen effizienter zu gestalten. Die gebürtige Italienerin studierte allgemeine Sprachwissenschaft, Germanistik und Kognitivpsychologie in Turin und an der Universität Salzburg, wo sie 2003 mit einer Arbeit über Fremdsprachenlernen und Gedächtnis promovierte. Derzeit untersucht sie in der Max-Planck-Forschungsgruppe "Neuronale Mechanismen zwischenmenschlicher Kommunikation" den Effekt, den multisensorische Anreicherung auf Gedächtnisprozesse bei jungen Erwachsenen während des Sprachenlernens hat. Im Jahr 2010 gründete sie "Neuroscience for you" ein Institut für Wissenstransfer aus den Neurowissenschaften. http://www.das-gehirn.com/

10 Kommentare

  1. Toll!

    Ich wünsche Ihnen und Ihrem Blog viel Erfolg.

    Bei Tools denke ich als Informatiker natürlich sofort an interaktive PC Programme. Mit Rosetta Stone habe ich in sofern gute Erfahrung gemacht dass das Lernen keine große Selbstdisziplin erfordert sondern eher Spass macht. Hinzu kommt dass es auf Bildern und nachsprechen basiert und unabhängig von der eigenen Muttersprache angewendet werden kann. Natürlich taugt es lediglich als Ergänzung, den Dialog mit Menschen kann es nicht ersetzten. Aber andrerseits sind gute Lehrer knapp und teuer, der Lehrerfolg hängt sicher auch mit der Klassenstärke zusammen. Insofern wundert mich dass von solchen Systemen in Schulen und bei geförderten Integrationsmaßnahmen meines Wissens keinerlei Gebrauch gemacht wird.

    “Fremdsprache lernen mit Gesten” war mir bisher neu, aber das scheint mir ein sehr natürlicher folgerichtiger Weg zu sein. (Und macht auch die Grenzen eines PC-Basierten Sprachlernsystems sehr deutlich).
    Ich wüsste liebend gerne mehr darüber und würde es gerne mal ausprobieren.

  2. @RD : interaktive PC Programme

    Erkenntnisse der Kognitionswissenschaft wie beispielsweise die Wirkung von begleitender Gestik beim Sprachunterricht werden wohl zuerst und am schnellsten in interaktive PC-Kurse oder/und Video-Sprachkurse integriert.
    Denn in solchen vom Hersteller kontrollierten Umgebungen fallen alle Hindernisse weg denen sich Lehrer gegenübersehen.

    Ihre Aussage

    “Fremdsprache lernen mit Gesten” war mir bisher neu, aber das scheint mir ein sehr natürlicher folgerichtiger Weg zu sein. (Und macht auch die Grenzen eines PC-Basierten Sprachlernsystems sehr deutlich).

    scheint mir aber von einem sehr primitven PC-basierten Lernsystem auszugehen. Auf dem PC ist aber vieles möglich, nicht nur das Vokabeltraining. Denkbar sind animierte Lernsequenzen mit realen Personen oder Avataren, die dann auch Gesten verwenden.

  3. Danke und Bitte

    Danke für die Klarstellung, die Sie ungewöhnlicherweise in einem neuen Post formuliert haben. Aber – dann doch auch die Bitte, auf die vorgebrachten Argumente einzugehen, sich also Ihrerseits auf die Diskussion einzulassen.

    Popularisierer wissenschaftlicher Erkenntnis sind wichtig, keine Frage, aber von “Bahnbrechendem” würde ich im Falle der genannten Herren doch nicht reden wollen – aus den früher von mir bereits genannten Gründen (würden die im Übrigen äußerst sympathischen Herren Professoren so auch für sich gar nicht beanspruchen, denke ich). Insbesondere hatte ja zuvor niemand eine Theorie vom Lernen ohne Gehirn vertreten, sodass eine Theorie vom Lernen mit Gehirn nicht unbedingt eine neue Idee war.

    Freue mich auf Ihre konkrete Rückmeldung zu meinen vorgebrachten Argumenten (und damit auch zu den Fragen von Nachbar-Blogger Markus Dahlem).

  4. @ Hoppe

    Danke für die Klarstellung, die Sie ungewöhnlicherweise in einem neuen Post formuliert haben.

    Das sind nur die üblichen Startschwierigkeiten beim Bloggen.

  5. @ Martin Holzherr

    In der Tat habe ich den Begriff ‘Gesten’ etwas weiter gefasst. Ich meine damit nicht nur schablonenhaft standardisierbare und katalogisierbare Körperäußerungen sondern auch subtile, teilweise unbewusst aublaufende, mit Emotionen einherghende körperliche Kommunikationsformen welche beim Spracherwerb sicher eine grosse Rolle spielen und eben (in naher Zukunft) nur von Mensch zu Mensch funktionieren.
    Andernfalls würde ich Ihnen zustimmen. Vermutlich liegen Sie mit Ihrer Auffassung aber näher am Thema.

  6. Ein bisschen Geduld!

    Sorry für die Verwirrung, wie Herr Huhn anmerkt, bin ich Bloganfängerin und muss mich noch durch die verschiedenen Knöpfe mit trial and error durcharbeiten …

    Nun ja, ich denke, dass die Hirnforschung für die Überprüfung von Lernmethoden durchaus andere Zugänge eröffnet als die Psychologie. Das durfte ich mit meinen Studien über Fremdsprachenlernen erfahren. Wenn man Gedächtnisprozesse und Lernvorgänge auf der biophysikalischen Ebene versteht, über die man sonst nur Mutmaßungen anstellen könnte, weiss man tatsächlich, wie sich Vorgangsweisen sprich Tools auf den Lernprozess auswirken.

    Nächste Woche poste ich ein erstes konkretes Beispiel dazu: Danach unterhalten wir uns darüber. Bitte noch ein bisschen Geduld!

  7. Lernen über Gesten

    Schön, dass man von neurowissenschaftlicher Seite bestätigt wie Gesten beim Lernen untestützen können. Ich konnte in den letzten Jahren meiner beruflichen Tätigkeit als Lehrer an einer Schule mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung gute Ehrfahrungen damit in der Praxis machen. Gerade für autistische Schüler ist unsere Muttersprache oft eine Fremdsprache. Auch hier können Gesten beim verstehen helfen.Ich bin schon lange von den neuesten Erkenntnissen über das Lernen fasziniert und habe einiges auch bei meinen Schülern ausprobiert. Vor allem mathematische Inhalte habe wir vor allem über Bewegung geübt.Auch beim Einprägen von Begriffen waren Gesten sehr erfolgreich. Und der Faktor Spaß beim Lernen hat alle sehr motiviert.Laute und Lautverbidung wurden über begleitende Gesten und Schaukelbewegungen verinnerlicht und einige Schüler sind darüber zum Lesen gekommen.
    Ich kann ihre Überzeugung,dass es so besser geht, aus meinen Erfahrungen nur bestätigen.

  8. @alle: Zusammenfassung meiner Anfragen

    Hier die Zusammenfassung meiner Kritikpunkte in Bezug auf den Anwendungsnutzen von “Kognitiven Neurowissenschaften” (sprich: Hirnforschung):

    1. Kognitive Neurowissenschaften sind genau genommen Psychophysiologie und Neuropsychologie. Psychologie ist also immer mit drin, und da auch die Psychophysiologie ein psychologisches Fachgebiet ist, handelt es sich bei “Hirnforschung” und Psychologie in keiner Weise um einen Gegensatz. Kognitive Neurowissenschaften sind vielmehr ein (kleines) Teilgebiet der Psychologie.

    2. Solange keine Interventionen am Gehirn geplant sind, interessiert den Anwender (Pädagoge, Therapeut, Werbeagentur) lediglich welche Veränderungen der Umwelt welche Verhaltenseffekte erwarten lassen. Wenn der psychologische Effekt bekannt ist, muss ihn die Realisierung auf Hirnebene nicht interessieren.

    3. Die Erforschung der zugrunde liegenden Hirnmechanismen kann keine neuen, anwendbaren psychologischen Effekte entdecken, schon gar nicht beweisen, da entweder die unabhängigen oder die abhängigen Variablen der Experimente hirnphysiologisch angelegt sind und daher für den Anwender entweder unerreichbar oder irrelevant sind.

    Ich bin ein geduldiger Zeitgenosse und freue mich auf die Diskussion!

  9. @ Christian Hoppe

    Die Intention Ihrer Argumentation ist mir nicht klar.
    Ein Psychologe der sich für neuere Gehirnforschung überhaupt nicht interessiert wäre mir ebenso suspekt wie ein Neurowissenschaftler der mich psychologisch beraten wollte.
    Bei Blick auf komplexe Sachverhalte sollte man alle Perspektiven nutzen die zur Verfügung stehen.

  10. @RD

    > Die Intention Ihrer Argumentation ist mir nicht klar.

    doch, Sie teilen sie sogar vollständig!

    > Ein Psychologe der sich für neuere Gehirnforschung überhaupt nicht interessiert

    macht die Psychologie aber, in Gestalt der Biologischen Psychologie bzw. der Psychophysiologie/Neuropsychologie – und so soll es auch sein

    > … wäre mir ebenso suspekt wie ein Neurowissenschaftler der mich psychologisch beraten wollte

    aber genau das möchten Frau Macedonia, Proff. Spitzer, Scheich usw. gerne machen: Lehrer und andere Anwender in psychologisch-pädagogischen Anwendungsfragen beraten – was mir genauso suspekt ist wie Ihnen.

    > Bei Blick auf komplexe Sachverhalte sollte man alle Perspektiven nutzen die zur Verfügung stehen.

    dito; doch für den Anwender, der weder direkt im Hirn manipulieren kann/möchte noch sich für Effete aufs Hirn interessiert, sondern für Effekte in Verhalten und Erleben, tut diese umfassende (gebotene!) Perspektive nicht not.

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