Forschung zwischen Kopf und Bauch

BLOG: NeuroKognition

Kognitive Fähigkeiten und Gehirnprozesse des Menschen
NeuroKognition

Dr. Annette HorstmannAdipositas ist eine der häufigsten Zivilisationskrankheiten und inzwischen Gegenstand umfangreicher Forschung. Im Interview berichtet Dr. Annette Horstmann vom MPI für Kognitions- und Neurowissenschaften über aktuelle Studien zum Zusammenhang von Übergewicht und Gehirn, suchtähnliche Prozesse bei gestörtem Essverhalten und überraschende Unterschiede zwischen Männern und Frauen.

Die Neurobiologin widmet sich diesen Themen in der MPI-Abteilung für Neurologie sowie am Integrierten Forschungs- und Behandlungszentrum (IFB) AdipositasErkrankungen Leipzig.

Frau Horstmann, Sie erforschen, wie Übergewicht und Gehirn zusammenhängen. Wie sind Sie zu diesem Thema gekommen?

Als ich 2008 in der neu entstandenen Abteilung für Neurologie am MPI anfing, ist Prof. Michael Stumvoll von der Uniklinik zu uns gekommen und hat uns für eine gemeinsame Adipositasforschung begeistert. Daraus hat sich eine bis heute sehr fruchtbare und interessante Kooperation ergeben. Das MPI beteiligt sich mit drei großen Projekten am IFB AdipositasErkrankungen. Dabei werden Zusammenhänge zwischen Hirnstruktur, Adipositasgenen und dem Auftreten von Adipositas untersucht. Eine Nachwuchsgruppe arbeitet daran computationale Modelle von belohnungsbasierten Lern- und Entscheidungsprozessen bei Adipositas zu entwickeln. Ein drittes Projekt, das in diesen Tagen startet, wird die zentralnervösen Effekte einer Magenverkleinerung erforschen.

Was sagt die Hirnstruktur eines Menschen über sein Essverhalten aus?

Wir haben in einer großen Gruppe, die sowohl sehr schlanke als auch adipöse Probanden beinhaltete, einen starken Zusammenhang zwischen der Hirnstruktur in belohnungsverarbeitenden Arealen und den jeweiligen Body Mass Indices (BMI) der Teilnehmer gefunden. Dies sagt für sich noch nicht sehr viel aus. Da die Hirnstruktur aber sehr eng mit der Funktion verknüpft ist, schlussfolgern wir aus unseren Befunden, dass Belohnungsreize bei adipösen Probanden unter Umständen anders verarbeitet werden als bei normalgewichtigen Probanden. Wie sich das nun wieder auf das Essverhalten des Einzelnen auswirkt, fangen wir gerade erst an zu verstehen.

BMI Gehirn

Strukturelle Unterschiede: Je höher der BMI von Probanden ist, desto mehr graue Substanz findet sich in den farbig markierten Regionen.

Was weiß man in diesem Forschungsfeld schon?

Bisher sind die Ergebnisse unterschiedlicher Studien mit einer ähnlichen Fragestellung noch sehr heterogen. Das liegt zu einem Großteil sicherlich an den jeweils untersuchten Personengruppen. Es gibt viele Studien, die sich nur die Daten eines Geschlechtes, also nur von Frauen oder nur von Männern angeschaut haben. Oder die untersuchten Probanden waren schon älter und damit vielleicht auch schon über einen längeren Zeitraum adipös. Wir haben in unserer Studie relativ junge erwachsene Probanden untersucht, deren BMI einen Höchstwert von 45 nicht überschreiten durfte. Zudem haben wir Raucher aus dieser Analyse ausgeschlossen, da andere Suchterkrankungen sich auch auf die Beschaffenheit des Belohnungssystems auswirken können und wir solche Einflüsse erst einmal ausschließen wollten. Es wäre also sehr interessant, ob sich über die Lebensspanne hinweg unterschiedliche Beziehungen zwischen Hirnstruktur und Adipositas zeigen. Zu genau dieser Fragestellung läuft gerade eine große Querschnittsstudie in unserer Abteilung.

In mehreren Übergewichtsstudien haben Sie Männer und Frauen verglichen. Gab es dabei Unterschiede?

Veränderungen in den Belohnungsarealen gibt es bei beiden, aber adipöse Frauen weisen zusätzlich eine veränderte Hirnstruktur in Regionen mit entgegengesetzten Aufgaben in der Verhaltenskontrolle auf: Mit steigendem BMI haben sie mehr Volumen in Arealen, welche die automatische Verhaltenskontrolle unterstützen und weniger Volumen in Arealen, die die zielgerichtete Verhaltenskontrolle steuern. Diese Frauen sind in Verhaltensexperimenten auch eher geneigt, kurzfristige Belohnungen zu wählen, selbst wenn diese mit negativen Langzeitkonsequenzen verknüpft sind. Wir vermuten, dass dahinter eine verminderte Empfänglichkeit für negatives Feedback stehen könnte, was wir gerade experimentell prüfen.

Auch in einer Aufgabe, die das Lernen der Bedeutung von unterschiedlich komplexen abstrakten Mustern beinhaltete, haben wir einen deutlichen Unterschied zwischen normalgewichtigen und adipösen Probanden gefunden: Vor allem die übergewichtigen Frauen haben sich dabei auf die einfacheren Muster beschränkt, während normalgewichtige Frauen auch die komplexeren Muster nutzten. Bei den Männern war dieser Unterschied nicht so ausgeprägt. Diese Verhältnisse spiegelten sich auch in Unterschieden der Hirnaktivität wider. Man kann also davon ausgehen, dass Normal- und Übergewichtige unabhängig von der generellen Intelligenz Informationen aus der Umwelt auf unterschiedliche Art und Weise verarbeiten. Dies könnte z.B. für die Etikettierung von Lebensmitteln von Bedeutung sein.

Eine andere Studie (Link) hatte zum Ergebnis, dass bei Übergewichtigen im Hirn Areale der Verhaltenskontrolle aktiver sind als bei Normalgewichtigen. Wie kann man das deuten?

Übergewichtige werden oft der mangelnden Selbstkontrolle bezichtigt und deswegen stark stigmatisiert. Aber im Gegensatz zu Normalgewichtigen, bei denen die Regulation des Essverhaltens meist ganz automatisch und ohne viel kognitive Anstrengung funktioniert, müssen sie viel mehr kognitive Kontrolle aufbringen um die fehlende automatische Kontrolle zu ersetzen. Vor diesem Hintergrund lässt sich eine größere Aktivierung der Kontrollareale bei Übergewichtigen erklären. Wir prüfen gerade eine Abhängigkeit dieser Aktivität vom Essverhaltenstyp.

Kann man eine mangelnde Impulskontrolle beim Essverhalten als Suchterkrankung bezeichnen?

Ja das kann man, allerdings unter gewissen Voraussetzungen. Nach dem ICD-10, einem Klassifizierungsinstrument für Krankheiten, liegt eine Suchterkrankung vor, wenn mindestens 3 von 6 aufgeführten Symptomen vorliegen. Zu diesen Kriterien gehören u.a. ein starkes, oft unüberwindbares Verlangen, die Substanz (in diesem Falle Essen) einzunehmen, sowie Schwierigkeiten, die Einnahme zu kontrollieren (bezogen auf Beginn, Beendigung und Menge des Konsums), das Benötigen immer größerer Mengen, damit die gewünschte Wirkung eintritt und der fortdauernde Gebrauch der Substanz wider besseres Wissen und trotz eintretender schädlicher Folgen. Im Adipositaskontext ist es meist so, dass die Betroffenen nicht zufrieden mit ihrem Gewicht sind und mehr oder weniger vergeblich versuchen, überschüssiges Gewicht wieder loszuwerden. Dass dies nicht so einfach ist, liegt meist daran, dass eine Änderung des Essverhaltens, welches meist alle der oben genannten Punkte erfüllt, sehr schwer ist.

Vielversprechende Therapieansätze sind zur Zeit kombinierte Programme, bei denen psychologische Begleitung, Sport und Ernährungsaufklärung bzw. -beratung für einen langen Zeitraum Hand in Hand gehen. Als sehr wirkungsvoll hat sich auch die bariatrische Chirurgie erwiesen. Diese sehr invasive Therapieform sollte aber nur in Ausnahmefällen gewählt werden, es gibt auch sehr strikte Voraussetzungen für eine Operation.

Beginnt gestörtes Essverhalten im Kopf oder bewirkt das Verhalten erst eine strukturelle Veränderung im Gehirn?

Das ist eine schwierige Frage. Generell kann man sich beides vorstellen: Es könnte  eine gewisse Veranlagung im Gehirn geben die in der heutigen Umgebung zu einer übermäßigen Essensaufnahme führt. Andererseits wissen wir aus vielen Studien, dass eine vermehrte Nutzung eines Hirnareals langfristig dessen Struktur verändern kann. Um diese Frage zu beantworten brauchen wir also Längsschnittstudien. Dazu haben wir eine Kooperation mit der Sportwissenschaftlichen Fakultät der Uni Leipzig und dem Verein Mobilis e.V., die zum Ziel hat, Übergewichtige während eines kompletten Jahres bei einem Abnehmprogramm zu begleiten.

Auch die anfangs erwähnte Studie im Rahmen des IFB könnte hier Antworten bringen. Dabei wird untersucht, wie sich eine radikale Magenverkleinerung durch eine bariatrische Operation auf Hirnstruktur und -funktion auswirkt. Zu mehreren Zeitpunkten vor und nach der Operation werden zusätzlich zu den Hirndaten auch verschiedene Fragebögen und Verhaltensmaße mit aufgenommen.

Warum ist es so wichtig, dass sich Gesundheitswesen und Forschung mit dem Thema Adipositas auseinander setzen?

Die Adipositasraten steigen weltweit in den industrialisierten Ländern mit „westlicher Kultur“. Dieser Ausdruck bezieht sich meist auf die leichte Verfügbarkeit von hochenergetischem, sehr stark verarbeitetem Essen. Da Adipositas sehr häufig von ernsthaften Erkrankungen (z.B. metabolisches Syndrom, Depression, Diabetes mellitus Typ II, Herz-Kreislauferkrankungen, Krebs und Demenz) begleitet wird, steigen sowohl die Belastungen für die individuelle Lebensqualität als auch diejenigen für die Gesundheitssysteme. In manchen Ländern ist sogar die positive Entwicklung der Lebenserwartung aufgrund der steigenden Adipositasrate rückläufig. Um diesem Verlauf Einhalt zu gebieten, ist es sehr wichtig, die Ursachen von Adipositas zu verstehen. Dies gilt natürlich nicht ausschließlich für die neurobiologischen Grundlagen sondern auch für etwaige Ursachen in der Gesellschaft, der Kultur eines Landes und der Wirtschaft, z.B. in der Nahrungsmittelindustrie.

Das Interview führte Maria Schmidt


Links:

Einen Überblick zur Adipositasforschung in Deutschland hat kürzlich das Bundesministerium für Bildung und Forschung herausgegeben. Die Broschüre kann als Pdf heruntergeladen werden: http://www.gesundheitsforschung-bmbf.de/de/4663.php

Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) hat vor kurzem den neuen Sonderforschungsbereich „Mechanismen der Adipositas“ in Leipzig eingerichtet. Weitere Informationen hierzu finden Sie im ifb-Blog.

Mit dem Verein M.O.B.I.L.I.S. e.V. führen die Forscher derzeit eine Interventionsstudie durch. 

Schreibe einen Kommentar