Religion ohne Gott – Zen-Buddhismus

BLOG: Natur des Glaubens

Evolutionsgeschichte der Religion(en)
Natur des Glaubens

Wenn jemand Religions-Definitionen hinterfragen will, wird gerne auf den Buddhismus verwiesen. Tatsächlich aber stärkt gerade das Beispiel des Buddhismus die Definition von Religiosität als “Verhalten zu übernatürlichen Akteuren”. Denn wo immer sich buddhistische Traditionen über Generationen hinweg entfalteten, wurden vom zunehmend bildlich dargestellten Buddha selbst über Ahnen (vgl. japanische Ahnenverehrung), Geister, Götter und Bodhisatvas ein reiches Angebot an zu verehrenden Übernatürlichen definiert oder adoptiert. Diese sind also weniger logische Ableitungen aus einem Lehrsystem, sondern gewachsene Antwort auf die Fragen und Bedürfnisse vieler Glaubender. Und dennoch bewegt sich der Buddhismus – gerade auch in seinen Rezeptionen durch westliche Suchende – immer wieder besonders nah an Grenzbereichen religiöser und philosophischer Systeme und ist auch deswegen religionswissenschaftlich besonders interessant. Ich bin daher froh und dankbar, dass Mona – vielen hier als sorgfältig lesende, selbständig recherchierende und angenehm fair diskutierende Kommentatorin bekannt – sich bereit erklärt hat, uns einmal ihr persönlich gewonnenes Verständnis des Zen-Buddhismus zu schildern. Sie hat dem Blog und damit Ihnen allen zudem zwei wunderschöne Fotos gestiftet, die für konstruktive Zwecke frei verwendet werden dürfen. Für Diskussionsbeiträge und Fragen steht Mona auch gerne zur Verfügung. Ich wünsche Ihnen allen eine informative und anregende Lektüre & Diskussion! M.B.

 

Von Sonja Neß, auf den Scilogs gut bekannt als konstruktive Kommentatorin “Mona”: 

Der Zen-Buddhismus ist ein philosophischer Glaube ohne Gott. Trotzdem sind seine Anhänger keine Atheisten im klassischen Sinn. Die Weltanschauung ähnelt zwar dem Pantheismus, verzichtet allerdings auf dessen religiöse Attribute. Dementsprechend lautet eine der Kernaussagen: „ Eins ist alles und alles ist eins!“ Zen ist keine Religion im herkömmlichen Sinne, denn es gibt weder eine festgeschriebene Lehrmeinung noch ein Dogma. Seinem Wesen nach ist Zen deshalb auch mit der modernen Wissenschaft kompatibel. Es kann als eine Art „missing link“ zwischen Religion und Atheismus angesehen werden, denn es  bildet keinen Graben sondern schafft eine Verbindung.

 Zen-Garten, von Mona

Entwickelt hat sich Zen (chin.: Chan) aus dem Mahayana-Buddhismus, dem Taoismus und dem Konfuzianismus. Der Überlieferung nach kam Zen, im 6. Jahrhundert, mit dem indischen Mönch Bodhidharma  nach China. Dogen Zenji (1200 – 1253) brachte dann die Praxis des Zazen (Za = sitzen); (Zen = Versenkung) von China nach Japan. Er ist einer der wichtigsten Meister des japanischen Zen und vertritt eine Praxis, die sich Schritt für Schritt entwickelt. Eine der Grundlagen dieser Praxis ist Zazen, eine Meditationsform im Sitzen, welche auf Buddha zurückgeht. Man sitzt mit gekreuzten Beinen und in aufrechter Haltung auf einem Kissen; sobald der Atem gleichmäßig wird, lässt man auch den Geist ruhen (Shikantaza). Auftauchende Bilder und Gedanken versucht man nicht festzuhalten, sondern lässt sie vorüberziehen wie die Wolken am Himmel. Auf diese Weise kann sich der Geist entleeren und kehrt so in seine ursprüngliche, ungetrübte Verfassung zurück. Zen sagt, man soll sich von allen Anhaftungen und Konditionierungen, d.h. von dualistischen und vorgeprägten Vorstellungen, freimachen, weil man nur so die Dinge in ihrer ursprünglichen Klarheit sehen kann. „Wolken und Nebel sind Luftgebilde, doch über ihnen liegt ewiger Sonnen- und Mondenschein.“  – Bruce Lee Tao.

 Es geht bei dieser Art der Meditation  also nicht darum, den menschlichen Geist in eine stumpfsinnige Leere zu versetzen, sondern seine angeborene, spontane Intelligenz wieder zum Vorschein zu bringen, um sich ihrer zu bedienen. Ziel ist es die Dinge intuitiv zu erfassen, indem man das gewöhnliche Denken übersteigt (Hishiryō). So wie ein Künstler erst die Technik lernen muss, um ein Kunstwerk zu schaffen. Wem dies gelingt, der ist „erwacht“, im Westen sagt man dazu auch „erleuchtet“. Der Zen-Abt Muho erklärt es so: “…und ich hatte realisiert, dass im Leben selbst eigentlich kein Sinn steckt, außer der, den ich ihm zumesse.”  Unterschieden wird  dabei zwischen einer kurzen Erfahrung der Erkenntnis (Kensho) und  dem eigentlichen spirituellen  Ziel des Buddhismus, als intuitives Erlebnis (Satori),  welches  zu der Einsicht führt, dass alle Lebewesen  Buddha-Natur besitzen.

Zen als Weg  in den Künsten und als Lebensweg

Im Rinzai-Zen wird auch die intensive Beschäftigung mit Musik oder Kunst als eine Form der Meditation betrachtet. Im Zen gibt es den Begriff „Weg“ (Do, chin.: Tao), er findet sich vor allem in den Künsten wieder. Unter dem Begriff „Künste“ versteht man hier alles, was von Wert ist. Man denke z.B. an die jap. Teezeremonie (Chado), die Kalligraphie (Shodo) das Blumenstecken (Ikebana bzw. Kado) oder an die Kunst des Bogenschießens (Kyudo). Geht man den Weg einer oder mehrerer dieser Künste, so müssen die handwerklichen und die geistigen Fähigkeiten gleichermaßen entwickelt werden. Nur so kann der Mensch zum wahren Wesen dieser Kunst finden und zugleich die eigene Reife entwickeln. Aus dieser Sicht ist Zen auch ein Lebensweg.

Im Gegensatz zu den Theistischen Religionen sucht der Zen-Praktizierende nichts außerhalb, da ja alles in ihm selber schon vorhanden ist, es muss nur mehr erweckt werden. Dies wird erreicht, indem man sich von jeglichem dualistischen Denken befreit. Meister Sosan (gest. 606) sagte: „Der Kampf in unserem Bewusstsein führt zur Krankheit des Geistes.“ Viele Atheisten griffen diesen Spruch auf, um ihn dahingehend zu interpretieren, dass Religion eine Krankheit des Geistes sei. Gemeint ist damit aber die sog. Verblendung (im Sinne des Fundamentalismus), die keine Interpretationsmöglichkeit mehr zulässt, weil sie die Dinge ständig in Gut oder Böse einordnet und deshalb in pure Rechthaberei ausartet. 

Vom Standpunkt des taoistischen Denkens aus betrachtet ist der Mensch von Natur aus gut. Das westliche Misstrauen gegenüber der menschlichen Natur wird als eine Form von Schizophrenie angesehen. Die Vorstellung der Mensch sei von Natur aus schlecht, ist absurd, weil es den Glauben selbst ad absurdum führt, denn alle Begriffe eines verdrehten Verstandes müssen demzufolge verdrehte Begriffe sein.

Zen-Buddhismus und christliche Mystik Im Angesicht des Todes begreift der Mensch, dass das Leben nicht unendlich währt und sich damit die verstehbare und beherrschbare Wirklichkeit als Illusion erweist. Spiritualität und Mystik findet sich deshalb in fast allen Religionen. Im Zen- Buddhismus gibt es keine Jenseitsvorstellung, keinen Himmel und keine „ewige Seele“, selbst der Kreislauf von Geburt, Tod und Wiedergeburt, wie man ihn im Buddhismus findet, wird hier eher sinnbildlich verstanden, dahingehend, dass der Prozess des Entstehens und Vergehens ja in jedem Augenblick passiert. Im Zen gibt es nichts zu erreichen, alles muss losgelassen werden, deshalb gibt es auch keine „Erlösungsbedürftigkeit“ durch einen Gott, denn der Mensch ist fähig sich aus eigener Kraft zu befreien.  Die „Erlösung“ findet im hier und jetzt statt. Sobald das Ich-Bewusstsein überwunden ist, stirbt auch die Furcht vor dem Tod. Was aber bleibt vom Geist, wenn wir sterben? Zen-Meister Taisen Deshimaru-Roshi (1880-1965) beantwortete diese Frage so: „Der Geist benötigt eine Form, also einen Körper,  um sich zu verwirklichen. Wenn daher der Körper tot ist, stirbt auch das, was wir unter dem Namen „Geist“ kennen und kehrt zur kosmischen Ordnung zurück. Unser Ki (chin.: Qi = Lebensenergie) geht mit dem Tod in den Kosmos zurück. (…) Die kosmische Energie verändert sich nicht: Sie ist.“

Grüner Budda, von Mona

Viele Menschen im Westen, welche sich mit Zen befassen, finden Parallelen zur christlichen Mystik. Genannt sei hier Meister Eckhard (gest. 1328), welcher immer wieder mit Zen-Meister Huang-Po (770-850) verglichen wird, der Folgendes sagte: Nur indem ihr verhindert, dass begriffliches Denken entsteht, werdet ihr Bodhi (Erwachen/Erleuchtung) erfahren. Dann werdet ihr auch Buddha erfahren, der immer in eurem Geist existierte.“ 
 

Zum Vergleich dazu Meister Eckhard: „Alles was man von Gott zu denken vermag, das ist alles Gott nicht. Was Gott in sich selber sei, dazu kann niemand kommen, er werde denn in ein Licht gerückt, das Gott selber ist.“

Wie den Meistern des Zen oder dem islamischen Arzt und Philosophen Ibn Rushd ging es auch Meister Eckhard um die Aussöhnung von „Physik und Metaphysik“. Deshalb deutete er die Bibel nicht buchstabengetreu, sondern allegorisch. “Die Schrift des Alten Testaments ist entweder Naturphilosophie oder Weisheit, die das Leben leitet.” Der Physiker und Nobelpreisträger Albert Einstein (1879-1955) meinte: „Die Religion der Zukunft wird eine kosmische sein. Sie sollte einen persönlichen Gott transzendieren und Dogma und Theologie vermeiden. Indem sie sowohl das Natürliche als auch Spirituelle umfasst, sollte sie auf einem religiösen Sinn beruhen, der aus der Erfahrung aller natürlichen und spirituellen Dinge als tiefer Einheit erwächst. Der Buddhismus entspricht diesen Maßstäben. Wenn es irgendeine Religion gibt, die den Ansprüchen moderner Wissenschaft gewachsen ist, heißt sie Buddhismus.”

Avatar-Foto

Dr. Michael Blume studierte Religions- und Politikwissenschaft & promovierte über Religion in der Hirn- und Evolutionsforschung. Uni-Dozent, Wissenschaftsblogger & christlich-islamischer Familienvater, Buchautor, u.a. "Islam in der Krise" (2017), "Warum der Antisemitismus uns alle bedroht" (2019) u.v.m. Hat auch in Krisenregionen manches erlebt und überlebt, seit 2018 Beauftragter der Landesregierung BW gg. Antisemitismus. Auf "Natur des Glaubens" bloggt er seit vielen Jahren als „teilnehmender Beobachter“ für Wissenschaft und Demokratie, gegen Verschwörungsmythen und Wasserkrise.

82 Kommentare

  1. Kyudo

    Eugen Herrigel schreibt in seinem Buch ´Zen in der Kunst des Bogenschiessens´ über diese Kunst: “Nach ihr ist Bogenschießen nach wie vor eine Angelegenheit auf Leben und Tod in dem Maße, wie es eine Auseinandersetzung des Schützen mit sich selbst ist;…”
    (Zitat aus der Ausgabe vom O.W. Barth Verlag, 1990, ISBN: 3-502-64280-X)

    Aus diesem Grund betrachtet man Kyudo in Japan nicht als Sport, sondern als Philosophie, bei der man sich mit sich selbst und dem Sinn des Lebens auseinandersetzt. Wer erkennt, dass das Sterben ein Teil des Lebens ist, verliert die Angst davor und kann freier leben.
    Dies ist auch ein Grund – neben der Schönheit – , wieso die Kirschblüte in Japan so populär ist. So leicht, wie sich ein Blütenblatt vom Baum löst, soll man sich von seinem Leben lösen; wenn man den Sinn verstanden hat.

  2. @KRichard

    Vielen Dank für Ihren Kommentar. Das Buch von Eugen Herrigel kenne ich natürlich auch, die Kampfkünste sind ja eng mit der Philosophie des Zen verbunden. Bodhidharma gilt, der Legende nach, als Begründer der chinesischen Kampfkunst Kung Fu oder Wushu, wie sie heute noch im Shaolin-Kloster ausgeübt wird.
    In Japan erfuhr das Zen eine einzigartige Ästhetik, welche die gesamte Kunst und auch das Leben beeinflusste, sogar die einstigen Kriegstechniken wurden in Künste verwandelt, denn der Kampf sollte nur mehr ein geistiger sein.

    Literaturempfehlung: ZEN in den Kampfkünsten Japans von Taisen Deshimaru-Roshi.

  3. Kado / Ikebana

    Danke für den Buchtipp.
    Es ist interessant, dass heute mit dem aus China stammenden Ch´an-Buddhismus überwiegend Kampfkünste in Verbindung gebracht werden.
    Kaum bekannt ist, dass die Mönche damals auch das kultische Blumenarrangieren Kado (= Blumenweg, auch Ikebana genannt) nach Japan brachten. Diese zeremonielle Kunst wurde bis zur Grenzöffnung (1860) von Männern ausgeübt (Mönche, Adelige, Samurai); Frauen durften Ikebana erst nach 1860 erlernen und anwenden.

    Beim Ikebana versucht man sich über die Zusammenhänge – vereinfacht gesagt – von Erde, Mensch und Himmel klar zu werden und sie in einem harmonischen Gesteck-Aufbau anzuordnen.

    Diese philosophischen Grundgedanken stecken übrigens auch in vielen katholischen Kirchen. Die Klosterkirche in Weltenburg/Donau ist hierzu ein sehr bekanntes Beispiel.
    Die Kirche ist dreiteilig aufgebaut, wobei darin der meditative Gedanke enthalten ist: Vorraum = körperliche Existenz, Innenraum = geistige Erkenntnis und Altarraum = spirituelle Erlösung.
    bei dem Betreten der Raume und dem Gebet durchschreitet man diese Räume => Zen in der Klosterkirche

  4. @KRichard

    Ja, Sie haben recht, “Kado” der “Weg der Blumen” ist eine meditative Kunstform, welche ursprünglich dem männlichen Adel vorbehalten war. Japan und seine Frauen ist natürlich ein Kapitel für sich. Hier ein sozialhistorischer Essay, welcher sich mit diesem Thema befasst:
    http://www.ruthlinhart.com/japan_7.htm

    Die Klosterkirche in Weltenburg kenne ich ebenfalls, da ich früher in Regensburg beheimatet war. Allerdings wusste nicht wieso die Kirche dreiteilig aufgebaut ist. Interessant in diesem Zusammenhang ist auch, dass im Spätmittelalter “ars vivendi – ars moriendi” auch im Christentum eine Kunst war, so ähnlich wie der „Weg“ im Zen-Buddhismus. Doch diese Kunst scheint verloren gegangen zu sein.

    Heutzutage meint die moderne Hirnforschung ja angeblich, dass “auch Ideen und kulturelle Weltbilder bloß Illusionskulissen” sind “mit deren Hilfe der Mensch werdende Affe sich an seine feindliche Umwelt anpasst”.
    Den ganzen Artikel, mit z.T. sehr interessanten Leserbriefen, findet man hier:
    http://www.zeit.de/2007/42/Biologismus

  5. Wenn ich das recht verstanden habe, dann ist der gottlose Zen-Buddhismus aus religiösen und philosophischen Vorstellungen hervorgegangen, wobei die religiösen Aspekte wie etwa Jenseitsvorstellungen oder Ahnenkult eliminiert wurden.

    Das ist ein, wie ich finde, sehr interessanter Punkt, aus dem die spannende Frage folgt: Wie kamen die Menschen dazu, übernatürliche Akteure und Jenseitsvorstellungen ad acta zu legen und allein die Spiritualität zu pflegen? Was ist in den Köpfen dieser Menschen passiert?

    Offenbar ist die Spiritualität, anders als die Religiosität, von der individuellen genetischen Ausstattung und Entwicklung relativ unabhängig.

    Der Theologe und Biologe Ulrich Lüke hat kürzlich – sinngemäß – geäußert, die Evolution sei möglicherweise ein Prozess des Erkenntnisgewinns. Was, wenn der Erkenntnisgewinn darin bestünde, dass es keiner übernatürlicher Akteure bedarf, um ein gutes und sittliches Leben zu führen?

  6. Paradox

    ich habe das Beispiel ´Weltenburger Klosterkirche´ gewählt, weil es ein sehr schönes Paradox zeigt: einheimische Meditationstechniken gehen verloren und fremde (Zen) werden praktiziert.

    Das ganze Gebäude steckt voller Symbolik – welche sich in Details und im Ganzen ideal zum Meditieren eignen würde – wenn man die Zeichen beachten würde. Hier ist eine Übereinstimmung zum Buddhismus, bei dem – in anderer Form – die Meditation eine wichtige Rolle spielt.
    Leider geht aber das in solchen Kirchen enthaltene Wissen verloren, weil man die Symbolik meist nicht mehr versteht und deuten kann. Das ist eigentlich schade – denn solches Wissen ist Teil unserer Kultur. => Aber vielleicht gibt es irgendwann einmal Meditationskurse bei denen man nicht im Schneidersitz meditiert – sondern sich bemüht, die hinter den Symbolen steckenden Gedanken zu verstehen. Das wäre doch eine Marktlücke für den Tourismus.

    Zum ZEIT-Artikel: Solche Artikel amüsieren mich immer wieder. Die Idee des abgetrennten freien Willens, oder der Gedanke dass wir weder Schuld noch Freiheit haben, ist irgendwie schizophren. Denn dabei spaltet man sich gedanklich von seinem eigenen Gehirn und den darin enthaltenen Grundlagen unseres Bewusstseins ab.
    So etwas ist nicht sinnvoll, denn wir haben kein Gehirn/Bewusstsein, sondern wir sind es.

  7. Offene Weite – nichts von heilig

    Lieber Herr Balanus,

    Sie bringen die Sache auf den Punkt, wenn Sie schreiben: “Wie kamen die Menschen dazu, übernatürliche Akteure und Jenseitsvorstellungen ad acta zu legen und allein die Spiritualität zu pflegen?”
    Nun diese Leute haben sich m.E. ganz auf die erfahrbare Wirklichkeit konzentriert. Wenn man sich von jeglicher Illusion trennen möchte, muss man sich auch von der Gottesvorstellung trennen. Im Zen heißt es dazu ganz radikal: “Triffst du den Buddha auf dem Weg, dann töte ihn”, d.h. das Bild das man sich gemacht hat; denn wer an einer Illusion festhält kann die Realität nicht mehr erkennen. So ähnlich wie es auch in der Bibel steht: ” Du sollst dir kein Bildnis machen, keinerlei Gleichnis, weder des, das oben im Himmel, noch des, das unten auf Erden, noch des, das im Wasser unter der Erde ist.”
    Zen-Meister Kodo Sawaki sagte: “Viele verwechseln eine Art Rausch mit Glauben. Es gibt da einen der Ehrfurcht ähnlichen Rausch, der aber nur eine Täuschung ist. Glaube bedeutet umgekehrt: vollkommenes Nüchternwerden von jeglichem Rausch.”

    Die Chan-Bewegung kam in China auf, weil sich der ursprüngliche Buddhismus dort zu sehr von der reinen Lehre entfernt hatte. Wie Dr. Blume in der Einleitung schreibt:”… wo immer sich buddhistische Traditionen über Generationen hinweg entfalteten, wurden vom zunehmend bildlich dargestellten Buddha selbst über Ahnen (vgl. japanische Ahnenverehrung), Geister, Götter und Bodhisatvas ein reiches Angebot an zu verehrenden Übernatürlichen definiert oder adoptiert.” Einige Menschen wandten sich von diesen “übernatürlichen Akteuren” ab und kehrten zu der ursprünglichen Lehre Buddhas und einem einfachen Leben zurück, so entstand das Zen.

  8. Zen in der Kirche…

    …gibt es bereits. Viele Kirchen und Klöster bieten Zen-Kurse an. Der bekannte Benediktiner-Pater Willigis Jäger nennt seine Meditation zwar “Kontemplation”, jedoch wurde er ganz offensichtlich vom Zen inspiriert. Warum in unseren Kirchen kein Wert auf spirituelle Tradition gelegt wird, könnte vielleicht damit zusammenhängen, dass spirituelle Lehrer wie Meister Eckhard von der “offiziellen” Kirche nicht gut gelitten waren. Man hat ihn ja letztendlich auch als Ketzer angeklagt und seine Schriften als häretisch, also nicht mit der Kirchenlehre übereinstimmend, erklärt.

  9. Balanus II

    “Offenbar ist die Spiritualität, anders als die Religiosität, von der individuellen genetischen Ausstattung und Entwicklung relativ unabhängig.”
    Dazu habe ich noch etwas “gegoogelt” und folgende Statistik gefunden:
    http://www.hauptsache-persoenlichkeit.de/…et.pdf

    Schön wäre es, wenn Michael Blume dazu ein Statement abgeben könnte. Besonders interessieren würde mich dabei, wieso zwischen Spiritualität und Religiosität so eine Diskrepanz herrscht?
    “Der Theologe und Biologe Ulrich Lüke hat kürzlich – sinngemäß – geäußert, die Evolution sei möglicherweise ein Prozess des Erkenntnisgewinns. Was, wenn der Erkenntnisgewinn darin bestünde, dass es keiner übernatürlicher Akteure bedarf, um ein gutes und sittliches Leben zu führen?” Hat er da möglicherweise recht? Sind es nicht die spirituellen Sinnsucher, die den Erkenntnisgewinn bringen?

  10. @ Mona & Balanus: Philosophie zu Religion

    Liebe Mona,

    danke für den tollen Beitrag. Ich werde mich natürlich weiter zurück halten, aber da Du mich extra angefragt hast, gerne auf die Punkte von @Balanus auch von religionswissenschaftlicher Perspektive eingehen.

    Wenn ich das recht verstanden habe, dann ist der gottlose Zen-Buddhismus aus religiösen und philosophischen Vorstellungen hervorgegangen, wobei die religiösen Aspekte wie etwa Jenseitsvorstellungen oder Ahnenkult eliminiert wurden.

    Und gleichzeitig wurde der Buddhismus nur dort zur Tradition, wo er religiöse Elemente (sprich: Verehrung von Übernatürlichen) wieder adoptierte! Das gilt auch für den japanischen Zen-Buddhismus, dessen Klöster mit (inzwischen nicht-zölibatären) Priestern vor allem von den Gebühren für Rituale der Bestattung und Ahnenverehrung leben. Prof. Inken Prohl, Heidelberg, hat dazu eindrucksvolle Beobachtungen aus intensiven Feldforschungen beschrieben:
    http://www.uni-heidelberg.de/…ca/2009-1/die.html

    Das ist ein, wie ich finde, sehr interessanter Punkt, aus dem die spannende Frage folgt: Wie kamen die Menschen dazu, übernatürliche Akteure und Jenseitsvorstellungen ad acta zu legen und allein die Spiritualität zu pflegen? Was ist in den Köpfen dieser Menschen passiert?

    Dazu die oben zitierte Prof. Prohl:

    “Mit diesen rituellen Inszenierungen begegneten sie (die Buddhisten, Anm. Blume) einem der drängendsten Probleme der religiösen Szenerie Japans: Die religiöse Landschaft war bevölkert von Furcht erregenden, zornigen und übelwollenden Geistern. Japanische Religionshistoriker gehen soweit, die japanischen Religionen vor Einführung des Buddhismus als Religion des Terrors zu bezeichnen. Die Priester der Zen-buddhistischen Schulen, insbesondere der Soto-Schule, lehrten, dass es sich bei diesen übelwollenden Geistern um leidende Lebewesen handelt. Sie begannen, diese Geister mithilfe ihrer besonderen Kraft zu erlösen.

    Die Geister wurden formell in den Sangha, die Gemeinschaft der Buddhisten, konvertiert und so von ihrem Leid befreit. Mit ihrem Groll und Zorn erlosch auch ihr negativer Einfluss auf die Menschen. Nach und nach wurden die Ordinationsrituale, mit denen die Geister in die Gemeinschaft der Zen-Buddhisten aufgenommen wurden, auf alle Verstorbenen ausgeweitet. Die Soto-Schule entwickelte Begräbnisrituale, die die Verstorbenen durch die Verleihung eines posthumen Namens in den Zen-buddhistischen Sangha aufnahmen. Mit der Zeit übernahmen die meisten anderen buddhistischen Schulen diese Praxis, die bis in die Gegenwart die Grundlage für den „Begräbnis-Buddhismus“ bildet.”

    Hier erledigte der Buddhismus also den Überschuss übernatürlicher Akteure, den bei uns der Monotheismus überwand.
    Aber auch buddhistische Klöster und Tempel heute bestehen nur, wenn sie übernatürliche Akteure (wie Ahnen, Kamis, Götter, Bodhisatvas) anzubieten haben. Insofern sind Buddhismus, Jainismus, Daoismus und andere, ursprünglich nicht-theistische Überlieferungen sogar besonders spannende Beispiele für den evolutionären Druck von philosophischen zu religiösen Annahmen!

    (Sorry, falls ich hier Illusionen beschädige, das macht mir wirklich keinen Spaß, aber so ist nun mal die Befundlage…)

    Offenbar ist die Spiritualität, anders als die Religiosität, von der individuellen genetischen Ausstattung und Entwicklung relativ unabhängig.

    Die ersten noch sehr vorläufigen Befunde deuten darauf hin, dass beide Merkmale ganz ähnlich heritabel sind, aber nur locker korrelieren. Wer sehr wenig spirituell ist, den scheinen Rituale weniger anzusprechen – wer sehr intensiv spirituell ist, hat mitunter Schwierigkeiten, die eigenen Erfahrungen in Gemeinschaftsdeutungen einzupassen. Sogar auf Pfarrertagungen, auf denen wir spaßeshalber den Spiritualitäts-Test aus “Gott, Gene und Gehirn” gemacht haben, ergab sich so das Bild einer Glockenform: Mittlere Spiritualität korreliert mit Religiosität, sehr schwache und sehr starke kaum bis nicht. Auch Zusammenhänge von Spiritualität zu Fortpflanzungserfolg sind bisher (im Gegensatz zur Religiosität) nicht belegt. Persönlich würde ich erwarten, dass Spiritualität religiöser Performance diente – wer sich selbst in Ekstase erfuhr, war mit seinen Botschaften oder z.B. als Schamane auch glaubwürdiger. Aber das sind alles noch vorläufige Befunde, die vieler weiterer Studien bedürfen!

    Der Theologe und Biologe Ulrich Lüke hat kürzlich – sinngemäß – geäußert, die Evolution sei möglicherweise ein Prozess des Erkenntnisgewinns.

    Das halte ich für eine zentrale, erkenntnistheoretische Frage, zu der ich als Religionswissenschaftler gerne mehr von kundigen Philosophen und Theologen lesen würde! Vgl.
    http://www.chronologs.de/…u-wohin-evolvieren-wir

    Was, wenn der Erkenntnisgewinn darin bestünde, dass es keiner übernatürlicher Akteure bedarf, um ein gutes und sittliches Leben zu führen?

    DIESE Erkenntnis besteht schon! Einschlägige Studien (wie z.B. Experimente zu spontaner Hilfsbereitschaft u.v.m.) belegen ganz klar, dass sich religiöse Menschen durchschnittlich nicht moralischer verhalten als nichtreligiöse. Auch die höhere Spendenbereitschaft Religiöser ließe sich ja z.B. darauf befragen, dass diese Spenden ja in der Hoffnung auf Segen (bzw. einem guten Schicksal der Toten in Japan etc.) erfolgen.

    Religiös aktive Menschen sind im Durchschnitt keineswegs die moralisch besseren Menschen (und die wirklich Glaubwürdigen behaupten das auch nicht!), sie kooperieren nur untereinander erfolgreicher und pflanzen sich durchschnittlich erfolgreicher fort. Wenn die Evolution auch ein Erkenntnisprozess sei – was bedeutet das dann?

    Beste Grüße!

  11. Liebe Mona

    Nun diese Leute haben sich m.E. ganz auf die erfahrbare Wirklichkeit konzentriert.

    Ganz offensichtlich. Aber was hat sie dazu befähigt? Herr Blume konzentriert sich bei seiner Arbeit ja auch ganz auf die erfahrbare Wirklichkeit. Daraus folgt aber nicht, dass er zu der Überzeugung gelangt, übernatürliche Akteure seien geistige Konstrukte. Was dem einen ganz offensichtlich und logisch erscheint, liegt für den anderen außerhalb des denkmöglichen.

    Allein durch Geisteskraft gelingt es nicht, die ursprünglichen, tief verwurzelten und stammesgeschichtlich älteren Glaubensvorstellungen zu überwinden. Bei einem Teil der Menschen scheint die Entwicklung des Gehirns einen etwas anderen Verlauf zu nehmen, und zwar unabhängig von der Umwelt. Die Folge sind zwei konträre Typen von Mensch, die sich hinsichtlich ihrer weltanschaulich/religiösen Unterschiede kaum miteinander verständigen können, die sich gegenseitig ein großes Rätsel sind und auch bleiben.

    Wenn ich die Diskussionen über Religion und Glauben so verfolge, komme ich zu dem Schluss, dass unterschiedliche Hautfarben weniger trennend wirken als die unterschiedlichen Vorstellungen von der Existenz übernatürlicher Akteure (und sei es auch nur einer wie im Monotheismus). Man kann nur froh sein, dass die meisten Menschen es gelernt haben, mit diesen Unterschieden umzugehen.

    —-

    Gerade eben habe ich der Theodizee-Diskussion einen Besuch abgestattet: q.e.d., kann ich da nur sagen, die Gräben zwischen Glaubenden und Nicht-Glaubenden sind ganz schön tief…

    Inzwischen ist auch hier die Diskussion weitergegangen. Auf Michaels wertvolle Erläuterungen gehe ich später ein. Hier zunächst noch eine Anmerkung zum verlinkten Münchener Spiritualitäts-Poster. Dort heißt es:

    »Spiritualität stellt einen Bezug zu einer übernatürlichen Wirklichkeit dar, der nicht an eine institutionalisierte Religion gebunden ist.«

    Das wäre nicht meine Definition gewesen. Spiritualität kann zwar einen Bezug zum Übernatürlichen haben, aber dieser Bezug ist nicht zwingend notwendig.

  12. Stilles Sitzen

    Lieber Michael,

    die Diskussion, bezüglich der Rituale, der Bestattung und der Ahnenverehrung in Japan, hatte ich so ähnlich schon, siehe Religionen in Japan: http://www.chronologs.de/…hnenverehrung-in-japan

    Über das „stille Sitzen“ (Link) gibt es m.E. die größten Missverständnisse. Im Zen-Buddhismus gibt es verschiedene Arten zu „Sitzen“, „Shikantaza“ bedeutet „ nur sitzen“, „Hishiryō“ bedeutet hingegen „das dem Denken Unermeßliche“, hat also mit dem „nur sitzen“ nichts mehr viel gemein.
    http://de.wikipedia.org/wiki/Hishiry%C5%8D

    Wolfgang Kopp, der in seinen Büchern einen ursprünglichen Zen (Chan) propagiert, schreibt in seinem Buch „ZEN jenseits aller Worte“ (S.50) über „die Falle der toten Leere“: „Diese Praxis des Za-Zen ist dem Zen der alten Meister total entgegengesetzt. Za-Zen heißt nicht sitzen wie ein erstarrter Leichnam. Za – heißt sitzen, in Form von verweilen, Zen – heißt Versenkung, sich versenken in die Wirklichkeit selbst, die Quelle unseres Seins, also verweilen an der Quelle. Das ist es. Es geht also nicht vorwiegend um die körperliche Praxis, sondern vielmehr um die Geisteshaltung des Hingewendetseins nach innen, bei allem was man tut. …“.

    „(Sorry, falls ich hier Illusionen lösche, das macht mir wirklich keinen Spaß…)“.
    Aber nein, schließlich soll man sich durch die Zen-Praxis von jeder Illusion befreien. :-))

  13. Übernatürliche Akteure und Wirklichkeit

    Lieber Herr Balanus,

    Danke, dass Sie sich soviele konstruktive Gedanken machen.

    „Herr Blume konzentriert sich bei seiner Arbeit ja auch ganz auf die erfahrbare Wirklichkeit. Daraus folgt aber nicht, dass er zu der Überzeugung gelangt, übernatürliche Akteure seien geistige Konstrukte.“
    Nun, übernatürliche Akteure existieren doch in den Köpfen der Leute, sind sie dann nicht „geistige Konstrukte“? Ich habe ja noch keinen übernatürlichen Akteur in der realen Welt gesehen.
    „Bei einem Teil der Menschen scheint die Entwicklung des Gehirns einen etwas anderen Verlauf zu nehmen, und zwar unabhängig von der Umwelt. Die Folge sind zwei konträre Typen von Mensch, die sich hinsichtlich ihrer weltanschaulich/religiösen Unterschiede kaum miteinander verständigen können, die sich gegenseitig ein großes Rätsel sind und auch bleiben.“
    Ja, da haben Sie recht! Es gibt nicht nur Religiöse, sondern auch beinharte Atheisten.
    Um in einer Gesellschaft miteinander zu leben ist es m.E. unabdingbar, sich mit Verständnis und Respekt zu begegnen. Nehmen Sie zum Beispiel das Thema Umweltschutz, hier prallen doch die Meinungen ebenso aufeinander. Ich habe in der hiesigen Zeitung einmal einen kleinen Beitrag zum Thema „Baumschutz“ geschrieben und musste mir dann ständig anhören eine „Grüne“ zu sein, dabei bin ich in keiner Partei und habe meine Meinung relativ neutral vertreten. Trotzdem wurde ich von Fanatikern der Gegenseite heftig attackiert.
    Vielleicht ist ja Fanatismus ebenfalls eine Entwicklung des Gehirns, welche erforscht werden sollte, denn hierin sehe ich die wirkliche Gefahr für das Zusammenleben der Menschen.

    „Man kann nur froh sein, dass die meisten Menschen es gelernt haben, mit diesen Unterschieden umzugehen.“
    Ja, da bin ich auch froh!

    Gruß Mona

  14. Reine Lehre

    Lieber Michael

    Zweifellos gibt es einen großen Unterschied zwischen der reinen Lehre (die Texte) und dem praktizierten Buddhismus. Mir geht es aber nur um die Texte. Wenn Menschen auf die Idee kommen, dass übernatürliche Mächte oder Kräfte in unserer Welt keine Rolle spielen (es sei denn durch die Vorstellungen der Menschen), dann sind das, finde ich, sehr bemerkenswerte Gedanken, die irgendwann vor langer Zeit zum ersten Mal gedacht worden sein müssen. Denn zuvor galten doch übernatürliche Akteure als realer Bestandteil der Welt (also gar nicht “über”-natürlich – oder hat die Religionswissenschaft was anderes herausgefunden?)

    »Hier [in Japan] erledigte der Buddhismus also den Überschuss übernatürlicher Akteure, den bei uns der Monotheismus überwand.«

    Alles andere hätte mich auch sehr gewundert, wenn also die “reine Lehre” den Menschen die Geister ausgetrieben hätte. Nach meinem Dafürhalten ist das ja eine Unmöglichkeit (wegen der weitgehenden genetischen Determinierung). Nur jene, die ohnehin schon skeptisch waren, konnten die reine Lehre übernehmen.

    Dass der Monotheismus bei uns den Überschuss übernatürlicher Akteure überwunden haben soll, kann ich so nicht sehen. Man schaue sich nur die zahlreichen Engel und Heiligen an. Wessen Persönlichkeitsstruktur nach übernatürlichen Akteuren verlangt, der begnügt sich selten mit nur einem Akteur.

    » Sorry, falls ich hier Illusionen beschädige,….«

    Also, bei mir nicht, ich bin schon lange desillusioniert… 😉

    Was Sie zur Spiritualität schreiben, passt weitgehend zu meinen Vorstellungen. Ich finde, Spiritualität lässt sich viel eher mit Begabungen wie Musikalität oder Rechenkunst vergleichen als die Religiosität (wegen des Phänomens Atheismus, der per Definition nicht Teil religiösen Verhaltens sein kann).

    Der Theologe und Biologe Ulrich Lüke hat kürzlich – sinngemäß – geäußert, die Evolution sei möglicherweise ein Prozess des Erkenntnisgewinns.

    »Das halte ich für eine zentrale, erkenntnistheoretische Frage, zu der ich als Religionswissenschaftler gerne mehr von kundigen Philosophen und Theologen lesen würde!«

    Hier gehe ich mit Lüke weitgehend konform. Ich würde aber nicht die Evolution als Ganzes als einen Prozess des Erkenntnisgewinns ansehen, sondern nur jene Entwicklungszweige, in denen sich ein Nervensystem entwickelt hat. Ohne Nervensystem gibt es kein Erkennen der Umwelt. Den Evolutionsgedanken konsequent zu Ende gedacht, kann es gar nicht anders sein, als dass ein echter Zuwachs an Erkenntnis(vermögen) nur auf evolutionären Wege erfolgen kann. Das Individuum wäre demnach aus Prinzip von jeder Form eines echten Erkenntnisgewinns ausgeschlossen.

    Was, wenn der Erkenntnisgewinn darin bestünde, dass es keiner übernatürlicher Akteure bedarf, um ein gutes und sittliches Leben zu führen?

    »DIESE Erkenntnis besteht schon!«

    Sehr richtig. Aber was ich damit zugleich andeuten wollte, war, dass es offensichtlich mittlerweile Menschen gibt, für die übernatürliche Akteure Hirngespinste, also Produkte des Geistes sind. Diesen Gedanken gab es, wie gesagt, irgendwann einmal zum ersten Mal (und führten später u.a. zur Lehre des Zen-Buddhismus). In der Zeit davor gab es ausschließlich Menschen, für die übernatürliche Akteure ein realer Teil der Welt waren. Ob diese jüngste Veränderung im Laufe der Zeit ubiquitär wird, ist schwer zu sagen. Religiöse Menschen scheinen ja alles zu tun, um das zu verhindern (Fortpflanzung, Früherziehung, etc.).

    Es hat also in jüngerer Zeit eine Veränderung im Gehirn mancher Menschen gegeben. Ob man diese Veränderung nun als Verlust oder Gewinn bezeichnet, mögen Philosophen entscheiden, nicht der Evolutionsbiologe; der konstatiert nur den zeitlichen Ablauf der evolutiven Veränderungen und wertet nicht (auch, wenn’s schwer fällt 😉

    »Wenn die Evolution auch ein Erkenntnisprozess sei – was bedeutet das dann?«

    Wie gesagt, Erkenntnisgewinn findet im Evolutionsgeschehen zwar statt, ist aber nicht das Ziel der Evolution, sondern eine zufällige Erscheinung. Aus naturalistischer Sicht.

  15. @ Mona

    Liebe Mona, Sie schreiben:

    Vielleicht ist ja Fanatismus ebenfalls eine Entwicklung des Gehirns…

    Wenn man sich Gehirne so von außen anschaut und vergleicht, sieht man kaum Unterschiede. Aber die Eigenschaften dieses Organs könnten kaum unterschiedlicher sein. Ich weiß nicht, ob man da sagen kann: Und das ist auch gut so…! Jedenfalls scheint es für die Evolution des Menschen wichtig (gewesen) zu sein, dass es diese enorme Variabilität gibt.

    Schönen Dank für Ihre freundlichen Worte. Leider kann ich zum Thema Zen-Buddhismus und Meditation nichts Wesentliches beitragen. ‘Balanus’ ist übrigens nur mein Nick – der rein zufällig einen gewissen Bezug zu Darwin hat 🙂

    Lieben Gruß

  16. Definition / Lévi-Strauss

    A) Definitionen
    Rationalität ist eine Weltsicht auf Grundlage beweisbarer Annahmen (Ratio = Vernunft)
    Spiritualität ist die Annahme übersinnlicher Wirkungen (Spirit = Geist).
    Demnach sind Esoterik/Religion Unterformen der Spiritualität. Esoterik mit seinem allgemein ubersinnlichen Mystizismus und Religion mit seinem Glauben an übersinnliche Götter.

    B) Heute steht in der Zeitung, dass Claude Lévi-Strauss gestorben ist – er gilt als ein/der Begründer von wissenschaftlicher Völkerkunde (Ethnologie).
    Er sagte, dass er nur zum Buddhismus eine Neigung fühle; weil diese der einzige Glaube sei, der auch den Nicht-Sinn als letzte Wahrheit zulassen würde.

  17. @ Balanus

    Gerne gehe ich auch auf diese Fragen und Anregungen ein.
    Zweifellos gibt es einen großen Unterschied zwischen der reinen Lehre (die Texte) und dem praktizierten Buddhismus. Mir geht es aber nur um die Texte.
    Das ist nun mal unsere westliche Tradition seit Platon (Welt der Ideen sei wichtiger als Realität). Auch ich finde die buddhistischen Texte nicht nur interessant, sondern auch sehr schön, wenn sie auch erst lange nach Buddhas Hinscheiden kanonisiert und verschriftet wurden. Für die Erforschung von Religiosität und Religionen entscheidend ist gleichwohl, ob und wie Texte beobachtbares Verhalten beeinflussen.
    Wenn Menschen auf die Idee kommen, dass übernatürliche Mächte oder Kräfte in unserer Welt keine Rolle spielen (es sei denn durch die Vorstellungen der Menschen), dann sind das, finde ich, sehr bemerkenswerte Gedanken, die irgendwann vor langer Zeit zum ersten Mal gedacht worden sein müssen. Denn zuvor galten doch übernatürliche Akteure als realer Bestandteil der Welt (also gar nicht “über”-natürlich – oder hat die Religionswissenschaft was anderes herausgefunden?)
    Naja, anders herum wird ein Schuh draus: Für unsere frühen Vorfahren und unsere Primatenverwandten können wir eben “keinen” Glauben an übernatürliche Akteure belegen, dieser entsteht ja erst. Dass er deduktiv in Frage gestellt werden kann, finde ich nicht erstaunlich, sondern den Umstand, dass er sich in so kurzer Zeit (nachweisbar seit der mittleren Altsteinzeit, also wenigen tausend Generationen) so rasend schnell ausbreitete. Das Nicht-Glauben ist der Normalzustand, @Balanus, die Religiosität das neu evolvierende Phänomen.
    Alles andere hätte mich auch sehr gewundert, wenn also die “reine Lehre” den Menschen die Geister ausgetrieben hätte. Nach meinem Dafürhalten ist das ja eine Unmöglichkeit (wegen der weitgehenden genetischen Determinierung).
    Ja, da sind wir einer Meinung. Eine moderne Form der Konstruktion übernatürlicher Akteure, die sich als wissenschaftlich und technisch versteht, sind ja z.B. UFO-Mythologien:
    http://www.chronologs.de/…ezeiung-zum-14.10.2008
    Nur jene, die ohnehin schon skeptisch waren, konnten die reine Lehre übernehmen.
    Jein. Ich denke, der Buddhismus kann rationalistische Köpfe ansprechen, aber eben auch spirituelle Bedürfnisse. Und wo immer er begann, Generationen zu überspannen, nahm er schnell auch religiöse Elemente (d.h. Verhalten ggü. übernatürlichen Akteuren) auf. Demografisch ist er leider, soweit die bisherige Datenlage, jedoch nicht sehr erfolgreich… )-:
    Dass der Monotheismus bei uns den Überschuss übernatürlicher Akteure überwunden haben soll, kann ich so nicht sehen. Man schaue sich nur die zahlreichen Engel und Heiligen an. Wessen Persönlichkeitsstruktur nach übernatürlichen Akteuren verlangt, der begnügt sich selten mit nur einem Akteur.
    Ja, ich meinte mit “überwunden” auch kein völliges Auflösen, sondern (analog dem japanischen Buddhismus) ein Einfügen in eine beherrschbare, aber dadurch auch abstrakte Systematik. Aus mythischen Helden, Ahnen, Geistern und Göttern werden dann Heilige, zu Gott Entschlafene, Engel, Dämonen etc., die alle auf den Eingott hin ausgerichtet sind. Von streng-rationalen Theologien bis zu ekstatischen Bild- und Heiligenverehrungen können so Monotheismen recht breite Angebote schaffen.
    Also, bei mir nicht, ich bin schon lange desillusioniert… 😉
    Oh, sorry. Und jetzt entdeckt die Wissenschaft auch noch, dass diese Religiösen evolutionär erfolgreich sind… Gemein, diese Welt! 😉
    Was Sie zur Spiritualität schreiben, passt weitgehend zu meinen Vorstellungen. Ich finde, Spiritualität lässt sich viel eher mit Begabungen wie Musikalität oder Rechenkunst vergleichen als die Religiosität (wegen des Phänomens Atheismus, der per Definition nicht Teil religiösen Verhaltens sein kann).
    Verstehe ich nur teilweise. Wir beobachten Spiritualität (wobei noch keine völlig überzeugende Definition vorliegt) – und Menschen, die völlig unspirituell sind. Wir beobachten Religiosität – und Menschen, die völlig unreligiös sind. Wir beobachten Musikalität – und Menschen, die völlig unmusikalisch sind. (Etc. pp.)
    Wer von der Evolution menschlichen Verhaltens ausgeht, kann von Religion nicht schweigen! 🙂
    Hier gehe ich mit Lüke weitgehend konform. Ich würde aber nicht die Evolution als Ganzes als einen Prozess des Erkenntnisgewinns ansehen, sondern nur jene Entwicklungszweige, in denen sich ein Nervensystem entwickelt hat. Ohne Nervensystem gibt es kein Erkennen der Umwelt. Den Evolutionsgedanken konsequent zu Ende gedacht, kann es gar nicht anders sein, als dass ein echter Zuwachs an Erkenntnis(vermögen) nur auf evolutionären Wege erfolgen kann. Das Individuum wäre demnach aus Prinzip von jeder Form eines echten Erkenntnisgewinns ausgeschlossen.
    Ja, die Gedanken kann ich nachvollziehen. Nur hat unser Nervensystem eben doch auch Wahrnehmungen bezüglich übernatürlicher Akteure hervorgebracht und evolutionär verstärkt und setzt diesen Kurs offenkundig fort. Vgl.
    http://www.chronologs.de/…r-erkunden-den-glauben
    Sind damit Religiosität und Spiritualität Erkenntnisprozesse? Nach Ihrer Definition, ja. Und wie auch sollte sich Evolution “nur an Illusionen” bewähren? Umgekehrt können wir doch kaum die Existenz aller je geglaubten, übernatürlichen Akteure einfach naiv annehmen! M.E. benötigt es hier in Zukunft ernsthafte, erkenntnistheoretische Debatten auch außerhalb der empirischen Wissenschaften (v.a. in Philosophie, vielleicht Theologie).
    Aber was ich damit zugleich andeuten wollte, war, dass es offensichtlich mittlerweile Menschen gibt, für die übernatürliche Akteure Hirngespinste, also Produkte des Geistes sind. Diesen Gedanken gab es, wie gesagt, irgendwann einmal zum ersten Mal (und führten später u.a. zur Lehre des Zen-Buddhismus). In der Zeit davor gab es ausschließlich Menschen, für die übernatürliche Akteure ein realer Teil der Welt waren. Ob diese jüngste Veränderung im Laufe der Zeit ubiquitär wird, ist schwer zu sagen.
    Nochmal: Homo erectus war wohl noch nicht glaubend – erst dann traten unter Homo sapiens und Homo neanderthalensis religiöse Veranlagungen auf, die sich schnell durchsetzten. Es gibt keine Evolution der “Unreligiosität”, sondern eine der Religiosität.
    Religiöse Menschen scheinen ja alles zu tun, um das zu verhindern (Fortpflanzung, Früherziehung, etc.).
    Niemand verbietet doch Atheisten und Agnostikern die Fortpflanzung, in Deutschland wären mehr Kinder doch hoch willkommen! Warum gelingt Religiösen hier, was noch keiner säkularen Bewegung je auch nur zwei, drei Generationen gelungen wäre?
    Es hat also in jüngerer Zeit eine Veränderung im Gehirn mancher Menschen gegeben. Ob man diese Veränderung nun als Verlust oder Gewinn bezeichnet, mögen Philosophen entscheiden, nicht der Evolutionsbiologe; der konstatiert nur den zeitlichen Ablauf der evolutiven Veränderungen und wertet nicht (auch, wenn’s schwer fällt 😉
    Sehr einverstanden! Der Biohistoriker und mit-forschende Soziobiologe Eckart Voland hat das in einem Interview neulich so geschildert:
    “Ich bin einerseits akzeptiert in Teilen der Atheisten, aber nicht in allen, weil allein der Hinweis, dass biologische Nützlichkeit dahinterstecken könnte, für viele kämpferische Atheisten schon eine Reinwaschung des Religiösen bedeutet. Bei den Frommen begrüßt auf der einen Seite eine Vielzahl von gläubigen Menschen, dass ich hier eine Nützlichkeit postuliere – das entspricht häufig auch ihrem Selbstkonzept -, aber andererseits wird ein akademisch gebildeter Theologe sagen: Wenn man Religion auf Nützlichkeit reduziert, dann fällt das Essenzialistische der Religion weg, und das ist natürlich nichts, was wir haben können.”
    http://science.orf.at/stories/1629005/
    Obgleich ich sowohl die Befürchtungen der kämpferischen Atheisten wie einiger Theologen für sachlich unbegründet halte, kann ich diese Aussage von Voland aus eigener Erfahrung nur völlig bestätigen!

  18. Vorbehalt

    Lieber Michael,

    der Buddhismus hat sich vom Hinduismus abgespalten. Im Hinduismus gibt es jedoch jede Menge Götter, wobei hier schon die Frage aufkam ob, diese angebetet werden oder nur der Versinnbildlichung dienen, da man diese Religion auch als Lebensweg betrachtet.

    „Entgegen dem ersten Anschein ist der Hinduismus keine polytheistische Religion. Westliche Religionswissenschaft und die Indologie bezeichnet ihn als Henotheismus, da alle Götter – je nach individueller Glaubensausrichtung – Ausdruck des einen höchsten persönlichen Gottes oder auch der unpersönlichen Weltseele (Brahman) sein können.“
    Siehe: http://de.wikipedia.org/wiki/Hinduismus

    Jetzt stellt sich natürlich die Frage: Was war zuerst da, das Huhn oder das Ei? Sprich der Glaube an einen höchsten persönlichen Gott oder an eine unpersönliche Weltenseele. Die Antwort wird man wohl in den Veden finden, da muss ich mich aber noch einlesen.

    „Es ist den Hindus untersagt missionarische Tätigkeiten auszuführen, sie tolerieren jede Art von Glaube und Religiosität. Jeder Hindu darf zwar der Überzeugung sein, dass er sich selbst auf dem rechten Erlösungsweg befindet, jedoch darf er niemals den Weg eines anderen anzweifeln, dies würde seiner Religion gemäß Gotteslästerung bedeuten. Jeder hat einen eigenen, individuellen Weg und jeder Weg hat dieselbe Berechtigung.“ So geht es also auch!
    Siehe: http://www.hinduismus-religion.de/…sinhalte.html

  19. Claude Levi-Strauss über den Buddhismus:

    “Zum einen, weil er keinen persönlichen Gott kennt, zum andern, weil er die Auffassung vertritt oder weil er zulässt, dass es keinen Sinn gibt, dass in der Abwesenheit des Sinns, im Nicht-Sinn, die letzte Wahrheit liegt.

    Diese Art von Glauben kann ich ohne weiteres akzeptieren”, sagte er dem Politikmagazin “Cicero”. “Ich gestehe, dass der Gedanke, ins Nichts überzugehen, mir zwar nicht behagt, mich aber auch nicht beunruhigt”, so der Begründer des Strukturalismus zum Tod.
    http://science.orf.at/stories/1631061/

    “Für die taoistische Denkweise haftet dem ziellosen, leeren Leben nichts Niederdrückendes an. Im Gegenteil, es weist auf die Freiheit der Wolken und Gebirgsflüsse hin, die nirgendwohin ziehen, der Blumen in unzugänglichen Tälern, die schön und niemanden sichtbar sind, auf die Freiheit der Meeresbrandung, die den Sand ohne Ende auswäscht.”
    Aus dem Buch „Zen-Buddhismus/Tradition und lebendige Gegenwart“ von Alan W. Watts (S.182)

  20. @ Mona

    Liebe Mona,

    vielen Dank für Deine Kommentare, auf die ich gerne wieder eingehe!

    Was war zuerst da, das Huhn oder das Ei? Sprich der Glaube an einen höchsten persönlichen Gott oder an eine unpersönliche Weltenseele. Die Antwort wird man wohl in den Veden finden, da muss ich mich aber noch einlesen.

    Die Veden sind wundervoll – aber natürlich auch nur wenige tausend Jahre alt. Religiöses Verhalten ist dagegen mindestens mehrere zehntausend Jahre alt und in Bestattungen, Höhlen und z.B. den Monumenten von Göbekli Tepe schon für vor-seßhafte und vorschriftliche Kulturen reich belegt.

    Jeder Hindu darf zwar der Überzeugung sein, dass er sich selbst auf dem rechten Erlösungsweg befindet, jedoch darf er niemals den Weg eines anderen anzweifeln, dies würde seiner Religion gemäß Gotteslästerung bedeuten. Jeder hat einen eigenen, individuellen Weg und jeder Weg hat dieselbe Berechtigung.“ So geht es also auch!

    Ja, selbstverständlich! Ein Verbot aktiver Mission und sogar eine ablehnende Haltung gegen Konversionsversuche haben z.B. auch orthodoxe Juden und christliche Amische, die ja an die Heilsmöglichkeit auch anderer Religionsgemeinschaften glauben.

    Zu Claude Levi-Strauss (auch an @KRichard): Danke für die erinnernden Worte! Seine Schriften genossen auch nach Jahrzehnten großes Ansehen und ich war sehr bestürzt über seinen Tod, denn er war ein ganz Großer! So hat er Zeit seines Lebens gegen den westlichen Anspruch gekämpft, der einzig denkbare Weg des Fortschritts zu sein und stattdessen auf die religiöse Weisheit auch der sog. “primitiven” (Natur-)Völker verwiesen. Und auch noch in seinen zitierten Äußerungen spürt man den Respekt auch vor anderen, religiös-philosophischen Traditionen (wie Buddhismus, Taoismus), der leider vielen heutigen (Ein-)Gebildeten zunehmend fehlt…

    Ein großer Gelehrter! Danke, dass Ihr auch hier mit an ihn denkt!

  21. @KRichard – Definition der Spiritualität

    Spiritualität bedeutet im weitesten Sinne Geistigkeit. So wird es in Wikipedia formuliert und so verstehe ich den Begriff auch. Der Begriff Spiritualität oder Geistigkeit beschreibt – für mich – im Grunde die fundamentale Fähigkeit des Menschen, seinen Geist getrennt von der Physis erleben zu können. Selbst derjenige, der Geist und Bewusstsein nur für Epiphänomene oder Produkte des Gehirns hält, nimmt sich als geistiges Wesen wahr – der eine mehr, der andere weniger. Deshalb und in diesem Sinne ist für mich die Spiritualität die Basis der Religiosität sowie aller kultureller Entwicklungen einschließlich der Religionen.

  22. Geist Bewusstsein

    Können wir wirklich den Geist getrennt von der Physis erleben? – oder ist das nur eine Illusion; wie Buddhisten meinen würden.
    Mona hat einen hervorragenden Beitrag geschrieben – den man ruhig mehrmals lesen sollte; weil man immer wieder etwas Neues entdeckt => und hier wäre es das Zitat von Taisen Deshimaru-Roshi.

  23. Homunkulus

    @KRichard

    Ich weiß ja nicht, wie es Ihnen geht, aber ich habe das Gefühl, als säße in meinem Kopf ein kleiner Beobachter. Das meine ich damit, wenn ich sage, dass wir den Geist getrennt von der Physis erleben können (im Unterschied zu den Tieren, denen das wohl nicht möglich ist). Das kann man durchaus als eine Art Illusion bezeichnen.

    Dieser Homunkulus ist nicht sehr gut darin, zu unterscheiden, welche Wahrnehmungen aus der Außenwelt stammen und welche von innen kommen. Aber wem sage ich das, so erklären sich schließlich außerkörperliche Erfahrungen und gewisse Nahtoderlebnisse… ;-).

    Ist Meditation vielleicht ein Zustand, bei dem der Homunkulus ausgeschaltet ist?

  24. Lieber Michael,

    Danke für die ausführliche Antwort. Ich konzentriere mich auf den Punkt, der mir von zentraler Bedeutung zu sein scheint, nämlich den zeitlichen Ablauf der Evolution der Religiosität.

    »Naja, anders herum wird ein Schuh draus: Für unsere frühen Vorfahren und unsere Primatenverwandten können wir eben “keinen” Glauben an übernatürliche Akteure belegen, dieser entsteht ja erst. Dass er deduktiv in Frage gestellt werden kann, finde ich nicht erstaunlich, sondern den Umstand, dass er sich in so kurzer Zeit (nachweisbar seit der mittleren Altsteinzeit, also wenigen tausend Generationen) so rasend schnell ausbreitete. Das Nicht-Glauben ist der Normalzustand, @Balanus, die Religiosität das neu evolvierende Phänomen.«

    Fast einverstanden, Nicht-Glauben war der Normalzustand, bevor der Mensch selbstreflexiv über sich und die Welt nachdenken konnte. Doch mit dem Erwachen des höheren Bewusstseins und der Suche nach Antworten für unerklärliche Naturphänomene, etablierte sich die Vorstellung vom Wirken übernatürlicher Akteure sowie die Spiritualität. Das frühe bewusstseinsfähige Gehirn war notwendigerweise bereits soweit entwickelt, dass ein Glaube an übernatürliche Dinge nicht nur möglich, sondern fast zwangsläufig war. Klar, dass sich diese Vorstellungen rasant verbreiteten.

    Ich habe meine Zweifel, ob man den Zustand, der vor der Evolution der Glaubensfähigkeit lag, als “Nicht-Glauben” und als “Normalzustand” bezeichnen kann. Angenommen, es hätte eine lange Zeitspanne gegeben, wo beide Varianten nebeneinander lebten, also solche, die bereits im Besitz der Glaubensfähigkeit waren, und solche, die das neue Merkmal noch nicht besaßen (der Wildtyp, gewissermaßen). Würde man beim “Wildtyp” von “Nicht-Glauben” sprechen können, wo doch die Glaubensfähigkeit noch gar nicht ausgeprägt war?

    Wie ist das bei einem Kind? Wie entwickelt dort die Glaubensfähigkeit? In welcher Entwicklungsphase können wir berechtigter Weise von Nicht-Glauben und von Glauben sprechen? Immerhin gibt es praktisch keine Kinder, die ab einem gewissen Alter nicht glaubensfähig wären (was ich ja als Beleg für die generelle genetische Fixierung der Glaubensfähigkeit in der frühen Menschheit sehe).

    »Nochmal: Homo erectus war wohl noch nicht glaubend – erst dann traten unter Homo sapiens und Homo neanderthalensis religiöse Veranlagungen auf, die sich schnell durchsetzten.«

    Das klingt, als würden hier zwei Dinge verwechselt: das Auftreten erster spiritueller Vorstellungen und die ersten Belege für religiöses Denken. Wenn H. erectus ein höheres Bewusstsein besaß und halluzinogene Pflanzen oder Pilze kannte und von verstorbenen Mitmenschen träumte, dann dürfen wir annehmen, dass es für ihn auch so etwas wie übernatürliche Akteure gab. Seine geistigen Erlebnisse und Wahrnehmungen haben ihn gewissermaßen dazu gezwungen. Fähigkeiten zu höheren kulturellen Handlungen waren da nicht vonnöten, wohl aber ausreichend kognitive Fähigkeiten, um nach Erklärungen zu verlangen und auch welche zu finden (vergleichbar vielleicht mit dem Denkvermögen eines älteren Kindes).

    Die ursprüngliche Funktion der “Religiosität” wäre demnach gewesen, mit der bewusst erlebten Welt zurecht zu kommen, ein Ordnungssystem zu schaffen. Daraus entwickelten sich dann jene Formen der Religiosität, die zu Kulthandlungen, dem Zusammenhalt der Gruppe und dem Machterhalt der Häuptlinge dienten.

    »Es gibt keine Evolution der “Unreligiosität”, sondern eine der Religiosität.«

    Doch, inzwischen gibt es auch eine Evolution der “Unreligiosität”. Ohne sie wäre die Idee des Zen-Buddhismus nicht möglich gewesen. Aber diese neue “Unreligiosität” baut auf der älteren Religiosität auf (ähnlich, wie sich das höhere Bewusstsein des Menschen dem basalen Bewusstsein des Tieres “überstülpte”). Früher oder später wird die evolutionäre Religionswissenschaft meine Thesen bestätigen können, da bin ich mir sicher 😉

    »Und wie auch sollte sich Evolution “nur an Illusionen” bewähren?«

    Wenn diese Illusionen verknüpft sind mit anderen, selektionsrelevanten Merkmalen (etwa das Sozialverhalten betreffend), dann ist das nach meinem Dafürhalten evolutionsbiologisch kein Problem.

  25. Balanus: Der Geist ist kein Homunkulus

    Ja, @KRichard hat recht, der Buddhismus kennt keinen Körper/Geist- Dualismus, wie er z.B. in der westlichen Philosophie vertreten wird.

    Ist der „Homunkulus“ in ihrem Kopf wirklich ihr Geist, oder nur ein endloser Strom von Gedankenfetzen, ein innerer Dialog? Was passiert, wenn Sie dieses „Kopfkino“ anhalten? Genau hier setzt nämlich die Zen-Meditation an. Wenn Sie also versuchen die Gedanken anzuhalten, muss dass ganz entspannt und ohne Zwang geschehen. Zensho W. Kopp beschreibt es, in seinem Buch „Der große Zenweg“, so:
    http://tinyurl.com/yhczyle

    Ziel dieser Art von Meditation ist es, in immer höhere Stufen vorzudringen und immer tiefere Einsichten zu gewinnen, also seinen Geist genau zu erforschen. Beschrieben im Abhidharma=Überlegene Lehre:
    http://www.buddhismuskunde.uni-hamburg.de/…t.pdf

  26. Kopfkino

    Liebe Mona, ich behaupte doch nicht, dass es so etwas wie einen inneren Beobachter tatsächlich gäbe, der Körper/Geist-Dualismus ist doch auch hierzulande weitgehend passé. Ich meinte nur das ständig laufende “Kopfkino”, wie Sie sagen. Aber das Kopfkino ist schon Teil meines Geistes.

    Das bedeutet aber nicht, dass ich auch monistisch empfinde. Im Gegenteil. Mir ist, als könnte ich bewusst denken und handeln in dem Sinne, dass mein Bewusstein (also Geist) auf die Physis einwirkt. Wenn das bei Ihnen nicht so ist, dann sind Sie offensichtlich schon eine evolutionäre Entwicklungsstufe weiter 😉

    Sorry, wenn ich mich missverständlich ausgedrückt und/oder falsche Bilder verwendet habe.

    Nachtrag: In Ihrem Zensho-W.-Kopp-Link lese ich: »Wenn ihr im rechten Einklang mit dem Atem seid, dann vertieft sich eure Konzentration, und das Denken hört ganz von selbst auf – Körper, Atem und Geist werden eins.«

    Na bitte, eins werden kann ja wohl nur, was vorher getrennt war: genau das meinte ich 🙂

    Ziel dieser Art von Meditation ist es, in immer höhere Stufen vorzudringen und immer tiefere Einsichten zu gewinnen, also seinen Geist genau zu erforschen.

    “seinen Geist erforschen” – das klingt doch auch recht dualistisch, finden Sie nicht?

  27. @Balanus

    Der Buddhismus geht davon aus, dass das ICH/Bewusstsein eine Illusion ist, weil die Lebensdauer eines Lebewesens nicht länger als die Dauer eines Gedankens ist.
    Wir sind nur das, was uns aktuell in unserem Bewusstsein bewusst ist.

    Allerdings gibt es das Gedächtnis und ein im Gehirn gespeichertes Selbstbild, so dass unser Gehirn auf eine über einen längeren Zeit gleich bleibende Wissensbasis zu greifen kann – welche und die Illusion eines kontinuierlichen Selbst/Selbstbewusstseins gibt.

    Die Idee, dass es kein lokalisierbares festes Bewusstsein gibt, wird heute auch von der Neurologie bzw. Gedächtnisforschung vertreten – aber die Buddhisten wussten das schon viel eher.

  28. @Balanus Körper, Geist und Bewusstsein

    „Na bitte, eins werden kann ja wohl nur, was vorher getrennt war: genau das meinte ich :-)“
    Ja, Herr Balanus, Zensho-W.-Kopp wendet sich mit seinen Büchern ja an westliche Meditierende. Diese sind ja nun gerade an eine dualistische Denkweise gewöhnt und müssen deshalb entsprechend angeleitet werden. Im Prinzip haben Sie aber nicht grundsätzlich unrecht, an der Einheit von Körper und Geist kann auch gearbeitet werden, dass hat aber mit bewusstem Denken eher nichts zu tun.
    Ich will es an einem Beispiel verdeutlichen: Wenn man eine Kampfkunst trainiert, muss man viele Jahre die immer gleichen Techniken üben, solange bis diese im Unterbewusstsein verankert sind. Wenn nun ein Gegner angreift, kann man ja nicht erst darüber nachdenken wie man den Angriff abwehrt, sondern muss durch achtsame Beobachtung des Gegners sozusagen „im Voraus“ wissen was er macht und mit der richtigen Technik entsprechend reagieren. So wie man automatisch reagiert, wenn einem etwas runterfällt und man spontan danach greift. Man übt also eine Kampftechnik so lange bis sie zu einem automatischen Reflex wird.
    Vielleicht ist untenstehender Link hilfreich. Wobei aber der tibetische Buddhismus, wie ihn der Dalai Lama vertritt, eine etwas andere Mediationsmethode lehrt, dahingehend, dass er mit visualisierten Bildern arbeitet. Außerdem glaubt man im tibetischen Buddhismus, im Gegensatz zum Zen-Buddhismus, an eine reale Wiedergeburt. Dadurch kommt es in dieser Frage auch zum Widerspruch mit der modernen Hirnforschung.
    http://www.schattenblick.de/…uddha/rbpre778.html

  29. keine Religion

    Hallo Mona!
    Der Zen-Buddhismus beschreibt einen phantastischen Weg zur Erkenntnis/Erleuchtung, den jene gehen können, die imstande sind, die notwendigen Techniken zu erlernen und auszuüben. Zwei Personengruppen bleiben davon ausgeschlossen: diejenigen, die intellektuell nicht in der Lage sind, diese Techniken zu erlernen sowie Geisteskranke. (Bei Psychosen, egal ob affektiv, schizophren o. organisch,aber auch bei Zwangsvorstellungen und Epilepsien sind Entspannungstechniken wie z.B. die Meditation m.W. ausnahmslos kontraindiziert. Der innere Gedankenfilm, den Sie Balanus rieten anzuhalten, läßt sich hier – am deutlichsten bei Psychosen – nämlich nicht anhalten; die Patienten sind ihm auf oft qualvolle Weise ausgeliefert. Und in entspannten Situationen verschlimmert sich dieser Einfluß.)
    Daher ist der Zen-Buddhismus für mich keine Religion, denn eine Religion sollte niemanden von vornherein disqualifizieren, schon gar nicht Hilfsbedürftige. —–
    Mir fällt da aber noch etwas auf: die oben im Eingangstext zitierten Worte des Meisters Huang-Po “Nur indem ihr verhindert, daß begriffliches Denken entsteht, werdet ihr Bodhi (Erwachen/Erleuchtung) erfahren…”.
    Demenzkranke im fortgeschrittenen Stadium sind des begrifflichen Denkens nicht mehr fähig; sie sind ganz Emotion, Intuition. Diese pathologische Transformation des Ichs erfüllt also wesentliche Kriterien des im Normalfall durch Techniken zu erlernenden Idealzustands des Zen-Buddhismus. Demnach wäre diese Form des Schwachsinns evtl. von der Erleuchtung und Buddhanähe gar nicht ausgeschlossen.
    Ich meine das im Ernst und möchte Sie fragen, ob Ihnen hierzu vielleicht Textstellen aus dem Zen-B. bekannt sind.
    Beste Grüße!
    Katharina

  30. Die kosmische Realität christlicher Religion

    Ich kann nur erneut dazu anregen, bei den frühen Denkern des christlichen Glaubens nachzublättern. Sich dann deutlich zu machen, wie am Anfang von Kirche und Kanon nicht über einen jungen Juden als Gottmenschen, sondern über das Wesen einer kosmisch-kulturellen (für Glaubenlehre und Physik, Juden und Heiden geltenden) Realität nachgedacht und heftig diskutiert wurde. Wie ganz eindeutig alle Diskussionsteilnehmer über die menschliche und schöpferische Seite des nach antiken Monismus in der Physik geltenden Logos stritten: Ob Doketisten oder die menschliche Rolle der abstrakten Vernunftprinzipien als kultgemäßes Bild des neuen Josua/Jesus, wie es Kirchenväter sahen.

    Wenn wir das Wesen, um das es am Anfang eindeutig ging, wieder zum Grund aufgeklärten Glaubens machen könnten, bräuchten wir nicht die Kirche verlassen. Wir bräuchten, nicht die Kultur zu wechseln, zum Buddhismus zu konvertieren oder den Unsagbaren Schöpfergott unserer Väter zu verleugnen, wie Einstein noch dachte.

    Die schöpferische Vernunft, über die aufgekärt nachzudenken wäre, ist sicher auch Thema anderer Kulturen, wird z.B. im Tao deutlicher, als in derzeitiger christlicher Lehre. Doch nicht in meditativer Versenkung im Zen, kann m.E. die Lösung für die westliche Kultur liegen. Vielmehr im allegorischen Hinterfragen der alten Bilder, im Neuverständnis der Schrift als Naturphilsophie, die weniger den Unsagbaren selbst, als sein schöpferisches Wort/eine Vernunft/ewige Weisheit natürlichen Werdens zum Thema hat, an die sich davon begeisterte menschliche Wesen in kultgerechter Weise halten.

    Nicht, dass ich Angst hätte, meinen Kult zu wechseln. Doch ich geb die Hoffnung nicht auf, dass auch in der christlich-monotheistischen Kultur ohne vergeistert-gestrige Dogmen und Angst vor einem übernatürlichen Akteur der Mensch dazu gebracht werden kann, sein Ich und seine Triebe nicht aufzugeben, sondern sie als soziales Menschen- bzw. Vernunftwesen im schöpfungsvernünftigen Sinne einzusetzen.

    Gerhard

  31. Angst vor Gott

    Hallo Gerhard!
    Ich teile Ihre Meinung und Hoffnung.
    Die Angst vor einem übernatürlichen Akteur, vor Gottvater, halte ich jedoch nur aus kirchlicher Perspektive für gestrig. Sie ist für jeden Menschen aktuell, dem sich elterliche Autorität als bedrohlich eingeprägt hat – ob er sich dessen bewußt ist oder nicht.
    Würde man zum Buddhismus Konvertierte dahingehend explorieren, wäre das Ergebnis m.E. vorhersagbar.
    Allmacht, verbunden mit Allgegenwart, ist nur akzeptabel, wenn nicht gleichzeitig Machtmißbrauch unterstellt und befürchtet wird.
    Beste Grüße!
    Katharina

  32. Zen ist keine Religion im üblichen Sinn

    Liebe Katharina,

    danke für Ihr Interesse an diesem Thema.

    „Der Zen-Buddhismus beschreibt einen phantastischen Weg zur Erkenntnis/Erleuchtung, den jene gehen können, die imstande sind, die notwendigen Techniken zu erlernen und auszuüben. Zwei Personengruppen bleiben davon ausgeschlossen: diejenigen, die intellektuell nicht in der Lage sind, diese Techniken zu erlernen sowie Geisteskranke.“
    Erstens, die notwendigen Techniken kann wohl jeder lernen, unabhängig von seiner geistigen Ausstattung.
    Zweitens, ob der Zen-Buddhismus für Geisteskranke geeignet ist, bzw. diese ausgeschlossen werden ist eine etwas abstruse Frage. Soviel ich weiß, gibt es tatsächlich Leute, die während einer Meditation Angst bekommen. Deshalb ist es wichtig zu sagen, dass es verschiedene Arten der Meditation gibt. Für kleine Kinder gibt es z.B. Fantasiereisen, diese haben zwar nichts mit Zen nichts zu tun, helfen den Kindern aber sich zu entspannen und werden in fasst jedem Kindergarten angeboten.
    Hier finden Sie die gängigsten Meditationsarten: http://www.mokuso.de/

    „Bei Psychosen, egal ob affektiv, schizophren o. organisch,aber auch bei Zwangsvorstellungen und Epilepsien sind Entspannungstechniken wie z.B. die Meditation m.W. ausnahmslos kontraindiziert. Der innere Gedankenfilm, den Sie Balanus rieten anzuhalten, läßt sich hier – am deutlichsten bei Psychosen – nämlich nicht anhalten; die Patienten sind ihm auf oft qualvolle Weise ausgeliefert. Und in entspannten Situationen verschlimmert sich dieser Einfluß.“
    Da kann ich Ihnen nur zustimmen. Für Menschen mit psychischen Problemen ist wohl jedes System kontraindiziert, wo der Kranke auf sich selbst zurückgeworfen wird. Solche Menschen gehören m.E. in die Hände von Fachleuten, wie Ärzten oder Psychiatern, hier kann wohl keine Religion, gleich welcher Art, helfen.

    „Daher ist der Zen-Buddhismus für mich keine Religion, denn eine Religion sollte niemanden von vornherein disqualifizieren, schon gar nicht Hilfsbedürftige. —-“
    Der Buddhismus lehrt ja Mitleid mit allen Geschöpfen zu haben, und verfügt auch über eine Ethik. Jedoch ist er kein Allheilmittel (siehe oben).
    Die Ethik des Zen-Buddhismus in Japan:
    http://www.uni-muenster.de/…f/wf-94/9410301m.htm

    „Demenzkranke im fortgeschrittenen Stadium sind des begrifflichen Denkens nicht mehr fähig; sie sind ganz Emotion, Intuition. Diese pathologische Transformation des Ichs erfüllt also wesentliche Kriterien des im Normalfall durch Techniken zu erlernenden Idealzustands des Zen-Buddhismus. Demnach wäre diese Form des Schwachsinns evtl. von der Erleuchtung und Buddhanähe gar nicht ausgeschlossen.“
    Naja, Sie werden jetzt nicht ernsthaft „Demenzkranke im fortgeschrittenen Stadium“ mit Buddhisten vergleichen, welche sich um Erleuchtung bemühen. Im Zen soll ja kein Intellekt negiert werden, es geht auch nicht darum das Denken zu verdrängen, sondern das Denken zu übersteigen.
    Hier die Erklärung von Meister Huang-Po:
    http://www.zitate-aphorismen.de/…or/Huang-Po/120

    Für Sie ist Zen keine Religion.
    „Ist Zen Religion? Es ist keine Religion im üblichen Sinn. Denn Zen hat keinen Gott zum Anbeten, hat keinen zeremoniellen Ritus zu beachten, keine Zukunft im Jenseits, der die Toten überantwortet sind, und schließlich hat Zen auch keine Seele, deren Heil von irgendeinem ändern bedacht werden müsste, und mit deren Unsterblichkeit andere Leute sich abzugeben hätten. Zen ist frei von all solchen dogmatischen und „religiösen Lasten“.
    Wenn ich sage, es gäbe im Zen keinen Gott, so mag sich der Fromme dadurch verletzt fühlen, es bedeutet aber keineswegs, dass Zen die Existenz Gottes leugnet. . . So wird Gott im Zen weder geleugnet noch behauptet, es gibt eben im Zen keinen Gott im jüdischen oder christlichen Sinn. Aus den gleichen Gründen, aus denen Zen keine Philosophie ist, ist es auch keine Religion. All die Bilder verschiedener Buddhas und Bodhisattvas und Devas und anderer Wesen, denen man in den Zen-Tempeln begegnet, sind ebenso viele Stücke Holz oder Stein oder Metall. Sie bedeuten soviel wie Kamelien, Azaleen oder Steinlaternen in meinem Garten. Verrichte deine Andacht vor der Kamelie, die heute in voller Blüte steht, und verehre sie, wenn du willst, würde Zen sagen. Darin liegt ebensoviel Religion, als wenn du dich vor den verschiedenen buddhistischen Göttern verbeugst oder wenn du dich mit Weihwasser besprengst oder am heiligen Abendmahl teilnimmst.
    All solches fromme Tun, das von den meisten so genannten religiös gesinnten Menschen als verdienstvoll oder heiligend angesehen wird, ist in den Augen des Zen nur Künstelei. Zen ist darum nachdrücklich gegen alles religiöse Haften an der hergebrachten Form. Trotzdem ist die Irreligiosität im Zen nur scheinbar. . . Aber zu behaupten, dass Zen eine Religion ist, wie Christentum oder Islam, wäre ein Irrtum.”
    Dies ist ein Auszug aus dem Buch „Die große Befreiung, Einführung in den Zen-Buddhismus“ von Daisetz Taitora Suzuki (1870 – 1966)
    Entnommen von dieser Website: http://www.zen-weg.de/?p=134

  33. Gemeinsamer Urgrund

    Lieber Gerhard,

    Ihnen kann man nur zustimmen. Zweifellos findet man bei den frühen Denkern des christlichen Glaubens ähnliche Gedanken wie im Zen-Buddhismus. Namentlich durch die antike Philosophie auch davon beeinflusste Gnostiker wie Valentin haben sich die Willensfreiheit des Denkens bewahrt um den göttlichen “Logos” fassen zu können. Im “Licht – Finsternis” Dualismus des Manichaeus kann man sogar einen Brückenschlag zu Zoroaster und bis hin zum Buddhismus erkennen.
    Wenn nun durch verschiedene Kulturkreise und durch verschiedene Gedankenansätzen eine allgemeingültige “schöpferische Vernunft” sich erahnen lässt, so ist das glaube ich ein tröstender Gedanke. Auch ich sehe hier für die “Amtskirchen” eine Change der “Gottesfurcht” zu begegnen.

    „Wenn wir das Wesen, um das es am Anfang eindeutig ging, wieder zum Grund aufgeklärten Glaubens machen könnten, bräuchten wir nicht die Kirche verlassen. Wir bräuchten, nicht die Kultur zu wechseln, zum Buddhismus zu konvertieren oder den Unsagbaren Schöpfergott unserer Väter zu verleugnen, wie Einstein noch dachte.“
    Im Zen-Buddhismus soll kein Wesen und kein Schöpfergott verleugnet werden. Jeder kann sich dazu bekennen, wenn er es möchte. Mit Zen-Buddhismus können Sie sich auch als Christ beschäftigen, es wird Ihnen keine Entscheidung abverlangt. Auch wenn viele, sowohl Christen wie Atheisten, dies meinen. Manche Gläubige sehen andere religiöse Systeme von Hause aus als Konkurrenz an und meinen sie müssten z.B. das Christentum davor beschützen, oft mit diffamierenden Mitteln, wie man an einem Kommentar sieht. Atheisten haben zu Religion und religionsähnlichen Systemen, grundsätzlich eine negative Einstellung. Es herrscht hier die Meinung vor, man möchte ihnen etwas „verkaufen“, und ebenso reflexhaft wird der „Kaufgegenstand“ schlechtgemacht.
    „Doch nicht in meditativer Versenkung im Zen, kann m.E. die Lösung für die westliche Kultur liegen. Vielmehr im allegorischen Hinterfragen der alten Bilder, im Neuverständnis der Schrift als Naturphilsophie, die weniger den Unsagbaren selbst, als sein schöpferisches Wort/eine Vernunft/ewige Weisheit natürlichen Werdens zum Thema hat, an die sich davon begeisterte menschliche Wesen in kultgerechter Weise halten.“
    Von „meditativer Versenkung“ ist unsere Kultur ja weit entfernt. Und das „allegorischen Hinterfragen der alten Bilder, im Neuverständnis der Schrift als Naturphilsophie“, wurde ja von der Amtskirche als Häresie angesehen. Aber wie sie schon sagten: „… ich geb die Hoffnung nicht auf…“.

  34. Einheit von Körper und Geist

    @KRichard

    »Die Idee, dass es kein lokalisierbares festes Bewusstsein gibt, wird heute auch von der Neurologie bzw. Gedächtnisforschung vertreten – aber die Buddhisten wussten das schon viel eher.«

    Hat das vielleicht damit zu tun, dass der erlebte Moment der Gegenwart ja ständig aus der Zukunft kommt und ebenso ständig zur Vergangenheit wird? Für solche Überlegungen braucht es in der Tat keine Bewusstseinsforschung.

    @Mona

    Da kann man mal sehen: Wir reden beide von der Einheit von Körper und Geist und meinen offenbar doch ganz verschiedene Dinge.

    Sie schreiben, dass der Westler an eine “dualistische Denkweise” gewöhnt sei. Vielleicht meinen Sie damit, dass er sich wirklich dualistisch begreift (im Sinne Descartes).

    Ich für mich würde “dualistische Denkweise” so verstehen wollen, dass wir gar nicht anders können, als dualistisch zu denken. Wissend, dass der Geist ein subjektiv wahrgenommenes Epiphänomen physischer Strukturen ist, komme ich doch nicht umhin, meinen Geist als vom Körper getrennt zu erleben (wahrzunehmen, zu empfinden). Diese Trennung mag in der Meditation aufgehoben sein. Und, wie Sie richtig schreiben, in bestimmten Situationen, wo das Denken ausgeschaltet ist und man nur noch “tierhaft” reagiert, also eins ist mit der Welt (ein zugegebenermaßen schönes Gefühl – offenbar hat der Mensch eine tiefe Sehnsucht nach dieser vergangenen Zeit, wo er noch ohne Bewusstsein eins war mit der Natur).

    Ihren Schattenblick-Link finde ich sehr aufschlussreich. Ich gehe jetzt mal davon aus, dass das dort Beschriebene die buddhistischen Anschauungen korrekt wiedergibt.

    Zunächst einmal scheint es mir, als läge bei diesem Thema (Körper/Geist) zuviel Gewicht auf der Hirnforschung (deren Befunde zudem nicht ganz richtig referiert werden). Soweit ich das überblicke, existiert für die gesamte Naturwissenschaft kein Geist im dualistischen oder buddhistischen Sinne. Und dabei handelt es sich nicht um ein “Dogma”, wie behauptet wird, sondern um eine starke Hypothese, die bis heute nicht widerlegt, aber vieltausendfach gestützt wurde.

    Insgesamt hatte ich bei der Lektüre des verlinkten Artikels hin und wieder das Gefühl, eine esoterische Schrift zu lesen. Im Ergebnis habe ich nun doch große Zweifel, dass sich der Buddhismus gut mit den Naturwissenschaften verträgt (vielleicht besser als echte Religionen, mehr aber auch nicht). Das betrifft auf jeden Fall die tibetische Variante, scheint in milderer Form aber auch für den Zen-Buddhismus zu gelten (aber da müsste ich mich noch mal näher mit befassen).

  35. @mona

    Liebe Mona!

    Vielen Dank für Ihre Antwort und die interessanten links.

    Zunächst zu der vermeintlichen Kränkung, um sie rasch auszuräumen:
    “Sie werden jetzt nicht ernsthaft “Demenzkranke im fortgeschrittenen Stadium” mit Buddhisten vergelichen, welche sich um Erleuchtung bemühen. Im Zen soll ja kein Intellekt negiert werden, es geht auch nicht darum das Denlken zu verdrängen, sondern das Denken zu übersteigern.”
    Ich vergleiche nicht die Personen sondern ihren psychischen Zustand, der sich hier im Rahmen eines neurologischen Prozesses, dort aufgrund freiwilliger Bemühungen einstellt. Daß der erleuchtete Buddhist zu seinem (durch die Meditation modifizierten) Alltagsbewußtsein zurückkehrt, der Demenzkranke jedoch in einem Zustand der Leere verharrt, ist der augenfälligste Unterschied. Was der Demenzkranke allerdings genau erlebt, können wir nicht wissen. Wir können nicht einmal sagen, daß er von diesem Zustand der Leere nicht auch profitiert; typischerweise werden diese Kranken – aus ganz unerfindlichen Gründen – im letzten Stadium ihrer Erkrankung euphorisch.

    Sie empfinden meinen Vergleich noch immer als abstrus, und ich gebe zu: So mutet er auch an. Aber für mich ist bei der Beschäftigung mit Phänomenen des Bewußtseins immer wieder eines aufgefallen: Les extrêmes se touchent. Und dieses Sich-Berühren der Extreme ist auch hier unübersehbar.
    Ich hätte es übrigens auch nicht als kränkend empfunden, wenn ich Personen verglichen hätte, denn ein Kranker verliert nicht seinen menschlichen Wert.

    Und damit bin ich bei meinem Vorbehalt gegen den Zen-Buddhismus als Lebensleitlinie. Mir kommt es so vor, als leite sich dieser Wert im Zen-Buddhismus hauptsächlich aus dem Vermögen des Einzelnen ab, aus eigener Kraft Buddhanähe zu erlangen.
    Im christlichen Glauben gibt es ebenfalls klare Vorgaben zur Erlangung des Heils, der Gottesnähe; der letzte Entscheid liegt aber jeweils bei Gott, und er behält es sich vor, auch diejenigen in seine Nähe zu holen und für wertvoll zu erachten, die diesen Vorgaben nicht entsprechen können oder wollen (damit also auch Geisteskranke).

    Nun zu den Meditationstechniken: Ich habe deren Beschreibung durchgelesen und hoffe doch sehr, daß Sie Homo sapiens sapiens nicht überschätzen. (Mir ist es nicht einmal gelungen, durch schlichtes Autogenes Training die Füße zu erwärmen 🙂

    Beste Grüße und einen schönen Sonntag!
    Katharina

  36. @Balanus Gehirnforschung mit Schattenblick

    Der „Schattenblick“ bezieht sich auf eine Zeitschrift des Tibetischen Zentrums, und gibt die Anschauungen des Dalai Lama wieder. Natürlich handelt es hierbei um eine esoterische Zeitschrift. Ich habe das Beispiel genommen, da mir kein anderes bekannt ist. Inwieweit man die Anschauungen einer alten Religion 1:1 mit moderner Hirnforschung vergleichen kann, kann ich nicht sagen. Zumindest bemüht sich der Buddhismus, neue Erkenntnisse mit seiner Weltanschauung zu vereinbaren. Es wäre ja m.E. auch ein bisschen viel verlangt, wenn der Buddhismus, allein mit Meditation, alle Geheimnisse des Gehirns schon entschlüsselt hätte. 🙂

  37. Bodhidharma als Daruma-Stehaufmännchen

    Lieber Nikelaos,

    danke für das Kompliment!
    Ja, ich praktiziere Zen, denn Zen ist die Religion des Alltäglichen, ist die Rückbesinnung auf das Wesentliche im Leben.
    Bodhidharma wird ja immer als Daruma-Stehaufmännchen dargestellt. Der Sage nach, dass durch jahrelanges regungsloses Sitzen seine Gliedmaßen abstarben. Dies ist natürlich Unsinn, schließlich wurden im Shaolin-Kloster Meditationspraktiken des Chan/Zen, sowie körperertüchtigende Bewegungen (Kampfkunst) trainiert. Gemeint ist damit, man solle dasselbe Balance-Vermögen entwickeln, wie eine Daruma-Puppe. Nicht unbeugsam sein, sich aber auch nicht niederstrecken lassen.

  38. Worte

    Hallo Mona,

    es macht mich wunder, wieviel (komplizierte) Worte um das alltägliche gemacht werden.

    Wie lange praktizieren Sie denn schon Zen?

  39. Der Weg ist das Ziel

    Ja, Nikelaos,

    es ist manchmal eben sehr schwierig das Einfache entsprechend zu vermitteln. Wie Sie richtig bemerkt haben, wird über Zen sehr viel geschrieben. Leider fehlt ein Gesamtkonzept. Jeder pickt sich irgendein Detail heraus, z.B. Achtsamkeit, und baut darauf seine eigene Philosophie auf. Ein großes Problem stellt bestimmt auch die Übersetzung dar. Daisetz Teitaro Suzuki hat in seinem Werk „Essays in Zen Buddhism I“(erschienen in London 1927) eine Psychologisierung des Zen vorgenommen, die es vorher so noch nicht gab. Sicher meinte er, damit das Zen in der westlichen Welt besser verständlich machen zu können. Allerdings sieht auch er im „Satori“ (=Erwachen/Erleuchtung) nichts Metaphysisches, wie man im Westen fälschlicherweise immer annimmt. Man steigt, mit Hilfe von Meditation, lediglich in das eigene Selbst, welches hier als Unterbewusstsein aufgefasst wird, hinab, um Einsicht zu gewinnen. Zen geht davon aus, unser durch Widersprüche gestörtes Bewusstsein könne nur vom Unterbewussten aus geheilt werden.
    Ich beschäftige mich schon etliche Jahre mit Zen. Trotzdem kommt man nicht umhin möglichst viele Quellen zu befragen, denn je mehr Puzzlestücke man hat, desto verständlicher wird es.
    Jemand sah eines Tages am Rand einer Klippe zum ersten Mal in seinem Leben das Meer. „Wie schön es ist! Welch großartiger Anblick!“ sagte er fast atemlos. „Und dabei“, sagte sein Freund, „siehst du doch nur die Oberfläche!“
    Aus dem Buch „Zen in den Kampfkünsten Japans“ (S.11) von Taisen Deshimaru-Roshi

  40. Puzzlestück

    Hallo Mona,

    abgesehen davon, dass ich Zen nicht als Religion sehe (meine Praxis hat es mich anders “gelehrt”) so doch mein Beitrag zum Puzzle:

    Was ist Zen?

    “Du sitzt in der Wüste. Die Sonne ist verschwunden, aber es ist noch angenehm warm. Du sitzt, hebst eine Handvoll Sand auf und denkst: ´Die Anzahl der Körner entspricht der Anzahl meiner gelebten Leben.´ Das ist Hinduismus. Du schaust zum Himmel und sagst: ´Wie wunderbar!´ Das ist Christentum. Du schließt die Augen und hörst die Stille. Das ist Buddhismus. Du lässt die Stille weg.

  41. Mönche und Krieger-Fürsten

    Hallo Nicelaos,

    „…abgesehen davon, dass ich Zen nicht als Religion sehe (meine Praxis hat es mich anders “gelehrt”) …“
    Mit welcher Praxis beschäftigen Sie sich? Kampfkunst oder Meditation? Ich habe selber jahrelang Karate und Tai Chi trainiert, viele der Übenden beschäftigen sich zwar mit Zen, lassen es aber nicht als Religion gelten, da sie zu wenig darüber wissen. Dabei wurde Zen ja durch Mönche verbreitet und von den Samurai, der jap. Kriegerkaste, als Religion praktiziert.
    http://www.welt-der-samurai.de/religion.html

  42. Hallo Mona,

    ich meditiere.

    Ich halte Zen nicht für eine Religion, sondern für eine “Technik”, die jeder religiösen Richtung zur Verfügung steht.

    Das “Dumme” ist, das diese “Technik” von der Religion befreit.

  43. Zen und Philosophie

    Hallo Nicelaos,

    da haben Sie nicht ganz unrecht! Zum Glück kann im Zen-Buddhismus jeder nach seiner Fassion selig werden. Es handelt es sich hier ja um eine Erfahrungsreligion. Die Religion kann ich nicht ganz wegtun, auch wenn es keinen Gott und keine Kirche gibt, schließlich gibt es ein Heilsversprechen, das Erwachen bzw. die Erleuchtung. Das Zen nur eine Philosophie zu nennen, trifft es ja auch nicht ganz.
    Zen sprengt nicht nur den Rahmen der Religion, sondern auch den der westlichen Philosophie. Hier ein interessanter Link zu “Zen und Philosophie”:
    http://them.polylog.org/4/aom-de.htm

  44. Einfach Sein

    Hallo Mona,

    danke für den Link – jedem Leser dieses Dialogs von meiner Seite her wärmstens empfohlen.

    Zen ist in der Tat mit Philosophie oder Religion allein nicht zu erfassen. Es ist keines von beiden, wie es beides sein kann.

    Für mich wichtige Passagen des verlinkten Textes:

    “Nur assistieren können alle äußeren Einflüsse dem Adepten bei seiner Suche nach seinem »So«, das sich ihm aus ihm heraus und »von selbst« ergeben muss.”

    “Denn innerhalb des Bewusstseinshorizontes allein findet das Denken einen Ansatz zu seiner »Selbstzerschlagung«.”

    “Können wir in diesem Dialog zwischen Philosophie und Zen nicht durchaus Einsicht in unsere Daseinsverfassung gewinnen, auch ohne damit die Hoffnung auf ein Heil oder eine Loslösung zu verbinden?”

    Die Absätze 30 & 31.

    Auch ich bin in der Annahme eines Heilsversprechens “ins Zen gestartet”. Meine Praxis hat mich gelehrt, das die Annahme eines Heilsversprechens wohl eine – typisch christliche? – Interpretation einer in seiner Banalität umwerfenden Erkenntnis ist.

    Ein gewisser Lin-Chi (näheres zu dieser Person ist mir nicht bekannt) meinte:
    “Freunde des Zen, ich sage euch: Es gibt keinen Buddha und keine Lehre, keine Schulung und keine Erkenntnis. Wonach sucht ihr so erbittert? Wozu wollt ihr einen zweiten Kopf auf euren eigenen setzen, ihr blinden Schwachköpfe? Was fehlt euch denn? Derjenige, der mit dem Tao im Einklang ist, unterscheidet sich nicht von den Buddhas und Patriarchen. Aber ihr vertraut nicht auf euer Inneres, und so wendet ihr euch auf eurer Suche nach außen. Lasst euch nicht täuschen! Die höchste Wahrheit ist nichts, was man im Äußeren finden könnte.”

    Kein Heilsverprechen, keine Erleuchtung ==> keine Religion.
    Keine äußere Wahrheit ==> keine Philosophie.

    Oder, um’s Zen-“gemäß” auszudrücken:
    Weder Religion noch Nicht-Religion.
    Weder Philosophie noch Nicht-Philosophie.
    Und Wissen schafft’s auch keins.

  45. Zen ist die Essenz von Religion und Philosophie

    Lieber Nikelaos,
    ich kann Ihren Ausführungen über Zen eigentlich nur zustimmen. Es heißt ja oft, Zen sei schon dagewesen noch bevor Religion oder Philosophie Formen annahmen, denn Zen ist die „Grundlage aller Religionen und Philosophien“, wie Daisetz Teitaro Suzuki sagte.
    Der Benediktiner und Zen-Meister Willigis Jäger erklärt es so:
    http://docs.google.com/…nz+jeder+religion&hl

    Bei dem von Ihnen erwähnten „Lin-Chi“ handelt es sich um Linji Yixuan (jap. Rinzai Gigen, gest. 866). Ich habe unter „Religion in Japan“ bereits einmal einen Kommentar über ihn abgegeben, da ich den Unterschied zwischen Sotoschule und Rinzsaischule erklären wollte.
    http://www.chronologs.de/…hnenverehrung-in-japan

  46. Hallo Mona!

    Der Artikel von Willigis Jäger ist beeindruckend, auch wenn er -aus meiner Perspektive- sehr an religiösen Konzepten “hängt”. Vielleicht ist es so, weil der Zugang zu Zen über “klassische” Konzepte praktikabel ist: Interessierte einfach dem “Nichts” zu überlassen, ist, denke ich, wenig hilfreich und führt eher vom “Ziel” weg als hin. Vielleicht ist es auch einfach seinem Werdegang geschuldet.

    Wie auch immer, es ändert inhaltlich nichts.

    Mit meiner fortschreitenden Praxis wurde mir ein Zugang eröffnet, der mir in “Zen-Manier” vermittelte, wie es zu Konzepten wie Gott und Wiedergeburt kommt. So konnte ich eine “Grundlage aller Religionen und Philosophien” erkennen.

    Schließlich freue ich mich, das Sie meinen Ausführungen zustimmen, wenn auch das “eigentlich” ein “aber” impliziert…

    Allerdings: wäre etwas vollkommen, wenn es nicht die Unvollkommenheit beinhaltete?

  47. @ all: Epoc-Titel Buddhismus

    Liebe Leser & Diskutanten,

    wie ich gestern erfreut am Briefkasten feststellte, hat das aktuelle EPOC-Heft den Buddhismus (und zwar seine Geschichte wie auch weniger bekannte Aspekte seiner Gegenwart) als Titelgeschichte: “Der Buddhismus – Wissenschaftler entdecken die überraschenden Seiten einer Weltreligion”

    Es schreiben u.a. erfahrene wie auch jüngere Indologen – sehr erfrischend! Nachdem auch Monas Beitrag und diese Diskussion hier mein eigenes Interesse am Thema durchaus neu entfacht haben, darf ich sagen: Die Artikel sind sehr gut gelungen, viel Neues dabei!
    http://www.epoc.de/artikel/1004863

    Viel Spaß allen beim Schmökern, her-ZEN-liche Grüße! 😉

  48. Beispiel Sufismus

    @Nikelaos

    „Schließlich freue ich mich, das Sie meinen Ausführungen zustimmen, wenn auch das “eigentlich” ein “aber” impliziert…“
    Ja, ABER Zen ist EIGENTLICH ein individueller Weg :-), da ist es ganz normal wenn jeder ihn anders erlebt. Da sich das Zen, oder auch das Yoga, aus Religionen ohne Gott entwickelt haben, wird hier eine „Selbsterlösung“ ohne Gott praktiziert. Es gibt auch Menschen, wie Willigis Jäger, die einen „gottlosen“ Zen- Weg beschreiten und bis zuletzt ihrer Religion „anhaften“, wenn auch in der Nachfolge der christlichen Mystiker. Allerdings kennt man Mystiker, wie beispielsweise die Sufis, die von vornherein eine „Vereinigung“ mit ihrem Gott anstreben.
    „Die Lehre des Sufismus ist weder eine Religion noch eine Philosophie, vielmehr vereinigt sie beides in sich und baut eine Brücke über die Unterschiede hinweg, die Menschen und Religionen trennen. Sie tastet keine Religion und kein Glaubensbekenntnis an und bindet ihre Anhänger an keine Dogmen. Sie ermöglicht es aber jedem Einzelnen, seine eigene Religion besser zu verstehen.
    Deshalb können alle den Sufiweg gehen, unabhängig von ihrer Religionszugehörigkeit.“
    http://www.sufismus.ch/sufismus.php

    Mystik findet sich in fast allen Religionen. Eine rationale, undogmatische Lehre ohne Glaubensbekenntnis faszinierte wohl schon immer Menschen, welche den prophetischen Religionen wie Christentum oder Islam mit ihrer Tendenz zum Absolutheitsanspruch skeptisch gegenüber standen. Gerade der religiöse Extremismus des Islam wird ja weltweit als Bedrohung angesehen. In Marokko setzt man deshalb verstärkt auf Sufi-Bruderschaften, denn „Seit den Attentaten von New York hätten die marokkanischen Behörden zudem erkannt, welche Gefahr im saudischen Wahhabismus liegen könne.“
    http://de.qantara.de/….php/_c-469/_nr-643/i.html

  49. Hallo Mona!

    “Es gibt einen Weg, den keiner geht, wenn Du ihn nicht gehst.”

    Dieser Satz -die Quelle ist mir nicht bekannt- zeigt doch: Welcher Weg ist nicht individuell?

    Der Sufi-Link ist -wieder mal- sehr interessant. Ich finde es erstaunlich, wie unterschiedliche Kulturen bei “mystischen” Fragen, zu einer zumindest sehr ähnlichen, wenn nicht gleichen -jedoch in der Wortwahl unterschiedlichen- Einsicht kommen. Ich stimme Ihnen zu, hier liegt wohl ein Faszinosum wenn nicht sogar tiefes menschliches Bedürfnis vor.

    Das ist es, was mich an der Begrifflichkeit “Religion” in Bezug auf Zen -ich bleibe mal auf vertrauten Pfaden- stört: hier gibt es keine Dogmen, keine Vorschriften, kein “gleichmachen”. Bei Wikipedia nachgeschlagen zeigt sich: “Es gibt keine wissenschaftlich allgemein anerkannte Definition des Begriffs „Religion“” (http://de.wikipedia.org/wiki/Religion). Ich bin kein Religionswissenschaftler (obgleich ich irgendwie schon gern einer wär’ :-)), und vertraue mal darauf, dass das Wikipedia-AutorIn hier nicht völlig aus dem Nichts etwas hergeholt hat.

    Auch der Begriff “Mystik” will mir nicht zu Zen passen: da ist nichts geheim.

    Wie gesagt, ich verwende beide Begriffe aus Ihrem alltäglichen Gebrauch heraus, nicht auf Basis einer wissenschaftlichen Auslegung.

    Und glauben Sie mir, ich würde sonst was dafür geben, auf die Frage was Zen sei, eine Antwort geben zu können. So wie sich ein Sufi “einfach” auf Gott bezieht und damit die Antwort auf alle Fragen gefunden hat (war die nicht -nebenbei bemerkt- 42? ;-))). Im Zen bleibt nichts als Schweigen, und selbst das ist schon zuviel. Eigentlich müsste ich verschwinden, um dem Frager ein “Aha!” zu entlocken. Na, das geht halt nicht (ob’s die Derwische mit Ihrem Tanz wohl probieren?).

    Ihre Äußerungen haben mich sehr in’s Nachdenken gebracht. Ob ich wohl ein spiritueller Mensch bin? Auch diesen Begriff mag ich nicht, allzusehr hängt da ein “ismus” dran, geheimnisvolle Rituale mit Geistern und Dämonen und all der Kram. Ein Geistlicher bin ich auch nicht, wohl aber ein geistiger Mensch. Aber nicht im religiösen Sinne, sondern dahingehend, das etwas in den Menschen “wohnt”, das zu (er)fassen sie nicht in der Lage sind (dazu ein Buchtipp: Thomas Metzinger “Der Ego-Tunnel”). Und dieses “nicht fassen können” wohl aber “spüren” kann die Kognition dazu bewegen, eine Gestalt zu erschaffen: Gott. Oder ein Prinzip anzunehmen, dass die eigene Endlichkeit übersteigt: Wiedergeburt. Nichts ist dem (besonders westlichen?) Denken abträglicher als die Tatsache, etwas nicht objektivieren (i.S. “ein Objekt daraus machen”) zu können. Das kann einen in den “Wahn”sinn treiben (gab’s da diesbezüglich nicht eine Beitrag?). Und um den zu vermeiden, nimmt man eine Religion an – oder bekommt eine verordnet. Dort findet man Strukturen vor, in die man sein Denken “einhängen” kann. Nicht gerade die schlechteste “Erfindung”, nur leider halt mit der Gefahr der Verblendung behaftet – siehe islamischer Extremismus.

    Mit der Zen-Praxis blickt man irgendwann einmal in ein tiefes, schwarzes Loch, einen Abgrund unermesslichen Ausmaßes. Wer es wagt, sich dort hineinzubegeben, kann erleben, wie sich “Gott anfühlt”, sollte sich aber im selben Moment darüber im Klaren sein, dass “Gott” eben auch nur eine seiner Ideen ist, wie der Abgrund selbst. Das “erlösende” Moment dieses Erlebens ist die Einsicht in die Unerlösbarkeit des Seins – womit sich jedwede Versprechung irgendwelcher Religion in Luft auflöst. Und die Erlebenden zu der tiefen Einsicht bringt, dass in der Alltäglichkeit des Seins, in der er/sie gewillt ist, seiner/ihrer Umgebung nach bestem Wissen und Gewissen nichts Schädliches zu tun, auf dass auf die Erlebenden selbst kein Schaden komme.

    Soweit das “Wort zum Sonntag” :-))

  50. Lieber Nikelaos,

    Das große Tao hat kein Tor. Es gibt unendlich viele Wege, es zu erreichen.
    Zenkai Shibayama

    Sie schreiben: „Auch der Begriff “Mystik” will mir nicht zu Zen passen: da ist nichts geheim.“
    Im Zen will man sich ja auch nicht mit Zauberei oder einer Geheimlehre befassen, sondern lediglich ein klareres Bewusstsein erlangen, d.h. Zusammenhänge hinter der vertrauten Wirklichkeit erkennen. Mystik gibt es ja nicht nur in der Religion, sondern auch in der Literatur.
    Willigis Jäger meint: „Mystik ist der Name für eine transkonfessionelle Spiritualität. Sie meint nicht so sehr Religion als vielmehr Religiosität. Und diese Religiosität ist ein Grundzug unserer menschlichen Natur. Es ist die zutiefst eigene Tendenz uns zum Ganzen hin zu öffnen.“
    Von hier: http://www.lyrikrilke.de/…Rilke_als_Mystiker.pdf

    „Der neue Mensch wird Mystiker sein – oder er wird nicht mehr sein!“, heißt es im nachfolgenden Link. Was aber nichts anderes meint als geistig flexibel zu sein und immer offen für neue Situationen. Genau wie Zen es uns lehrt:
    http://www.internet-goslar.de/…t/pdf/kap_031.pdf

    In Ihrem Schlusswort heißt es: „Mit der Zen-Praxis blickt man irgendwann einmal in ein tiefes, schwarzes Loch, einen Abgrund unermesslichen Ausmaßes. Wer es wagt, sich dort hineinzubegeben, kann erleben, wie sich “Gott anfühlt”, sollte sich aber im selben Moment darüber im Klaren sein, dass “Gott” eben auch nur eine seiner Ideen ist, wie der Abgrund selbst. Das “erlösende” Moment dieses Erlebens ist die Einsicht in die Unerlösbarkeit des Seins – womit sich jedwede Versprechung irgendwelcher Religion in Luft auflöst. Und die Erlebenden zu der tiefen Einsicht bringt, dass in der Alltäglichkeit des Seins, in der er/sie gewillt ist, seiner/ihrer Umgebung nach bestem Wissen und Gewissen nichts Schädliches zu tun, auf dass auf die Erlebenden selbst kein Schaden komme.“
    Mit dem tiefen schwarzen Loch in das man blickt bin ich so nicht einverstanden. Der Blickt verengt sich nicht, er weitet sich.
    „Den Weg der inneren Stille zu gehen bedeutet, im Kontakt mit diesem Urgrund zu sein, der weder im Innen noch im Außen zu finden ist, und aus dieser Bewusstheit heraus zu handeln. Dann erfahren wir uns unmittelbar eins mit allem, ohne uns die Frage zu stellen, mit wem oder was wir eins sind. Es ist die Erfahrung, die das Gefühl der inneren und äußeren Trennung und Gespaltenheit übersteigt und uns eins sein lässt mit uns selbst und mit allem.“
    Zitat von der Website Zen-Dao – Weg der Bewusstheit:
    http://www.zettel.net/…ichundwahrhaftigsein.html

  51. “Mit dem tiefen schwarzen Loch in das man blickt bin ich so nicht einverstanden. Der Blickt verengt sich nicht, er weitet sich.”

    Das eine schließt das andere nicht aus!

    Dazu ein paar Zitate aus Zensho W. Kopps Buch „Zen und die Wiedergeburt der christlichen Mystik“ (zu finden bei books.google.de; Seiten 148 bis 152):

    Gregor von Nyssa, christlicher Mystiker:
    „Stelle dir eine jäh abfallende steile Klippe mit einer vorspringenden Spitze vor, und dann stelle dir vor, was ein Mensch empfände, wenn er seinen Fuß an den Rand dieses Abgrundes stellte und – hinunterblickend ins Bodenlose – keinen festen Halt sähe, noch etwas, woran er sich halten könnte. Das, meine ich, erfährt die Seele, wenn sie ihren Halt an materiellen Dingen verlässt (in ihrer Sehnsucht nach dem), was ohne Maß ist und seit Ewigkeit besteht. Denn da ist nichts, woran sie sich halten kann, nicht Ort, nicht Zeit, kein Maß noch sonst etwas; unser Denken kann dorthin nicht vordringen. Darum ist die Seele geblendet – überall gleitet sie ab von dem, was sich nicht fassen lässt, sie ist verwirrt.“

    Zen-Meister Hakuin:
    „Wenn du dein wahres Wesen erfahren willst, musst du über dem Abgrund die Hände loslassen. Wenn du danach wieder auflebst, triffst du auf das ‘wahre Selbst’. Was bedeutet es, über dem Abgrund die Hände loslassen? Ein Mann ging in die Irre und gelangte an einen Ort, den noch kein Menschenfuß betreten hatte. Vor ihm gähnte jäh bodenlos der Abgrund. Seine Füße standen auf schlüpfrigen Felsmoos, kein sicherer Halt bot sich. Er konnte weder voranschreiten noch zurückweichen: da wartete nur allein der Tod. Wenig Hilfe bietet ihm ein Rebzweig, den er mit der linken Hand fasst, sein Leben hängt wie an einem Faden. Lässt er plötzlich los, so wird sein dürres Gebein ganz zunichte. Genau so ist es mit dem Übenden. Er kommt dahin, dass sein Geist wie tot, sein Wille wie erloschen ist; weite Leere über einem steilen Abgrund, kein Halt für Hände und Füße. Alle Gedanken schwinden, in der Brust steigt heiß die Angst auf. Da plötzlich zerbricht zugleich Geist und Leib. Dieser heißt der Augenblick des Loslassens über dem Abgrund. Die große Freude wallt auf. Dies heißt Wiedergeburt im Reinen Land, dies heißt Schauen der eigenen Natur.“

    „Die alten Zen-Meister sagten: ‘Je größer der Zweifel, desto größer das Erwachen. Je kleiner der Zweifel, desto kleiner das Erwachen. Kein Zweifel, kein Erwachen.’“

    Zen-Meister Huang-Po:
    „Wen es zur Leere hinzieht, der wagt nicht in sie einzugehen, da er Angst hat, in die Leere hinabgeschleudert zu werden, ohne sich an etwas klammern zu können. So starren alle auf den unübersehbar tiefen Abgrund und ziehen sich entsetzt zurück. Sie haben Angst, ihren Geist leer zu machen. Sie fürchten, in die Leere zu fallen, und wissen nicht, dass ihr eigener Geist die Leere ist.“

  52. Erwachen

    Lieber Nikelaos,

    “Das eine schließt das andere nicht aus!” Ja, da könnte ich noch ein paar ähnliche Zitate hinzufügen. Auch wenn es unromantisch klingt, ich halte es mit Chan-Meister Lin-Tsi: “Das wahre Wunder besteht nicht darin, in der Luft zu schweben oder auf dem Wasser zu wandeln, sondern darin, auf der Erde zu gehen.”
    “Daher ist es offensichtlich, dass das ursprüngliche buddhistische Ziel “Nirwana” die Wiederherstellung gesunder Lebensbedingungen bedeutete.”
    “Es ist der Übergang von einer Bewusstseinsebene in eine andere, nämlich von einem rein gefühlsbestimmten Bewusstsein zu einem vollkommen gereiften Bewusstsein.”
    “Nirvana beschreibt eine gutentwickelte Persönlichkeit oder ein Menschsein in seiner idealen Form.”
    “Für die Vorstellung vom Nirvana können keine besseren Begriffe vorgeschlagen werden, als die der idealen menschlichen Reife und geistig-seelischer Gesundheit.”
    Aus dem Buch: Zu den Quellen des Buddhismus von Antony Fernando

    Oder wie es Carl Gustav Jung ausdrückt: “dass es sich … im Satori um ein natürliches Geschehen handelt, ja sogar um etwas dermaßen Einfaches, dass man vor lauter Bäumen den Wald nicht sieht, und wenn man es erklären will, immer gerade das sagt, was den anderen in die größte Verwirrung stürzt.”

    Ein sehr interessantes Interview zu dem Buch “Mythos Zen” von Alfred Binder fand ich beim humanistischen Pressedienst. Binder sagt: “Ich versuche zu zeigen, dass die traditionelle Philosophie des Zen nicht stimmen kann und dass die Phänomene, die für eine transzendente Wirklichkeit sprechen, auf natürliche Weise erklärbar sind, insbesondere das Bewusstsein und unsere Erkenntnisfähigkeit.” Ich weiß zwar nicht von welcher “traditionellen Philosophie” Herr Binder hier ausgeht, die traditionellen Quellen jedenfalls versprechen gar nichts, es heißt dort: Es gibt nichts zu erreichen, nichts zu tun und nichts zu besitzen. Insofern hat Herr Binder letztendlich nicht unrecht, wenn er meint es sei alles auf natürliche Weise erklärbar. Allerdings macht er den Fehler sich von Zen etwas versprechen zu lassen. Man darf sich hier eben nicht von irgendwelchen selbsternannten Meistern in die Irre führen lassen, die einem nur das Geld aus der Tasche ziehen wollen, indem sie so tun als wüssten sie um irgendwelche Geheimnisse. Ein echter Lehrer hilft dem Schüler sich selbst zu finden, dazu braucht es keine Geheimnisse.

    http://hpd.de/node/7985

    Zen-Meister Ikkyû Sôjun sagt:”Ich würde gerne irgendetwas anbieten, um Dir zu helfen, aber im Zen haben wir überhaupt nichts.” Dieser Satz erklärt wie kein anderer das ganze Geheimnis des Zen, nämlich letztendlich nur dem eigenen Verstand zu vertrauen, denn es gibt nicht zu erreichen – alles ist schon in uns. Zen ist Selbsterfahrung und Selbsterlösung zugleich. DMgen schreibt im ShMbMgenzM Genjokoan dazu folgende Passage:”Den Weg zu studieren heißt sich selbst zu studieren, sich selbst zu studieren heißt sich selbst vergessen. Sich selbst zu vergessen bedeutet eins zu werden mit allen Existenzen.”

    Von hier: http://de.wikipedia.org/wiki/Zen

  53. Hallo Mona,

    ich habe das Interview gelesen und bin erstaunt, wie verhaftet ein Übender sein kann. Ich halte es wie in Ihrem Zitat, Zen hat nichts zu bieten. Wer mit einer anderen Erwartung startet, wird eine herbe Enttäuschung erleben. Ich finde im Internet immer wieder Wellness-Angebote, die sich auf die Zen-Praxis beziehen. Aber Zen hat wenig mit Wellness zu tun, es ist harte Arbeit. Was nicht heißen soll, sich Sklavengleich irgendwelchen Riten oder sonstwas zu ergeben (wie es im Interview ja auch anklang) sondern, wie Sie ja bereits bemerkten, den eigenen Verstand zu benutzen. Was jetzt sehr einfach klingt, ist jedoch gerade das, was im Zen die Arbeit ausmacht. Metaphysische Bilder oder andere Modelle können hilfreich sein, bergen aber immer die Gefahr, Schein und Wirklichkeit zu verwechseln. Und es ist nicht leicht -gerade in unserer Gesellschaft- sich vom Schein des Ichs zu lösen. Da kann es schon passieren, dass sich der Verstand im eigenen Wald verirrt. In diesem Fall -und ich möchte mich hinreißen lassen zu sagen NUR in diesem Fall- ist der Eingriff eines “Meisters” hilfreich. Und jede(r) sollte sich bei der Erscheinung eines “Zen-Meisters” ins Gedächtnis rufen, das Zen nichts zu bieten hat – was sollte also “gemeistert” werden können?

    Zu C.G. Jung möchte ich noch anmerken, dass gerade mit der Verwirrung gerne “operiert” wird, um Zen einen Hauch und Touch des Geheimen anzuheften. Jede(r), die/der über eine entsprechende Praxis verfügt, weiß um die Tatsache, dass das “Ziel” des Zen unaussprechlich ist. Nicht das man nicht wollte oder sich im Dunst des unnahbaren aufhalten möchte, es geht einfach nicht. Jedes Wort, jede Erklärung kann deshalb Verwirrung hervorrufen, weil es letztendlich nur umschreiben kann, und damit Nicht-Zen beschreibt. Es ist und bleibt nur ein einziger Weg, das “Ziel” des Zen zu erfahren: Zen selbst praktizieren und jede Antwort, die man findet oder die einem angeboten wird, mit Zweifel gegenüber zu treten. Und just bemerke ich, wie ich mich um Kopf und Kragen rede… 😉

  54. Mythos Zen

    „Und just bemerke ich, wie ich mich um Kopf und Kragen rede… ;-)“ Schön gesagt! So ging es mir auch schon öfters. Besonders als ich mich entschlossen habe, das Interview zu dem fragwürdigen Buch, dass der humanistische Pressedienst vorstellte zu erwähnen. Interessanterweise wird der Blog von Dr. Blume ja auch von Atheisten gelesen und da ist es vielleicht nicht schlecht, wenn diese mal lesen was man ihnen alles verkauft. Der Autor dieses Buches beklagt, dass „Weder wuchs durch Zen mein Verständnis der Welt noch verbesserte sich meine psychische Grundbefindlichkeit. Der Buddhismus und insbesondere Zen suggerieren ja sogar, dass man dahin kommen kann psychisch unverwundbar zu werden. Ein Buddha soll ein Wesen sein, welches genau über diese Eigenschaft verfügt.“ Ja, da hätte er wohl eher auf Superman trainieren müssen. Besonders bedenklich finde ich in diesem Zusammenhang die Menschen mit psychischen Problemen, welche er schildert. Ich habe es schon einmal erwähnt, diese Leute sollen sich in sachkundige Hände begeben. Auch in Asien werden Leute mit gesundheitlichen Problemen von Ärzten behandelt und nicht von einem Zen-Meister.

    Ein anderes Phänomen ist die militärische Disziplin. Diese hat allerdings mit dem ursprünglichen Zen nichts gemein und wurde auch nicht von den Samurai übernommen, wie immer wieder geschrieben wird. „Im Jahre 845 fand unter dem taoistischen Kaiser Wu-Zsung eine kurze, aber heftige Verfolgung des Buddhismus statt.“ Nach dem Tod Wu-Zsungs erlebte Zen eine regelrechte Blüte. „Popularität bringt fast ständig einen Popularitätsverlust mit sich, und als Zen in immer geringeren Maße eine zwanglose Bewegung darstellte und in immer stärkeren Maße zu einer festen Einrichtung wurde, ging mit seinem Charakter eine merkwürdige Veränderung vor sich. Es ergab sich die Notwendigkeit, seine Methoden „festzulegen“ und den Meistern Mittel in die Hand zu geben, um mit einer großen Anzahl von Schülern fertigzuwerden. Auch die besonderen Probleme wurden akut, die sich für eine Mönchsgemeinschaft ergeben, wenn ihre Mitgliederzahl wächst, ihre Tradition erstarrt und sich ihre Novizen mehr und mehr aus jungen Leuten ohne natürliche Berufung zusammensetzen, die von ihren frommen Familien zur Ausbildung gesandt werden. Die Auswirkung dieses Umstandes auf die Entwicklung eines festgelegten Zen darf nicht unterschätzt werden. Denn die Zen-Gemeinschaft wurde aus einem Bund reifer, geistig interessierter Männer immer mehr zu einer religiösen Hochschule für heranwachsende junge Leute.
    Unter diesen Umständen wurde die Erziehungsfrage zum Hauptproblem. Die Zen-Meister sahen sich gezwungen, sich nicht nur mit dem Weg der Befreiung von der Konvention zu befassen, sondern auch damit, den unerzogenen jungen Leuten Konvention, die üblichen Manieren und Sitten beizubringen. Ein reifer westlicher Betrachter, der Interesse an Zen als Philosophie oder als Weg der Befreiung findet, muß dies gebührend berücksichtigen; andernfalls könnte er nämlich durch den mönchischen Zen, wie er heute in Japan existiert, unangenehm überrascht werden. Er wird die Entdeckung machen, daß Zen eine Disziplin ist, der man mit dem Rohrstock Geltung verschafft. Er wird entdecken, daß Zen, obwohl es in seinen „äußersten Spitzen“ nach wie vor einen wirkungsvollen Weg der Befreiung darstellt, sich in der Hauptsache mit einer erzieherischen Lebensordnung befaßt, die nach Art der altmodischen britischen Publix-School oder des Jesuiten-Noviziats den „Charakter bildet“. Diese Aufgabe erfüllt es jedoch bemerkenswert gut.“
    Aus dem Buch Zen-Buddhismus/Tradition und lebendige Gegenwart von Alan W. Watts (Seite 132 u. 133).

    Die Verwicklung von Zen in den japanischen Faschismus, von der im Buch die Rede ist, bezieht sich wohl auf das Buch von Brian Victoria: Zen, Nationalismus und Krieg. Ich habe hier die Rezension von Christian Wagnsonner:
    http://www.irf.ac.at/…iew&id=64&Itemid=4

    Zum Schluss möchte ich noch auf die von Ihnen erwähnten Wellness-Angebote einzugehen. Ich würde das mit der harten Arbeit bei der Ausübung von Zen nicht so eng sehen. Schließlich soll mich mein Weg ja nicht in die Sklaverei führen, wir suchen ja Befreiung. Im Zen geht es um Einfachheit, Klarheit und die Unmittelbarkeit des Lebens.
    “Meister, zeige mir den Eingang zum Zen.” “Hörst du das Rauschen des Bachs?” “Ja.” “Dort ist der Eingang zum Zen.”

  55. Hallo Mona,

    “Ich würde das mit der harten Arbeit bei der Ausübung von Zen nicht so eng sehen.”

    Auf gar keinen Fall!!! Aber man sollte sich auch nicht dazu verleiten lassen, mit ein bisschen Sitzen am Wochenende und dem Lauschen mehr oder weniger wichtiger Weisheiten von mehr oder weniger wichtigen Menschen zu behaupten: “Ich praktiziere Zen.”

    “Im Zen geht es um Einfachheit, Klarheit und die Unmittelbarkeit des Lebens.” Richtig! Die “Arbeit” (wobei “Arbeit” durchaus auch Vergnügen und Entspannung beinhalten kann) besteht ja darin, diese Einfachheit, Klarheit und Unmittelbarkeit im Alltag zu (er)leben, nicht nur in der “Blaupause” der Meditation. Und es erfordert dann doch etwas Energie, diese 3 Aspekte in den Alltag zu integrieren – unsere Gesellschaft und Ihre Regeln und Normen unterstützen das nun nicht gerade. Mit der Wahl meiner Begrifflichkeit der “harten Arbeit” will ich herausstellen, das Einfachheit, Klarheit und Unmittelbarkeit sich zwar recht simpel anhören, jedoch eben i.A. nicht so einfach umzusetzen sind – will man nicht nur an der Oberfläche bleiben.

    Ihr Zitat aus dem Buch von Watts finde ich einen sehr wichtigen Beitrag. Wenn ich mich im Internet so umsehe, bemerke ich doch einige Zen-Seiten, die recht streng daherkommen. Das mag Eindruck schinden, wenn da mit Rohrstöcken und vielleicht noch anderem Gerät rumhantiert wird. Dabei sollte aber eben nicht vergessen werden: Was Zen nicht mag, ist ein Bestreben gegen den Wandel (in der Rezension klingt das an). Was für Zen selbst eben auch gilt.

    “Theoretisches Wissen über den Weg haben wir uns wahrscheinlich alle mittlerweile erarbeitet. Der Weg besteht jedoch möglicherweise aus Erfahrungen, die unser konditionierter Verstand unter allen Umständen vermeiden möchte.” – Autor unbekannt

  56. Zen-Meister

    @Nikoleas

    “Was Zen nicht mag, ist ein Bestreben gegen den Wandel (in der Rezension klingt das an). Was für Zen selbst eben auch gilt.”
    Eben bemerke ich, dass der Link zur Rezension nicht funktioniert. Ich versuche es noch einmal mit dem Cache-Speicher:
    http://74.125.93.132/…cd=1&hl=de&ct=clnk

    “Ihr Zitat aus dem Buch von Watts finde ich einen sehr wichtigen Beitrag. Wenn ich mich im Internet so umsehe, bemerke ich doch einige Zen-Seiten, die recht streng daherkommen.”

    Alan W. Watts war ein hervorragender Zen-Kenner. Ich kann seine Bücher nur jedem empfehlen, der sich mit dem Thema Zen näher befassen möchte. Das Internet möchte ich als Informationsquelle nicht missen, leider machen sich viele Leute nicht mehr die Mühe Quellen in Form von Büchern zu studieren, sondern kupfern munter voneinander ab. Vielleicht wäre es auch noch wichtig zu erwähnen, dass es verschiedene Zen-Schulen gibt, die alle eine etwas voneinander abweichende Meinung vertreten. Außerdem, da es im Zen ja kein Dogma gibt kann jeder Meister seine persönliche Meinung und Anschauung vertreten. Dies erklärt z.T. auch die vielen Meinungen, die man im Internet findet. Auch ist nicht jede Methode für jeden Schüler gleich gut geeignet und nicht jeder Meister besitzt soviel Verstand wie dieser:

    Ein bereits älterer Mönch kam zu einem Zen-Meister und sagte:
    “Ich habe in meinem Leben eine Vielzahl von spirituellen Lehrern aufgesucht und nach und nach immer mehr Vergnügungen aufgegeben, um meine Begierden zu bekämpfen. Ich habe lange Zeit gefastet, jahrelang mich dem Zölibat unterworfen und mich regelmäßig kasteit. Ich habe alles getan, was von mir verlangt wurde, und ich habe wahrhaft gelitten, doch die Erleuchtung wurde mir nicht zuteil. Ich habe alles aufgegeben, jede Gier, jede Freude, jedes Streben fallengelassen. Was soll ich jetzt noch tun?”
    Der Meister erwiderte: “Gib das Leiden auf!”

    Wie Sie bei der Beschäftigung mit Zen bemerkt haben unterscheidet sich die buddhistische und taoistische Weltanschauung von unserer, insofern, dass man kein statisches Weltbild kennt – alles ist im Fluss. Und mit diesem Fluss des Lebens bewegen wir uns auch fort. Deshalb ist es m.E. auch nicht ganz richtig Zen nur zu “praktizieren”, wie man einen Ritus praktiziert. Zen ist ein Lebensweg, eine Schulung die wir durchlaufen. Wie ich in meinem Beitrag schrieb kann auch eine Kunst als Zen-Schulung ausgeübt werden. Ein gutes Beispiel einer solchen Schulung beschreibt Eugen Herrigel in “Zen in der Kunst des Bogenschießens”. Hier wird sehr anschaulich beschrieben, wie der Zen-Meister Herrigel dazu brachte, die richtige Art ausfindig zu machen, die Bogensehne “absichtslos” schnellen zu lassen. Die Kunst bestand darin, ohne zwanghaftes Bemühen, unnachgiebig zu üben um die Bogensehne schließlich absichtlich absichtslos schnellen zu lassen. Bis er erlernt hatte, den Pfeil “von selbst” schießen zu lassen. Dies gelang Herrigel nach fünf Jahren. So wie ich es bereits in einem meiner Kommentare am Beispiel der Kampfkunst erklärt habe: Wer eine Kampfkunst (z.B. Karate)trainiert, der muss viele Jahre die immer gleichen Techniken üben, solange bis diese im Unterbewusstsein verankert sind. Wird man angegriffen kann man ja nicht erst darüber nachdenken, wie man den Angriff abwehrt. Man muss deshalb durch achtsame Beobachtung des Gegners sozusagen „im Voraus“ wissen was er macht und mit der richtigen Technik entsprechend reagieren. So wie man automatisch reagiert, wenn einem etwas runterfällt und man spontan danach greift. Man übt also eine Kampftechnik so lange bis sie zu einem automatischen Reflex wird.
    “Und es erfordert dann doch etwas Energie, diese 3 Aspekte in den Alltag zu integrieren – unsere Gesellschaft und Ihre Regeln und Normen unterstützen das nun nicht gerade.”

    Wie in der Geschichte von dem älteren Mönch und dem Zen-Meister soll man die Dinge nicht unnötig komplizieren. Die Kunst besteht ja gerade darin in der Meditation oder durch eine Kampfkunst Techniken zu erlernen, die wir auf das Leben übertragen. Zen –Schulung bedeutet seinen Frieden mitten in der Welt zu finden, aber auch steht’s aufs Neue auf die Herausforderungen des Lebens zu reagieren.
    Besonders witzig finde ich in diesem Zusammenhang die Bücher und Schriften von Brad Warner. Dieser amerikanische Zen-Meister, Schriftsteller, Bassist und Filmemacher beschäftigt sich hauptberuflich mit Filmmonstern. Und er hat eine ganz eigene Auffassung von Zen.

    Homepage von Brad Warner:
    http://homepage.mac.com/doubtboy/
    und Blog:
    http://hardcorezen.blogspot.com/

  57. Zen-Geist, Anfängergeist

    Erwachen

    Ich bin der,
    der am Strand steht,
    nicht wissend, wie er dort hinkam.

    Ich bin der,
    der sich fürchtet,
    auf einer einsamen Insel zu sein.

    Ich bin der,
    der den ersten Schritt macht,
    um zu sehen, wie es ist.

    Ich bin der,
    der im Schnee steht,
    nicht wissend, wie er dort hinkam.

    Ich bin der,
    der sich fürchtet,
    der Wildnes ausgeliefert zu sein.

    Ich bin der,
    der den ersten Schritt macht,
    um die Wildnis zu erkunden.

    Ich bin der,
    der in der Wüste steht,
    nicht wissend, wie er dort hinkam.

    Ich bin der,
    der sich fürchtet,
    zu verdursten.

    Ich bin der,
    der den ersten Schritt macht,
    um Wasser zu finden.

    Ich bin der,
    der im Dschungel steht,
    nicht wissend, wie er dort hinkam.

    Ich bin der,
    der sich fürchtet,
    sein Leben zu verlieren.

    Ich bin der,
    der den ersten Schritt macht,
    sein Leben zu riskieren.

  58. Zen-Gedicht

    Lieber Nikelaos,

    danke für das schöne Gedicht! Ich hoffe meine Antworten haben Sie nicht in einen Zweifel gestürzt. Zen- Geist, Anfängergeist meint: Jeden Augenblick neu und frisch zu erleben, frei von Konzepten und Vorstellungen. So wie man als Kind die Welt sah, als man noch keine Sorgen hatte 🙂

    Hoch, hoch erhaben über allen Gipfeln.
    Wohin ich blicke – grenzenlose Weite.
    Niemand weiß, dass ich hier sitze,
    Im kalten Bach spiegelt sich einsam der Mond.
    Doch in dem Bach, das ist nicht der Mond.
    Der Mond selbst steht am schwarzen Himmel.
    Ich singe dieses Lied für euch.
    Im Lied ist allerdings kein Zen.

    Hanshan, Gedicht vom kalten Berg No. 83

  59. Zweifelsfrei

    Hallo Mona,

    nein, nein, Sie haben mich nicht in Zweifel gestürzt. Wie auch? Es ist nichts da, an dem man Zweifeln kann… 🙂

  60. Achtsamkeit @all

    In seiner Weihnachtsansprache fordert Bundespräsident Horst Köhler eine „Kultur der Achtsamkeit“. Dieser Begriff stammt ursprünglich aus dem Theravada-Buddhismus. Die Praxis der Achtsamkeits- Meditation heißt „Vipassana“ und meint das Achtgeben auf alle körperlichen und geistigen Phänomene hin zu einem höheren Bewusstsein. Im Buddhismus ist Achtsamkeit das 7. Glied des achtfachen Pfades, der erste Punkt der sieben Faktoren des Erwachens und die dritte der fünf Fähigkeiten, welche heißen: Vertrauen, Energie, Achtsamkeit, Sammlung und Weisheit.
    Spezielle Achtsamkeitsübungen für den Westen hat der buddhistische Mönch und Schriftsteller Thich Nhath Hanh entwickelt. Er gehört zur Linji-Linie (japanisch: Rinzai) und kommt aus Vietnam.
    Bekanntgeworden ist er u. a. als Begründer des Praxiszentrums „Plum Village“ in der Nähe von Bordeaux. Dort finden jedes Jahr Retreats statt, die von tausenden von Menschen aus der ganzen Welt besucht werden.

    http://www.phathue.de/…uenf-achtsamkeitsubungen/

  61. Das” große Nichts”

    Ich kann nur durch eigene Erfahrung zustimmen das das große Nichts alles ist! Das ist die große Freiheit des Geistes der Menschen überhaupt.ich nenne es kosmisches Bewußtsein aber ich glaube auch ohne Gott ist es nicht möglich dahin zu kommen. Ich bin malerisch tätig und kann in meinen Bildern von diesem Bewußtsein Zeugnis ablegen.

    Mit freundlichen Grüssen
    Christa Siegler

  62. Schöpferische Kraft @Christa Siegler

    Das “große Nichts” als die geistige Freiheit des Menschen zu verstehen finde ich einen schönen Gedanken. Über das Tao heißt es dazu:

    Leer und doch unerschöpflich,
    gebiert es unendliche Welten.
    Es ist in dir immer gegenwärtig.
    Du kannst es nutzen wie immer du möchtest.

    Und ähnliches sagt auch Meister Eckhart: “Die ununterbrochene Geburt Gottes findet ständig und ohne Unterlass im Grunde der Seele statt.”

    Im Gegensatz zu anderen Religionen sucht man im Zen nichts außerhalb seiner selbst, denn “Wenn jemand an eine besondere Religion glaubt, richtet sich seine Einstellung gewöhnlich mehr und mehr von ihm selbst weg. Auf unserem Weg richtet sich die Einstellung auf uns selbst.”
    Shunryu Suzuki,aus Zen-Geist, Anfängergeist

  63. @ Mona

    Liebe Mona,

    wundervoll! Darf ich Dir – und ggf. anderen buddhistisch Praktizierenden hier – zwei dialogische Verständnisfragen stellen?

    1. Die Rede vom “großen Nichts”, der “Unsagbarkeit” etc. hat zu der Vermutung geführt, der Buddhismus lehre eine “negative Soteriologie”, d.h. eine Erlösungslehre, die sich rein aus der Ab- und Loslösung vom Leben speise. Persönlich habe ich daran jedoch Zweifel, da mir z.B. das Mitgefühl Buddhas (und z.B. der Bodhisatvas) wie auch das Nirwana doch als “mehr als Nichts” erscheinen. Wie würdet Ihr das sehen?

    2. Gerade die Selbst-Bezogenheit buddhistischer Praxis und Erfahrung trägt m.E. dazu bei, dass buddhistische Gemeinden auch weniger soziale, karitative und pädagogische Initiativen und Traditionen entfaltet haben und dies nun teilweise im Wettbewerb mit theistischen Traditionen überdenken. Muss man das als gegeben hinnehmen oder gibt es dazu auch innerbuddhistische Debatten? Warum haben wir z.B. trotz des enormen Interesses junger und mittlerer Generationen noch kaum buddhistische Kindergärten oder Schulen in Deutschland (im Vergleich z.B. zur Anthroposophie)?

  64. Frage

    In der US-Krimiserie “Life” wird “Zen” zitiert. Die Zitate sollen von dem Engländern Alan Watts stammen. Wenn dies stimmt, kennt jemand den Buchtitel, bzw. die Quelle der Zitate?

  65. Buddhistische Soteriologie @Michael Blume

    „Die Rede vom “großen Nichts”, der “Unsagbarkeit” etc. hat zu der Vermutung geführt, der Buddhismus lehre eine “negative Soteriologie”, d.h. eine Erlösungslehre, die sich rein aus der Ab- und Loslösung vom Leben speise.“

    Darüber machen sich in der Regel nur Christen Gedanken, die beide Religionen miteinander vergleichen. Eine Soteriologie, wie im Christentum, also eine Erlösung durch Jesus Christus gibt es hier nicht. Im Zen gibt es nur Selbsterlösung, d.h., das Erwachen zu unserem wahren Wesen welches nicht mit der Geburt beginnt und nicht mit dem Tod endet. Buddha war kein Erlöser, seine Lehre soll lediglich eine Hilfe sein.

    Das „negative“ in der buddhistischen Soteriologie ist eine westliche Anschauung, dem sich auch die kath. Kirche anschließt. In der buddhistischen Lehre hingegen gilt Unwissenheit als eine der Ursachen für das Leid. Siehe dazu den Artikel im ORF „Problemfelder im christlich-buddhistischen Dialog“:

    http://religion.orf.at/…echr_budd_dialog1-96.htm

    „ Warum haben wir z.B. trotz des enormen Interesses junger und mittlerer Generationen noch kaum buddhistische Kindergärten oder Schulen in Deutschland (im Vergleich z.B. zur Anthroposophie)?“

    Der (Zen-)Buddhismus ist ja eher für Erwachsene gedacht, da sein Verständnis eine gewisse Lebenserfahrung voraussetzt. Außerdem gibt es im Buddhismus keine Bibel in der es heißt: „Seid fruchtbar und vermehret euch,…“(Buch Genesis 1,28), und spezielle Kindergärten braucht man ja auch nur um die Kinder schon möglichst früh zu indoktrinieren, ansonsten tut es auch ein staatlicher Kindergarten.

  66. Alan Watts @Hans-Jürgen

    Alan Watts hat in seinem Leben ca. 25 Bücher geschrieben. Hier ist wahrscheinlich das Buch “The Way of Zen” gemeint (gibt es leider nicht auf Deutsch):
    http://www.amazon.com/…lan-W-Watts/dp/0375705104

    Zen ist das Leben; dem Zen nachzujagen, das ist, als jage man den eigenen Schatten und laufe dabei immer von der Sonne weg.
    (Alan Watts)
    Von hier:
    http://24570.dynamicboard.de/…heiten-Zitate.html

  67. Zen-Buddhismus – Ihre Erklährung

    ihr Text hat mich sehr beeindruckt! Schön zu lesen, inhaltlich grandios, samt den Namen, die den Buddhismus repräsentieren, wie z.B. Taisen Deshimaru-Roshi oder Muho….. Habe mich gefreut, dass es auch Menschen gibt, die ein „großes, imposantes Thema, kurz und pregnant wiedergeben können e Danke

  68. @Jürgen Rimmele

    Vielen Dank für den freundlichen Kommentar, den ich leider erst heute entdeckte.
    Vielleicht sind Sie ja auch ein “Jünger des Weges”, wie Daisetz Teitaro Suzuki die Zen-Praktizierenden einmal nannte, deshalb möchte ich hier die zehn Ochsenbilder verlinken. Sie symbolisieren den spirituellen Weg und die verschiedenen Entwicklungsstadien der Erkenntnis beim Zen. Am Ende steht aber wieder die Rückkehr in den Alltag, denn “Der alltägliche Weg ist der wahre Weg”, sagt Zen-Meister Nansen.
    http://azentrix.de/page1/page1.html

  69. Frage

    Was ist nun der genaue Unterschied zwischen Buddhismus und Zen-Buddhismus? Ich Interessiere mich für beide und möchte gerne einer Religion beitreten, kann mich aber nicht entscheiden für welche. Bitte um Antwort.

    MfG
    Pauline Heller 😀

  70. Frage

    Ich habe eine Frage. Und zwar möchte ich nun den genauen UNterschied zwischen Buddhismus und Zen-Buddhismus wissen, da ich mich für beide sehr interessiere und einer der Religionen gerne beitreten möchte, mich aber nicht zu Recht entscheiden kann.

    Hoffe auf schnelle ANtwort
    MfG

    PAuline 😀

  71. @Pauline Heller

    Beim Zen-Buddhismus handelt es sich um eine Tradition “innerhalb” des Buddhismus. Sie geht auf chinesische Vorläufer zurück, hat sich in Japan entfaltet und wird heute weltweit in Zen-buddhistischen Zentren praktiziert.

    Als Dachverband buddhistischer Gemeinschaften, einschließlich von Zen-Zentren, kann ich Ihnen die Deutsche Buddhistische Union (DBU) empfehlen:
    http://www.dharma.de/dbu/frameset.php

    Ich hoffe, das hilft Ihnen weiter, mit freundlichen Grüßen

  72. Zen als Mahayana-Schule @Pauline Heller

    Ich habe hier als Ergänzung einen Überblick über die verschiedenen Richtungen des Buddhismus verlinkt: http://www.bernhardpeter.de/…ismusrichtungen.htm

    Da Sie sich für den Zen-Buddhismus interessieren möchte ich etwas näher darauf eingehen. Weil hier die verschiedenen Quellen z.T. unterschiedliche Angaben machen, beziehe ich mich auf die Angaben aus dem Buch “Zen weil wir Menschen sind” (Seite 45 ff) von Fumon S. Nakagawa, der an der recht angesehenen Universität von Tokio Buddhologie studiert hat.

    Wie ich in meinem Text schon schrieb, ist Zen aus einer Schule des Mahayana-Buddhismus hervorgegangen, welche sich in etwa zu Beginn der christlichen Zeitrechnung vom Hinayana abgespalten hat. Letztere wurde als “kleines Fahrzeug” bezeichnet, da darin nur die Mönche und Nonnen Platz hatten, die in Klöstern lebten. Manche von ihnen verließen aber ihre Ordensgemeinschaften um sich mit Laien zusammenzuschließen, da sie der Ansicht waren, das ihre Praxis das Mahayana, das “große Fahrzeug”, sein sollte, durch das alle Menschen gerettet würden.

    Die Lehre und Praxis der Hinayana-Schule war Theravada (Schultradition des Buddhismus, wird oft auch als “Lehre der Ordens-Älteren” bezeichnet), die aber von der Laienbewegung als zu kompliziert empfunden wurde, sie blieb zwar Grundlage für die spätere Entfaltung des Buddhismus, wurde aber etwas abgewandelt. Kern der Praxis in fast allen Richtungen des Buddhismus ist die Versenkung oder Meditation, die von den einzelnen Schulen jedoch sehr unterschiedlich interpretiert wird. Über die Praxis des Zen habe ich in meinem Artikel ja bereits geschrieben.

    Offiziell beitreten kann man einer buddhistischen Religion nicht, da es da keine Kirchen oder ähnliches gibt. Man kann höchstens Zuflucht zu der Lehre Buddhas nehmen.
    http://de.wikipedia.org/…flucht_%28Buddhismus%29

  73. @Michael Blume

    Lieber Michael,

    ich hätte eine große Bitte an Dich: Könntest Du meinen Blogbeitrag “Religion ohne Gott-Zen-Buddhismus”, welchen Du hier unter “Mona” eingestellt hast, noch mit meinem richtigen Namen ergänzen. Also so: Sonja Neß alias “Mona”.

    Der Grund ist folgender: Ich plane in nächster Zeit ein eigenes Blog zu haben. Außerdem könnte ich evtl. für eine Presseagentur Beiträge schreiben, der potenzielle Arbeitgeber möchte aber Arbeitsproben sehen und dazu würde ich gerne obigen Blogbeitrag angeben. Ich wäre Dir sehr verbunden, wenn Du das abändern könntest. Natürlich werde ich Dein Blog auch verlinken, wenn es mit meinem soweit ist.

    Schon mal Danke und viele Grüße

    Sonja Neß

  74. religio

    bedeutet rückbindung an das ursprüngliche und da ist die frage, wie füttern wir was Freude, Frieden, Liebe, Hoffnung, Gelassenheit, Bescheidenheit, Güte, Nächstenliebe, Mitgefühl, Grosszügigkeit, Wahrheit, Einfühlungsvermögen und Glaube.
    oder
    Zorn, Neid, Eifersucht, Gier, Arroganz, Selbstmitleid, Missgunst, Minderwertigkeit, Lügen, falscher Stolz, Überheblichkeit und Egoismus.
    alles andere ergibt sich von selbst, denn die natur des unendlichen, nenne es gott oder was auch immer ewig war und sein wird mit und ohne menschen oder?

  75. Zen ist eine andere Dimension, in die man sich einlassen kann, sie ist nicht fassbar.
    Es wird mal wieder versucht, alles genau, konkret zu analysieren, zu erfassen..
    Es gibt nun mal Dinge, die über Uns, unsere Dimension und Denkmuster hinausgehen, die nicht fassbar sind…
    Man kann sie erfahren, indem sie sich darauf einlässt, es zulässt. Das ist durchweg in der Menschheitsgeschichte immer wieder geschehen und aus vielen Erkenntnissen und Begegnungen mit dem Unfassbaren haben sich teilweise große Religionen entwickelt..
    Die Kunst besteht dabei zum “Ur”-Sprung zurückzukehren und sie “das Unfassbare” wieder neu zu entdecken.

Schreibe einen Kommentar