Libysches Wüstenglas – Impakt oder Airburst?

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In der ägyptischen Wüste an der Grenze zu Libyen findet man ein besonderes Gestein. Es ist gelb und mit einem SiO2-Gehalt von über 96 % durch Aufschmelzung reifer arenitischer Sandsteine entstanden, das libysche Wüstenglas (LDG). Das Alter wurde mit ca. 29 Mio. Jahren angegeben ​[1]. Das Einzige, was bisher fehlte, war ein Krater mit entsprechendem Alter und passender Geologie.

Dies hat verschiedene Autoren zu der Vermutung veranlasst, dass nicht ein direkter Einschlag die Ursache war, sondern ein sogenannter Airburst, wie wir ihn 2013 in der russischen Stadt Tscheljabinsk erlebt haben. Ein weiteres Beispiel ist das Tunguska-Ereignis, ebenfalls in Russland. In beiden Fällen explodierten die kosmischen Geschosse in der Atmosphäre, im Fall von Tscheljabinsk mit einer Energie von immerhin 0,5 Megatonnen ​[2]. Für das Tunguska-Ereignis werden etwa 5 Megatonnen angegeben, ausgelöst durch einen Himmelskörper von etwa 20 km Durchmesser ​[3]. Bei keinem der beiden Ereignisse wurden jedoch Schmelzen oder ähnliche Spuren am Boden beobachtet.

Verteilung des Libyschen Wüstenglases in der Libysch-Ägyptischen Wüste. (4)

Daraus, aus dem Fehlen von schockwellenmetamorphen Mineralen und aus der Tatsache, dass bisher kein passender Krater für das libysche Wüstenglas gefunden wurde, haben einige Autoren auf einen gewaltigen Airburst in sehr geringer Höhe geschlossen, der mindestens im Bereich von etwa 100 m Höhe stattgefunden haben muss. ​[5] ​[6]. Solche Ereignisse würden zwar keine Krater auf dem Boden hinterlassen und auch keine geschockten Minerale erzeugen, hätten aber durchaus eine ausreichende thermische Wirkung, um großflächige Aufschmelzungen auf der Erdoberfläche zu erzeugen. Dazu würden auch die Funde von Hochtemperaturmodifikationen verschiedener Minerale gut passen. Wenn schon der Airburst von Tscheljabinsk beängstigend war, was ist dann erst ein 100 Mt Airburst?

Libysches Wüstenglas. Das gezeigte Exemplar wiegt rund 22 Gram und hat eine Kantenlänge von 55 mm. H. Raab (User:Vesta) (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Libyan_Desert_Glass.jpg), „Libyan Desert Glass“, https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/legalcode.

Die Abwesenheit von Schockmineralien in Wüstengläsern schien jedoch schon seit längerer Zeit nicht mehr in dieser Strenge durchzuhalten zu sein. So wurden bereits mehrfach geschockte Quarze sowohl in Brekzien ​[7] als auch im Grundgebirge gefunden ​[8]. Beides könnte darauf hindeuten, dass der Krater hier schon vor langer Zeit der Erosion zum Opfer gefallen ist. Im libyschen Wüstenglas selbst wurden einige Hochtemperaturformen wie Cristobalit oder Mullit gefunden, deren Vorkommen aber auch durch einen angenommenen 100 Mt Airburst erklärt werden könnte, dessen Feuerball die Erdoberfläche erreichte.

Jetzt wurde aber im Libyschen Wüstenglas Hinweise auf die ehemalige Hochdruckmineral Reidit in Zirkon gefunden ​[9]. Reidit ist eine Hochdruckmodifikation des Minerals Zirkon, die sich erst bei Drücken über 30 GPa bildet. Für diese enormen Drücke reicht ein Airburst nicht mehr aus. Daher kann nur ein direkter Impakt für das Vorkommen dieses Hochdruckminerals verantwortlich sein.

Das könnte bedeuten, dass sehr große Airbursts viel seltener sind als bisher angenommen. Einige Berechnungen gingen von vergleichbaren Ereignissen alle 10.000 Jahre aus, was bedeuten könnte, dass es allein in den letzten 5 Millionen Jahren etwa 500 solcher Ereignisse gegeben haben müsste ​[10].

Die geologische Überlieferung scheint dies jedoch nicht widerzuspiegeln, und mit dem LDG-Ereignis scheint auch einer der wenigen möglichen Zeugen für ein vergleichbares Ereignis in der jüngeren Erdgeschichte zu fehlen. Auch wenn der zugehörige Krater noch fehlt.

Literatur

  • [1] Barrat, J. A.; Jahn, B. M.; Amossé, J.; Rocchia, R.; Keller, F.; Poupeau, G. R. and Diemer, E. (1997). Geochemistry and origin of Libyan Desert glasses, Geochimica et Cosmochimica Acta 61 : 1953-1959.
  • [2] Brown, P. G.; Assink, J. D.; Astiz, L.; Blaauw, R.; Boslough, M. B.; Borovička, J.; Brachet, N.; Brown, D.; Campbell-Brown, M.; Ceranna, L.; Cooke, W.; de Groot-Hedlin, C.; Drob, D. P.; Edwards, W.; Evers, L. G.; Garces, M.; Gill, J.; Hedlin, M.; Kingery, A.; Laske, G.; Le Pichon, A.; Mialle, P.; Moser, D. E.; Saffer, A.; Silber, E.; Smets, P.; Spalding, R. E.; Spurný, P.; Tagliaferri, E.; Uren, D.; Weryk, R. J.; Whitaker, R. and Krzeminski, Z. (2013). A 500-kiloton airburst over Chelyabinsk and an enhanced hazard from small impactors, Nature 503 : 238-241.
  • [3] Boslough, M. (2014). Airburst warning and response, Acta Astronautica 103 : 370-375.
  • [4] Clayton, P. A. and Spencer, L. J. (1934). Silica-glass from the Libyan Desert, Mineralogical magazine and journal of the Mineralogical Society 23 : 501-508.
  • [5] Wasson, J. T. (2003). Large Aerial Bursts: An Important Class of Terrestrial Accretionary Events, Astrobiology 3 : 163-179.
  • [6] Boslough, M. B. E. and Crawford, D. A. (2008). Low-altitude airbursts and the impact threat, International Journal of Impact Engineering 35 : 1441-1448.
  • [7] Kleinmann, B.; Horn, P. and Langenhorst, F. (2001). Evidence for shock metamorphism in sandstones from the Libyan Desert Glass strewn field, Meteoritics & Planetary Science 36 : 1277-1282.
  • [8] Koeberl, C. and Ferrière, L. (2019). Libyan Desert Glass area in western Egypt: Shocked quartz in bedrock points to a possible deeply eroded impact structure in the region, Meteoritics & Planetary Science 54 : 2398-2408.
  • [9] Cavosie, A. J. and Koeberl, C. (2019). Overestimation of threat from 100 Mt–class airbursts? High-pressure evidence from zircon in Libyan Desert Glass, Geology 47 : 609-612.
  • [10] Boslough, M.; Brown, P. and Harris, A. (2015). Updated population and risk assessment for airbursts from near-earth objects (NEOs), : 1-12.

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Gunnar Ries studierte in Hamburg Mineralogie und promovierte dort am Geologisch-Paläontologischen Institut und Museum über das Verwitterungsverhalten ostafrikanischer Karbonatite. Er arbeitet bei der CRB Analyse Service GmbH in Hardegsen. Hier geäußerte Meinungen sind meine eigenen

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