Wie starben die Toten von Herculaneum – CSI Geology #5

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Im Jahr 1982 wurden in Bootshäusern in Herculaneum rund 300 menschliche Skelette gefunden. Wer sie tötete, stand eigentlich außer Frage, der Mörder stand ja noch gut sichtbar in der Nähe. Aber wie hat er sie umgebracht? Die Frage schien nur auf den ersten Blick einfach zu beantworten. Denn die Menschen waren bereits gut 1900 Jahre vor ihrer Entdeckung umgekommen. Die Bootshäuser lagen in Herculaneum, und der Ort ging, ebenso wie das benachbarte Pompeji, in dem verheerenden Ausbruch des Vesuv am 24. August 79 n. Chr. unter. Die Untersuchung an den Skeletten zeigt sehr deutlich wie pyroklastische Ströme auf Menschen einwirken. Das Ergebnis ist auch aus einer Entfernung von fast 2000 Jahren nicht so einfach zu ertragen. Daher möchte ich hier auch eine eindeutige Triggerwarnung abgeben.

Vesuv über Pompeji
Der Vesuv, von Pompeji aus gesehen. Die Eruptionswolke muss in etwa so ausgesehen haben, wie die Pinie im Vordergrund. Eigenes Foto.
Der Ausbruch des Vesuv

Die Katastrophe vom Herculaneum und Pompeji am 24. und 25 August des Jahres 79 ist uns dank der guten Beobachtungen von Plinius dem Jüngeren auch heute noch gegenwärtig (es gibt auch Hinweise, dass das Ereignis sich möglicherweise 2 Monate später zugetragen hat und die Datierung sich auf einen Übersetzungsfehler bezieht). Dazu kommen noch die Erkenntnisse der Archäologen, welche die Überreste der alten römischen Städte beim heutigen Neapel ausgraben. Und je mehr man sich mit der Geschichte beschäftigt, desto grauenvollere Details aus den letzten Stunden der Bewohner Pompejis und Herculaneums kommen an das Tageslicht. So beispielsweise die Geschichte der Familie von Julius Polybius, einem reichen Kaufmann mit luxuriöser Villa. Oder die von den rund 300 Toten, die 1982 in den Ruinen von Bootshäusern in Herculaneum gefunden wurden. Doch wie starben die Toten eigentlich?

Anfangs wurde angenommen, sei seien einfach erstickt. Die vulkanische Asche hätte ihre Atemwege verstopft und dies hätte schließlich zum Tode geführt. Aber hätten die Menschen dann nicht schließlich eine Haltung eingenommen, die ihnen das mühsame Atmen erleichtert hätte? Wenn die Asche das Atmen zur Qual macht, würde man dann nicht erwarten, dass sie ihre Hände vor ihren Mund und Nase gehalten hätten, um die Asche fern zu halten? Man hat ja durchaus Funde in Herculaneum und Pompeji gemacht, die eindeutig auf Ersticken durch vulkanische Asche hindeuten.
Doch hier scheinen die Toten quasi in der letzten Sekunde ihres Lebens eingefroren. Sie muten fast friedlich an und zeigen keine Spuren auf einen qualvollen Erstickungstod. Der Tod scheint diese Menschen regelrecht überrascht zu haben. Doch was war passiert? Die eigentliche Todesursache zu finden, das ist manchmal nicht so einfach.
In diesem Fall konnten die Knochen eine Antwort geben. Einige Schädel zeigen zum Beispiel deutliche Spuren von heißen Partikeln. Die Bootshäuser von Herculaneum wurde allem Anschein nach nicht nur einfach von Asche verschüttet, sondern von heißem pyroklastischen Material getroffen. Ein pyroklastischer Strom, eine Mischung aus feinzerspratztem vulkanischem Gestein und heißen Gasen, mit Temperaturen irgendwo zwischen 200 und mehr als 700°C und mit einer Geschwindigkeit von mehreren 100 Kilometern in der Stunde (ein Exemplar vom Mt. St. Helens 1980 soll sogar 1000 km/h erreicht haben).

Stadtmauer Pompeji
Die Stadtmauer von Pompeji. Eigenes Foto

 

Die Wirkung pyroklastischer Ströme

Die Auswirkung derartig hoher Temperaturen auf menschliche Körper ist unglaublich. Während die Temperatur der pyroklastischen Ströme im weiter entfernten Pompeji zwar ausreichte, um die Menschen zu töten, hingegen deren Kleidung aber teilweise unbeschädigt ließ, war sie in Herculaneum vermutlich deutlich höher. Vermutlich betrug sie 500 bis 700°C. Diese Temperatur reicht aus, um innerhalb kürzester Zeit die Hirnflüssigkeit zum kochen zu bringen. Und tatsächlich finden sich in den Bootshäusern Schädel, die deutliche Anzeichen dafür tragen, dass sie von Innen heraus zum platzen gebracht wurden. So grausam sich das anhört, die Menschen haben davon vermutlich nicht mehr allzu viel mitbekommen. Noch etwas spricht dafür, dass enorme Hitze zum Tod der Menschen führte. Der Boden der Bootshäuser ist von einer seltsamen, dünnen, roten Schicht bedeckt. Diese rote Asche enthält nicht nur viel Eisen, sondern auch noch Überreste von Hämoglobin. Sie stellt nichts anderes dar als Reste des Blutes der Toten. Ein Hinweis, dass die Hitze so groß war, dass sie den Menschen regelrecht das Fleisch von den Knochen kochte. Die Temperatur muss also mehr als 500°C betragen haben.

Fallablagerungen, Pompeji Necropole
Ablagerungen des Ausbruchs von 79 n.Chr. bei der Nekropole Pompejis. Oberhalb einer Aschenlage, die aus der plinianischen Säule und der daraus resultierenden Aschenwolke ausgefallen ist, sind die Ablagerungen eines pyroklastischen Stromes zu sehen. Eigenes Foto.

 

Die Toten von Herculaneum

Das mag sich grausam anhören, aber wenn menschliche Körper in eine Mischung aus vulkanischer Asche und heißen Gasen von dieser Temperatur geraten, tritt der Tod innerhalb weniger Sekunden ein. Letztlich ein tröstlicher Gedanke, auch wenn man sich kaum ausmalen kann, was sich wohl in den letzten Stunden in den Bootshäusern abgespielt haben mag. Der Berg blies seine Eruptionssäule unter ohrenbetäubendem Getöse bis auf 32 Kilometer in den Himmel, wo sie die Sonne verdeckte und Asche und Gesteinsbrocken herab regnen lies. Die Menschen zogen die schützenden Bootshäuser der Flucht über die freien Flächen vor. Das war auch ratsam, denn auf dem freien Feld wären die Menschen dem Bombardement aus dem Berg vollkommen schutzlos ausgeliefert gewesen. Heiße Asche und vor allem die größeren vulkanischen Bomben dürften die meisten der Flüchtenden erschlagen haben. Nein, sie blieben in den Bootshäusern, wo sie vor den Gefahren aus der Luft erst einmal relativ sicher waren. Relativ, denn der Vulkan hatte noch mehr auf Lager. Irgendwann während des Ausbruchs brach die gewaltige Säule aus heißen Gasen und Asche, die der Vesuv empor schleuderte, in sich zusammen. Eventuell ließ der Gasdruck nach, oder der Schlot hatte sich erweitert. Die Folgen waren tödlich. Eine Mischung aus heißen Gasen und Gesteinspartikeln, ein so genannter pyroklastischer Strom, raste mit mehreren 100 Kilometern pro Stunde den Hang des Vulkans herab, genau auf die Stadt zu, überrannte die Stadtmauer und fegte alles weg, was sich ihm in den Weg stellte.

Das Video unten mag manchmal etwas schwer erträglich sein, was meiner Meinung nach nicht nur an dem geschilderten Sachverhalt liegt, sondern auch an der Sprechweise und Artikulation des Sprechers.

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Gunnar Ries studierte in Hamburg Mineralogie und promovierte dort am Geologisch-Paläontologischen Institut und Museum über das Verwitterungsverhalten ostafrikanischer Karbonatite. Er arbeitet bei der CRB Analyse Service GmbH in Hardegsen. Hier geäußerte Meinungen sind meine eigenen

2 Kommentare

  1. Herculaneum ist auch ein Beispiel für eine Zeitkapsel lange bevor es diesen Begriff (“Time Capsule”) überhaupt gab:

    Eine Zeitkapsel ist ein Behälter zur Aufbewahrung von Dingen für eine bestimmte Zeit, der erst nach Ablauf eines bestimmten Zeitintervalls von Personen geöffnet wird oder werden darf, mit dem Zweck, zeittypische Dinge für nachfolgende Generationen zu bewahren und zu dokumentieren.

    Die Kapsel wurde im Fall von Herculaneum vom Vesuvausbruch geschaffen. Dehnt man den Begriff Zeitkapsel etwas aus, kann man ruhig sagen, dass Italien voller Zeitkapseln ist und vielleicht bald schon als ganzes zur Zeitkapsel wird.

  2. Pingback:Lavastrom bei Pahoa, Hawaii » Mente et Malleo » SciLogs - Wissenschaftsblogs

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