Sind Orcas beim Fressen wählerisch?

BLOG: Meertext

Navigation im Meer der Worte
Meertext

„Können Orcas es sich wirklich leisten, beim Fressen so wählerisch zu sein?“ fragte @Remmer am 19.04.2021 auf meinem alten Blog Meertext. (Die ganze Frage ist etwas länger, ich habe sie unten angefügt).
Eine richtig gute Frage!
Die kurze Antwort ist: Jein.
Da wir hier immer wieder auf Orcas und auch ihre Ernährung zurückkommen, habe ich meine Antwort hier noch einmal etwas überarbeitet aufgeschrieben.

Henk Caspers/Naturalis Biodiversity Center
Natural history museum Naturalis, Leiden. Workshop. Lecture hall, killer whale skeleton (Orcinus orca) suspended from ceiling. CC BY-SA 3.0

Die kosmopolitischen Orcas (Orcinus orca) sind eine der am weitesten verbreiteten Meeressäuger, ihr Nahrungsspektrum beinhaltet über 140 verschiedene Arten von Fischen, Tintenfischen, Meeressäugern, Seevögeln und Meeresreptilien. Viele Populationen sind spezialisiert auf bestimmte Beute. Meistens leben diese größten Delphinarten in Familiengruppen. Sie werden bis zu 8 Metern groß und bis zu 6 Tonnen schwer, ihre schwarz-weiß-Zeichnung ist unter Wasser eine Tarnung, weil dadurch ihre Umrisse verwischt werden. Als mittelgroße, schnell schwimmende Wale mit großem Gehirn haben sie einen großen Kalorienbedarf.

Schwertwale haben die kräftigsten Kiefer mit den stärksten Zähnen aller heutigen Wale (mit Ausnahme des Pottwals – der hat aber noch nur im Unterkiefer Zähne und frißt eher Tintenfische). Ganz ehrlich: Bei einem Orca-Gebiß muss ich immer an die großen jagenden Reptilien des Erdmittelalters wie T. rex oder Liopleurodon denken.
Ihre wilden Jagden auf andere Wale haben ihnen den Namen Mörder- oder Raubwal, Killer whale oder Lobo del Mar (Wolf des Meeres) eingebracht.

Wale – nach der Eiszeit durchgestartet

Two killer whales jump above the sea surface, showing their black, white and grey colouration. The closer whale is upright and viewed from the side, while the other whale is arching backward to display its underside.

Two killer whales jump above the sea surface, showing their black, white and grey colouration. The closer whale is upright and viewed from the side, while the other whale is arching backward to display its underside. (Wikipedia; Robert Pittman – NOAA (https://www.afsc.noaa.gov/Quarterly/amj2005/divrptsNMML3.htm]))

Für mehr Details muss ich etwas weiter ausholen. Die heutigen Lebensräume der Wale und ihre Ökologie hat sich wohl erst nach der letzten Eiszeit entwickelt, im Pleistozän. Mit tauenden Eiskappen sind die ozeanischen Lebensräume immer größer geworden und Orcas sind dort eingewandert. In einem immer größeren Lebensraum haben sie sich zunehmend auseinanderentwickelt, bis zu den heutigen Ökomorphotypen (ecotypes).

Gerade hatte ich für Spektrum einen Artikel über Grauwale im Klimawandel geschrieben, der erklärt auch die Lebensumstände und Entwicklungen der Schwertwale. Nicholas Pyenson hatte zum Lebensraum und Verhalten der Grauwale einen interessanten Artikel veröffentlicht, er nennt sie „Überlebende der Eiszeit“. Ihre heutigen langen Wanderungen haben sich erst nach der Neuformung des arktischen Ökosystems geformt – im kurzen arktischen Sommer stehen in arktischen Gewässern extrem viele Nährstoffe bereit, dass im Frühling ein extremes Wachstum von Phytoplankton einsetzt. Damit vermehren sich auch kleine bodenbewohnende Flohkrebse extrem stark. Dadurch ist im arktischen (auch im antarktischen) Sommer das Polarmeer einer der produktivsten Orte weltweit– das nutzen die Grauwale. Allerdings, so Pyenson, heißt das nicht, dass sie ihr Verhalten mit den langen Wanderungen zu den Nahrungsgründen nicht ändern können. Einige haben bereits eine andere Ernährungsstrategie – sie machen den kräftezehrenden langen Zug nicht mit, sondern bleiben in nordamerikanischen Gewässern vor Alaska und Kanada. Dort haben sie zwar ein geringeres Futterangebot, verbrauchen aber auch weniger Energie für die Wanderung und sind schneller wieder in den Lagunen zur Fortpflanzung.
Diese Grauwal-Aussagen lassen sich auf Orcas und andere Wale übertragen.

Energieumsatz – „Fatness is fitness“

Grundsätzlich muss der Energie-Gewinn der Nahrung größer sein als der Aufwand dafür. Orcas haben einen sehr hohen Kalorienbedarf und eine Gruppe dieser Zahnwale braucht zum Sattwerden ein großes Areal mit ausreichend Nahrung. Sie müssen effektiv fressen.

Ebenfalls im schon genannten Grauwal-Artikel bei Spektrum hatte ich die Arbeit von Fredrik Christiansen vorgestellt. Er ist Experte für Bioenergetik von Walen, also ihren Energiehaushalt und die ökologische Energiebilanz: Wie viel Energie bekommen sie aus ihrer Nahrung, und wie setzen sie diese in Wachstum und Fortpflanzung um? Er hat zwar bislang vor allem mit Bartenwalen gearbeitet, die Beobachtungen und Berechnungen gelten aber auch für Zahnwale mit ihrem höheren Energiebedarf. Die Dicke der Speckschicht ist bei Walen ein klarer Anzeiger ihrer körperlichen Fitneß.
Er hat mir im Interview noch einmal erklärt, dass Wale mit ihrem extrem hohen Energieverbrauch darauf achten müssen, energetisch effizient zu fressen – bei den Grauwalen sind das die im Schlamm lebenden fetten Flohkrebse.

Orcas sind darum u. a. auf fette Fische wie Lachse oder Heringen aus oder fressen manchmal nur Teile ihrer Beute. Vor Südafrika erlegen sie Weiße Haie und fressen nur deren Leber, die bei Haien besonders groß und fettreich ist.

Mageninhaltsanalysen und Beobachtungen: Orca-Forschung hat blinde Flecken
Da heute keine Wale mehr zu Forschungszwecken erlegt werden (sie sind in den meisten Ländern streng geschützt) müssen sich neugierige Biologen mit den Mageninhalten verstorbener Schwertwale begnügen.
Die Mageninhaltsanalyse gehört zum Standard-Programm jedes Totfunds, jedenfalls in Ländern mit Wal-Management-Programmen. Dafür müssen die toten Tiere allerdings gefunden werden.
Das bedeutet, dass etwa in den meisten europäischen Ländern und den USA diese Daten ziemlich umfassend erhoben werden. An entlegenen Küsten wie etwa in der extrem dünn besiedelten Arktis wird aber nicht jeder Wal gefunden und analysiert. In vielen Ländern gibt es kein Screening für tote Wale.
So kommt es zu größeren Lücken im Wissen.

Das gleiche gilt für Beobachtungen von Orca-Jagden und Nahrungsaufnahme.
Auch da gibt es regionale Schwerpunkte, während andere Areale so gut wie unerforscht sind.

Orcas an Küsten werden natürlich häufiger beobachtet, als auf hoher See lebende Gruppen. Wale, die ortsansässig sind, werden gezielt beobachtet, von Profis und Amateuren. Wale, die umherziehen, werden seltener gesehen und dokumentiert.
Wo Wale auf Forschungsstationen oder Whale watching-Aktivitäten stoßen, wird auch ihre Ernährung häufiger dokumentiert. So wissen wir über die nordpazifischen Orcas vor der US- und kanadischen Küste schon sehr viel, während die im Indopazifik kaum erforscht sind.

Was hat die Kultur mit dem Fressen zu tun?

“Diese Studie zeigt somit die Existenz auffallend unterschiedlicher Beutepräferenzen von ansässigen und transienten Killerwalen, die sich in charakteristischen Futtersuchstrategien und verwandten soziobiologischen Merkmalen dieser sympatrischen Populationen widerspiegeln.” haben John Ford, Ken Balcomb et al 1998 die unterschiedlichen Nahrungspräferenzen zweier vor British Columbia lebenden Orca-Gruppen beschrieben (mittlerweile gibt es eine dritte, die offshore lebt). Ihre Forschung war bahnbrechend und hat zum Bild des extrem spezialisierten und „mäkeligen“ Orcas beigetragen.

In diesem Video stellt Andrew Trites die Southern Residents vor: Our Southern Resident Orcas are Picky Eaters (w/ Andrew Trites, Marine Mammal Research Unit at UBC).
Sie sind Lachsjäger und wirklich sehr wählerisch. Diese extreme Spezialisierung macht sie leider anfällig – die Southern Residents sind von 200 auf 73 Tiere geschrumpft. Das hängt wahrscheinlich mit dem Rückgang der Lachse zusammen und einigen Damm-Projekten sowie anderen anthropogen verursachten Problemen wie der Wasserverschmutzung. Außerdem waren aus dieser Gruppe besonders viele Individuen für Aquarien gefangen worden, was ebenfalls zu einer genetischen Verarmung beitrug.

Bei diesen Lachs-Jägern tragen neben den Müttern u a anderem auch die Großmütter (Matrarchinnen) zum Lernen der richtigen Jagdmethode bei. Das ist ein Zeichen dafür, dass junge Zahnwale die effektivste Jagdtechnik sorgfältig und wohl über einen längeren Zeitraum lernen müssen.

John Ford und andere Orca-Forscher haben die Kommunikation der Schwertwale erforscht:
Die Residents „sprechen“ ganz anders als die Transients. Außerdem haben Residents Sprach-Clans – wie auch Pottwale und andere Wale.
D. h., dass in einem Clan ein besonderer Dialekt gepfiffen/geklickt wird. Innerhalb eines Clans unterscheiden sich die Vokalisierungen (Lautäußerungen) dann auch noch, aber nur leicht. Orcas, die Fische jagen, vokalisieren sehr viel und koordinieren ihre Jagd dadurch. Orcas die Meeressäuger jagen, halten bei der Jagd eher Funkstille. Beide Orca-Ökotypen “sprechen” extrem unterschiedlich, wenn sie sich hören, schwimmen sie sich aus dem Weg.

Aufgrund des Sprachlernen etwa bei Orcas und Pottwalen sprechen Wal-Experten wie Hal Whitehead von Kultur – junge Wale lernen Kommunikation und Verhalten nicht von der Mutter, sondern auch von anderen, teilweise nicht direkt verwandten Gruppenmitgliedern.
Orcas (und Große Tümmler und wahrscheinlich auch viele andere Walarten) haben teilweise sehr ausgefeilte Jagdtechniken, junge Tiere müssen sie lange üben. Diese elaborierten Jagdtechniken sind Teil des kulturellen Lernens, auch bei Schwertwalen.

Ich bin sicher, dass besonders spezialisierte Orca-Clans dort zu finden sind, wo ein besonders reiches Nahrungsangebot über lange Zeit hinweg sicher ist/war: Etwa in Bereichen mit Lachs- oder Thunfischvorkommen. Manchmal nutzen die Zahnwale auch Tierwanderungen oder die Fortpflanzungszeit, um dort besonders viel Nahrung abzugreifen – etwa die Fortpflanzungszeit der Robben an patagonischen Stränden, die Geburt der Glattwale-Kälber oder die Grauwalwanderung.

Das Teilen von Nahrung – etwa ein Schweinswal für die ganze Gruppe – dient nicht immer dem Sattwerden, sondern hat eher soziokulturelle Gründe. Möglicherweise lernen Jungtiere damit das Jagen. Außerdem stärkt das Teilen des Snacks die Bindung innerhalb der Gruppe. Mel Cosentino hatte für norwegische Orcas beschrieben, wie sich die Gruppe einen Schweinswal teilt. Diese nordatlantischen Orcas vor der europäischen Küste sind noch nicht so gut erforscht.

Bisher ist bekannt, dass es im Nordatlantik drei verschiedene Populationen gibt:
“Im Nordatlantik wurden drei genetisch unterschiedliche Populationen beschrieben. Es wird angenommen, dass Population A (die die isländischen und norwegischen Subpopulationen umfasst) fischfressend ist, ebenso wie Population C, zu der fischfressende Killerwale aus der Straße von Gibraltar gehören. Im Gegensatz dazu ernährt sich Population B sowohl von Fischen als auch von Meeressäugern. Norwegische Killerwale folgen dem norwegischen Heringsbestand, der im Frühjahr laicht. Die einzige Beschreibung in der Literatur von norwegischen Killerwalen, die sich von einer anderen Walart ernähren, ist ein Prädationsereignis bei nördlichen Entenwalen im Jahr 1968”. schreibt Mel Sosentino.

Vor der norwegischen Küste haben sich im letzten Jahrzehnt die Heringsschwärme verlagert – die Spekkhogger – so heißen Orcas im Norwegischen – haben sich bis dahin in jedem Winter in einem Fjord sattgefressen. Da die Heringe abgewandert sind, mussten die Wale sich neue Jagdgründe und/oder Beute suchen. Neuerdings lungern sie oft vor Andenes herum, wo sie durch das dortige Pottwal-Whale-Watching regelmäßig beobachtet werden. Und dort jagen sie eben keinen Hering, sondern u. a. Meeressäuger, sicherlich auch andere Fische und Tintenfisch. Das Meer ist dort tief und fischreich, es ernährt die Population von Pottwalbullen und viele Fischtrawler-Besatzungen.

Orcas fressen saisonal

Viele Orcas fressen saisonal unterschiedliche Beute, eben das, was da ist. Oder sie ziehen saisonal in Gebiete mit einem besonders hohen Nahrungsangebot. Dann werden sie oft nur in manchen Jahreszeiten beobachtet: Nahe der Küste oder wenn eine Forschungsstation besetzt ist, wird ihre Jagd auf spezielle Beute dokumentiert. Treiben sie sich fernab der Küsten herum, guckt ihnen höchst selten jemand zu.
Darum waren die Orcas vor Norwegen auch nur im Winter erforscht worden, wenn sie die Heringsschwärme im Fjord gefressen haben. Über ihre Sommer-Diät war nichts bekannt.
Das ändert sich jetzt mit der Veränderung des Heringszuges (s. o.).

Orcas sind vorsichtig und meiden Verletzungen –  Blauwal-Hatz und Buckelwal-Intermezzo

„[…] es erscheint mir so, dass Orcas extrem darauf achten, sich der Jagd nicht verletzen (Beispiel Robbenjagd vor Patagonien oder den Falklands)“ – ja, Orcas achten definitiv auf den Eigenschutz.

Bei dieser Blauwal-Hatz war die koordinierte Jagd und die Vorsicht der Orcas sehr gut zu beobachten:
Am 16. März 2019 sahen Besatzung und Passagiere  eines Whale Watching-Schiffs im Brmer Bay Canyon vor der australischen Küste, wie 50 bis 70 Orcas verschiedener Familien gemeinsam einen kleinen Blauwal hetzten. Die erwachsenen Männchen griffen zuerst an und setzten dem Blauwal immer weiter zu, dann griffen weitere Jäger ein, die sich auch regelmäßig abwechselten (Die Berichte sind sehr lesenswert!).

Mittlerweile gibt es viele glaubhafte Augenzeugenberichte, dass Buckelwale gemeinsam Orcas in die Flucht schlagen und sogar andere Wale retten. Dabei setzen sie ihre großen Brustflossen und die starke Schwanzflosse als Waffen ein. Die Flossen von Walen bestehen aus starkem Gewebe, beweglich und fest gleichermaßen. Ein Schlag damit ist hart – er bricht Knochen und verursacht schwere Traumata. Bekäme ein Orca solch einen 3,5 Meter langen Buckelwal-Flipper an den Kopf, dürfe er für eine Weile taub sein. Buckelwale können Schwertwale darum sogar in die Flucht schlagen (Mehr dazu auf Meertext: Mobben Buckelwale Orcas?).

Übrigens jagen Buckelwale Orcas sogar die Beute wie Heringsschwärme ab.

Orcas sind extrem lernfähig – auch beim Fressen

Das Schmelzen der arktischen Eiskappe macht die Schwertwale zu Gewinnern der Klimakrise – sie dehnen ihre Gebiete immer weiter nach Norden aus und erbeuten immer mehr Belugas und Weißwale. Diese hocharktischen Wale hatten sich bislang an der Eiskante versteckt – da sie keine Rückenflossen haben, kamen sie dort gut klar. Die Schwertwale haben nämlich Angst, sich an der scharfen Eiskante die langen Rückenflossen zu verletzten.
Mit dem Abtauen des Eises dezimieren die Schwertwale jetzt die Beluga und Narwal-Bestände.

Orcas haben auch immer wieder gelernt, ihr Verhalten an menschlichen  Aktivitäten anzupassen:
Ihre Interaktionen mit der chilenischen Langleinen-Fischerei auf Schwarzen Seehecht sind legendär: Vorsichtig pflücken die Zahnwale dort die großen Fische von den Stahlhaken, zur Verzweiflung der Fischer sind sie dabei äußerst effektiv.

Im Aquarium lebende Orcas haben eine Methode entwickelt, mit einem kleinen Stück ihres Futters Möwen anzulocken und die Vögel dann zu snacken.

Die entscheidende Frage ist: Lernen Orcas, wenn eine Nahrungsquelle gerade durch Überfischung erschöpft ist, schnell genug eine andere Ernährungsweise. Und: Gibt ihr Lebensraum eine andere Beute in ausreichender Menge und Qualität her? Gerade in überfischten Gebieten könnte das ein Problem werden.

Fressen Orcas Menschen?

Nein.
Das hatte ich in diesem Artikel im vergangenen Jahr ausführlich beantwortet:
2020 haben Schwertwale nahe der Straße von Gibraltar mehrere Segelboote gerammt und beschädigt. Skipper, die mit Segelyachten dort unterwegs waren, berichteten in den vergangenen Wochen, dass sie von einer ganzen Gruppe Orcas koordiniert angegriffen worden seien.
Bislang gibt es keinen abschließenden wissenschaftlichen Bericht, aber alles weist darauf hin, dass die Orcas gezielt die Boote, allerdings nicht die Menschen angegriffen haben. Dem waren wohl seit längerem „Orca-Abwehr-Maßnahmen „ von Thunfisch-Fischern und Verletzungen der Wale sowie der Tod eines Kalbs vorausgegangen. Die Angriffe zielten nicht auf das Versenken der Boote, sondern auf die Ruder-Anlage. Es sieht so aus, als wollten die Orcas die Boote zum Umdrehen bringen.

1972 hatte ein Orca offenbar versehentlich einen Surfer zwischen den Kiefern und hat den verletzten Mann wieder losgelassen. Ein extrem seltenes Ereignis!

Sind solche Spezialisierungen auch ein anderen Delphinartigen zu beobachten?

Ja!
Gerade Große Tümmler haben eine Vielzahl von Jagdmethoden entwickelt, darüber habe ich schon mehrere Meertext-Beiträge geschrieben – hier, hier und hier.

Hier ist die vollständige Frage:
„Moin. Mir drängen sich bei den Berichten über Orcas, die unterschiedliche Ernährungsweisen kultiviert haben immer verschiedene Fragen auf. Mir erscheint es oft sehr wählerisch wie Orcas fressen (beispielweise nur die Zunge der Großwale, die sie erjagt haben oder eine Robbe für 10 Clanmitglieder) und es erscheint mir so dass Orcas extrem darauf achten, sich der Jagd nicht verletzen (Beispiel Robbenjagd vor Patagonien oder den Falklands). Wie also können so große Tiere, die auch noch in Clans mit einem entsprechenden Nahrungsbedarf leben, sich eine solch ineffiziente Ernährung leisten, insbesondere dann, wenn sie angeblich sehr spezialisiert in Ihrer Nahrungsauswahl sind. Und was fressen beispielweise Robbenorcas, wenn es jahreszeitbedingt keine jungen Robben gibt. Ich denke daher eher (ohne dies mit Fakten belegen zu können), alle Orcas müssen wohl doch Fisch als Grundnahrungsmittel nutzen und nur parallel ihren besonderen Vorlieben frönen, denn nur dann können sie sich solch aufwändige Spezialitätenmenus leisten, sozusagen als Luxusspiel.

Wenn die Orcaclans allerdings alle regelmäßig auch Fisch fangen und nur zusätzlich besondere Vorlieben haben, dann muss der der divergierende Faktor zwischen den einzelnen, vermeintlichen Subspecies ein anderer sein. Und infrage käme da tatsächlich am ehesten eine Sprache, denn dann mischen sich benachbarte Gruppen möglicherweise weniger, weil ihre Sprachen untereinander unverständlich sind. Hier ist dann allerdings die Frage, ob diese Diversifizierung tatsächlich nur bei den Orcas vorkommt oder auch bei anderen Delfinarten.

Die erste Frage ist also, ob es Untersuchungen über den Mageninhalt verschiedener Orcas gibt und dort tatsächlich nur Robben oder nur Pinguine oder nur Lachse gefunden wurde oder ob viele verschiedene Fischarten bei allen zu finden waren, auch bei den Lachs- oder Heringsjägern.“

Dieser Beitrag basiert auf einem älteren Blog-Beitrag und ist überarbeitet und ergänzt.

Avatar-Foto

Veröffentlicht von

https://meertext.eu/

Auf dem Science-Blog „Meertext“ schreibe ich über meine Lieblingsthemen: Biologie, Zoologie, Paläontologie und das Meer. Wale, Fische und andere Meeresgetüme. Tot oder lebendig. Fossile Meere, heutige Meere und Meere der Zukunft. Die Erforschung, nachhaltige Nutzung und den Schutz der Ozeane. Auf der Erde und anderen Welten. Ich berichte regelmäßig über Forschung und Wissenschaft, hinterfrage Publikationen und Statements und publiziere eigene Erlebnisse und Ergebnisse. Außerdem schreibe ich über ausgewählte Ausstellungen, Vorträge, Bücher, Filme und Events zu den Themen. Mehr über meine Arbeit als Biologin und Journalistin gibt´s auf meiner Homepage “Meertext”.

9 Kommentare

  1. Es ist für das Ökosystem problematisch, wenn Orcas nur kleine Teile ihrer zahlenmäßig großen Beute fressen, so wie bei den Haien als Beute belegt?
    MFG
    Dr. Webbaer

    • @Greynomad: Ja, das passiert häufiger. Gerade bei Orcas. Ich kenne auch einen weiteren Fall aus Norwegen, der ähnlich abgelaufen ist. Auch in Chile beim Robbenfang haben sie junge Orcas beim Angriff auf Robben schon verschätzt und sind gestrandet, genauso wie kleinere Delphine bei der Fischjagd an anderen Stränden. Oder bei Massenstrandungn von Grindwalen und anderen Arten.
      Die gestrandeten Wale werden durch de Hilfe der Menschen oft tatsächlich ruhiger, ich habe noch nich gehört, dass sie nach den Helfenden geschnappt haben. Offenbar verstehen sie, dass von den Zweibeinern, die sich so verhalten, keine Gefahr ausgeht. Die Helfer sind in diesem u a Fällen aber auch wirklich umsichtig vorgegangen, haben das Tier angesprochen, sich von vorn genähert und mit ihm weiter ruhig kommuniziert. Das ist sehr wichtig im Umgang mit allen Tieren, die haben ja schon genug Panik.

  2. Toll, eine differenzierte Ergänzung zu meine damaligen Frage ich freu mich!

    Bei der vermeintlichen Spezialisierung der Orcas könnte auch ein Faktor eine Rolle spielen, der mir jetzt gerade bei einem Schnorchelurlaub ins Auge sprang. Will man sich (z.B. als warmblütiger Delfin) von Fischen ernähren, die nicht im Schwarm unterwegs sind, hat man es ganz schön schwer, denn die 3-D-Jagd auf einzelne Kaltblüter dürfte im Ergebnis extrem ineffektiv sein. Insofern ist die Verletzungsgefahr bei der Jagd auf anderer Säuger oder sehr große Fische zwar größer, dafür lohnt sich diese Beute aber mehr. Das widerum würde (defintiv unbelegt rein aus dem Bauch raus) bedeuten, dass Orcas immer da, wo sie fette Schwarmfische, sehr große Fische (z.B. Thune oder Haie) oder Säuger erbeuten können, diese Option dann nutzen, wenn sie innerhalb der Famlie wissen, mit welcher Strategie das klappt. Und manchmal kommen einzelne Individuen auch auf eine völlig neue Idee und erschließen so neue Nahrungsquellen. Gibt es aber nichts anderes müssen die Orcas sich von ineffizientem Fischfang ernähren oder alternativ eben andere Nahrungsgründe aufsuchen (Transients).

    Und die mögliche Antwort, dass gerade bei sozial/intelligenten Lebewesen wie den Orcas die Sprache der relevante devergierende Faktor ist passt natürlich dazu, dass dies ja bei Menschen wohl ähnlich ist. Natürlich nur bei Menschen, die noch relavtiv naturverbunden leben, beispielsweise auf Papua oder in Melanesien. Auch dort gelten wirklich nur die Menschen die im direkten Umfeld (Tal/Dorf) leben als “Menschen”, alle anderen Zweibeiner zählen eigentlich nicht dazu, sind also nicht nur Fremde, sondern eigentlich gar keine “richtigen”Menschen bzw. eben gar keine richtigen Orcas. Das aber sollte sich dann ja auch im Genpool wiederspiegeln….

    • @Remmer: Auf dem alten Meertext-Blog habe ich ganz viele Beiträge zu regional unterschiedlichen Jagdmethoden von Delphinen, vor allem Großen Tümmlern, vorgestellt. Die haben auch bei potentiell wehrhafter Beute wie Katzenfischen mit fiesen Stacheln und Tintenfischen regional unterschiedliche Methoden entwickelt, möglichst verletzungsfrei ihre Beute zu überwältigen. Klappt nicht immer, aber meist – Katzenfische und Sepien schnappen sie von hinten, Fische im Sand-Stein-Boden scheuchen sie mit Schwamm-Schnabelschonern hervor, …
      https://scienceblogs.de/meertext/?s=Delphine+NAhrung
      Außerdem nutzen sie oft die Fischerei, die Fische anzieht, am Haken hat oder in Netzen konzentriert, auch Aquakulturen sind für Tümmler und Robben gute Snack-Stationen.

    • @Remmer: Ja, das ist eine sehr spannende Publikation. Die hatte ich natürlich gelesen, wegen Zeitmangel aber dann doch nicht hier vorgestellt. Die Orcas des Nordatlantiks sind erst in den ca 20 Jahren näher untersucht worden, gleichzeitig finden bei ihnen gerade große Veränderungen statt. Wegen der Verlagerung der Heringsschwärme vor der norwegischen Küste nach weiter nördlich sind die Wale mitgezogen (könnte auf Erwärmung des Ozeans zurückzuführen sein). Vor Gibraltar kämpfen die Schwertwale mittlerweile gegen Boote, vermutlich als Folge von Konflikten mit der Fischerei. Und die UK-Gruppe stirbt gerade aus, da sie in Folge der chemischen Giftlast offenbar unfruchtbar geworden ist.
      Die Orca-Forschung im Atlantik dokumentiert also gerade live die extremen Veränderungen in den Meeren, die durch die Menschen verursacht werden. Und langlebige Top-Prädatoren wie Orcas sind die Zeigerarten dieser Veränderung.

Schreibe einen Kommentar


E-Mail-Benachrichtigung bei weiteren Kommentaren.
-- Auch möglich: Abo ohne Kommentar. +