Nordpazifik – auf Stellers Spuren

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Mai und September sind meine Lieblingsmonate, mit ihren Übergängen zwischen Sommer und Winter sowie ihrer Fülle von aufblühendem Leben, der Ernte der bunten süßen Früchte, des goldgelben Getreides und anderer Feldfrüchte (die Klimakrise klammere ich hier mal aus, sondern schwelge eher in Kindheits-Erinnerungen).
Gleichzeitig sind diese Monate die Hauptsaison für Tagungen und andere Events.
So war ich im Mai viel unterwegs. Am letzten Wochenende auf der FedCon in Bonn und das Wochenende davor auf der MetropolCon in Berlin, mit Vorträgen und Kostümen im Gepäck. Von Berlin aus machte ich noch einen kleinen Abstecher nach Halle, vier Vorträge in vier Tagen in Berlin und Halle, darunter ein Food-Event mit “Essen der Zukunft” waren echt sportlich. Da ich ganz nebenbei ja auch noch einem Lohnerwerb nachgehe und viele Aufträge habe, war ich ziemlich platt und bin darum kaum zum Bloggen gekommen.

Wilder Nordpazifik – ein Sehnsuchtsort

Ich war überhaupt noch nie im Nordpazifik unterwegs. Dieses Meeresgebiet zwischen Alaska und Sibirien, im Übergang zum Nordpolarmeer mit seiner fremdartigen wilden Inselwelt ist für mich immer noch ein Sehnsuchtsziel. Eine Freundin von mir, die in der Biologischen Anstalt Helgoland meine Chefin war, hatte in Alaska Fischereiwissenschaft studiert und wurde dort später Professorin, ich habe ihr immer andächtig zugehört. Sie kann nämlich richtig gut erzählen und hat immer wieder dolle Stories `rausgehauen.

Über die Tierwelt der pazifischen US-Küste berichte ich auf Meertext regelmäßig, schließlich machen die US-Forschungsinstitute ausgezeichnete Arbeit, ob staatliche NOAA-Institute oder private Institutionen. Der offene Ozean birgt dort immer noch viele Geheimnisse, es werden sogar noch neue Wal-Arten entdeckt, wie der “Rabe” (seit 2019 Beradius minimus). Die Klimakrise ist dort besonders gut dokumentiert, in der Miniserie zur Erhitzung der Ozeane hatte ich viele Beispiele vorgestellt.

Als ich im Jahr 2000 ein Praktikum im Meeresmuseum Stralsund gemacht habe, hörte ich zum ersten Mal bewusst von der Bering-Insel und Steller. Ulrich (Ulli) Wannhoff hielt dort einen Vortrag über seine Expeditionen per Segelyacht zur Bering-Insel, er ist ein ausgewiesener Kenner der Region. Und erscheint mir unglaublich wagemutig, wenn er in seinen Büchern beschreibt, wie er um die Bering-Insel durchs Wasser watet, um eine Schutzhütte zu erreichen. Selbst im Hochsommer sind die Wassertemperaturen arktische Meere noch sehr niedrig – mir sind schon im lieblichen Golfstrom vor Nord-Norwegen die Füße innerhalb von wenigen Minuten taub geworden.
Ulli schreibt nicht nur tolle Bücher, die er mit eigenen Bildern und tollen Photos illustriert, sondern erzählt auch auf dem ausgezeichneten Blog “Trimaris” gute Geschichten zu Aktuellem und Historischem in dieser entlegenen Gegend. Da er Russisch spricht, hat er durch persönliche Gespäche viel tiefere Einblicke in die Kultur der dort lebenden Menschen und kann die wissenschaftliche Literatur ganz anders durchpflügen als ich, ohne Russisch-Kenntnisse.

Für mich ist der russische Teil des Nordpazifiks wegen der Sprachbarriere immer noch schwierig zugänglich. Nur wenige Medien wie die Siberian Times haben mir immer mal wieder Einblicke gegeben, wie der Fund eines fast vollständigen Seekuh-Skeletts auf der Bering-Insel. Zur von Steller entdeckten Riesen-Seekuh gibt es nur wenige neue Publikationen, wie etwa die zum Meerjungfrauen-Elfenbein. Allerdings rekonstruieren einige sehr spannende Publikationen die ökologische Bedeutung der so schnell ausgerotteten Steller`schen Riesenseekuh für den pazifischen Unterwasser-Dschungel aus großen Tangen.
Ich arbeite an einem Buch zu Stellers Seereise, so bin ich in Kontakt mit der Steller-Gesellschaft gekommen. Dazu später mehr.

Georg Wilhelm Steller – Workoholic und Ausnahmeforscher

Der junge deutsche Naturforscher hatte (unter anderem) Kapitän Bering auf seiner Reise von der Kamtschatka-Halninsel nach Alaska und entlang der Aleuten zurück begleitet, angeheuert als Mineraloge und aktiv auch als Arzt, Botaniker, Zoologe, Ethnologe. Letztendlich rettete der besonnene Steller mit seinen Kräutern und anderem KnowHow gemeinsam mit dem Marineoffizier Waxell nach Berings Tod die überlebenden Männer und die Expedition.
Der Ausstellungskatalog “Die Große Nordische Expedition” gab mir einen weiteren exzellenten Einstieg in das Leben und Schaffen Stellers, später verschlang ich Reprints der Forschungsberichte Stellers und Gmelins sowie weitere Literatur. Steller stammt zwar aus Franken, hat aber u. a. in Halle studiert und kam dort auf die zu seiner Zeit gerade entstehenden russischen Wissenschaften. Da in Deutschland freie Lehrstühle Mangelware waren, orientierte er sich wie viele andere unternehmungslustige junge Wissenschaftler nach Osten hin und zog aus nach St. Petersburg. Dort baute der modern denkende Zar Peter I. damals eine Wissenschaftsinfrastruktur auf, deutsche Forscher hatten gute Möglichkeiten, echtes Neuland zu entdecken. Schließlich ging es um die Erforschung und Erschließung des gigantischen, schwer zugänglichen Sibiriens, der letzten Terra incognita der Nordhalbkugel. Überflüssig, zu betonen, dass es Zar Peter I. weniger um Forschung, sondern vielmehr um Kolonialisierung, also Erschließung und Ausbeutung, ging.

Steller-Tagung in Halle

Auf der Jahrestagung der Internationalen Steller-Gesellschaft in Halle durfte ich den Eröffnungsvortrag halten. Mein Thema “Steller und die Wale” beschäftigt sich mit der Ökologie und Biodiversität der Wale dieser Region und ihrer Abwesenheit in Stellers Forschungsarbeit. Dabei kam mir zugute, dass in den lezten Jahren auch auf russischer Seite die Orca-Forschung Fortschritte gemacht hat. Über ResearchGate kam ich glücklicherweise in Kontakt mit einigen der russischen ForscherInnen und erhielt so Zugang zu den Publikationen.

Auch sehr wichtig war eine lange Diskussion mit Dres. Frau und Herrn Hintzsche sowie viele Daten, die sie mir aus Stellers Werk herausgesucht hatten. Bei meinem ersten Besuch bei ihnen hatten sie mich herzlich aufgenommen und im historischen Tagungssaal der Steller-Gesellschaft nicht nur mit Informationen, sondern auch exzellentem Tee und Stollen versorgt. Genauso freundlich und herzlich verlief auch die Eröffnung der Tagung. Leider musste ich dann am Donnerstag abend gleich zurück nach Berlin, wegen anderer Vorträge.
Aber der Nachmittag/Abend im historischen Zoologischen Institut der Universität Halle war herrlich. Natürlich gab uns die frisch pensionierte Leiterin der Zoologischen Abteilung Dr. Karla Schneider wieder eine Führung durch die Historische Sammlung. Wegen der Probleme, dass viele Menschen die historischen Vitrinen auf den historischen Holzböden zum Schwingen bringen, ist der Zugang nur selten möglich, ich kann es aber unbedingt empfehlen! Auch ein wenig Seekuh-Rippe von der Bering-Insel liegt dort.
Besonders rührend fand ich, wie liebevoll einige der Mitglieder Kuchen gebacken, leckere Minestrone gekocht und Lachshäppchen vorbereitet hatten. Ein osteuroäpisches Mitglied hatte nämlich einen Kamtschatka-Lachs per Post geschickt.

Da tragischerweise vor wenigen Monaten der Web-Administrator verstorben ist, war die digitale Werbung für die Tagung untergegangen. Trotzdem kamen im kleinen Halle an einem verlängerten Wochenende 58 BesucherInnen zum Vortrag! Darunter eine Freundin von mir (mit Begleitung) aus Südhessen, die gerade auf Bildungsreise in Halle war und einer meiner Twitter-Follower.
Die persönlichen Gespräche kamen viel zu kurz, waren aber sehr spannend, gerade die Anmerkungen von Nordpazifik-Reisenden zu meinem Vortrag waren für mich hilfreich und sind bereits eingearbeitet.
Zu Steller werde ich immer mal wieder Artikel bringen, der Nordpazifik hat mich jetzt wirklich gepackt. Und falls ich irgendwann doch noch eine Reise in diese so abgelegene Gegend schaffen sollte, werde ich dazu natürlich auch reichlich schreiben.
Als Dankeschön für den Vortrag war ich für die Rückreise mit einer Mini-Graphic-Novel zu Steller (s. o.) ausgestattet, einem herrlichen Buch und einer Packung Halloren-Pralinen – Halloren ist eine traditionelle Hallenser Süßigkeiten-Fabrikation, vor allem die Kugeln sind sehr bekannt. Sie sind in ihrer Form den Knöpfen der Salzsieder nachempfunden.
Ich freue mich jedenfalls auf die nächsten Begegnungen mit Steller-Freunden!



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Auf dem Science-Blog „Meertext“ schreibe ich über meine Lieblingsthemen: Biologie, Zoologie, Paläontologie und das Meer. Wale, Fische und andere Meeresgetüme. Tot oder lebendig. Fossile Meere, heutige Meere und Meere der Zukunft. Die Erforschung, nachhaltige Nutzung und den Schutz der Ozeane. Auf der Erde und anderen Welten. Ich berichte regelmäßig über Forschung und Wissenschaft, hinterfrage Publikationen und Statements und publiziere eigene Erlebnisse und Ergebnisse. Außerdem schreibe ich über ausgewählte Ausstellungen, Vorträge, Bücher, Filme und Events zu den Themen. Mehr über meine Arbeit als Biologin und Journalistin gibt´s auf meiner Homepage “Meertext”.

2 Kommentare

  1. Der Twitter-Follower folgt auch hier 😉

    Der Eröffnungsvortrag war interessant. Von Steller wissen wahrscheinlich nur wenige, ich z.B. kannte ihn nicht.

    PS: Man hat kaum gemerkt, dass der Vortrag so zwischen Tür und Angel zusammengebastelt wurde. Da kann man nur sagen: Hut ab vor dem Profi!

    • @Sascha: Fein : ) Der war nicht zwischen Tür und Angel zusammengebastelt. Bloß ein völlig neues Thema, das einen extrem breiten Fächer aus historischen Daten und aktuellen Forschungen abdeckte. Und letztendlich nur Hypothesen statt Antworten anbietet.

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