Mysteriöser „Sternzahn“ – eine neue Mosasaurus-Art aus Marokko

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Das Kieferfragment gehört zu einem krokodilartigen Schädel und hatte seltsame Zähne, die an einen Schraubenzieher erinnern. Unter den Mosasaurus-Meeresechsen sind diese Zähne einzigartig. So hat ein Paläontologen-Team um Nicholas Longrich aus Bath und seinen Kollegen aus Paris, Marrakesch und Bilbao eine neue Mosasaurus-Art beschrieben: Stelladens mysteriosus.
Die Zähne des Neufunds haben vier bis sechs der klingenartigen Grate, sie verliefen sternförmig über die Zähne und erinnerten die Paläontologen an einen Kreuzschlitzschraubendreher. Darum gehört dieses Fossil zu einer neuen Art und ist nach seinen sternförmigen Zähnen benannt und ihn zusätzlich als mysteriös tituliert: Stelladens mysteriosus.

Weder Nick Longrich (Milner Centre for Evolution at the University of Bath), der die Studie leitete, noch Nathalie Bardet (Museum of Natural History), die seit über 20 Jahren an fossilen Meeresechsen forscht, hatten solche seltsamen Zähne je zuvor gesehen.

Da in dem Kieferfragment mehrere Zähne mit der gleichen Form steckten, handelte es sich nicht um eine Mutante, Verformung während der Fossilisation oder ein Krankheitsanzeichen, sondern wohl um die artspezifische Form. Die meisten Mosasaurus-Arten haben Zähne mit je einem klingenartigen Grat auf der Vorder- und Rückseite jedes Zahns, was wohl das Zerschneiden von Beute erleichtert haben dürfte. Die Zähne sind klein, aber kräftig und an den Spitzen abgenutzt. Das deutet nach Meinung der Paläontologen weder auf eine Beute mit weichem Körper hin, noch auf schwer gepanzerte Tiere wie etwa Muscheln (in der Pressemitteilung der Uni Bath werden an dieser Stelle auch Seeigel als schwer gepanzert aufgeführt – das ist natürlich Unsinn. Die Kalkplatten selbst riesiger und stabiler Seeigel sind keinesfalls zu stabil für einen solchen Echsenkiefer. Der Prädator hätte höchstens vor Verletzungen durch Seeigelstacheln zurückschrecken können). So hat Nick Longrich in einer hypothetischen Abbildung dargestellt, wie die Echse sich einen Urzeit-Tintenfisch mit einer Außenschale schnappt, die wohl dünner als Muscheln war.

Möglicherweise hat es [das Reptil] einen einzigartigen Weg gefunden, sich zu ernähren, oder vielleicht hat es eine ökologische Nische gefüllt, die heute einfach nicht mehr existiert.“ erklärte Longrich im Interview. Etwas Kleines und leicht Gepanzertes wie dünnschalige Ammoniten, Krebstiere oder Knochenfische könnte auf dem Speisezettel gestanden haben. „In der Kreidezeit lebten seltsame Tiere – Ammoniten, Belemniten, Baculiten – die nicht mehr existieren. Es ist möglich, dass dieser Mosasaurier etwas gefressen und eine Nische besetzt hat, die es einfach nicht mehr gibt, und das könnte erklären, warum so etwas nie wieder gesehen wird.”
Aus der Größe des Kieferstücks und der Zähne schließen die Forscher auf eine mittelgroße Echse von vielleicht vier bis fünf Metern Länge.
Nick Longrich hat dazu einen unterhaltsamen Artikel gebloggt, dort ist ein Photo mit den seltsamen Zähnen und eine schöne Rekonstruktion des einen Urzeit-Kopffüßer jagenden Stelladens mysteriosus zu sehen. Und der Vergleich der Urzeit-Zähne mit einem Neuzeit-IKEA-Werkzeug.

Erst wenn ein ganzes Skelett gefunden wird, das vollständig im Meeresboden eingeschlossen wurde, lässt sich vielleicht auch der Mageninhalt finden und rekonstruieren. Solche Glücksfunde haben etwa bei urtümlichen Walen der ägyptischen Fayum-Oase oder bei Ichthyosauriern aus den schwäbischen Schwarzschiefern und anderen Teilen der Welt deren Speisepläne überliefert.

Die großen Meeresechsen aus der Spätzeit der Dinosaurier waren erfolgreiche Jäger in den Urzeitmeeren der Oberkreide. Als 1770 in der Nähe von Maastricht Bergmänner den ersten Schädel eines Mosasaurus – Echse von der Maas – fanden, wurde dieser zunächst für einen Krokodil Schädel gehalten. Napoleonischen Truppen brachten diese Rarität dann als Kriegsbeute nach Paris, wo im Jahre 1808 der Naturforscher Georges Cuvier ihn untersuchte. Der herausragende Anatom kam Cuvier bald zu dem Schluß, dass es sich mitnichten um einen Krokodilschädel handelte, sondern das Tier eher einen Waran-artigen Schädelbau aufwies und es sich um eine riesige Meereseidechse gehandelt haben musste, die sich von allen lebenden Tieren unterschied. Diese zuerst beschriebene Typusart und bis heute die größte Art der Gattung Mosasaurus hoffmanni  wird heute mit einer Körperlänge von 17 bis 18 Metern rekonstruiert.

Heute wissen wir, dass diese Meeresechsen vor etwa 100 Millionen Jahren entstanden, dann eine starke Diversifizierung in viele verschiedene Arten durchliefen, um schließlich vor rund 66 Millionen Jahren aus den Meeren zu verschwinden. Das deckt sich mit dem Zeitpunkt des Asteroideneinschlags in der Yucatan Halbinsel. Die marokkanische fossile Fauna zeigt in dem Zeitausschnitt die große Biodiversität direkt vor dem Einschlag und dem folgenden großen Sterben am Ende der Kreidezeit.

Das Paläontologen-Team um Nicholas Longrich ist von dieser Entdeckung natürlich völlig begeistert, es ist bereits ihre dritte neu entdeckte Mosasaurus-Art in diesen Schichten. In den Sedimenten des Urmeeres im heutigen Marokko werden regelmäßig neue Arten von Fossilien gefunden, darunter auch viele dieser Meeresechsen. 2020 hatten Paläontologen der Universitäten Alberta und Cincinnati eine ebenfalls nicht kleine Maas-Echse mit einer gavialartig langen und schlanken Schnauze beschrieben, Gavialimimus almaghribensis. Zu den bislang über einem Dutzend Mosasaurus-Arten dürften noch einige neue hinzukommen. Die Gesteine in Marokko bergen noch viele Schätze aus längst vergangenen Meeren verschiedener Zeitalter. Das trockene Wüstenklima ist perfekt für Paläontologen: Der Wind legt per Sandstrahl immer wieder neue Schichten und Funde frei, so dass PaläontologInnen mit Hilfe ortskundiger Führer immer neue Fossilien entdecken können. Dass Mosasaurus-Zähne aus Marokko auf Fossilienmessen in so großer Zahl angeboten werden, ist ein Indiz die Häufigkeit dieser „Meeresdrachenzähne“.

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Auf dem Science-Blog „Meertext“ schreibe ich über meine Lieblingsthemen: Biologie, Zoologie, Paläontologie und das Meer. Wale, Fische und andere Meeresgetüme. Tot oder lebendig. Fossile Meere, heutige Meere und Meere der Zukunft. Die Erforschung, nachhaltige Nutzung und den Schutz der Ozeane. Auf der Erde und anderen Welten. Ich berichte regelmäßig über Forschung und Wissenschaft, hinterfrage Publikationen und Statements und publiziere eigene Erlebnisse und Ergebnisse. Außerdem schreibe ich über ausgewählte Ausstellungen, Vorträge, Bücher, Filme und Events zu den Themen. Mehr über meine Arbeit als Biologin und Journalistin gibt´s auf meiner Homepage “Meertext”.

3 Kommentare

  1. Kreuzschlitz / sternförmig

    Was mich eher verwundern läßt bzw zum Nachdenken/Fabulieren anregt, ist die auffällige Asymmetrie der Grate-Nebenklingen-AntiSicken-Rippen-Stege. Besonders gut zu sehen auf dem erwähnten Longrich-Photo – eine wie auch immer festzulegende ‘Hälfte’ scheint glatt zu sein, die andere gerippelt.

    Der Wind legt per Sandstrahl .. frei

    Das klingt nach regelmäßigem Kontrollbedarf, damit nicht alles weggeschliffen werde…

    In welchem der Phosphatgebiete wurden die Relikte eigentlich gefunden? Marokko ist ja ebenso wie ein anderes, aktuelleres Beispiel ein Staat, der sich größer wähnt, als er ist. Ouled-Abdoun zB wäre Marokko, Bou Craa zB wäre WestSahara.

    • @rolak: Die Fundstelle ist “lower Couche III phosphatic deposits at Sidi Chennane, Oulad Abdoun Basin, Morocco”, also Ouled Abdun
      https://www.mdpi.com/2813-6284/1/1/2
      Auf dem Bild in der Publikation sieht man das sternförmige ganz gut, aber, wie Du sagst, asymmetrisch. Bei den gebogenen Zähnen sind die meisten Schneidkanten vorn, auf der konvexen Seite.
      Es gibt bei so manchen Tieren sehr seltsame Zähne, die an spezielle Beute angepasst sind, wie etwa den Krabbenfresser mit seinen siebartigen Zähnen. Ich bin wirklich gespannt, ob von so einem Mosasaurier mal ein Mageninhalt auftaucht.

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