Mini-Basilosaurus aus Ägypten: Tutcetus

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In Ägypten haben Paläontologen gerade einen neuen Mini Basilosauriden beschrieben: Tutcetus rayanensis. Der Fund dieses Fossils wäre eigentlich kaum erwähnenswert, wäre aus Peru nicht wenige Tage zuvor ein Basilosaurier vom anderen Ende der Größen-Skala beschrieben worden: Perucetus.

Der neue kleine Urwal ist mit schätzungsweise 2,5 Metern Länge der kleinste bekannte Basilosauride. Tutcetus ist natürlich nach dem ägyptischen Pharao Tutanchamun benannt. Beide haben eine Gemeinsamkeit: Sie waren bei ihrem Tod noch nicht ganz erwachsen und hatten ihre vollständige Größe noch nicht erreicht. Der Pharao Tutanchamun soll im Alter von 17 bis 19 Jahren gestorben sein.
Außerdem, so schrieb mir Prof. Hesham Sallam, möchten sie mit dem Namen auch an die an die Entdeckung des Königsgrabes vor einem Jahrhundert erinnern und auf die bevorstehende Eröffnung des Großen Ägyptischen Museums in Gizeh anspielen. Der Artname Rayanensis bezieht sich auf das Wadi El-Rayan-Schutzgebiet in Fayum, wo der Holotyp gefunden wurde. Aufgrund seiner umfangreichen Urwal-Funde ist Wadi Al-Hitan, das Tal der Wale, heute UNESCO-Weltnaturerbe

Mohammed Anter, Hesham Sallam und ihr Team hatten den Schädel, die Unterkiefer, Zähne und Wirbelfragmente in der für ihre Urwalfunde berühmten Fayum-Oase in Ägypten entdeckt. Der 41 Millionen Jahre alte Meeressäuger war wohl fast ausgewachsen, aber eben noch nicht ganz. Das lässt sich am Schädel und den Wirbeln ablesen: Die Knochennähte am Schädel und an den Wirbelkörpern sind in diesem subadulten Stadium eines Säugetiers noch nicht ganz geschlossen. Außerdem gibt gerade bei Säugetieren der Zahnstatus Aufschluss über das Alter.

Aus den Abmessungen der gefundenen Fossilreste schätzen die Autoren, das Tutcetus insgesamt etwa 2,5 Meter Länge erreicht haben dürfte, mit einem Körpergewicht von 187 Kilogramm. Wale sind aufgrund ihres kompakten Körperbaus mit der extremen Rumpf- und Schwanzmuskulatur schwerer als viele Landsäuger mit ähnlichem Gewicht – so erreichen Große Tümmler mit je nach Bestand unterschiedlicher Körpergröße von 1,90 bis 4 Metern Länge ein Gewicht von 150 bis 300 Kilogramm, große Delphinbullen werden aber auch mal bis zu 650 Kilogramm schwer.
Da die anderen bisher bekannten Basilosauriden Längen zwischen 4 und 18 Metern erreichten, ist Tutcetus aktuell der kleinste Vertreter seiner Familie. Das unten stehende Bild zeigt den Schädel (rechts) mit den Kiefern (links und unten) und Zähnen im Größenvergleich mit den Forschern.

The Egyptian paleontologists Abdullah Gohar, Mohamed Sameh, and Hesham Sallam (from
left) next to the holotype fossils of the newly identified basilosaurid whale, Tutcetus rayanensis, at
Mansoura University Vertebrate Paleontology Center.
Credit: Hesham Sallam – Mansoura University Vertebrate Paleontology Center

Zähne geben Auskunft über Lebensalter und Evolution

Die Zähne von Walen sind ein besonders interessanter Aspekt dieser aquatischen Säuger.
Bekommen Säugetiere üblicherweise zwei Generationen von Zähnen (diphyodont), die Milchzähne und das bleibende Gebiss und haben ursprünglich einen Zahnschlüssel von 3/1/3/4 pro Kieferquadrant (3 Schneidezähne, 1 Eckzahn, 3 Vorbackenzähne (Prämolaren) und 4 Backenzähne (Molaren), sieht das Gebiß heutiger Zahnwale meist eher reptilartig aus: Lauter gleichförmige kegelförmige Zähne. Außerdem bilden Walkiefer nur noch eine Generation Zähne aus (monophyodont).
Bei den verschiedenen Urwalen lässt sich diese Entwicklung über die Jahrmillionen ablesen.
Basilosauriden tragen noch eine Mischform aus alten und neuen Merkmalen – die Form der Zähne ist zwar schon an schlüpfrige aquatische Beute angepasst, allerdings sind Backenzähne, Vorbackenzähne, Eckzähne und Schneidezähne noch unterschiedlich groß. Außerdem hatten diese Urwale noch zwei Zahngenerationen.
Im Kiefer des Basilosaurus sind die „tannenbaumartigen“ hinteren Zähne die Backenzähne, auf die die etwas größeren ebenso geformten Prämolaren folgen. Im Vordergebiss sind die modern aussehenden kegelförmigen Zähne  die Schneide- und Eckzähne. Dabei sind die Eckzähne größer und konischer geformt, während die Schneidezähne etwas kleiner und schärfer sind. „So können wir zwischen den beiden Zahntypen unterscheiden.“ erklärte mir Prof. Hesham Sallam.
Durch detaillierte Analysen der Zähne und Knochen von Tutcetus mithilfe von CT-Scans war das Team in der Lage, das Wachstums- und Entwicklungsmuster dieser Art zu rekonstruieren. Offenbar war dieser kleine Basilosauride schnellwüchsiger als andere, größere Arten und entwickelte schneller seine bleibenden Zähne und die volle Größe. Die Autoren benutzen dafür den Begriff „precocial“, was eigentlich nestflüchtende Vögel bezeichnet. Offenbar waren diese kleinen Urwale frühreifer als die meisten anderen Wale. Analog zu anderen Säugetieren vermuten die Paläontologen darum auch eine geringere Lebensspanne für Tutcetus – das wäre typisch für Arten, die schnell und früh das Erwachsenenalter erreichen.
Die Entdeckung von Tutcetus in den älteren fossilführenden Schichten der Fayoum-Oase enthält wichtige Informationen zum Verständnis des frühen Erfolgs der Basilosauriden und der Anpassungsfähigkeit dieser Meeressäuger.

Life reconstruction of two individuals of the extinct basilosaurid whale Tutcetus rayanensis,
with the foreground individual preying on a nautilid cephalopod and another swimming in the
background. Illustration by Ahmed Morsi.

Basilosauriden als Bewohner des Urmeers Tethys

Basilosauriden-Fossilien werden heuten auf allen Kontinenten gefunden, die Sedimente des alten Urmeeres Tethys enthalten. Die Tethys war, anders als unsere heute in Nord-Süd-Richtung verlaufenen Meere, ein Gürtel um den Äquator herum und darum insgesamt warm-subtropisch.
Unser heutiges Mittelmeer ist der klägliche Rest dieses einst weltumspannenden Ozeans, die gewaltigen plattentektonischen Vorgänge sind vor allem in den Tiefseecanyons des östlichen Mittelmeeres noch aktiv.

An ihren Ufern, heute südlich des Himalayas in Pakistan, Afghanistan und Indien ist die Wiege der Urwale – dort werden heute die ältesten Walfossilien gefunden, die zwar schon Walohren haben, aber noch richtige Hinterbeine (z B Pakicetus und Ambulocetus, ca 58 und 56 Mio Jahre alt.
Von dort aus verbreiteten sich die Wale als aquatisches Erfolgsmodell weiter. Jüngere Wale von etwa 40 Millionen Jahren sind dann an mehr Fundstellen zu finden und markieren die Eroberung der Meere durch diese Säuger: Basilosauriden werden seit Langem und in vielen Gattungen und Arten in den südlichen USA (South Carolina, Louisiana, Mississippi) sowie im nördlichen Ägypten (Fayoum-Oase, Wadi Al Hitan (Tal der Wale) und aus Marokko. Weitere neuere Funde gibt es mit zunehmender Erforschung der Küstenwüsten Perus (Ica Provinz) und in der nördlichen und südlichen Ukraine. Gerade die osteuropäischen und russischen Wal-Fossilien sind in der Öffentlichkeit wenig bekannt, ihre Erforschung hängt vor Allem an dem ukrainischen Paläontologen Pavel Gol’din. Ein Fund in der Antarktis rundet ihren biogeographischen Auftritt ab – sie sind älter als dieser Teil Gondwanas, der heute isoliert am Südpol liegt.

Diese Abbildung ist ein großartiger Überblick über die Verbreitung und Größen der verschiedenen Basilosauridae (Quelle: Facebook, Urheber nicht zu ermitteln).

Mochte der Mini-Wal besonders warme Meere?

Die Autoren spekulieren, dass diese geringe Körpergröße von Tutcetus im Vergleich zu anderen Vertretern seiner Familie eine Entwicklung in einer Warmzeit sein könnte. In diesem Fall käme das Late Lutetian Thermal Maximum  – das Wärmemaximum des späten Lutetians (Mittleres Eozän) vor 42 Millionen Jahren in Frage.
Da Tiere wärmerer Klimata und Zeiten eine Tendenz zu geringerer Körpergröße haben, während die Bewohner kälterer Zeiten und Gegenden eher zu größerer Körpergröße neigen, könnte Tutcetus geringe Körpergröße durch eine besonders warme Periode schlüssig erklärt werden, so die Autoren der Studie.

Auch wenn Basilosauriden seit 1868 bekannt sind – damals beschrieb der US-Amerikaner Cope die ersten in den USA gefundenen Fossilien – sind diese uralten Meeressäuger offenbar immer wieder für Überraschungen gut.

Zum Weiterlesen:

Hier und hier hatte ich mehr über die flache warme Lagune, in der diese Urwale lebten und wohl ihre Kinderstube hatten, einen dort entdeckten fossilen Mageninhalt und mehr über den schlangenförmigen Basilosaurus isis und seinen Zeitgenossen, den kleineren Dorudon atrox geschrieben. Und über die Entdeckung des ersten dieser fossilen Wale.

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Auf dem Science-Blog „Meertext“ schreibe ich über meine Lieblingsthemen: Biologie, Zoologie, Paläontologie und das Meer. Wale, Fische und andere Meeresgetüme. Tot oder lebendig. Fossile Meere, heutige Meere und Meere der Zukunft. Die Erforschung, nachhaltige Nutzung und den Schutz der Ozeane. Auf der Erde und anderen Welten. Ich berichte regelmäßig über Forschung und Wissenschaft, hinterfrage Publikationen und Statements und publiziere eigene Erlebnisse und Ergebnisse. Außerdem schreibe ich über ausgewählte Ausstellungen, Vorträge, Bücher, Filme und Events zu den Themen. Mehr über meine Arbeit als Biologin und Journalistin gibt´s auf meiner Homepage “Meertext”.

2 Kommentare

  1. Mich fasziniert die Abbildung der Basilosauridae, die zeigt, welche große Formenvielfalt die Familie angenommen hatte. Vom Basilosaurus, dessen Form wie eine Wiedergeburt der Mosasaurier wirkt, die viele Millionen Jahre vor ihnen ausgestorben sind, hin zu Tieren, die im Körperbau heutigen Zahnwalen wie Delfinen oder Orcas vergleichbar sind, und schließlich der seekuhähnliche Perucetus.

    Das ganze ist ein wunderbares Beispiel konvergenter Evolution.

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