Massenstrandungen von Grindwalen

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In Schottland waren vergangene Woche über 55 Grindwale gestrandet, jetzt ist noch eine weitere Massenstrandung in Westaustralien dazugekommen.
Grind- oder Pilotwale (Globicephala) sind sechs bis sieben Meter große dunkelgraue Delphinverwandten, die meist in Familiengruppen (Pods) von 20 bis 25 Tieren schwimmen. Die dunklen Körper mit den kugelförmigen Köpfen und den langen Flippern und Finnen sind unverwechselbar. Die großen schnellen Delphinartigen fressen 50 Kilogramm Fisch und Tintenfisch täglich und haben im Meer kaum natürliche Feinde, nur Orcas gehen sie aus dem Weg.
Im Nordatlantik und anderen kühleren Gewässern wie auch südlich von Australien leben die Gemeinen oder Langflossen-Grindwale (Globicephala melas), in wärmeren Gewässern gibt es noch die sehr ähnlichen Kurzflossen- oder Indischen Grindwale (Globicephala macrorhynchus).
Diese Wale leben in engen Familienverbänden (Pod) und schwimmen in dichten Gruppen. Zu manchen Jahreszeiten schließen sich die Meeressäuger zusammen zu Super-Pods, dann schwimmen über 50 oder sogar über 200 von ihnen gemeinsam.

Grindwal-Strandung auf der Insel Lewis, Schottland

In den frühen Morgenstunden des 16. Juli strandeten am abgelegenen Strand von Traigh Mhor auf der schottischen Isle of Lewis 55 Langflossen-Grindwale. Die Strandung wurde von den British Divers Marine Life Rescue, der Stornoway Coastguard und anderen offiziellen Stellen bemerkt, die schnell am Strand eintrafen. Sie versuchten immer wieder, noch lebende Wale wieder ins Meer zurückzuleiten, aber diese strandeten dann schnell erneut. Wegen des hohen Wellengangs, des flachen Strandes und der langen Zeit, die die Meeressäuger schon am Strand lagen, entschieden die Tierärzte und anderen Rettungskräfte schließlich, alle einzuschläfern.

Tweet von Environmental Investigation Agency vom 25. Juli 2023

Dann wurden die Experten des Scottish Marine Animal Stranding Scheme (SMASS) und weitere aus den Niederlanden gerufen, um Nekropsien durchzuführen und möglichst viele Daten aus den noch frischen Walkadavern zu erhalten. Walnekropsien sind aufgrund der Größe und des Gewichts, der schnellen Verwesung und der zähen Gewebe sowie der schwierigen Situation am Strand Knochenarbeit im wahrsten Sinne des Wortes. Grundsätzlich braucht es Personen, die die schmutzige Arbeit direkt am blutigen, schnell verwesenden Wal vornehmen (Messen, Schneiden) und solche, die die Daten korrekt in den Arbeitsblättern notieren und die Proben in unterschiedliche Konservierungsmittel und Probenbehälter korrekt eintüten, sowie pro Wal beschriften (“Clean Hands”).
Unter den BiologInnen und TierärztInnen war auch die Meeresbiologin Sarah Dolman (SMASS, Environmental Investigation Agency), die als Strandungshelferin ausgebildet ist und so die Nekropsie unterstützen konnte und einen detaillierten Bericht für die Environmental Investigation Agency darüber geschrieben hat.
Das Vermessen der Tiere sowie die Beprobung der inneren Organe, der Haut und der Ohren muss zur Vergleichbarkeit präzise nach dem international gültigen Schema erfolgen, damit solche Daten weltweit vergleichbar sind. Dabei werden Alter (per Zahnprobe: jeder Zahn hat Jahresringe) und Länge sowie das Geschlecht und der Fortpflanzungsstand untersucht – einige Grindwalkühe waren trächtig (es sind also mehr als 55 Individuen verstorben), andere hatten Milch in den Milchdrüsen rechts und links der Geschlechtsöffnung. Die Herde bestand aus Tieren aller Größen und Altersstufen, vom neu geborenen Kalb bis zu alten Männchen. Äußerlich schienen die Tiere gesund zu sein. Auffallend war nur, so schreibt Sarah Dolman, dass ein Weibchen offenbar während der Geburt Probleme bekam – sie hatte einen Scheidenvorfall (Vaginalprolaps): “Die Obduktion ergab, dass ein Weibchen offenbar Schwierigkeiten bei der Geburt hatte, was möglicherweise der Grund dafür war, dass die Gruppe gestrandet ist. Grindwale leben in unglaublich geselligen und stark verbundenen Gruppen. Wenn ein kranker oder verletzter Grindwal strandet, ist es tragischerweise oft so, dass der Rest der Gruppe ihm folgt.” Ungeklärt ist allerdings, warum diese Grindwal-Gruppe überhaupt so dicht der Küsten schwammen, normalerweise halten sie mehr Abstand dazu.
Die Strandungsursache ist (noch) nicht geklärt und wird noch weiter untersucht.
Solche Massenstrandungen kommen gelegentlich an der schottischen Küste vor, wie auch in anderen Regionen der Welt. Über die möglichen Gründe dafür s. u.

Grindwal-Strandung vor Westaustralien

BNO News-Tweet zur Grindwalstrandung in Westaustralien

Am Dienstag dieser Woche, sind dann noch an der westaustralischen Küste am Cheynes Beach 51 Grindwale nach einer Strandung gestorben, 46 konnten wieder ins Meer gebracht werden.
Drohnenaufnahmen dokumentierten ein außergewöhnliches Verhalten dieses Super-Pods: Sie schwammen in einem “Huddling” extrem eng beieinander.

Die australische Meeressäuger-Expertin Kate Sprogis schrieb dazu in ihrem ausführlichen “The Conversation”-Artikel, sie habe so etwas noch nie gesehen. Als Biologin der University of Western Australia vom nur 70 Kilometer entfernten Albany Campus kenne sie diese Langflossen-Grindwal-Population der Region: Die Wale leben im tiefen Wasser des Bremer Canyon, an der Küste sind sie nur selten zu sehen.

Als ein Angestellter des Department of Biodiversity, Conservation and Attractions sie anrief und nach einer Erklärung für das seltsame Verhalten der Wale fragte, war sie sofort alarmiert. Eine Drohne hatte aus der Luft aufgenommen, wie sich eine große Gruppe der Grindwale sehr eng in einem Kreis zusammendrängte. Solch ein “Huddling” sei für gesunde Grindwale vollkommen untypisch. Und dann war diese “Walkugel” auch noch in sehr flachem Wasser. So befürchteten sie und ihre Kollegen, dass die Grindwale dort stranden könnten und bereiteten die Walstrandungsausrüstung vor, außerdem blieben einige Angestellte in Bereitschaft. Leider passierte dann genau das.

Die Überlebenschancen gestrandeter Wale sind gering, erklärt sie. Kalte und windige Bedingungen bedeuten, dass die Meeressäuger anfällig für Unterkühlung sind. Außerdem sind sie den Druck der Schwerkraft an Land nicht gewohnt und so können ihre Organe durch das Gewicht ihres eigenen Körpers kollabieren. wenn sie sehr schnell Hilfe bekommen, können manche Grindwale solch eine Strandung überleben.
In diesem Fall überlebte annähernd die Hälfte der Pilotwale. Auch hier nahmen die Strandungsteams von den toten Tieren verschiedene Proben. Auch hier ist der Grund oder Anlaß der Strandung noch unbekannt.

An australischen und neuseeländischen Stränden kommt es besonders häufig zu Massenstrandungen gerade von Grindwalen, so strandeten 2022 innerhalb weniger Tage gleich zwei Gruppen von über 250 und 215 der grauen Meeressäuger.

Warum stranden Wale in Gruppen?

Massenstrandungen haben unterschiedliche Gründe je nach Art, Region und Anzahl der betrofffenen Meeressäuger und ihrem Gesundheitszustand. Gerade Massenstrandungen geben noch Rätsel auf.
Sind nur einzelne Tiere betroffen, sind sie meist verirrt, verhungert und sehr krank – so strandete im März 2019 ein Cuvierwal vor der norwegischen Küste und 2022 ein Orca in den Niederlanden. Andere tragen noch die tödlichen Fischereileinen (Entanglement) oder schwere Verletzungen durch Schiffskollisionen.
Die regelmäßigen Schweinswalstrandungen an deutschen und anderen Nord- und Ostseeküsten sind ebenfalls meist durch Traumata oder Krankheit ausgelöst.

Sind Schnabelwale und ggf. noch andere Spezies involviert, kann es einen Zusammenhang mit Marine-Manövern geben. So etwas kam auch bereits vor den schottischen Küsten vor. Mehr zu Walstrandungen im Kontext mit Marine-Manövern und vor Allem der U-Boot-Abwehr mit LFAS (Sonar) ist hier und hier, dabei sind hauptsächlich Schnabelwale betroffen. Sie verwechseln vermutlich die LFAS-Laute mit den Rufen von Schwertwalen, ihren schlimmsten Feinden, und steigen dann so schnell an die Wasseroberfläche auf, dass die Innenohren bluten. Solche Gehörtraumata sind gerade bei frischen Walen deutlich nachweisbar und sichtbar – die blutenden Ohren sind unübersehbar. Aber auch verweste Schnabelwale bieten oft noch genug Hinweise für ein Barotrauma.

In den vorliegenden Fällen in Schottland und Australien ist bislang kein Marinemanöver bekannt. Außerdem passt die Erklärung nicht für Grindwal-Massenstrandungen und auch nicht zum Verletzungsmuster – es gibt keins. In beiden vorliegenden Fällen zeigen die Meeressäuger keine äußerlichen Verletzungen etwa durch Fischereinetze oder Schiffsschrauben. Damit kommen auch Beifang und Kollissionen mit Schiffen nicht in Frage.
Weiterhin gibt es keine natürlichen Umstände wie etwa eine Giftalgenblüte, die eine ganze Gruppe Wale hätten vergiften können. Bei einem Chemieunfall wie einer Ölpest müssten auch  Meeressäuger verschiedener Arten beteiligt sein.
Auch die Theorie, dass die Ohren der Tiere durch Parasitenbefall die Echolaute nicht mehr genügend wahrnehmen, ist wenig belastbar. Würmer  in den Ohren sind zumindest bei Zahnwalen wohl eher der Normalzustand.
Die Behauptung, diese Strandung hinge mit der Erderwärmung, Windkraftanlagen oder Bohrinseln zusammen, ist haltlos.
Eine weitere Hypothese besagt, dass die Magnetfeldlinien und ihr Winkel zum Strand hier für Verwirrung gesorgt haben könnten. Eine Verirrung der Wale durch Störungen im Erdmagnetfeld aufgrund von Sonnenflecken-Aktivitäten ist mittlerweile widerlegt.

In manchen Beiträgen wird als mutmaßlicher Strandungsgrund auch die Angst vor Prädatoren genannt.
Vor Nord-Norwegen habe ich solch einen Super-Pod aus vier Abteilungen zu je über 20 Grindwalen gesehen. Interessant war daran auch, dass zwei große Tiere – möglicherweise Bullen, die größer als Kühe sind – aggressives Verhalten gegenüber unserem kleinen Whale-Watching-Boot zeigten: Einer schlug mit der Fluke hallend gegen den Rumpf, ein anderer kam weit aus dem Wasser, blickte uns an und klappte die Zahnreihen auf und zu. Vor Norwegen leben sie im gleichen Habitat wie Orcas, beide großen Delphinartigen gehen sich aus dem Weg. Bei einer anderen Tour (bei der ich leider nicht dabei war) hatten die Grindwale einen Buckelwal gegen unser Schiff gejagt. Vermutlich haben sie ihn nur gemobbt und wollten ihn nicht töten, aber der große Bartenwal hatte Todesangst.
Darum fällt es mir schwer, zu glauben, dass Grindwale aus Angst vor Orcas stranden.

Stattdessen fällt auf, dass an diesen Stränden meist häufiger, oft seit über 100 Jahren dokumentiert Massenstrandungen von Grindwalen stattfinden und sie sandig und flach ansteigend sind.
Die bisher beste Erklärung ist, dass die Echolokation der Zahnwale an den flach ansteigenden Stränden versagt – es handelt sich also um einen Navigationsfehler. Weiche Sandböden werfen nur undeutliche Sonarechos zurück und der allmähliche Anstieg eines flachen Strandes ist ein undeutlicher Übergang vom Meer zum Land.
Weltweit gibt es verschiedene Strände, an denen es immer wieder zu Wal-Massenstrandungen kommt, die nach einem bestimmten Muster ablaufen: Eine ganze Gruppe Zahnwale (die ja Echolokation betreiben) wie Pottwale, Kleine Orcas, Grindwale und einige andere Arten schwimmen auf einen flachen Sandstrand. Gerade in Neuseeland passiert dies an verschiedenen Orten leider regelmäßig. Ein Navigationsfehler des Leittieres kann in diesen Regionen aufgrund der sehr engen sozialen Beziehungen der Wale dann dazu führen, dass dann die ganze Gruppe gemeinsam strandet. Auch in Schottland kommt es immer wieder vor, im vorliegenden Fall könnte es etwas mit dem Weibchen zu tun haben, dass während der Geburt in Schwierigkeiten geriet (s. o.). Vielleicht findet die weitere Analyse noch eine Erklärung.

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Auf dem Science-Blog „Meertext“ schreibe ich über meine Lieblingsthemen: Biologie, Zoologie, Paläontologie und das Meer. Wale, Fische und andere Meeresgetüme. Tot oder lebendig. Fossile Meere, heutige Meere und Meere der Zukunft. Die Erforschung, nachhaltige Nutzung und den Schutz der Ozeane. Auf der Erde und anderen Welten. Ich berichte regelmäßig über Forschung und Wissenschaft, hinterfrage Publikationen und Statements und publiziere eigene Erlebnisse und Ergebnisse. Außerdem schreibe ich über ausgewählte Ausstellungen, Vorträge, Bücher, Filme und Events zu den Themen. Mehr über meine Arbeit als Biologin und Journalistin gibt´s auf meiner Homepage “Meertext”.

9 Kommentare

  1. Danke für den Artikel!

    btw. da ist ein Abschnitt doppelt (der vorletzte “In manchen Beiträgen wird…”).

    Massenstrandungen machen mich immer sehr traurig. Vermutlich weil da so ein offensichtlicher sinnloser Tod in Masse stattfindet. Außer ein paar Aasfressern hat nichtmal irgendwer was davon.

    Gruß
    Aginor

  2. @Aginor liegt die Betroffenheit nicht eigentlich nur an dem Blickwinkel den wir gerade haben? Ein singuläres Ereignis wie ein Flugzeugabstürz macht uns betroffener als die ganzen täglichen Verkehrstoten. Und 5 tote in einem U Boot die wahrscheinlich einfach nicht zu einer vernünftigen Risikoeinschätzung was ihr Fahrzeug anging in der Lage waren nehmen die Meisten mehr mit als 100 ertrunkene Flüchlinge. Ich finde das trotz meines Alters immer noch als sehr verwirrend.
    Aber mir wären die Wale lebend im Wasser auch lieber als so.

  3. Könnte es für solche Phänomene denn eine “psychische” Erklärung geben – oder ist das zu weit hergeholt? Dass es den Tieren z.B. zu warm im Meer wird oder dass sie zu viel Stress durch menschenverursachten Lärm ausgesetzt sind? Dann wären die Strandungen vielleicht “Suizide”.

    • @Stephan Schleim: In den vorliegenden Fällen gab es keinen besonderen Lärm. Die Strände sind abgelegen und es war keine besondere Lärmquelle wie Sonar oder Explosionen bekannt.
      Lärm und Verkehr können Wale definitv stressen, allerdings schwimmen sie dann meist weg. Außerdem magern gestresste Wale ab, weil sie die Nahrungsaufnahme unterbrechen – das hatten akustische Analysen z B an Schweinswalen in der Ostsee nachgewiesen.
      https://vet-magazin.de/universitaeten/tiho-hannover/Unterwasserlaerm-Schweinswale.html

      Laute Boote wie z B JetSki und Speedboote können Mutter und Kind scheuchen und so trennen oder auch die Geburt stören, die sich dann nicht wiederfinden – auch das trifft Schweinswale. Da gibt es dann halt verhungerte Kälber oder kalbende Mütter auf dem Seziertisch. Darum fordern Walschützer ja das Verbot solcher Freizeitaktivitäten z B in der Nordseee, nahe der Aufzuchtgebiete. Das ist leider schwierig durchzusetzen, weil Touristen dann meckern, die bösen Walschützer würden ihnen allen Spaß verbieten.

      Schnabelwale schießen bei LFAS-Sonar-Einsatzen panisch aus dem Wasser und sterben dann meist durch zerstörte Gewebe und Innenohren sowie an Taucherkrankheit, sie werden dann sterbend ode rtot angespült.
      Pottwale u a können sich auch verirren und stranden dann, weil sie überfordert sind.
      Dass es ihnen zu warm wird oder sie gezielt Suizid begehen wäre schwierig nachzuweisen. Aber im sich erwärmenden Meer folgen sie halt ihrer nach Norden ziehenden Beute.
      Diese Beispiele hatte ich ja im Text verlinkt.
      Dass ein Wal mit Absicht Suizid begeht, dafür kenne ich bislang nur ein Beispiel: Der Tümmler Peter hatte nach der Trennung von seiner Beszugsperson und Trainerin Mary vermutlich Selbtsmord begangen: er schwamm im Aquarium zum Boden und tauchte einfach nicht mehr auf, sondern erstickte dort. Der Nachweis ist allerdings etwas umstritten:
      https://www.theguardian.com/environment/2014/jun/08/the-dolphin-who-loved-me

      Die Gefahr ist vor allem, dass Wale bei Stress wie Lärm oder durch Feinde blindlings davonschwimmen. Ob sie dadurchstranden können, wird immer wieder diskutiert.
      Finde ich für die vorliegenden Strandungen aus den genannten Gründen nicht stichhaltig.

  4. @ Schleim

    Empfehle: ” Das rationale Tier – Eine kognitionsbiologische Spurensuche” von Ludwig Huber, Suhrkamp

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