Haben Octopusse Alpträume?

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Costello erwachte mit heftigen Bewegungen aus dem Schlaf und begann dann eine Reihe auffallend hektischer Bewegungen. Hatte er einen Albtraum?
Wäre Costello ein Mensch, wäre das für ihn vielleicht unangenehm, aber nichts Ungewöhnliches. Costello ist allerdings kein Mensch, sondern ein Oktopus, der in einem Aquarium der Rockefeller Universität in New York lebt.

Oktopusse sind die Intelligenzbestien unter den Weichtieren und Wirbellosen.
2019 ging bereits ein Video von einem möglicherweise Träumenden Oktopus viral. Rebecca Otey hatte während ihres Praktikums 2017 in Butterfly Pavillon in Colorado einen schlafende Kraken gefilmt. Das achtarmige Weichtier hängt fast bewegungslos im Wasser und zeigt dann ganz plötzlich einen auffallenden Farbwechsel. Farbwellen laufen schnell über seinen Körper. Otey hatte dieses Verhalten so interpretiert, dass der Krake schläft und die Farbwechsel durch Träume ausgelöst werden.
Ob Kraken tatsächlich schlafen und ob sie möglicherweise Träume haben können, dazu später mehr.

Zurück zu Costello: Er ist ein männlicher Octopus insularis, benannt nach einem der Heptopoden des Science Fiction Films „Arrival“ (Einer meiner liebsten SF-Filme der vergangenen Jahre und sicherlich für einen Kraken eine ehrenhafte Benennung).
In dem Video klebt Costello zunächst zusammengekringelt und in entspanntem Beige an der Scheibe seines Aquarium, er scheint zu schlafen.
Plötzlich laufen Farbwellen über den Körper, er nimmt seine Tarnfärbung an. Dann entfaltet er die Arme, rudert damit herum und bläst den Mantel auf. Dann rotiert er hektisch in seinem Aquarium. Mit dem Aufblasen des Mantels erscheint er größer, am Ende der Unterwasser-Akrobatik stößt er eine Tintenwolke aus.

New Scientist: Watch an octopus have a nightmare!

Sowohl das Aufblasen des Mantels, als auch die hektische Aktivität und vor allem die Tintenwolke sind die typische Oktopus-Verteidigungsstrategie.
Dieser Oktopus saß allerdings sicher in seinem Aquarium, es gab weder einen Feind noch einen anderen furchterregenden oder überraschenden äußeren Einfluss, der diese Reaktion hätte erklären können. Darum interpretieren Biologen wie Eric Angel Ramos, ein Postdoc der Vermont Universität, der diese Szene filmte, als Alptraum.

Führte ein Krakentrauma zu einem Alptraum?

Costello fehlte bei seinem Fang und dem unfreiwilligen Umzug ins Aquarium ein Arm, der ihm vermutlich durch einen Angreifer abgebissen wurde. Darum, so mutmaßen Biologen wie Eric Angel Ramos, hat Costello diesen Angriff im Traum noch einmal erlebt. Daraufhin spulte er im Schlaf als Abwehrmaßnahme seine übliche Verteidigungsstrategie ab:
Im Laufe Im Laufe eines Monats beobachteten die Forscher vier kurze Episoden (44–290 Sekunden) identifiziert, in denen der Oktopus abrupt aus dem Ruhe- oder Aktivschlaf erwachte, sich aus seiner Schlafposition löste und „Anti-Prädator“-Verhaltensweisen zeigte, ohne die Anwesenheit eines Prädators. Die längste dieser Episoden ähnelte der arttypischen Reaktion auf den Angriff eines Prädatoren, „was darauf hindeutet, dass das Tier möglicherweise auf ein negatives episodisches Gedächtnis reagierte oder eine Form von Parasomnie zeigte. Diese Ergebnisse verdeutlichen in Verbindung mit aktuellen Erkenntnissen zum Schlaf bei Kraken die Komplexität möglicher schlafassoziierter Verhaltensweisen. Allerdings ist der Schlaf von Wirbellosen noch nicht gut erforscht, es bleiben also noch viele Fragen offen. Die Publikation “Abnormal behavioral episodes associated with sleep and quiescence in Octopus insularis: Possible nightmares in a cephalopod?” von Eric A. Ramos et al wurde bislang nur als Preprint veröffentlicht. Ich bin gespannt, was das Peer Review ergibt und ob die Hypothese belastbar ist.

Krakenschlaf ist noch ein Mysterium

Das Wissenschaftsmagazin LiveScience zitiert dazu auch die Neurobiologin Robyn Crook: „„Wir wissen nicht genug über die Neurowissenschaften des Schlafes bei Kopffüßern, um zu wissen, ob sie überhaupt träumen, geschweige denn Albträume haben“, sagte Robyn Crook (Vergleichende Neurobiologin an der San Francisco State University, gegenüber WordsSideKick.com). Und selbst wenn Kraken träumen, könnten sie auf ganz andere Weise träumen als Menschen, sagte sie. „Es ist nicht etwas, das wir leicht beantworten können“, sagte Crook. „Das ist eine sehr philosophische Frage.“ Obwohl die Verhaltensweisen in diesem Video „sehr interessant“ seien, könnten sie höchstwahrscheinlich durch etwas anderes als Träume ausgelöst worden sein, sagte sie. Der Oktopus könnte zum Beispiel gerade von etwas aufgeschreckt worden sein, sagte Crook. Dieser Oktopus könnte auch Anzeichen von Seneszenz gezeigt haben, sagte sie. Dies ist die Phase im Leben eines Oktopus, die kurz vor dem Tod eintritt, wenn ihr Körper zu zerfallen beginnt.
Kraken werden meist nur 12 bis 18 Monate alte und so verstarb Costello kurz nach den Aufnahmen seiner möglichen Alptraum-Sequenzen. Jetzt bleibt abzuwarten, ob andere Aquarien ähnliche Verhaltensweisen ihrer achtarmigen Stars beobachten – es dürfte mehr neugierige Menschen dazu animieren, Oktopusse zu beobachten und zu filmen.

Octopusse können schlafen

Daniela Meisel war 2011 zu dem Ergebnis gekommen: “Behavioral sleep in Octopus vulgaris” – Kraken können also schlafen (D. V. Meisel, Ruth Anne Byrne, J. A. Mather, Michael J. Kuba: “Behavioral sleep in Octopus vulgaris” ; Vie et Milieu 61(4):185-190,  December 2011).
Aber wie lässt sich so etwas nachweisen?
Schlaf ist für Wirbeltiere ein essentieller Teil ihres Lebens, diese Ruhephase des Körpers ist für sie überlebenswichtig. 
Biologen können Schlaf an den Vitalfunktionen und neurologischen Mustern gut nachweisen. Bei wirbellosen Tieren ist Schlaf weitaus weniger gut untersucht. Meisel hatte dazu 16 Octopusse Tag und Nacht gefilmt. Die Octopusse waren jeweils allein im Aquarium, es gab keine Reize von außen. Die Biologen haben die Aktivitäszyklen der achtarmigen Weichtiere dokumentiert. Klar erkennbar war, dass die Octopusse für ihre Ruhepause einen bevorzugten Ruheplatz hatten, manchmal einen Schlupfwinkel bauten und eine bevorzugte Körperhaltung einnahmen. In der Ruhephase zuckten Arme und Tentakel, außerdem zeigten die Tiere dann eine spezifische Halb- und-Halb-Färbung, die keine Tarnung war. Darum sind Meisel und ihre Kollegen überzeugt: Octopusse schlafen!

Können Octopusse auch träumen?

Träumen ist die psychische Aktivität während des Schlafes. Rebecca Otey hatte richtig beobachtet, dass die Kraken in ihrer Ruhephase waren, die dem Wirbeltierschlaf entspricht. Zu Beginn des Videos haben die Oktopusse eine opak-weißliche Färbung.  Dann laufen plötzlich dunkle Farbwellen über den Köper, im Rhythmus der Atmung. Als nächstes überflutet eine dunkle Färbung die Krakenhaut um verblasst schließlich wieder zu fast Weiß.

Die Farbwechsel werden über die Chromatophoren in der Haut hervorgerufen, spezialisierte Farbzellen, die sich kontraktieren oder ausdehnen können. Dazu kommen noch Iridiophoren und Leucophoren. Sie alle zusammen erschaffen die Farben von weißlich mit silbrigem Schimmer über Rot bis zu Dunkelbraun der Krakenhaut. Tintenfische können ihre Hautfarbe aktiv und schnell verändern. Die Farbe dient der Tarnung und der Kommunikation, soviel ist heute sicher.

Auch wenn die Tintenfisch-Forschung bereits seit Jahren auch den Schlaf dieser Tiere erforscht, gibt es da noch viele offene Fragen, erklärt Sara Stevens vom Butterfly Pavilion, gegenüber Live Science. Dass Octopusse eine dem REM-Schlaf der Wirbeltiere ähnliche Schlafphase haben, die auch für das Träumen wichtig ist, ist zwar eine Hypothese, aber bislang noch nicht endgültig bewiesen: “It’s been hypothesized that octopus species can exhibit something very similar to REM cycles in humans — but the jury’s still out on whether they’re achieving REM sleep”.

Das liegt auch daran, dass Octopusse nicht ein einziges Zentralnervensystem wie Wirbeltiere haben, sondern neben ihrem zentralen Ganglion im Kopf auch noch in jedem Arm ein untergeordnetes Arm-Gehirn. Wie die Schlaf-Koordination und dann noch mögliche Träume dieser Nervenknoten aussehen könnte, ist vollständig ungeklärt. Dass der Farbwechsel einen traumartigen Grund haben könnte, ist allerdings eine naheliegende Interpretation.

Träumen Octopusse von elektrischen Kalmaren?

Octopusse werden, da ihre Nervenstruktur so ganz anders ist, als die der Wirbeltiere, mittlerweile als Inbegriff einer fremdartigen Intelligenz betrachtet. Der dabei manchmal gebrauchte Begriff „alien“ ist immer mal wieder als „außerirdisch“ interpretiert worden, was dann regelmäßig zu großflächiger Medienhysterie führt. Dabei bedeutet „alien nur „fremdartig“ – schließlich trennen die Weichtiere und die Chordatiere (inkl. der Wirbeltiere – also wir) fast 600 Millionen Jahre Evolution.
Der australische Philosoph Peter Godfrey-Smith hat sich immer wieder mit der Intelligenz und auch dem Bewußtsein des Octopus beschäftigt – natürlich war auch er zum Video des Träumenden Octopus interviewt worden. Der Sydney Morning Herald hatte ihn dazu interviewt  – “Professor Godfrey-Smith said it is not clearly known. It appears cephalopods engage in some sleep-like activity, with something similar to rapid-eye movement.”. Godfrey-Smith konnte also nur bestätigen, dass Octopusse  schlafähnliche Zustände zeigen, inklusive der schnellen Augenbewegungen (rapid-eye movement = REM), die für die traumintensive REM-Schlafphase der Säugetiere und Vögel so charakteristisch sind.

Die Überschrift des Sydney Morning Herald „Träumen Octopusse von elektrischen Kalmaren?“ ist eine Reverenz an den berühmten dystopischen Roman von P. K. Dick: “Träumen Androiden von elektrischen Schafen?“ (Do Androids Dream of Electric Sheep? – 1968), der 1982 als „Blade Runner“ von Ridley Scott verfilmt das Cyberpunk-Zeitalter in die Kinos brachte. Der Film basiert eher locker auf der Roman-Idee, in Buch und Film geht es darum, wie menschlich oder menschenähnlich Androiden – humanoide Roboter – sind.
Damit ist der Octopus mal wieder als Liebling der Nerds, Ikone der Science Fiction und Quasi-Alien ehrenhalber in die Schlagzeilen geraten.

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Auf dem Science-Blog „Meertext“ schreibe ich über meine Lieblingsthemen: Biologie, Zoologie, Paläontologie und das Meer. Wale, Fische und andere Meeresgetüme. Tot oder lebendig. Fossile Meere, heutige Meere und Meere der Zukunft. Die Erforschung, nachhaltige Nutzung und den Schutz der Ozeane. Auf der Erde und anderen Welten. Ich berichte regelmäßig über Forschung und Wissenschaft, hinterfrage Publikationen und Statements und publiziere eigene Erlebnisse und Ergebnisse. Außerdem schreibe ich über ausgewählte Ausstellungen, Vorträge, Bücher, Filme und Events zu den Themen. Mehr über meine Arbeit als Biologin und Journalistin gibt´s auf meiner Homepage “Meertext”.

14 Kommentare

  1. Bei menschlichen Gehirnen konnte man messen, dass sich neuronale Aktivierungswellen mit verschiedenen Intensitäten und Richtungen über das Gehirn ausbreiten – wie LaOla-Wellen. Offenbar erhält das Gehirn mit diesem ´Training´ seine Funktionsfähigkeit aufrecht. Die Aktivität von Neuronen die sich in einem Zustand oberhalb bzw. unterhalb der Wahrnehmungsschwelle befinden – können dabei so abgeschwächt bzw. angeregt werden, dass Aktivitäten verschwinden bzw. aktiv werden.
    Diese neuronalen Aktivitätswellen sind ein Grund warum Gedächtnisinhalte im Traum bzw. Tagtraum erscheinen bzw. wie Kreativität entsteht.

    Wenn im Gehirn von Octopussen ähnliche Funktionsmechanismen ablaufen – könnte dies eine Erklärung für das beobachtete Verhalten sein.

    • @KRichard: ja, bei Menschen ist das gut untersucht. Octopusse sind allerdings extrem anders, auch bezüglich ihres teilweise dezentralisierten Nervensystems. Ich bin sehr gespannt, was da noch an Forschungsergenissen kommt.

  2. Gibt es bei Octopussen evtl auch so etwas wie eine Epilepsie? Ein Verhalten im Schlaf müsste ja bei allen Octopussen ähnlich sein. Der Octopus Costello scheint jedoch etwas Besonderes geboten zu haben. Gibt es EEG-Registrierungen von Octopussen?

  3. Vielleichts liegts ja an meinem Browser (FF) oder PC; aber bei mir ist der Absatz unter “Krakenschlaf” doppelt

  4. Ein wirklich interessanter Artikel. Übrigens ist der Text im Abschnitt “Krakenschlaf ist noch ein Mysterium” doppelt vorhanden.

  5. Nachtrag:
    Es freut mich, dass meine Bilder jemandem gefallen.
    Als die Web-Comic-Serie Sandra und Woo zu Ende ging,
    habe ich insgesamt 11 Plagiate davon angefertigt.
    Hier sind die ersten 10 Plagiate in einem Bild:
    http://s880616556.online.de/YUNAWOO.png
    Der Oktopoden-Humor Nummer 2 ist ein kombiniertes
    Puri-Andini(links)-Sydney-Padua(rechts)-Plagiat.
    Der kleine Dämon Kevin Asmodias stammt von Sarah Burrini.
    Hier ist noch das 11. Plagiat:
    http://s880616556.online.de/ZEITMAS3.png
    Diese Näherungsgleichung für die Temperatur
    des Universums dürfte ungefähr richtig sein.
    Die zeitliche Unbestimmtheit der Energie von
    virtuellen Photonen ist aber sicher falsch.

  6. Ich finde es faszinierend, wie die Forschung immer wieder feststellt, dass viele der “Alleinstellungsmerkmale” des Menschen gar keine solchen sind.

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