Buckelwale: Seetang als Spielzeug und zum Schubbern

Beim Kelping beschäftigen sich Buckelwale (Megaptera novaeangliae) mit Teilen von Seetangen (Kelp). Sie tragen die zähen Meeresgewächse umher, balancieren sie auf der Schnauzenspitze oder schwimmen in die Kelpwälder hinein. Dieses Kelping ist 2007 erstmals wissenschaftlich beschrieben worden und wird in allen Meeren beobachtet, von WalexpertInnen und anderen Walfans, nicht nur von Buckelwalen.

Jan-Olaf Meynecke und Hilla Kela (Griffith University, Australien) hatten drei Fälle von „Kelping“ an der Ostküste Australiens auf Luftaufnahmen, sowie 100 andere dokumentierte solcher Interaktionen von Walen mit Algen aus der ganzen Welt analysiert: 163 Bartenwale, davon 95 Buckelwale, 2 Grauwale, 2 Südliche Glattwale und 1 Nördlicher Glattwal. Meist waren es erwachsene Wale, die mit dem Tang interagierten. „Die Verwendung von Objekten durch Wale ist gut bekannt, und über ihre Fähigkeit, in komplexen Verhaltensweisen mit ihrer Umgebung zu interagieren, wurde bereits früher berichtet“, sagte Dr. Meynecke. Bartenwale wurden bislang aber seltener beim Gebrauch von Objekten beobachtet, dabei könnten solche Interaktionen viel häufiger vorkommen als bisher angenommen.“

Zur Erklärung gibt es mehrere plausible Theorien, erklärt Meynecke in seinem Beitrag für The Conservation: „Dieses Verhalten kann spielerisch sein, es könnte aber auch zusätzliche Vorteile im Zusammenhang mit Lernen und Geselligkeit sowie der Entfernung von Ektoparasiten und der Hautbehandlung durch die Nutzung der antibakteriellen Eigenschaften von Braunalgen bringen.“

MDPD: “Whale ‘kelping’: humpbacks’ playful seaweed interactions revealed worldwide

Kelp zieht Wale an

Für ihre Publikation “What’s at Play: Humpback Whale Interaction with Seaweed Is a Global Phenomenon” waren Jan-Olaf Meynecke und Hilla Kela nicht etwa zu einer Weltreise über die Ozeane aufgebrochen, sondern haben in sozialen Netzwerken recherchiert. Obwohl dieses Verhalten schon seit 2007 wissenschaftlich beschrieben wurde, waren die beiden ziemlich überrascht, wie viele Hinweise und Bilder von mit Kelp spielenden Buckelwalen sie dort fanden. So versessen seien die großen Meeressäuger auf Kelp, dass sie sogar ihre Gruppe verlassen, um Kurs auf den nächsten Bestand zu nehmen, wie Drohnenaufnahmen zeigten.

Das könnte auch daran liegen, dass es im offenen Meer außer anderen Meerestieren nicht sehr viele Spielobjekte gibt, und darum die in allen gemäßigten und kühleren Gewässern vorkommenden zähen Tange ein beliebtes Spielzeug sind. Die normalerweise fest am Boden verankerten meterlangen Kelpe werden durch Strömungen und Wellenschlag oft losgerissen und treiben dann an der Meeresoberfläche umher, viele von ihnen haben Schwimmorgane wie etwa große luftgefüllte Blasen. Wind und Wellen wirbeln die Gewächse dann umher, als wären sie lebendig.

Manchmal drapieren sie Tangstücke oder ganze Knäuel wie Hüte auf dem Kopf oder tragen sie wie Bänder über den Flossen und lassen sie in der Strömung flattern. In Gruppen lebende Wale teilen ihre grünbräunlichen Spielzeuge auch gern zu mehreren.

Nicht nur Buckelwale balancieren diese natürlichen Objekte gern auf der empfindlichen Schnauzenspitze oder bugsieren sie mit den Flossen.
Auch Orcas verschiedener Bestände werden immer wieder beim Kelping beobachtet:

Viele Säugetiere und Vögel, die kognitiv hoch entwickelt sind, spielen miteinander oder allein, ob zum Lernen, als sozialem Event oder zum individuellen Zeitvertreib. Dass Wale spielen, ist längst von vielen Arten bekannt, nicht nur von Jungtieren, sondern auch von Erwachsenen.

Gutes Feeling mit (Kelp-)Peeling

Neben dem spielerischen und sozialen Aspekt, der bei Walen einen wichtigen Teil ihrer Kulturen ausmacht, nutzen sie den Kelp wohl auch zur Körperpflege. Die empfindliche Walhaut wird oft durch Parasiten befallen oder durch Algen- und Bakterienrasen bedeckt. So wirken manche Wale durch den starken Diatomeenbewuchs gelblich, Blauwale in der Antarktis wurden früher deshalb auch Schwefelbäuche genannt. Das Abstreifen solcher Algenrasen ist möglicherweise ein Aspekt für ihre langen Wanderungen, die Mikroorganismen sind mit dem schnellen Temperaturwechsel überfordert.

Tange sind ein willkommener Untergrund für die Ansiedlung von Muscheln, Schnecken, Seepocken, Moostierchen und anderen Lebewesen, von denen so einige scharfkantige Kalkkrusten haben. Genau diese Kalkkrusten könnten den Buckelwalen helfen, ihre Körperoberfläche abzubürsten. Gerade bei dieser Art sind vor allem die Knubbel auf der Schnauze, die langen weißen Flipperkanten und die Fluke oft dichte besetzt mit Seepocken und parasitären Krebsen wie Walläusen, die Juckreiz verursachen dürften. Die Meeressäuger könnten also Kelpstücke mit Kalkbewuchs wie Bürsten nutzen, oder sich gleich im dichten Kelpdickicht mit seinem Aufwuchs zum Ganzkörper-Peeling wälzen, so vermuten Jan-Olaf Meinecke und Hella Kela.

Diese Ektoparasiten könnten per Tang-Bürste zumindest teilweise dezimiert werden. Außerdem nehmen die Bartenwale Tang auch ins Maul, obwohl sie ihn nicht fressen. Vielleicht, so vermutet Olaf Meynecke, nutzen sie ihn auch im Maul zur Reinigung. Abgesehen von dem kalkigen oder chitinigen kratzenden Bewuchs fühlen sich Seetange wie Samt an, meint der Forscher. Vielleicht streicheln sich die Wale damit auch gern die sensible Haut.

Das Bedürfnis zum schubbern, oder schubbern lassen ist auch von anderen Walarten bekannt. So nutzen nordpazifische Orcas einen bestimmten Strandabschnitt von Vancouver Island, den Pebble Beach, um dort im flachen Wasser auf den runden Steinen im niedrigen Wasser den Bauch abzuschubbern. Darum ist dieser Strand für Menschen gesperrt. Mit diesem Kiesel-Peeling entfernen sie lose Hautschuppen und möglichen Algenbewuchs. Eine glatte Haut ist gerade für schnelle Jäger wie Schwertwale wichtig, denn lästiger Bewuchs setzt ihre Hydrodynamik herab. Das gleiche Bauchkratzen am Meeresboden wurde Anfang 2023 auch erstmals für Buckelwale beschrieben.
Die Grauwale der Lagunen vor Kalifonien nutzen gelegentlich Whale Watching-Exkursionen als Gelegenheit, sich bürsten zu lassen: Ein Bekannter erzählte mir, wie sich die großen Wale neben dem Boot bereitwillig auf den Rücken rollten, um sich den Bauch bürsten zu lassen. Das Boot hatte für genau diesen Zweck einen Schrubber dabei.

Das Bedürfnis zum Schubbern, Streicheln, Beknabbern, Bürsten ist für viele soziale Säuger und auch Vögel ein typisches Bedürfnis. Landlebende Tiere benutzen dazu oft Bäume oder wälzen sich auf dem Untergrund. Bei domestizierten Tieren gehört es oft zum Sozialverhalten zwischen Mensch und Tier. Haustiere werden gekrault, gebürstet oder gestreichelt, andere domestizierte Arten wie Kühe oder Ziegen haben in Gehegen, die das Tierwohl berücksichtigen, aufrecht stehende Bürsten. Wenn man sich anschaut wie genussvoll dies geschieht, kann man unschwer erkennen, wie wichtig es für ihr Wohlergehen ist.

Tangwälder zum Verstecken und futtern

Buckelwale nutzen Tangwälder auch noch anders: Gerade allein ziehende Mütter mit ihren noch langsamen Kälbern nutzen küstennahe Tangdickichte als mögliches Versteck vor Orca-Angriffen. Wie effektiv das ist, vermag ich nicht zu beurteilen. Mit ihrem Sonar und ihrer Wendigkeit sollte ein Kelpwald für die schwarz-weißen Zahnwale kein großes Hindernis darstellen. Wieviel Kelpdichte es braucht, um das Sonarsignal zu blocken, ist nicht bekannt. Allerdings könnte das Gewächsdickicht tatsächlich eine koordinierte Hetzjagd eine Orca-Rudels verhindern oder zumindest erheblich erschweren.
Außerdem könnten sich die Bartenwale in solchen Kelpbeständen, die ein Hot Spot für Biodiversität sind, durchaus auch einige Häppchen Fisch schnappen.
Wir hatten auf einer Sonnenfinsternis-Exkursion 2019 in Chile in der Bucht vor Antofagasta einen Buckelwal beobachtet, der sich im Kelpgürtel nahe des Strandes beobachtet. Furchtbar gern wäre ich schnell ins Wasser gesprungen, um ihm etwas näher zu kommen – das war wegen der winterlichen Wassertemperaturen leider ausgeschlossen. Aber ich hätte furchtbar gewusst, was der Meeressäuger dort treibt.

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https://meertext.eu/

Auf dem Science-Blog „Meertext“ schreibe ich über meine Lieblingsthemen: Biologie, Zoologie, Paläontologie und das Meer. Wale, Fische und andere Meeresgetüme. Tot oder lebendig. Fossile Meere, heutige Meere und Meere der Zukunft. Die Erforschung, nachhaltige Nutzung und den Schutz der Ozeane. Auf der Erde und anderen Welten. Ich berichte regelmäßig über Forschung und Wissenschaft, hinterfrage Publikationen und Statements und publiziere eigene Erlebnisse und Ergebnisse. Außerdem schreibe ich über ausgewählte Ausstellungen, Vorträge, Bücher, Filme und Events zu den Themen. Mehr über meine Arbeit als Biologin und Journalistin gibt´s auf meiner Homepage “Meertext”.

2 Kommentare

  1. Das Bedürfnis zum Schubbern, Streicheln, Beknabbern, Bürsten ist für viele soziale Säuger und auch Vögel ein typisches Bedürfnis. Landlebende Tiere benutzen dazu oft Bäume oder wälzen sich auf dem Untergrund.

    In den Zoo-Dokutainment-Serien der ARD kann man sehr gut beobachten, wie die unterschiedlichsten Tiere ein Kraulen oder Kratzen genießen. Ob mit der Hand oder einzelnen Fingern, ob mit Schrubber, Wurzelbürste oder Ast: Es ist (fast) immer dasselbe Schauspiel.

    Säugetier, Vogel, Echse oder selbst Amphibium halten still bzw. recken die besonders pflegebedürftigen Körperteile den Pflegern entgegen. Die Augen werden verdreht, man hört verzückte Laute in den unterschiedlichsten Tonarten.

    Und wenn doch schließlich ist, meint manchmal, dass von den Tieren geradezu vorwurfsvolle Blicke auf die Mitarbeiter geworfen werden: “Was, du hörst schon auf? Das geht aber gar nicht!” Bzw. mit Pfoten, Schnauzen, Schnäbeln etc wird nach menschlichen Körperteilen gegriffen/gepickt, und es werden energisch weitere Pflegeeinheiten angefordert.

    Die Blicke bzw. die berührende Aufforderung mit der Pfote kenne ich z.B. vom Hund meiner Eltern. Wenn man ihm dann aber die Zugabe gönnt, dann ist er in den allermeisten Fällen doch zufrieden. 😀

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