Buch-Rezension: Superbrain-Comics “Wale” und “Dinosaurier”

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Die Superbrain Comics auf Deutsch beginnen ihre Reihe mit zwei für mich total anziehenden Themen: Wale und Dinosaurier. Außerdem mag ich Comics und Graphic Novels sehr gern und halte sie in der Wissenskommunikation gerade in Deutschland für immer noch gnadenlos unterschätzt.
Die Sach-Graphic Novels oder Science Comics sind eine Übersetzung aus dem Englischen: “Dive deep with Science Comics: Whales, a new and exciting volume of First Second’s nonfiction graphic novel series! Every volume of Science Comics offers a complete introduction to a particular topic – dinosaurs, the solar system, volcanoes, bats, robots, and more. Whether you’re a fourth grader doing a natural science unit at school or a thirty-year-old with a secret passion for airplanes, these books are for you!” schreibt der Verlag First Second.
Wale und Dinosaurier sind ja meine Themen. Und dann noch ein Schnabelwal als Hauptperson?
Das musste ich lesen! Hier ist meine Rezension.

„Die Geheimnisse der Wale“

Der Schnabelwal Flitz flitzt durch den Ozean und interviewt für seinen Podcast andere Wale, so die Storyline des Superbrain Comics „Die Geheimnisse der Wale“.

Da die tieftauchenden immer noch mysteriösen Schnabelwale mit den bizarren Köpfen meine liebsten Wale sind, war das für mich natürlich ein Must-Read. Sehr schöne Idee, mal diese wenig bekannte Wal-Familie vorzustellen, statt mal wieder einen der ewig gleichen Delfine als Hauptakteur einzusetzen.
In Deutschland werden sie vom Löwe Verlag vertrieben und sind empfohlen ab 9 Jahren. Die etwas vermenschlicht dargestellten Wale auf dem Cover und auch im gesamten Comic richten sich definitiv an jüngeres Publikum.

Der Comic steigt ein mit dem komplexen Thema von Schall, Echolokation und der Hörwelt der Wale. Es geht sofort in Spezialinformationen hinein, mit sehr viel Text und hoher Informationsdichte. Ich empfinde es als gut erklärt.
Jedenfalls für mich. Allerdings wird das abstrakte Thema der Schallerzeugung und des Unterwasserschalls breit erklärt, mit vielen Fachbegriffen und sehr vielen Details. Dabei werden auch die Unterschiede der Schallerzeugung bei Zahn und Bartenwalen mit vorgestellt. Und zwar, bevor Wale grundsätzlich und die Unterschiede zwischen den Zahn- und Bartenwalen erklärt werden. Ich bin nicht sicher, ob dem alle Leser folgen können.

Auf Seite 27 wird das Geheimnis des langen und tiefen Tauchens der Wale erklärt. Z.B mit ihrer besonderen Speicherung von Sauerstoff in ihren Muskelgeweben. Da kommen Begriffe wie Hämoglobin, Protein und andere Fachworte vor. Es ist zwar alles irgendwie erklärt, aber ob jemand im Alter von 9 Jahren das so nachvollziehen kann, wage ich zu bezweifeln. Auch wenn grinsende Moleküle durchs Bild hüpfen. Nach meinen eigenen Erfahrungen in der Museums- und Umweltpädagogik kann man das zwar auch Grundschulkindern erklären, sollte dann aber bei einzelnen ausgewählten Informationen bleiben, schließlich haben die Kinder erst in der weiterführenden Schule Chemieunterricht. Grundschulkinder jedoch haben kaum die Grundlagen und das Vokabular, um physiologische und biochemische Sachverhalte zu begreifen. Solche Informationen sollte man ihnen also besser wohldosiert vorstellen, damit sie nach genügend Zeit zum Verstehen haben und nicht frustriert “die Ohren zumachen”.

Auf Seite 33 trifft Flitz dann einen Pottwal. Der gewaltige Leviathan erklärt sein Gebiss aus dem großen kegelförmigen Zähnen. In Worten, in einer Sprechblase. Der Comic nutzt also nicht die grafischen Möglichkeiten des Mediums für eine Abbildung, die sich gerade bei der Erklärung des Gebisses so besonders gut anbietet, sondern nutzt die Bilder nur als Illustration von viel Text. Auch im Dialog zwischen zwei Wale wird der Inhalt nicht besser verständlich. Dafür gibt es dann richtig gute Abbildungen vom Innenleben des Pottwals: In den Umriß des großen Zahnwals sind über mehrere Seiten sein Skelett und die inneren Organe eingezeichnet. Sehr plakativ.
Warum hier aber nicht das außergewöhnliche Familienleben der Pottwale vorgestellt wird, verstehe ich nicht. Die alten Bullen leben den größten Teil des Jahres getrennt von den Familiengruppen aus Müttern und dem Nachwuchs. Die kleinen Pottwale müssen nicht nur tauchen, sondern auch „sprechen“ lernen – die Klick-Sprachen der Pottwale und ihre Kulturen sind topaktuelle wichtige Forschungsgebiete.

Bei der Evolution gibt es zum Einstieg gute Bild-Text-Strecken. Allerdings verliert sich die Graphic Novel dann wieder in Details und Fachbegriffen, die für Laien und gerade für junge Menschen meiner Ansicht nach ungeeignet sind. So wird auf Seite 64 das Involucrum vorgestellt, ein Gehörknöchelchen. Das ist so speziell, dass es dazu nicht einmal einen Wikipedia-Eintrag gibt. Warum ausgerechnet das Involucrum vorgestellt ist und nicht die bei Walen auffallendere extrem vergrößerte Paukenhöhle (Bulla tympanica) und das extrem schwere Felsenbein (Os petrosum), erschließt sich mir nicht.  Die Umbildung des Gehörs ist natürlich ein zentraler Punkt in der Evolution der Wale, genauso wie das Rollbein (Astrogalus) im Sprunggelenk. Urwale hatten nämlich ein Huftier-Rollbein (Astragalus), das ihre Herkunft aus den Huftieren zeigt. Dafür hätte es aber ganz dringend statt detaillierter Abbildungen dieser einzelnen Knochen deren Lage im Walskelett gebraucht und mehr Überblicks-Informationen. Auch ein grundsätzlicher Vergleich eines Walskeletts mit einem menschlichen Skelett hätte nicht nur Kindern sicherlich die Einordnung erleichtert.

Comics_Wale: Copyright Wale Illustration Pat Lewis, Text Casey Zakroff © 2024 Loewe Verlag GmbH, Bindlach

Die Vorstellung anderer Schnabelwal-Arten hat natürlich mein Entzücken hervorgerufen, die sind schließlich viel zu wenig bekannt.
Die Delphine und Schweinswale hingegen, die als Küstenbewohner viel häufiger gesichtet werden, sind sehr unterrepräsentiert. Da die meisten Menschen am ehesten in Kontakt mit diesen oft küstennah vorkommenden Kleinwalen kommen, wäre das vielleicht eine wichtige Anbindung an die Lebewelt der LeserInnen gewesen. Mir ist aber natürlich bewusst, dass man gerade bei großen Themen immer eine Auswahl treffen muss. Und zumindest ich habe mich über die Vorstellung der exotischen Schnabelwale gefreut.
Die Ozeanverschmutzung auf Seite 105 dürfte für jüngere Menschen wieder schwierig verständlich sein. Die chemischen Fachbegriffe vermitteln Details, die aber ohne Fachwissen und Background für viele jüngere und ältere Menschen schwer verdaulich bleiben. Dafür ist der Beifang ab Seite 106 ausgezeichnet erklärt und ja auch wirklich ein wichtiges Thema.

Vielleicht wäre es eine gute Idee gewesen, die einzelnen großen Themen in verschiedene Kapitel zu unterteilen. So verläuft der Comic von der ersten bis zur letzten Seite unstrukturiert, das dürfte für Laien zum Verständnis nicht beitragen. Eine stärkere Sortierung in Themen und Arten hätte sicherlich die „Usability“ erhöht. So hätte z. B. mit jeder vorgestellten Walart/Walfamilie ein Themenkomplex erklärt werden können.

Die total süßen (für mich etwas zu süßen) Comic-Wale richten sich klar an die Zielgruppe Kinder, wie ja auch in der Altersempfehlung ab 9 Jahren deutlich wird. Der Text hingegen erscheint mir selbst für Erwachsene teilweise zu anspruchsvoll. Neben der extrem hohen Informationsdichte erschweren zu viele Fachbegriffe den Lesefluß. Auch wenn diese Begriffe später zumindest teilweise erklärt werden, stören sie doch erst einmal beim Lesen oder Zuhören.  

Was ich vermisse, sind Informationen über das Familienleben und das Aufwachsen der Walkälber und den Familien. Gerade im Sozialverhalten gibt es ja im Moment gigantische Forschungsfortschritte. Mittlerweile wird immer mehr Walarten Kultur und Sprache zugesprochen, was zu einem vollkommen neuen Mensch-Tier-Verständnis führt. Das wäre meiner Ansicht nach auch deshalb ein besonders wichtiges Thema gewesen, weil es an die Lebewelt von Kindern anknüpft. Das Aufwachsen in der Familie, das Lernen von Sprache und anderen kulturellen Leistungen (bei Walen sind dies die z. B. Jagdmethoden) stehen schließlich im Zentrum der kindlichen Lebewelt.
Dann hätte der Schnabelwal die Kinder an die Hand – oder an die Flosse nehmen können – zum gemeinsamen Entdecken der Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Menschen und Meeressäugern.

Die Verniedlichung in Bildern und Verhalten hat mich gerade angesichts der sonstigen Sachlichkeit etwas gestört. Wenn der Schnabelwal einen Orca interviewt, ist das ein krasser Gegensatz zum sonstigen hohen inhaltlichen Anspruch des Comics. Schließlich sind Orcas die Todfeinde der kleineren Zahnwale, viele Schwertwale ernähren sich von anderen Walen jeder Größe.
Die für Zahnwale mittelgroßen Schnabelwale haben ihre Sprache und Kultur unter dem Aspekt, Orcas zu entfliehen, entwickelt. Sowohl ihre akustisch reduzierte Klick-Sprache ohne Pfiffe und Gesänge sowie ihr extrem tiefes Abtauchen dienen dazu, der Aufmerksamkeit der großen schwarz-weißen Zahnwale zu entgehen. Der Schnabelwal-Massentod ganzer Familiengruppen durch Marine-Sonar (LFAS-Sonar zur U-Boot-Abwehr) ist wissenschaftlich auch durch ihre Angst vor den Schwertwalen erklärt worden – das LFAS-Sonar ähnelt akustisch den Orca-Rufen. Dadurch erschreckt es Schnabelwale zu Tode und sie versuchen durch Notauftauchen ihren Fressenfeinden zu entkommen – beim viel zu schnellen Auftauchen erleiden sie Taucherkrankheits-Symptome und stranden dann sterbend mit blutigen Ohren.
Diese Details wären für eine Graphic Novel für junges Publikum viel zu viel gewesen. Aber mit diesem Hintergrundwissen sehe ich den forschen Flitz als Protagonisten kritisch.

Mein Fazit:
Insgesamt klaffen Bilder und Text, Ansprache und Inhalt bei dieser Graphic Novel weit auseinander. Trotz guter Ideen, vielen tollen Informationen und schönen Bildern bin ich nicht sicher, ob dieser Comic für die avisierte junge Zielgruppe so gut gelungen ist. Zum Selberlesen ist er mit seinen komplexen Texten und der Informationsflut vielleicht weniger geeignet, als der Herausgeber und die Autoren das so beabsichtigt haben. Sicherlich besser geeignet ist er zum gemeinsamen Lesen für interessierte Kinder und interessierte Erwachsene.
Dennoch insgesamt sehr lesens- und anguckenswert.

Geschrieben von Casey Zakroff, der als Meeresphysiologe erforscht, wie sich Stress auf wirbellose
Meerestiere (zum Beispiel Tintenfische) auswirkt. Aufgewachsen ist Zakroff an den
Küsten von Florida und Maine, wo er seine Leidenschaft für das Meer entdeckte. Er
hat in Biologischer Ozeanografie promoviert, während er an seiner ersten Graphic
Novel schrieb: „Superbrain Comics: Die Geheimnisse der Wale.
Gezeichnet von Pat Lewis, freiberuflicher Illustrator und Cartoonist, der mit seiner Frau und
zwei Katzen in Pennsylvania lebt. Seine Arbeiten sind bereits in Zeitschriften und in
den Büchern diverser Verlage erschienen. Zu seinen Lieblingsbeschäftigungen
gehört Flohmärkte besuchen, Monsterfilme schauen und Nachos naschen. Und
natürlich: lustige Bilder für Kinder und Erwachsene zeichnen.

Casey Zakroff: Superbrain-Comics – Die Geheimnisse der Wale
Tauche ab in die unbekannte Welt der größten Säugetiere – Die coolsten Sachbücher der Welt
Durchgehend farbig illustriert von Pat Lewis;
ab 9 Jahren, 2024, 128 Seiten
ISBN ePub 978-3-7320-2136-9
ISBN Mobi 978-3-7320-2135-2
9,99 € (D)

„Auf den Spuren der Dinosaurier“

Der zweite Super-Brain Comic „Auf den Spuren der Dinosaurier“ hat weniger niedlich und vermenschlichte Zeichnungen. Stattdessen treten Menschen und Dinosaurier in naturalistischen Abbildungen auf. Die Dinos sind hervorragend gezeichnet, aktiv und interaktiv in ihren Paläo-Ökosystemen. Dadurch werden viele Bilder zu Wimmelbildern, auf denen es sicherlich auch beim wiederholten Lesen immer wieder Neues zu entdecken gibt.

Comic_Dinos: Copyright Dinos Illustration Joe Flood, Text MK Reed © 2024 Loewe Verlag GmbH, Bindlach 

Die neutrale Erzählperspektive transportiert die Inhalte ausgezeichnet, die dynamischen Abbildungen und Interaktionen bringen Spannung in die Erzählung. Eine gute Einführung und eine bessere Strukturierung in historische und aktuelle Dinosaurier-Forschung und narrative Bild-Text-Strecken aus dem Leben der Dinosaurier machen das Lesen zum Vergnügen. Die geographischen Karten und Infografiken etwa zur Systematik der Dinosaurier geben immer schnelle Überblicke, bevor es an Details geht. Die echten erzählerischen Strecken sowohl über die Forschungsgeschichte mit den Menschen als auch aus dem Leben der Dinosaurier locken die reichhaltigen Informationen auf, was mir persönlich sehr gut gefällt.

Mein Fazit:
Auch die Dinosaurier-Graphic Novel hat viele spezielle Infos und eine hohe Informationsdichte, verliert sich aber nicht in so extremen Details und vermeidet nicht unbedingt notwendige Fachbegriffe. Gleichzeitig erklärt sie die Forschungsfortschritte der Dino-Forschung mit der Geschichte der Geologie und großen Entdeckungen. Vielleicht macht diese klare zeitliche Entwicklung die Dino-Story auch leichter erzählbar, als die Geschichte der Wale. Was mir auch gut gefällt, sind die weiterführenden Infos für Dinosaurier in Deutschland, der Schweiz und Österreich – da hätte allerdings statt jeweils nur eines Museums gern etwas mehr stehen dürfen.

Gezeichnet von MK Reed, der Autorin von dem für den Eisner Award nominierten Band „Auf den Spuren der Dinosaurier“ der Superbrain-Comics und von „Americus“, „The Cute Girl Network“ und „Palefire“. Sie schreibt und zeichnet „About a Bull“, eine Web-Comic-Adaption der irischen Mythologie. Reed lebt mit ihrem Ehemann in Portland in Oregon.
Gezeichnet von Joe Flood, Comicbuch-Autor und Illustrator, zu dessen Werken „Cellies“, „Pirates of the Caribbean“ und „Orcs. Forged for War“ zählen. Gemeinsam mit seiner Frau und seiner Tochter lebt er im Hudson Valley in New York.

MK Reed: Superbrain-Comics – Auf den Spuren der Dinosaurier
Comic-Zeitreise durch die Urzeit – Die coolsten Sachbücher der Welt
durchgehend farbig illustriert von Joe Flood.
ab 9 Jahren, 128 Seiten,
ISBN 978-3-7432-1801-7
15,00 € (D)

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https://meertext.eu/

Auf dem Science-Blog „Meertext“ schreibe ich über meine Lieblingsthemen: Biologie, Zoologie, Paläontologie und das Meer. Wale, Fische und andere Meeresgetüme. Tot oder lebendig. Fossile Meere, heutige Meere und Meere der Zukunft. Die Erforschung, nachhaltige Nutzung und den Schutz der Ozeane. Auf der Erde und anderen Welten. Ich berichte regelmäßig über Forschung und Wissenschaft, hinterfrage Publikationen und Statements und publiziere eigene Erlebnisse und Ergebnisse. Außerdem schreibe ich über ausgewählte Ausstellungen, Vorträge, Bücher, Filme und Events zu den Themen. Mehr über meine Arbeit als Biologin und Journalistin gibt´s auf meiner Homepage “Meertext”.

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