Respektlose Lehnwörter

Tagebücher der Wissenschaft

Tagebücher der Wissenschaft

Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer ist schon öfter durch eine Abneigung gegen englisches Wortgut aufgefallen. Im letzten Jahr strich er zum Beispiel aus dem Wahlprogramm der CSU die „Anglizismen“ heraus und begründete dies mit den Worten: „Wie will man in Deutschland etwas politisch umsetzen, wenn man es nicht mal auf Deutsch sagen kann?“ [PNP.de/Kain 2009]. Andererseits scheint er kein Eiferer zu sein: Ende 2008 sprach er sich dagegen aus, Deutsch als „Staatssprache“ im Grundgesetz zu verankern [DONAUKURIER.de/Rücker 2008].

In den letzten Tagen hat er durch anti-anglizistische Verordnungen für sein Ministerium von sich reden gemacht:

Er erließ für sein Haus ein striktes „Denglisch“-Verbot, also die Vermischung deutscher und englischer Begriffe, berichtete die „Bild“-Zeitung. So heißt das „Travel Management“ im Verkehrsministerium künftig wieder „Reisestelle“.

Statt „Task Forces“ arbeiten bei Ramsauer jetzt wieder „Projektgruppen“. Und statt zum „Inhouse Meeting“ kommen die Ministerialbeamten nun zum „hauseigenen Seminar“ zusammen. „Ich will, dass im Haus wieder mehr deutsch gesprochen wird“, sagte Ramsauer der Zeitung mit Blick auf seine Deutsche-Offensive im eigenen Haus. [WELT.de]

Diese Maßnahmen erscheinen mir nicht übermäßig kontrovers. Wie selbst Sprachnörgler schon verwundert feststellen mussten, versuche auch ich, Fremdwörter zu vermeiden, wenn es weit verbreitete und im Zusammenhang angemessene deutsche Alternativen gibt. Ich tue das nicht aus Angst vor einer Überschwemmung des Deutschen mit fremdem Wortgut, sondern um zu zeigen, wie sprachgewandt und gebildet ich bin. 

Ramsauer geht es aber um mehr. In einem Stern-Interview begründete er sein Verbot gestern so:

Englisch ist eine Weltsprache, die die Menschen verbindet, und das ist auch in Ordnung. Wir aber leben in Deutschland und sprechen unsere Muttersprache. Ich kenne kein Land der Erde, in dem man so respektlos mit der eigenen Sprache umgeht. Millionen Bürger fühlen sich ausgegrenzt, wenn uns Anglizismen inflationär und willkürlich überfluten. [STERN.de]

Diese Begründung vom „respektlosen Umgang“ mit der eigenen Sprache hört man von Sprachpuristen häufig, ebenso wie die Vorstellung, die Deutschen trieben es hier besonders schlimm. Aber stimmt das? Entlehnen die Deutschen besonders viel und halten die Sprecher anderer Sprachen diese typischerweise respektvoll rein von Einflüssen von außen?

Die Beantwortung dieser Frage ist gar nicht so einfach, ich will es aber trotzdem versuchen. Dieser Versuch bietet mir die Gelegenheit, auf ein neues Projekt der Max Planck Digital Library hinzuweisen: Die World Loanword Database. In dieser Datenbank befinden sich sorgfältig kontrollierte Stichproben aus dem Wortschatz von 41 über die ganze Welt verstreute Sprachen, die nach Herkunft kategorisiert sind. So lässt sich erstmals ein repräsentatives Bild über Art und Umfang von Lehngut in den Wortschätzen ganz unterschiedlicher Sprachen erhalten.

Das heutige Deutsch ist in dieser Datenbank leider nicht enthalten [falls Bremer Studierende der Allgemeinen Sprachwissenschaft mitlesen: Wenn Sie für das nächste Semester noch ein BA-Thema suchen und Sie die Frage des Lehnwortanteils im Deutschen interessiert, melden Sie sich bitte bei mir].

Man muss die Vergleichswerte für das Deutsche also zunächst anders beschaffen. Und hier beginnen die Schwierigkeiten. Ich habe nur zwei verlässliche Zahlen gefunden: den Anteil von Entlehnungen am deutschen Gesamtwortschatz und den Anteil von Fremdwörtern am Grundwortschatz.

Der Anteil von Entlehnungen am Gesamtwortschatz wird typischerweise mit 100.000 Wörtern beziffert (z.B. DUDEN Fremdwörterbuch, S. 319 oder Spitzmüller 2005, S. 313). Geht man von einer Gesamtgröße des Wortschatzes von 400.000 Wörtern aus — damit liegt man im Mittelfeld der Schätzwerte –, wären das also 25 Prozent. Das Problem an dieser Zahl ist, dass sie den Anteil an Lehn- und Fremdwörtern im Vergleich zu den aus der World Loanword Database abgeleiteten Zahlen überschätzt, denn in der Datenbank sind eher Wörter für alltägliche Dinge enthalten (die Liste der Wörter habe ich unten verlinkt), und unter diesen Wörtern sind Lehn- und Fremdwörter viel seltener als in abstrakteren sprachlichen Bereichen.

Für den Grundwortschatz des Deutschen gibt es zwar ebenfalls eine Schätzung der DUDEN-Redaktion, aber die bezieht sich eben nur auf Fremdwörter, also auf Lehnwörter, deren fremde Herkunft man ihnen noch ansehen kann. In der World Loanword Database sind solche Wörter aber nicht getrennt erfasst. Die Zahl der DUDEN-Redaktion — die bei sechs Prozent liegt — unterschätz damit den Anteil an Entlehnungen, da sie sprachlich voll integrierte Lehnwörter außer Acht lässt.

Aber wenn wir beide Zahlen zusammen nehmen, erhalten wir eine gute Vorstellung davon, in welchem Bereich sich der Anteil von Lehngut im deutschen Wortschatz bewegt:

Anteil von Lehnwörtern am Wortschatz ausgewählter Sprachen

Mit unserer sprachlichen Respektlosigkeit bewegen wir uns also im weltweiten Vergleich höchstens im Mittelfeld. Wenn Ramsauer Länder kennenlernen will, die uns darin um Längen schlagen, hat er viele Reiseziele zur Auswahl, darunter Indonesien, Japan, Rumänien und die gesamte englischsprachige Welt.

DONAUKURIER.de/Rücker, Martin (2008), Deutsch als Leitsprache, 3. Dezember 2008 [Link].

DUDEN (2005), Das Fremdwörterbuch. 8. Auflage. Mannheim: Bibliographisches Institut.

HASPELMATH, Martin (2003-07), The Loanword Typology Project. Leipzig, Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie [Link].

HASPELMATH, Martin (2003-07), The Loanword Typology Meaning List. Leipzig, Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie [Link].

HASPELMATH, Martin, und Uri TADMOR (2010), World Loanword Database. Max Planck Digital Library [Link].

PNP.de/KAIN, Alexander (2009), Münchner Notizen. Passauer Neue Presse, 26. Juli 2009 [Link]

SPITZMÜLLER (2005), Metasprachdiskurse: Einstellungen zu Anglizismen und ihre wissenschaftliche Rezeption. Berlin, Walter de Gruyter [Google Books].

STERN.de/SCHÜTZ, Hans-Peter (2010), Natürlich chillen meine Töchter (Interview mit Peter Ramsauer), 3. Februar 2010 [Link]

WELT.de (2010), Ramsauer verbietet Englisch in seinem Ministerium, Welt Online, 30. Januar 2010 [Link].

© 2010, Anatol Stefanowitsch

  • Veröffentlicht in: Allgemein
Avatar-Foto

Nach Umwegen über Politologie und Volkswirtschaftslehre habe ich Englische Sprachwissenschaft und Sprachlehrforschung an der Universität Hamburg studiert und danach an der Rice University in Houston, Texas in Allgemeiner Sprachwissenschaft promoviert. Von 2002 bis 2010 war ich Professor für Englische Sprachwissenschaft an der Universität Bremen, im August 2010 habe ich einen Ruf auf eine Professur für anglistische Sprachwissenschaft an der Universität Hamburg angenommen. Mein wichtigstes Forschungsgebiet ist die korpuslinguistische Untersuchung der Grammatik des Englischen und Deutschen aus der Perspektive der Konstruktionsgrammatik.