BHs und Brüste: Irreführende Werbung schürt Krebsangst

Halbnackte Statue mit festen, steinernen Brüsten und Kürbis.

Seit einiger Zeit bekomme ich sowohl auf Facebook als auch auf Instagram Werbung für scheinbar innovative BHs. Die Anbieter ändern sich immer mal wieder, das Video ist aber immer ähnlich. Die Fertigung von BHs wird gezeigt, Schrift erscheint. Unterwäschemarken hätten es in den letzten 20 Jahren nicht ehrlich mit Frauen gemeint. Oho! Eine Verschwörung der internationalen Schlübber-Mafia! Sie hatten meine Neugier, aber jetzt haben sie meine Aufmerksamkeit! 

BHs seien in den letzten 50 Jahren nicht weiterentwickelt worden. Stimmt das? Naja, Brüste sind ja auch so – im großen und ganzen – ziemlich gleich geblieben. Es ist ja jetzt nicht so, als wüchsen sie plötzlich aus den Ohren. Der älteste BH stammt übrigens aus dem Mittelalter. Irgendwas scheint an der 2-Cups-für-2-Brüste-Idee also dran zu sein. Angeblich sei das Umstellen der Maschinen zu teuer – so die Werbung weiter. Deswegen verkaufe man den gutgläubigen Frauen den alten Schund. Denn wir wissen: Mode ist ein sehr kleiner Markt und es lohnt sich nicht, schnell in China ein paar Arbeiterinnen auf Hungerlohn BHs nähen zu lassen.

Screenshot der Werbung. Quelle Facebook.

Und die BHs sind natürlich unbequem – eine Behauptung, die von typischen BH-Problemen bebildert wird. Einschneidende Träger und Bänder zum Beispiel, ein typisches Zeichen eines schlecht sitzenden BHs. Oder ein herausstechender Bügel – häufiges Problem bei schlecht verarbeiteten (billigen) BHs. Aber BHs sind vor allem dann unbequem, wenn sie nicht passen. Und das liegt auch daran, dass die Größen in Deutschland nicht so wirklich auf die Bedürfnisse der Frauen heute ausgerichtet sind. In Großbritannien sind die BH-Größen zum Beispiel kleiner abgestuft. BHs sind heute viel dehnbarer als früher, die Messmethoden veraltet. Einen richtig gut passenden BH zu finden erfordert viel Zeit und fachkundige Verkäufer*innen. Wer Fast-Fashion-BHs kauft, der wird auch nur Fast-Qualität erhalten.

BHs und Brustkrebs – Spiel mit der Angst für Profit

Dann blendet die Werbung weitere Schrift ein: “Eine Studie von 2009 ergab, dass Bügel-BHs der Hauptverursacher für Brustkrebs sind!”

Ja, sapperlott! Ich trage also eine tickende Krebszeitbombe mit mir herum? Nur damit ich keine Rückenschmerzen habe und bei unbedachten Bewegungen niemanden erschlage? Ist das alles nur eine weitere Unterdrückung der Frau, dass sie ihre Weiblichkeit einsperren muss um dann zu früh an einer Krankheit zu sterben? An der sich Big Pharma eine goldene Nase verdient? Arbeiten BH-Hersteller und Big Pharma etwa zusammen? Sind auch die Sarghersteller und Friedhofsfloristen involviert? Womöglich gesteuert von den Echsenmenschen, weil sie keine Säugetiere sind und heimlich die Brüste abschaffen wollen! Was Axel Stoll wohl dazu sagen würde? 

Gefährliche Werbelüge, ausgestrahlt von Facebook für dubiose BH-Firmen. Screenshot.
 Nun ernsthaft - ist da was dran? 

Nö.

Es ist eine Mär, ein Ammenmärchen, Fake News, das Gegenteil der Wahrheit, ein alternativer Fakt.

Eine epidemiologische Studie von 2014 des National Cancer Intsituts postulierte zum Beispiel, dass es keinen Zusammenhang gibt.

Kein Aspekt des BH-Tragens, einschließlich der BH-Cup-Größe, der Aktualität, der durchschnittlichen Anzahl der Trage-Stunden/Tag, des Tragens eines BHs mit Bügel oder des Alters, in dem der BH zum ersten Mal regelmäßig getragen wurde, war mit dem Risiko eines invasivem Duktalkarzinoms (Milchgänge) oder eines invasivem Lobularkarzinoms (Drüsenläppchen) verbunden.

Chen, Malone and Li, 2014

Ein alter Mythos

Der Krebsinformationsdienst (KID) listet krebsverursachende BHs als Mythos auf. Den Ursprung des Mythos’ sieht der KID in einem Buch, welches das “Abklemmen der Lymphbahnen” durch BHs – insbesondere bei großen Brüsten – als Grund für ein erhöhtes Krebsrisiko durch BHs sah. Das könnte ein sehr einfacher Fehlschluss sein. Einer der wirklichen Hauptrisikofaktoren für Krebs, noch vor Rauchen und Alkohol, ist Übergewicht. Und übergewichtige Frauen haben oft auch große Brüste. 

Marketing-Lügen 

Das Buch “Dressed to Kill” hatte in den 90er Jahren für Verunsicherung bei vielen Frauen gesorgt. Dessen Autoren hatten die These mit den Lymphgefäßen in Umlauf gebracht. Das “Blockieren” der Lymphgefäße würde zu einem Stau an Giftstoffen in der Brust führen, was wiederum Krebs begünstigt. Dem gegenüber stehen zum Beispiel Daten von  4.863 Frauen, die aus medizinischen Gründen Lymphknoten unter dem Arm entfernt bekommen hatten, so dass es eine tatsächliche Blockade der Lymphgefäße gab. Sie hatten kein höheres Krebsrisiko

Die Operation, von der bekannt ist, dass sie den Lymphabfluss aus dem Brustgewebe verhindert, führte der Studie zufolge nicht zu einer nachweisbaren Erhöhung der Brustkrebsrate. Das bedeutet, dass es äußerst unwahrscheinlich ist, dass das Tragen eines BHs, der den Lymphfluss wenn überhaupt, nur minimal beeinträchtigt, dies tun würde.

Dr. Gansler, Direktor für medizinische Inhalte für die American Cancer Society

Also, falls das unklar war: BHs blockieren die Lymphgefäße gar nicht. Die Autoren verfassten danach übrigens weitere Bücher, in denen sie rieten, auf einem abgeschrägten Bett zu schlafen, weil das gegen Impotenz wirke und Bluthochdruck als medizinischen Betrug darstellten.

Unabhängige medizinische Organisationen, darunter das National Institute of Health und die American Cancer Society, haben keine Beweise dafür gefunden, dass das Tragen von BHs das Brustkrebsrisiko erhöht. 

Es gibt aber tatsächlich wenig Forschung zum Thema. Der wichtigste Grund dafür ist, dass die Hypothese so vollkommen abstrus ist, dass man für solche Forschung kein Geld aus dem Fenster werfen will. 

Korrelation ist nicht Kausalität.

Fakt ist: Die meisten Frauen tragen BHs.
Fakt ist auch: Brustkrebs ist die häufigste Krebsart bei Frauen.

Das bedeutet aber eben nicht, dass die BHs den Krebs verursachen sondern zuallererst mal dass Frauen einfach Brüste haben. Hätten sie keine Brüste, bekämen sie auch seltener Brustkrebs (jährlich erkranken 700 Männer in Deutschland an Brustkrebs, bei Frauen sind es 70.000 Neuerkrankungen pro Jahr). Das Brustgewebe ist eines der dynamischsten Gewebe überhaupt, es reagiert auf die Änderungen der Hormone bei Schwangerschaften und Menopause. Vermutlich ist es daher besonders oft von Krebs betroffen.

Aber was ist mit dieser Studie von 2009, die im Werbespot erwähnt wird? Nun, ich finde in Pubmed keine solche Studie. Studienleiterinnen scheinen diese beiden angeblich angewidert dreinschauenden Frauen zu sein. Zu ihren Namen finde ich nichts, außer ausländische Seiten, sie sich mit ähnlichen Scam-Werbeanzeigen beschäftigen. Auf der Website des Anbieters findet sich aber ein erneuter Hinweis auf die angebliche Krebsgefahr – ohne Quelle.

Nicht-existente Ärztinnen sind offenbar angewidert. Screenshot aus dem Werbevideo, von Facebook ausgestrahlt.

Was sind das eigentlich für Produkte?

Bei den Produkten handelt es sich um unterschiedliche BH-Alternativen – solche, die nur aus Stoff funktionieren, mit einer Art Wickeltechnik – und solche die aus einem Sticker bestehen, der angeblich die Brust hebt. Die Werbespots sind alle ähnlich, unterlegt mit Stockbildern, was gelinde gesagt, nicht sehr vertrauenerweckend wirkt.

Ich habe bei zwei BH-Expertinnen nachgefragt, was die BHs denn können.

Die Klebe-BHs halten nicht, was sie versprichen. Wir haben sie selbst getestet, besonders die für große Cups. Natürlich halten die nicht, was auch logisch ist, da der Halt von der Unterbrustkonstruktion her kommt. Bei meinem weichen Gewebe wird die Haut nach oben gezogen und die Brust wirkt dadurch verformt. Sie ziehen die Brustwarzen etwas nach oben, aber sie verhindern kein Wackeln oder Schwingen der Brüste, ergo kein Halt.

Gundula Schildhauer, Inhaberin eines Dessous-Geschäfts.

Der andere BH ist ein weiches Mikrofaser-Bralette, das ähnlich wenig Halt gibt wie ein Klebe-BH. Es funktioniert nur bei sehr festen Brüsten, aber die halten sowieso schon von alleine ihre Form.

Anne-Luise Lübbe, Inhaberin eines Dessous-Geschäfts.

Was schützt wirklich vor Krebs?

Es mag langweilig sein, aber gegen Krebs hilft am besten Prävention. Und das ist auch eigentlich ganz einfach. Übergewicht reduzieren, nicht rauchen, kein Alkohol, etwas Sport – das senkt das Krebsrisiko schon enorm. Außerdem sollte Brustkrebsvorsorge betrieben werden. Selbstständig die Brüste und Achseln abtasten, sich regelmäßig bei der Frauenärztin untersuchen lassen und im höheren Alter dann zum Screening gehen. Ob eine Frau einen BH trägt oder nicht und ob er Bügel hat oder nicht, hat keinen Einfluss auf  Brustkrebs.

Doch unbegründete Panikmache hat einen großen Einfluss auf den Geldbeutel seltsamer Unternehmen.

Tragt also weiter BHs. Oder lasst die Zwillinge frei. Wie ihr mögt. Aber lasst euch nicht übers Ohr hauen!

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Veröffentlicht von

zellmedien.de

Mein Name ist Anna Müllner, ich bin Biologin und habe in der Krebsforschung promoviert. Ich wohne im schönen Hessen und bin als PR-Beraterin für Gesundheitskommunikation tätig. Nach meinem Abitur beschloss ich Biologie zu studieren. Das tat ich zunächst an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg, die weder in Bonn ist, noch am Rhein. Aber einer der drei Campusse liegt wirklich an der Sieg. Das letzte Jahr dieses Studiums verbrachte ich in Schottland, an der Robert-Gordon University of Aberdeen wo ich ein bisschen in die Biomedizin und die Forensik schnuppern durfte. Danach entschied ich mich für ein Masterstudium an der Universität Heidelberg in Molekularer Biotechnologie was ich mit der Promotion fortsetzte. Weitere Informationen und Möglichkeiten zu unterstützen finden Sie hier: https://linktr.ee/_adora_belle_

7 Kommentare

  1. Irreführende Werbung – Wann ist Werbung nicht von/für irre Führung/Irreführung gemacht?

    Im zeitgeistlich-reformistischen Kreislauf des imperialistischen Faschismus und seiner wettbewerbsbedingten Symptomatik, wird Unerfahrenheit in gleichermaßen Bewusstseinsschwäche von Angst, Gewalt und “Individualbewusstsein” zu Dummheit/Suppenkaspermentalität für Hierarchie in materialistischer “Absicherung” konfusionierend-gebildet, was nicht nur übers Ohr hauen möglich macht, sondern vor allem eine Welt- und “Werteordnung” in stumpf-, blöd- und wahnsinnigem Kommunikationsmüll – gesunde/wirklich-wahrhaftige Kommunikation erwächst nicht aus dem “gesunden” Konkurrenzdenken des nun “freiheitlichen” Wettbewerb.

  2. Jede Leserin, jeder Leser sollte so etwas wie einen FAKE-Detektor als BegleiterIn haben. Hei Siri, was sagst du zu dieser BH-Werbung/Warnung? Und schon kommt die Antwort: Ausgemachter Mist, siehe hier und hier und hier. Ok, Siri, und die Kurzfassung? Antwort: Für dich genügt wohl: Behauptungen ohne jede Grundlage.

    Aber warum geht das nicht mit Siri oder Cortana, Google Assist oder Alexa? Ganz einfach: die Hersteller dieser Assistenten verdienen ja – unter anderem – mit solcher Werbung ihr Geld. Technisch wäre/ist es für Google leicht, Hintergrundsinformationen zu einer Werbeaussage bereitzuhalten. Schliesslich machen sie das für andere Webinhalte schon längst. Nur muss ja Google (oder Apple?) auch von etwas leben – und sie leben/verdienen zu einem nicht geringem Teil von Mist und multiplizieren diesen Mist tausendfach, müllen uns damit zu.

  3. Frau schreibt über „Frauensachen“. Nur Männer antworten. In metaphorischer Anlehnung Drei (B-)Engel für Anna* bezogen auf die ersten Kommentare.

    *Original: Drei Engel für Charlie

    Zur Sache.
    Übergewicht reduzieren, nicht rauchen, kein Alkohol, etwas Sport – das senkt das Krebsrisiko schon enorm.“…

    Spontane Bemerkungen

    i) …leicht übergewichtige Menschen leben statistisch länger.

    Gibt es einen Konsens, existieren Fakten…?
    Eine Meinung Universitätsklinikum Münster (UKM Klick um Link zu aktivieren)
    …“Starkes Übergewicht hat dieselben negativen Konsequenzen bei der Tumorentstehung wie eine Hormoneinnahme. „Seit 1975 hat sich weltweit die Zahl der Menschen mit starkem Übergewicht (Adipositas) verdreifacht – mit bisher unabsehbaren Folgen auch in Sachen Brustkrebs“, sagt Prof. Ludwig Kiesel, Direktor der Universitäts-Frauenklinik am UKM.
    Herr Prof. Kiesel, inwiefern beeinflusst Übergewicht das Risiko, an Brustkrebs zu erkranken?
    Das hängt sehr davon ab, von welchem Lebensabschnitt wir reden. Einfach gesagt: Wenn in der Zeit nach den Wechseljahren Übergewicht vorliegt, ist das ungünstig für das Brustkrebsrisiko. Interessanterweise gilt das nicht unbedingt für die Zeit vor den Wechseljahren. Es gibt sogar Studien, die dann ein niedrigeres Risiko zeigen können, wenn vor den Wechseljahren schon Übergewicht da war
    …”

    ii) statt ein unrealistisches kein, kann die Empfehlung nur lauten, weniger rauchen, weniger Alkohol trinken. Wobei der Tabakkonsum beim Rauchen das kleinste Problem ist. Die zentrale Problematik des Zigarettenrauchens kommt von der immensen Anzahl der Begleitstoffe, die dem Tabak zugeführt werden, um Raucher abhängig zu machen.

    iii) …nicht etwas Sport, sondern deutlich mehr Sport, sollte die Empfehlung sein. Wir sind anatomisch nach wie vor Jäger und Sammler. Etwas Sport hilft nicht das Krebsrisiko enorm zu senken. Inwieweit etwas Sport überhaupt ein wesentlicher Faktor ist, um Krebs vorzubeugen, ist eine schwer zu beweisende Modellvorstellung.

    iv) Nahezu jede Werbung enthält Übertreibungen und Falschaussagen. Sachorientierte Aufklärung ist wichtig. In diesem Sinne ist der Artikel ein Beitrag zur Orientierung. Nur wer liest auf Scilogs Artikel? Ernstgemeinte Frage. Gibt es statistische Auswertungen über Anzahl und Leseverhalten Interessierter?

    „Jetzt“ (…vorausgesetzt es findet keine Vormoderation, die zu asynchroner Kommunikation und verzerrter Meinungs-Abbildung führt, oder gar selektive Kommentarzensur statt, wie beispielsweise bei Karsten Seiferlins scilogs-Blog) sind es (nur) vier Kommentare von Männern…

    • i) Wir wissen das starkes Übergewicht die Krebsentstehung fördert. Bei leichtem Übergewicht ist aber nicht ein BMI von 35 gemeint, sondern einer etwas über dem Normalgewicht (25-30). Ungefähr. Da gibt es keine exakten Daten, sondern nur Hinweise in einzelnen Studien. Es gibt kein “sicheres Übergewicht”. Meine persönliche Empfehlung ist es, Übergewicht im Allgemeinen zu reduzieren, weil man kein sicheres Gewicht nennen kann. Aber man weiß eben, dass zu viel schlecht ist. Außerdem sorgen Empfehlungen von “Sie müssen XYZ wiegen” psychisch für viel Druck. Besserungen in der Gesundheit lassen sich bei starkem Übergewicht schon bei wenigen kg beobachten.
      ii) Es gibt auch keine sichere Menge Tabak und keine sichere Menge Alkohol. Ich persönlich bleibe daher bei “kein” in meiner Empfehlung. Was nicht heißt, dass ich mich dran halte.
      iii) Im Allgemeinen hilft schon etwas mehr Bewegung am Tag. Wir hätten aber das Problem des Übergewichts nicht, würden wir nicht den ganzen Arbeitstag vor einem PC sitzen. Übermäßige Ansprüche können Menschen auch wieder sehr unter Druck setzen und das Gegenteil von dem erreichen, was man will.
      iv) Na, vielen Dank. Wer liest eigentlich Blog-Kommentare? Oh… Tja

      Zum letzten Satz: Naja, vielleicht müssen sich Männer auch mal überlegen, ob sie zum Thema BHs und Brüste eigentlich wirklich was zu sagen haben.

    • Jain, innerhalb von Apps funktionieren Werbeblocker halt nicht. Ich hab einen raspberry-pi, der Werbung schon am Router rausfiltert, aber gesponserte Posts lassen sich da auch nicht erkennen.
      Des Weiteren geht es ja nicht um mich, ich reg mich nur auf und weiß wie Krebs funktioniert. Es geht um die Menschen, die sich sowohl technisch nicht auskennen als auch auf dem Gebiet der Tumorentstehung unbewandert sind.