Von Laserdrohnen und Genscheren

Für ihre Bewerbung um den KlarText-Preis für Wissenschaftskommunikation 2021 in der Kategorie Biologie veranschaulichte Birgitta Michels, was sie in ihrer Promotion erforscht hat.


Wenn menschliche Zellen sich unkontrolliert teilen, kann dies zur Krebsentstehung führen. Zellteilung wird u.a. von sogenannten Tumorsuppressorproteinen reguliert. Ziel meiner Doktorarbeit war es, mit einer neuen Methode Tumorsuppressorproteine in menschlichen Zellen zu identifizieren.

Um unsere Herangehensweise an die Krebsforschung aus einer etwas ungewöhnlichen Perspektive zu betrachten, möchte ich Sie zunächst auf eine Fantasiereise in ein Raumschiff entführen. Die Außerirdischen in diesem Raumschiff sind sehr interessiert an dem Geschehen auf der Erde: Ein Netz von Wegen auf denen zweibeinige Wesen herumlaufen, Blechkisten in bunten Farben, die schnell durch die Gegend sausen, und Zweibeiner, die auf lustigen Rahmen wild strampeln. Nun hat die Sicht von Außerirdischen auf den Straßenverkehr in unseren Städten nicht direkt etwas mit Tumorbiologie zu tun. Aber so wie die Außerirdischen das Verkehrsgeschehen nur von außen betrachten, so können wir die Vorgänge, die in Zellen zur Entstehung von Tumoren führen, auch nur von außen erforschen. Eine Landung des Raumschiffs, um direkt mit ein paar Zweibeinern zu kommunizieren, mag noch vorstellbar sein; eine „Landung“ in der menschlichen Zelle für eine „Unterhaltung“ mit ein paar Proteinen ist dagegen bisher definitiv unmöglich. Daher müssen wir umständlichere Wege nutzen.

Die Außerirdischen entscheiden sich gegen eine Landung und beobachten von oben gespannt, dass alle Bewegung von Zweibeinern und Blechkisten bestimmten Regeln zu unterliegen scheint und es nicht zu Kollisionen kommt. Neugierig fragen sie sich, wie diese Regeln wohl aussehen. Recht schnell stellen sie fest, dass jene in rot, gelb und grün leuchtenden Laternen etwas damit zu tun haben könnten und nach und nach sehen sie, dass auch an Stäben befestigte, bunt bedruckte Platten eine Rolle spielen. Die Außerirdischen beschließen ein Forschungsprojekt, in dem sie herausfinden wollen, welche Verkehrszeichen Unfälle verhindern können und welche wohl eher andere Zwecke haben.

Analog zum Forschungsbeginn der Außerirdischen startet auch auf der Erde ein Forschungsprojekt: Wir möchten herausfinden, welche Proteine in menschlichen Darmzellen als Tumorsuppressorproteine wirken. Das lateinische Wort „supprimere“ bedeutet „unterdrücken“, es geht also um „Tumorunterdrückerproteine“. Diese tragen dazu bei, unkontrolliertes Zellwachstum zu blockieren und so die Entstehung von Tumoren zu verhindern, genau wie Verkehrszeichen Unfälle verhindern können. In jeder Zelle gibt es mehrere Regulationsmechanismen für die Kontrolle der Zellteilung. Wenn ein Protein nicht in der richtigen Häufigkeit vorkommt, führt dies also nicht direkt zu Krebs. Wenn allerdings in einer Zelle bereits die Bildung von ein oder mehreren Proteinen gestört ist, kann der Wegfall eines weiteren Tumorsuppressorproteins schon für eine Tumorbildung ausreichen. Die bekanntesten Tumorsuppressorproteine hat man schon ganz gut erforscht, aber es ist nach wie vor schwierig, Proteine, die nur bei wenigen Tumoren als Suppressoren wirken, zu identifizieren. Gleichzeitig ist es wichtig, auch genau diese Proteine zu kennen, um Resistenzen gegen Medikamente zu verhindern und Tumore erfolgreich zu behandeln. Und während die Außerirdischen eine Liste anlegen, welche Verkehrszeichen sie untersuchen wollen, machen wir eine Liste von Proteinen, die möglicherweise unkontrolliertes Zellwachstum im Darm verhindern.

Nun ist die Erforschung von menschlichen Zellen und erst recht den darin enthaltenen Proteinen direkt im Menschen sehr umständlich und häufig aus ethischen und/oder praktischen Gründen unmöglich. Lange Zeit hat man stattdessen aus Tumoren isolierte menschliche Zellen, die nie aufhören sich weiter zu teilen, zur Simulation genutzt. Alternativ wurden gesunde Zellen isoliert und gentechnisch so verändert, dass auch sie sich immer weiter teilen. Vor wenigen Jahren fanden Forscher heraus, dass Zellen aus menschlichen Darmbiopsien sich in Zellkulturschalen zu Organoiden züchten lassen. Organoide sind vergleichbar mit winzigen, fußballförmigen Miniaturen vom echten menschlichen Darm. Die Zellen ähneln noch sehr stark denen im Körper der/des Patient*in, der/dem die Zellen entnommen wurden. Im Prinzip ist es also möglich, an Organoiden Behandlungen zu erproben, und die Erkenntnisse direkt in die Behandlung der/des Patient*in mit einzubeziehen. Und anders als bei den oben genannten, schon lange benutzten Zelllinien, können nicht nur aus Tumorzellen, sondern auch aus gesunden Patientenzellen Darmorganoide auswachsen, ohne dass sie genetisch verändert werden müssen, um sich immer weiter zu teilen. Die Organoide sind also zur Simulation von Vorgängen im menschlichen Körper äußerst gut geeignet.

Stark vergrößerte Aufnahme von Organoiden (konfokale Lasermikroskopie). Organoide bestehen aus vielen einzelnen Zellen, die sich zu einer Art unförmigem Ball zusammenlagern. In diesem Bild sind die Zellkerne (in denen sich die DNA befindet) in blau angefärbt. Um Herauszufinden, wie viel Material benutzt werden kann um immer maximal eine Genschere in einer Zelle zu haben, wurden Genscheren mit rot und grün fluoreszierenden Proteinen genutzt. Es sind keine Zellen zu sehen, die rot- und grün gleichzeitig gefärbt sind, also ist in keinem Fall eine rotleuchtende und eine grünleuchtende Genschere in die gleiche Zelle gelangt. © Birgitta Michels

Die Außerirdischen haben inzwischen eine Entscheidung getroffen: Alle Verkehrsschilder und Ampeln gleichzeitig zu entfernen würde wohl zum totalen Chaos führen und darin dann die Systematik des Straßenverkehrs zu erkennen wäre recht hoffnungslos. Aber wenn man in jedem Stadtteil nur ein Verkehrszeichen entfernt? Im einen die Ampeln. Im zweiten die achteckigen Schilder mit den großen weißen Buchstaben „STOP“, im dritten Stadtteil die runden rot-blauen Schilder mit rotem X, und so weiter. Um die Schilder zu entfernen nutzen die Außerirdischen speziell hierfür entwickelte Drohnen. Jeder Drohne wird das Bild von einem Verkehrszeichen eingespeichert und jede Drohne macht sich in „ihrem“ Stadtteil auf, das ihr eingespeicherte Verkehrszeichen zielsicher mit einer Laserschere zu entfernen. Vom Raumschiff aus führen die Außerirdischen eine Strichliste, an welchen Stellen Unfälle passieren, nachdem durch die Drohne Verkehrszeichen zerstört wurden. Stellen mit Ampel- und Stoppschildern werden häufig gezählt, solche mit Parkverbotsschildern eher selten.

Um zu erforschen, welche Proteine in menschlichen Darmzellen „Unfälle“, also Tumore verhindern, haben wir statt mit Laserscheren ausgestattete Drohnen die CRISPR-Cas Technik verwendet, auch Genschere genannt. Diese Genschere ermöglicht es, in menschlichen Zellen ganz gezielt Gene zu zerschneiden und sie damit zu zerstören. Gene sind die Baupläne für Proteine. Wenn ein Gen also kaputt ist, kann das dazugehörige Protein nicht mehr gebaut werden. Um zu erkennen, welche Proteine spezifisch in Darmzellen dazu beitragen unkontrollierte Zellteilung zu verhindern, haben wir 85 verschiedene Gene in menschlichen Organoiden durch 85 verschiedene spezifische Genscheren zerschneiden lassen. Um dabei nicht 85 verschiedene Versuchsreihen machen zu müssen benutzten wir einen Trick: Die 85 Genscheren wurden nach dem Zufallsprinzip in die Organoidzellen eingefügt. Dabei wurde streng darauf geachtet, dass jeweils höchstens eine Genschere in einer Zelle vorhanden ist. Jede Genschere hat dabei einen eigenen Barcode, bestehend aus einer Abfolge von Nucleotiden, den Einzelbestandteilen der DNA. Dieser Barcode wird an eine zufällige Stelle in die DNA der Zelle eingefügt und bleibt so auch bei jeder Zellteilung in beiden neuen Zellen erhalten. Damit lässt sich später wieder rückwärts herausfinden, welches zerstörte Gen und damit welches fehlende Protein denn nun eigentlich für die unkontrollierte Zellteilung verantwortlich war. Mit diesem Verfahren haben wir den Außerirdischen mit ihren Strichlisten technisch schon etwas voraus.

Straßenschilder können Unfälle nur da verhindern, wo es auch zu welchen kommen kann, also eher in der Stadt, als in der Wüste. Genauso können Tumorsuppressoren Tumore nur da verhindern, wo auch welche wachsen können. Darum wurden die Organoide mit den zerstörten Genen Mäusen unter die Haut injiziert, um dort einige Wochen zu wachsen und sich zu teilen. Schon bald zeichneten sich kleine Tumore unter der Haut der Mäuse ab. Also teilten sich hier tatsächlich Zellen unkontrolliert. Nach einigen Wochen Wachstum wurden die Tumore wieder aus den Mäusen herausoperiert. Die DNA wurde analysiert und der Barcode jeder Genschere durch Sequenzieren ermittelt. Und wie bei den durch Laserdrohnen zerstörten Verkehrsschildern höhere Unfallzahlen darauf hinweisen, dass das Verkehrszeichen viele Unfälle verhindert, wenn es intakt ist, so deutet eine höhere Anzahl Barcodes für ein Gen auf eine wichtigere Rolle des Gens, bzw. des daraus gebildeten Proteins, bei der Unterdrückung von unkontrollierter Zellteilung hin. Denn je mehr das Protein dabei hilft, nur notwendige Zellteilungen zuzulassen desto mehr fällt sein Fehlen auf – in Form von überhäufiger Zellteilung.

Organoid mit einer Mutation in einem Tumorsuppressorgen (links) und Organoide mit einer Mutation in einem Kontrollgen, was nicht am Tumorwachstum beteiligt ist. Nur Organoide mit einer Mutation im Tumorsuppressorgen können in dem verwendeten Kulturmedium, also in der Nährflüssigkeit, wachsen. Organoide mit einer Mutation in einem Kontrollgen sterben oder bleiben ganz, ganz klein und wachsen nicht. Maßstabsbalken = 0.5 mm. © Birgitta Michels

In unserem Forschungsprojekt konnten wir Proteine identifizieren, die bereits als Tumorsuppressoren für Darmkrebs bekannt waren und andere, die bisher noch nicht in diesem Zusammenhang beschrieben wurden. Das zeigt, dass die Methode funktioniert. Sie ermöglicht uns, neue Kandidaten, die zur Entstehung von Tumoren beitragen, zu ermitteln. Diese können in Folge-Studien genauer untersucht werden und hoffentlich langfristig dazu beitragen, das Auswachsen von Darmtumoren beim Menschen besser zu verstehen. Die Methode, menschliche Darmorganoide mit dem CRISPR-Cas System als Plattform zum Ermitteln von bisher unbekannten Tumorsuppressorproteinen zu nutzen, ist nun etabliert. Darauf aufbauend lassen sich hoffentlich bald weitere, bisher unbekannte Tumorsuppressoren ermitteln und so die Behandlung von Darmkrebspatient*innen verbessern.


Birgitta Michels studierte Biowissenschaften in Münster in Westfalen und Stockholm. Ihrem Interesse für biomedizinische Fragestellungen folgend, begann sie im Jahr 2015 ihre Promotion am Georg-Speyer-Haus in Frankfurt am Main. Dort nutzte sie sogenannte Organoide, also Miniatur Modelle vom menschlichen Darm, um neue Erkenntnisse über die Entstehung von Tumoren zu gewinnen. Inzwischen arbeitet sie als Bioinformatikerin in der Brustkrebsforschung am Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg.

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