Ungewöhnliches Verhalten von Pflanzengiften – (k)ein Grund zur Sorge?

Für seine Bewerbung um den KlarText-Preis für Wissenschaftskommunikation 2022 in der Kategorie Chemie veranschaulichte Florian Kaltner was er in seiner Promotion erforscht hat.


Bestimmte Pflanzen bilden giftige Pyrrolizidinalkaloide, die auch immer wieder in unsere Lebensmittel gelangen. Eine verbesserte Nachweismethode führt zu neuen Erkenntnissen, wo diese Gifte vorkommen und wie sie sich bei der Lagerung verhalten – mit Folgen für den Verbraucherschutz.

Gerade in der kalten Jahreszeit gibt es oft nichts Schöneres als einen gemütlichen Nachmittag auf dem Sofa. Und was wärmt dazu mehr als eine Tasse heißer Kräutertee, am besten gesüßt mit einem Löffel Honig. Doch Vorsicht: Gerade diese beiden Lebensmittel waren und sind des Öfteren in den Schlagzeilen, weil in ihnen schädliche, sogenannte Pyrrolizidinalkaloide (PA) nachgewiesen werden.

Aber worum handelt es sich dabei überhaupt? PA sind Pflanzengifte – nicht zu verwechseln mit Pestiziden – die natürlicherweise von bestimmten Pflanzen als Fraßschutz gegen Insekten gebildet werden. Solche Pflanzen kommen weltweit, also auch bei uns vor und wachsen zumeist bereits unter genügsamen Bedingungen auf Feldern, neben Äckern und auf Wiesen. Dort sind sie mitunter kaum von anderen Nutz- oder Kulturpflanzen zu unterscheiden. Geht es nun an die Ernte, kann so die ein oder andere PA-haltige Pflanze ihren Weg in das Erntegut oder das Heu finden. PA sind auch in hohem Maße in Nektar und Pollen der Pflanzen enthalten, über Honigbienen landen die Gifte somit auch im süßen Gold.

Nun kann man denken, PA als natürliche, pflanzliche Stoffe sollten doch eigentlich kein Problem sein? Mitnichten. Sie schädigen primär die Leber, aber auch andere Organe wie die Lunge können betroffen sein. Im Tierversuch zeigten PA erbgutschädigende und krebserzeugende Eigenschaften. „Wir vermuten“, gab Prof. Dr. Bernd Schäfer, Leiter der Fachgruppe Lebensmitteltoxikologie am Bundesinstitut für Risikobewertung in Berlin, in der Frankfurter Rundschau 2020 zu Wort, „dass moderate Mengen, über längere Zeiträume aufgenommen, reichen können, um das Risiko für eine Krebserkrankung signifikant zu erhöhen.“ Eine möglichst geringe Aufnahme an PA ist somit ratsam, vorbeugender Verbraucherschutz das Gebot der Stunde. Gerade deshalb sind Analysemethoden interessant, mit denen man PA zuverlässig auch noch in sehr kleinen Mengen in Lebensmitteln bestimmen kann.

Wir entwickelten und optimierten dafür eine PA-Nachweismethode für verschiedene Tee- und Kräuterteesorten. Die Art und Weise, wie die PA möglichst vollständig aus der Probe zu bekommen sind, ist dabei besonders wichtig. Dies erreichen wir mit einer schwach sauren Extraktionslösung als erstem Schritt. Dieser Rohextrakt wird danach an einem speziellen Kunststoff gereinigt, an denen die PA zunächst haften bleiben und wieder gezielt abgelöst werden. Die isolierten PA liegen danach sehr rein und konzentriert vor und können mittels eines Flüssigchromatographie-Systems bestimmt werden. Dabei werden die verschiedenen PA unter hohem Druck durch eine schmale Stahlsäule gepumpt, die mit einem speziellen Material gefüllt ist. Je nach den physikalischen Eigenschaften von Molekülen bleiben diese stärker oder schwächer an dem Material haften und benötigen somit eine bestimmte Zeit, um die Säule zu durchqueren. Anschließend erreicht die Substanz einen Detektor und erzeugt ein Signal. Dabei gilt: Je größer die Menge an Molekülen, die auf den Detektor trifft, desto größer auch das erzeugte Signal. Auf diese Weise kann man nicht nur feststellen, um welches PA es sich handelt, sondern auch, wie viel davon in einer Probe enthalten war.

Die entwickelte Methode übertraf unsere Erwartungen: Selbst kleinste PA-Gehalte können damit aufgespürt werden. Je nach Substanz und Teesorte liegt diese sogenannte Nachweisegrenze sogar bei unter 0,1 Nanogramm PA pro Gramm (trockenem) Tee – was umgerechnet weniger als 100 Stück Würfelzucker aufgelöst und verteilt im gesamten Bodensee entspricht. Neben der hohen Empfindlichkeit bietet die neue Methode als weiteren Vorteil, insgesamt 44 PA zu erfassen, bisher waren etwa 25 bis 30 das Maß aller Dinge. Damit ist es nun deutlich gezielter möglich, über charakteristische Verteilungsmuster der nachgewiesenen PA sogar auf die Pflanzen zu schließen, die für die Verunreinigung einer Lebensmittelprobe verantwortlich ist. Dies erleichtert den Erzeugerbetrieben auf den Feldern die Suche nach den pflanzlichen Übeltätern.

Wenn Tees und Kräutertees durch versehentlich mitgeerntete PA-Pflanzen verunreinigt werden, könnte bei anderen Nutzpflanzen nicht ein ähnliches Szenario auftreten? Forschende mutmaßten daher bereits, dass Gewürze und Küchenkräuter ebenfalls hohe Mengen an PA enthalten können. Dem gingen wir mit unserer neuen Analytikmethode nach und nahmen in einer groß angelegten Studie mehr als 300 Proben aus Anbauländern weltweit unter die Lupe – und wurden prompt fündig. Insgesamt wiesen fast 60% aller Proben PA auf, dabei mit deutlichen Unterschieden zwischen den einzelnen Gewürzen und Kräutern. Während sich Pfeffer, Kümmel oder Rosmarin als unproblematisch erwiesen, waren insbesondere Kreuzkümmel und Oregano auffällig oft und besonders hoch mit PA belastet. So fanden wir bei Kreuzkümmel sogar in allen Proben PA, bei Oregano waren diese immer noch in 21 von 24 Proben nachweisbar. In letzterem wiesen wir mit 25 Mikrogramm PA pro Gramm in einer Probe auch die höchste PA-Menge aller untersuchten Proben nach. Derart hochbelasteten Oregano stufte das Chemische und Veterinäruntersuchungsamt (CVUA) Stuttgart in der Vergangenheit sogar als gesundheitsschädlich ein.

Aber sind die gefundenen PA-Gehalte wirklich ein Problem? Von Gewürzen nimmt man ja stets nur sehr kleine Mengen zu sich und bekanntlich macht die Dosis das Gift, das wusste bereits Paracelsus vor 500 Jahren. Daher nutzten wir Beispielrezepte und Daten aus Verzehrstudien, um dies in unserer Risikoeinschätzung realistisch abzubilden. Und tatsächlich: Auf Grundlage der in unserer Studie ermittelten PA-Gehalte zeigten wir, dass gerade Kinder und Vielverzehrer von Kräutern und Gewürzen hierüber bereits durchaus gesundheitsbedenkliche PA-Mengen zu sich nehmen können. Andere Forschende kamen zu ähnlichen Ergebnissen, sodass für die Europäische Union 2020 endlich PA-Höchstgehalte festgelegt wurden. Diese gelten nun ab Juli 2022 verbindlich für Tees und Kräutertees, aber eben auch für Küchenkräuter und Gewürze wie Oregano und Kreuzkümmel.

Wenn Lebensmittelkontrollbehörden nun auf Grundlage solcher PA-Höchstgehalte beispielsweise Rückrufe veranlassen möchten, sollten die gemessenen PA-Mengen natürlich möglichst verlässlich und für eine Probe auch wiederholbar sein. Gerade bei PA-belasteten Honigproben stellen Untersuchungslabore aber immer wieder große Unterschiede fest. So fallen die PA-Gehalte in einem Honig bei der ersten Untersuchung oft höher aus als in einer nach mehreren Wochen durchgeführten Analyse. Ein interessantes Phänomen, dem man einfach auf den Grund gehen musste: Zu frischem Imkerhonig mischten wir daher bestimmte PA und lagerten diesen im Dunkeln für insgesamt ein halbes Jahr. Regelmäßig entnahmen wir Proben und untersuchten den Verlauf der PA-Gehalte.

Nun liegen viele PA in Pflanzen in einer leicht veränderten Form vor – mit einem zusätzlichen Sauerstoff-Atom als sogenannte N-Oxide. Frischer Honig verändert anscheinend nun genau diese PA-N-Oxide: Bereits nach wenigen Tagen Lagerung sinken ausschließlich deren Gehalte in Honig nämlich deutlich. Die Menge der jeweils zugehörigen sauerstofffreien PA bleibt aber konstant. Mit diesem Verhalten hatten wir nicht gerechnet – was ist hier passiert? Vermutlich sind Bestandteile des Bienenspeichels, die ebenso wie Pollen in Honig zu finden sind, die Ursache des ungewöhnlichen Verhaltens der PA-N-Oxide. Ob diese dabei nun abgebaut werden oder neue Verbindungen mit Honiginhaltsstoffen eingehen – all das ist zum jetzigen Zeitpunkt noch unbekannt. Gerade wenn letztere Verbindungen tatsächlich vorhanden und vielleicht sogar noch giftig sind, wären die Auswirkungen enorm: Das Gesundheitsrisiko von PA müsste für viele Lebensmittel neu bewertet werden, zahlreiche Studien wären hierfür nötig. Übrigens: Auch in anderen Lebensmitteln weiß man zur PA-Stabilität nur wenig bis nichts – somit gibt es zur „Verhaltensforschung“ von PA in Lebensmitteln auch zukünftig noch allerhand zu tun.


Florian Kaltner studierte Lebensmittelchemie an der TU München und promovierte ebendort im Jahr 2020 über Analytik und Vorkommen von toxischen Pflanzenalkaloiden in Lebensmitteln. Nach einem Auslandsaufenthalt am Europäischen Referenzlabor für Pflanzentoxine in Wageningen, Niederlande, übernahm er die Leitung der Arbeitsgruppe Bioanalytik am Lehrstuhl für Lebensmittelsicherheit der LMU München. Seit 2021 widmet er sich als Postdoktorand in Gießen der Analytik von Veränderungen toxischer Alkaloide bei der Verarbeitung von Lebens- und Futtermitteln sowie ihrer Eintragswege in die Nahrungskette, insb. entlang der Kette Futtermittel – Nutztier – Lebensmittel.

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