Die Rettung des Silvesterkarpfens

Für seine Bewerbung um den KlarText-Preis für Wissenschaftskommunikation 2021 in der Kategorie Biologie veranschaulichte Sandro Klafack, was er in seiner Promotion erforscht hat.


Ein Virus gefährdet die Karpfenbestände in Deutschland und der Welt. Seit Jahren wurde bisher erfolglos nach einem Impfstoff gesucht. Ein Gummitier für Fische kann Abhilfe schaffen und den neuentwickelten Impfstoff beinhalten. Dadurch wird die Rettung des Silvesterkarpfens greifbar.

Karpfen zu Silvester oder Weihnachten ist eine weit verbreitete kulinarische Tradition in Deutschland. Diese wird auch von anderen Ländern wie Polen, Tschechien oder Österreich geteilt. Ob Karpfen blau oder gebraten, die Zubereitung mag sich in den Regionen unterscheiden, jedoch kommt der Karpfen in der Regel aus Aquakulturanlagen, den sogenannten Karpfenteichen. Die Teiche tragen nicht nur zu unserer Ernährung bei. Sie sind wichtige Bestandteile der Kulturlandschaft und der Umwelt. An den ausgedehnten Wasserflächen leben Frösche, Molche, Insekten und Wasservögel. Nicht nur in Europa ist der Karpfen ein wichtiger Speisefisch. Größere Bedeutung hat er in Asien, besonders in China. Dort werden mit jährlich fast 3 Millionen Tonnen etwa 70 % der Karpfen weltweit produziert. Der Karpfen ist nicht nur als Speisefisch und beliebtes Ziel für Angler interessant. In immer mehr Gärten findet man heute seine farbenprächtige Zuchtform, den Koi. Dabei sind Karpfen und Koi ein und dieselbe Art.

Trotz der kulinarischen und repräsentativen Bedeutung ist der Karpfen bedroht. Seit Anfang der 2000er Jahre hat sich ein Virus weltweit verbreitet, welches alle Karpfenproduzenten bedroht: das Koi-Herpesvirus oder kurz KHV. Wie der Name schon nahelegt, wurde es zuerst in erkrankten Kois gefunden. Jedoch unterscheidet das Virus nicht zwischen Speisekarpfen und Koi. Durch einen schweren Verlauf und eine rasante Ausbreitung kann das Virus in betroffenen Teichwirtschaften bis zum kompletten Verlust der Fische führen. Der wirtschaftliche Schaden für die Teichwirte ist dadurch immens und nicht selten sind Existenzen bedroht. Aus diesem Grund war es ein weltweites Bestreben, ein Mittel gegen diese Plage zu finden.

Karpfen im Aquarium während der Impfstofftestung. ©S. Bergmann & S. Klafack, FLI

Zu den besten Maßnahmen zählt die Impfung. Wenn es gelingen sollte junge Fische durch eine Impfung zu schützen, könnte man der Seuche Herr werden. Jedoch konnte noch kein wirklicher Erfolg vermeldet werden, bis im Jahr 2003 die israelische Firma KoVax einen Impfstoff auf den Markt brachte. Daraufhin war die Hoffnung groß, das Problem mit dem Virus endlich zu lösen. Traditionell gibt es zwei Möglichkeiten einen Impfstoff herzustellen. Zum einen kann man das Virus nehmen und mit verschiedenen Chemikalien abtöten. Diese Impfstoffe werden dann als Totimpfstoff bezeichnet, da das Virus dabei seine Vermehrungsfähigkeit verliert. Jedoch zeigten mehrere Forschungsgruppen für KHV schon, dass diese Strategie nicht gut genug ist. Deshalb ist das große Ziel ein Lebendimpfstoff. Hier ist das Virus noch vermehrungsfähig, kann also den Impfling infizieren. Jedoch wird hierfür eine abgeschwächte Virusvariante genommen, die das Immunsystem anregt und dadurch keine oder nur sehr milde Symptome auslöst.

Die Firma KoVax hatte genau solch einen Lebendimpfstoff produziert. Leider stellte sich bei tiefergehenden Untersuchungen heraus, dass der Impfstoff nicht so abgeschwächt war, wie er sein sollte. Auch durch den Impfstoff starben Tiere in einem erheblichen Maße. Somit konnte der Impfstoff keine Zulassung für die EU erhalten und wird heute auch nicht mehr produziert. Deshalb machten sich die Forscher weltweit wieder verstärkt an die Arbeit um einen sicheren Impfstoff zu finden. Dabei gab es auch vielversprechende Teilerfolge, jedoch ohne ein marktreifes Ergebnis. Aus diesem Grund sammelten sich Forschungsgruppen von vier deutschen Einrichtungen um dieses Problem zu lösen. Ziel war es wirksame Impfstoffe zu entwickeln, ihre Produktionsbedingungen zu testen und den Erfolg der Impfung im Tier zu sichern. Unsere Aufgabe am Friedich-Loeffler-Institut (FLI) war die Entwicklung des Impfstoffs. Am FLI auf der Ostseeinsel Riems beschäftigt man sich schon seit 1910 mit Seuchen von Nutztieren, ihrer Diagnostik und Bekämpfung.

Auch wir wollten einen abgeschwächten Lebendimpfstoff. Dafür mussten wir zwei große Probleme lösen. Einerseits müssen wir ein abgeschwächtes Virus bekommen, den eigentlichen Impfstoff. Andererseits müssen wir einen Weg finden den Impfstoff in das Tier zu bekommen. Für die Impfstoffgewinnung haben wir uns für einen klassischen Ansatz entschieden. Viren sind für ihre Vermehrung auf einen Wirt angewiesen. Das heißt, ohne ein Tier oder in unserem Fall in einer Karpfenzelle, kann das Virus nicht mehr vermehrt werden. Wenn man nun das Virus über mehrere Generationen auf den Karpfenzellen lässt, gefällt es ihnen irgendwann so gut dort, dass sie nur noch schlecht in einem richtigen Karpfen klarkommen. Die Zellen haben eine schlechtere Abwehr gegen Krankheitserreger als der Karpfen selbst. Deshalb verlernen die Viren nach einer gewissen Zeit, wie sie die Abwehr des Karpfens effektiv kontern können. Sie sind dann abgeschwächt. Häufig kann man die so geschwächten Viren als Impfstoff nutzen.

Dafür müssen nur die gefährlichen von den ungefährlichen Varianten unterschieden werden. Für diese Unterscheidung habe ich einen schon bestehenden Verwandtschaftstest weiterentwickelt. Nun funktioniert der neue Test ähnlich einem Vaterschaftstest. Dadurch können wir sagen welche Varianten wie weit miteinander verwandt sind. Theoretisch sollte das abgeschwächte Virus am wenigsten mit dem ursprünglichen Virus verwandt sein. Dabei ist es mir auch tatsächlich gelungen eine Virusvariante zu finden, die für den Fisch nicht tödlich ist und bei der die Karpfen danach keine oder nur sehr schwache Symptome zeigen. Diese Krankheitszeichen sind vergleichbar mit erhöhter Temperatur beim Menschen. In einem Test waren dann die geimpften Tiere leider nicht ausreichend geschützt vor einer Infektion mit einem krankmachendem KHV. Sie erkrankten und starben also trotz der Impfung.

Mikroskopisches Bild einer Kieme von einem infizierten Karpfen. Durch eine Färbung wurde das Koiherpesvirus blau gefärbt. ©S. Klafack, FLI

Nach der ganzen Arbeit war es noch zu früh die Flinte ins Korn zu werfen. Meine Vermutung war, dass eine Impfung nicht ausreichend ist. Das kennt jeder von sich selbst. Die meisten Impfungen benötigen mindestens eine wiederholte Gabe um einen guten Schutz zu erhalten. Warum sollte das beim Fisch anders sein? Deshalb haben die Karpfen das abgeschwächte Virus einfach ein zweites Mal bekommen. Und Heureka es wirkte! Alle Fische waren geschützt. Es war geschafft. Wir haben einen Impfstoff gefunden, der tatsächlich Karpfen vor dem Koiherpesvirus schützt. Dieser muss jetzt nur noch bei den Fischen ankommen.

Menschen und auch anderen Tieren, wie Hunden, Katzen, Kühen oder Schweinen kann man einfach eine Spritze geben und die Impfung ist getan. Jedoch haben wir beim Fisch zwei große Probleme. Zum einen sind die Fische im Wasser. Zum Spritzen müsste man die Fische aus dem Wasser holen. Wer schonmal einen Fisch an Land gesehen hat weiß, dass es großen Stress für die Tiere bedeutet. Zum anderen sind in Karpfenteichen viele Tausend Fische. Das würde einen riesigen Arbeitsaufwand bedeuten, jeden Fisch einzeln zu spritzen. Deshalb wollten wir in dem anderen Teil unseres Projektes eine einfache Lösung für die Probleme finden. Eine übliche Praxis ist es, Fische in dem Impfstoff zu baden. Dadurch nehmen die Tiere den Impfstoff meist über Maul, Kiemen und Haut auf. Zudem haben die Tiere dabei nur wenig Stress.

Mit dieser Methode wurde auch unser Impfstoff getestet. Somit wissen wir schonmal, dass ein Impfstoffbad funktioniert. Zudem wollten wir aber einen oralen Impfstoff haben. Einen Impfstoff den die Karpfen einfach fressen können. Dazu stellte ich mir die Frage, wie man das schaffen kann. Viele Forscher haben schon mit unterschiedlichen Methoden experimentiert. Jedoch fehlten mir für viele Methoden die Kenntnisse oder Geräte. Bis eines Abends meine Frau Süßigkeiten aus Japan gegessen hatte. Sie konnte sich Sushi aus Gummi bauen und musste dafür nur ein Pulver mit Wasser verrühren und dieses dann in eine Form geben. Dabei ist ein gummiartiges Gel entstanden, was dann irgendwie Sushi darstellen sollte. Als ich das sah, ist mir die Lösung für mein Problem gekommen. Warum sollten nicht auch meine Karpfen Sushi oder in meinem Fall Kügelchen bekommen? Die Methode dazu ist ganz simpel und viele kennen sie eventuell auch von Bubble Teas. Ich vermische den Impfstoff mit Alginat, einem Geliermittel, und tropfe das in eine kalziumhaltige Lösung. Fertig ist das Gummitier mit Impfstofffüllung.

In meiner Rezeptur gab es noch eine kleine Beigabe, schwarze Zuckercouleur. Mir haben Angler mal gesagt, dass Karpfen besonders auf dunkle Köder stehen. Und zu unser alle Überraschung und Freude haben die Karpfen die Impfstoffkugeln gefressen. Noch viel wichtiger, der Impfstoff war noch immer wirksam und schützte die Karpfen. Hätten die Karpfen die Kugeln nicht gefressen hätte ich auch noch Fruchtaroma probiert. Denn, dieselben Angler behaupteten, dass Karpfen auch fruchtige Aromen mögen, besonders Erdbeere. Wer weiß wieviel davon wahr ist. Hauptsache ist, dass der Impfstoff wirkt und wir zwei Methoden haben um Karpfen stressarm zu impfen. Nun fehlt nur noch ein Produzent. Interesse?


Sandro Klafack hat in Greifswald von 2009 bis 2014 Biologie studiert. Seine Doktorarbeit absolvierte er am Friedrich-Loeffler-Institut, Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit (FLI). In dieser Arbeit hat er sich der Entwicklung eines Impfstoffes und der Phylogenie des Koiherpesvirus gewidmet. Seit 2021 ist er wieder am FLI als Wissenschaftler tätig.

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