Schafe im Wolfspelz – Wie unser Immunsystem Darmbakterien toleriert

Für ihre Bewerbung um den KlarText-Preis für Wissenschaftskommunikation 2022 in der Kategorie Biologie veranschaulichte Annika Hausmann, was sie in ihrer Promotion erforscht hat.


Das Abwehrsystem unseres Darms schützt unseren Körper vor mit der Nahrung aufgenommenen Krankheitserregern wie dem Salmonella-Bakterium. Gleichzeitig toleriert es hilfreiche Bakterien in unserem Darm – wie ist das möglich?

Unser Abwehrsystem schützt unseren Körper vor Eindringlingen wie Viren und Bakterien. Eine erste Barriere ist unsere Haut. Sie bietet einen physikalischen Schutz vor Krankheitserregern. Auch unser Darminneres ist mit einer solchen Haut ausgekleidet – der Darmschleimhaut. Wenn diese Barriere beschädigt wird, können Krankheitserreger in unseren Blutkreislauf und von dort aus in andere Organe gelangen, wo sie Schaden anrichten können.

Zum Glück gibt es spezialisierte Zellen, die Eindringlinge bemerken und sie abwehren, sozusagen die Polizisten in unserem Körper. Sie schützen uns vor Infektionen. Wenn sie überreagieren, können sie jedoch auch Erkrankungen, beispielsweise Autoimmunerkrankungen, auslösen.  Diese Zellen heißen Immunzellen und gehören zu unserem Abwehr- oder Immunsystem.

Hiervon gibt es zwei Kategorien – Immunzellen, die zum angeborenen Immunsystem gehören, und die des angepassten Immunsystems. Die angepassten Immunzellen schützen uns gegen Krankheitserreger, die uns schon einmal angegriffen haben. Im Falle eines erneuten Angriffs erinnern sie sich an diese Erreger und können schnell gegen sie reagieren. Diese angepassten Immunzellen können wir zum Beispiel mithilfe von Impfungen trainieren.

Doch was passiert, wenn unser Immunsystem einem Krankheitserreger das erste Mal begegnet und uns die angepassten Immunzellen nicht schützen können? In diesem Fall stehen die angeborenen Immunzellen bereit. Sie können eine Vielzahl an Erregern an bestimmten, häufig vorhandenen Merkmalen schnell erkennen und den Körper gegen sie verteidigen.

Ein solcher Erreger ist das Bakterium Salmonella. Salmonella kommt in Milch- und Fleischprodukten vor. Wenn wir uns mit Salmonella infizieren, bekommen wir für einige Tage Durchfall und Fieber. Salmonella-Bakterien haben eine besondere Oberfläche, die sie wie eine Art Mantel bedeckt. Dieser Mantel ist eines der Merkmale, die die angeborenen Immunzellen erkennen. Wenn die Immunzellen solche Salmonella-Mäntel entdecken, schlagen sie Alarm und greifen die Salmonella-Bakterien an, um uns vor ihnen zu schützen. Das löst Fieber aus.

Salmonella-Bakterien sind nicht die einzigen Bakterien, die einen solchen Mantel tragen. Unser Darm ist bevölkert von Millionen von Bakterien, von den viele einen sehr ähnlichen Mantel haben. Diese Bakterien sind wichtig für uns und helfen uns, Nahrung zu verdauen. Alle diese Bakterien in unserem Darm zusammengenommen heißen Mikrobiota.

Unsere Darmschleimhaut trennt das Darminnere und damit die Mikrobiota vom Rest unseres Körpers. Direkt unter der Darmschleimhaut sitzen angeborene Immunzellen und passen auf, dass Krankheitserreger wie die Salmonella-Bakterien nicht in das Innere unseres Körpers eindringen.

Wie erwähnt, tragen einige Mikrobiota-Bakterien ähnliche Mäntel wie Salmonella. Da diese Mäntel den angeborenen Immunzellen als Erkennungsmerkmal für Krankheitserreger dienen, sehen diese Bakterienarten für unsere angeborenen Immunzellen wie gefährliche Eindringlinge aus. Wie gelingt es unserem Immunsystem trotzdem, uns vor Salmonella-Bakterien zu schützen und gleichzeitig unsere Mikrobiota-Bakterien nicht zu attackieren? Wie kann es diese beiden Bakterienarten auseinanderhalten, obwohl sie gleich „aussehen“?

© Federico Cecere

Um dies zu verstehen, spritzten wir Mäusen einen Bestandteil des Mantels den Salmonella- und Mikrobiota-Bakterien gemeinsam haben. Bei diesen Mäusen konnten wir so analysieren, welche Immunzellen als erste die Bakterien bzw. ihren Mantel entdecken, und wie sie reagieren. Mithilfe von genetisch manipulierten Mäusen, denen bestimmte Immunzellen oder deren Funktionen fehlen, konnten wir besondere Wächterimmunzellen identifizieren.

Diese sitzen direkt unter der Darmschleimhaut und detektieren Bakterien, die aus dem Darminneren durch die Darmschleimhaut in unseren Körper eindringen, besonders schnell. Wenn diese Wächterimmunzellen einen Eindringling identifizieren, scheiden sie einen Botenstoff aus. Dieser Botenstoff aktiviert die Darmschleimhaut um die Immunzelle herum. Die Darmschleimhaut produziert daraufhin Moleküle, die bei der Reparatur der Darmschleimhaut helfen, sowie sogenannte Chemokine. In hohen Konzentrationen locken die Chemokine weitere angeborene Immunzellen an, um eine Abwehr- oder Entzündungsreaktion auszulösen.

Das Spannendste an dieser Entdeckung war, dass die Aktivierung der Darmschleimhaut räumlich sehr begrenzt ist, sozusagen in „Modulen“ abläuft. Die Immunzelle aktiviert nur die Darmschleimhaut in ihrer direkten Umgebung, ihrem eigenen Modul. Dies deutet darauf hin, dass die Sekretion des Botenstoffes durch die Immunzellen sehr streng kontrolliert wird, um eine Überreaktion zu verhindern.

Doch wie unterscheidet unser angeborenes Immunsystem nun zwischen Salmonella- und sonstigen Mikrobiota-Bakterien? Wie erwähnt, sitzen die Wächterimmunzellen direkt unter der Darmschleimhaut. Damit sie ein Bakterium anhand seines Mantels erkennen können, muss dieses Bakterium die Darmschleimhaut durchqueren.

Mikrobiota-Bakterien durchqueren die Darmschleimhaut normalerweise nicht aktiv. Kommt es jedoch zu kleinen Verletzungen in der Darmschleimhaut, kann es passieren, dass einzelne Bakterien in die Darmschleimhaut eindringen, wo sie dann von den Immunzellen erkannt werden.

Im Gegensatz dazu verfügen die Salmonella-Bakterien über sogenannte Invasionsfaktoren; Stoffe, die sie über kleine Protein-Nadeln in die Darmschleimhaut injizieren. Diese Invasionsfaktoren führen zu einer Aufnahme der Salmonella-Bakterien in die Darmschleimhaut. Bei einer Salmonella-Infektion kommt es also zu einer aktiven Invasion der Darmschleimhaut durch das Bakterium. Typischerweise geschieht dies an vielen Stellen auf einmal. Das bedeutet, dass viele der Wächterimmunzellen gleichzeitig Bakterien erkennen und Botenstoffe produzieren, die die Darmschleimhaut zur Produktion von Chemokinen anregen.

Der wichtige Unterschied ist also die Menge an Immunzellen, die Bakterien wahrnehmen und Botenstoffe ausscheiden.

Während es sich bei der Reaktion auf Mikrobiota-Bakterien in der Regel um eine lokal begrenzte Reaktion handelt – also um die Aktivierung eines oder weniger Module – schließt die Reaktion auf das Salmonella-Bakterium große Bereiche der Darmschleimhaut ein. Dies führt zu einer höheren Produktion an Chemokinen, die weitere angeborene Immunzellen zur Abwehr der bakteriellen Eindringlinge anlocken können. Somit kann es zu einer starken Entzündungsreaktion kommen.

Wir vermuten, dass diese modulare Aktivierung der Darmschleimhaut eine Art Schalter darstellt, der die Antwort von Reparaturmechanismen auf antibakterielle Entzündungsreaktionen umstellt.

Diese Ergebnisse sind besonders spannend in Bezug auf chronisch-entzündliche Darmerkrankungen. Bei diesen Erkrankungen leiden die Patienten unter chronischem Durchfall, Bauchkrämpfen und Müdigkeit. Dies wird hervorgerufen durch eine Abwehrreaktion des Immunsystems gegen Mikrobiota-Bakterien, wie sie normalerweise nur gegen Krankheitserreger wie das Salmonella-Bakterium ausgelöst wird – also einer Art Überreaktion, ähnlich wie bei Autoimmunerkrankungen.

Unsere Ergebnisse weisen darauf hin, dass die Wächterimmunzellen vor allem aufgrund ihrer Fähigkeit zur Überquerung der Darmschleimhaut zwischen „guten“ Mikrobiota-Bakterien und „schlechten“ Bakterien wie Salmonella unterscheiden. Dementsprechend würde eine ungewollte Überquerung durch eine größere Menge an Mikrobiota-Bakterien durch die Wächterimmunzellen als Gefahr wahrgenommen werden, selbst wenn sie an sich harmlos ist. Dies könnte zur Initiierung der Entzündungsreaktionen im Darm von Patienten mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen beitragen. So hilft uns Salmonella, das Immunsystem unseres Darms besser zu verstehen.


Annika Hausmann studierte Molekulare Medizin an den Universitäten Freiburg und Bonn. Während des Studiums entwickelte sie eine Faszination für das Darmimmunsystem und wie es uns erlaubt, mit unserer Umwelt zu interagieren. In ihrer Doktorarbeit in der Arbeitsgruppe von Wolf-Dietrich Hardt am Institut für Mikrobiologie der ETH Zürich identifizierte sie Mechanismen, mit denen das Darmimmunsystem zwischen nützlichen und schädlichen Bakterien im Darm unterscheidet. Seit Herbst 2021 untersucht sie als Postdoktorandin an der Universität Kopenhagen, wie das Darmimmunsystem mit der Darmschleimhaut kommuniziert, um die Funktion unseres Darmes zu gewährleisten.

Schreibe einen Kommentar


E-Mail-Benachrichtigung bei weiteren Kommentaren.
-- Auch möglich: Abo ohne Kommentar. +