Hör‘ mal wer da spricht

Für ihre Bewerbung um den KlarText-Preis für Wissenschaftskommunikation 2022 in der Kategorie Biologie veranschaulichte Julia Jenikejew, was sie in ihrer Promotion erforscht hat.


Für eine erfolgreiche Fortpflanzung ist Kommunikation das A und O, um sich zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort zusammenzufinden. Besonders entscheidend wird diese Absprache für bedrohte Tierarten, für die die Zucht in Menschenhand die letzte Rettung sein kann. So auch für das Breitmaulnashorn.

Wissenschaftlerinnen am Institut für Zoologie der Tierärztlichen Hochschule Hannover haben über Jahre das Verhalten von Breitmaulnashörnern in Zoos aufgezeichnet und konnten konkrete Indikatoren herausarbeiten, die anzeigen, wann das Zusammenführen eines Zuchtpaares am vielversprechendsten ist. Hierzu untersuchten sie sowohl den hormonellen Status als auch die laut- und geruchsbasierte Kommunikation der Tiere.

Tierkommunikation fasziniert uns Menschen schon seit Anbeginn der Zeit und hat im letzten Jahrhundert auch Einzug in die Wissenschaft gefunden. Dieses multidisziplinäre Fachgebiet beschäftigt sich nicht nur mit der Erforschung der Bildung, Verbreitung und Wahrnehmung von Signalen verschiedenster Tierarten, sondern widmet sich auch dem Ablauf und der Funktion verschiedener Kommunikationsarten. Besonders relevant wird es im Reproduktionskontext, wenn man untersucht, welche Kommunikationswege Tiere nutzen, um im richtigen Moment räumlich zusammenzufinden und sich gleichzeitig über die Absicht dieser Zusammenkunft einig zu sein. Solche Forschungsfragen erregen nicht nur aus wissenschaftlicher Sicht viel Neugier, sondern sind auch maßgebend für die Arbeit von Veterinär*innen sowie Tierhalter*innen. Diese beschäftigen sich mit der Fortpflanzung ihrer Schützlinge und benötigen für die täglichen Entscheidungen im Tiermanagement zuverlässige Anhaltspunkte, wie spezifische Verhaltensweisen oder Rufe.

Für das Breitmaulnashorn steht dabei besonders viel auf dem Spiel. Die Populationsbestände der wohl charakteristischsten Tierart Afrikas sind aufgrund von unaufhörlicher Wilderei, anhaltenden Dürreperioden und politischen Unruhen so anfällig wie nie. Die Zucht dieser Megaherbivoren in Tiergärten hat sich daher mittlerweile als ein wesentlicher Bestandteil der Artenschutzmaßnahmen etabliert und trägt zum genetischen und demografischen Reservoir für Auswilderungsprogramme bei. Doch trotz jahrelanger Forschung zur Reproduktion und Haltung, sowie intensiven Zuchtbemühungen, bleiben die Reproduktionsraten der europäischen Zoo-Population nach wie vor zu niedrig.

Forschende, die sich mit dieser Problematik beschäftigen, haben eine Reihe von physiologischen und sozio-biologischen Ursachen herausgearbeitet, die von hormonellen Anomalitäten im Zyklus, pathologischen Ausbildungen im Geburtskanal über unzureichende Spermienqualität bis hin zu ungünstigen Gruppen-Konstellationen, die im Verdacht stehen sozialen Stress zu verursachen, reichen. Bis dato mangelte es jedoch an Studien, die diese vielfältigen Aspekte parallel zueinander untersuchen und somit einen direkten Zusammenhang herstellen könnten. Dabei kann die Integration dieser Aspekte Aufschluss darüber geben, ob und wie sich physiologische Parameter im Verhalten und in der Kommunikation widerspiegeln. Daraus ließen sich eindeutige Indikatoren ableiten, die der Haltung und Zucht der Breitmaulnashörner in Menschenhand helfen könnten.

Gleichwohl man dazu neigen könnte, den gemächlichen Riesen nicht mehr arttypisches Verhalten als Fressen und Liegen zuzuschreiben, legen Breitmaulnashörner nicht nur ein ausgeprägtes Sozialleben an den Tag, sondern weisen auch ein einzigartiges vokales Repertoire auf, welches bis zu elf verschiedene Ruftypen umfasst. Die drei häufigsten sind dabei das „Fauchen“, welches unerwünschte Artgenossen auf Abstand hält und in ein „Grölen“ übergeht, sollte der Konflikt doch eskalieren und schließlich das „Keuchen“, welches einem freundlichen „Hallo!“ entspricht und Interesse am anderen bekundet. Doch welche dieser Ruftypen sind tatsächlich relevant für die Reproduktion?

Um das Rufverhalten und die Kommunikationsstruktur näher zu untersuchen und in möglichen Zusammenhang mit der Fortpflanzung zu bringen, kombinierten die Wissenschaftlerinnen unter der Leitung von Biologin Dr. Marina Scheumann systematische Verhaltensbeobachtungen und Rufanalysen mit hormonellen Untersuchungen. Dazu besuchten sie verschiedene Tiergärten mit Breitmaulnashorn-Gruppen und nahmen täglich über einen Zeitraum von jeweils ein bis zwei Monaten mit Hilfe von Videokameras und Mikrofon das reguläre Verhalten und die Vokalisationen der Tiere auf. Zusätzlich sammelten die Wissenschaftlerinnen Kotproben, um später in Zusammenarbeit mit dem Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierfoschung in Berlin die Konzentrationen der jeweils geschlechtstypischen Sexualhormone bestimmen zu können. Schließlich stand den Wissenschaftlerinnen eine umfassende Sammlung aus mehr als 250 Stunden Video-und Audiomaterial und 750 analysierten Kotproben von über 50 Breitmaulnashörnern aus insgesamt elf europäischen Zoos für die weitere Auswertung zur Verfügung.

Die in der Fachzeitschrift Scientific Reports veröffentlichte erste Studie zum Projekt verwies auf deutliche Unterschiede der ruf- und verhaltensbasierten Indikatoren zwischen den Geschlechtern: Während die Weibchen in den Gruppen als die dominanten Tiere agierten und mit den aggressiven Rufen „Fauchen“ und „Grölen“ insbesondere den Männchen gegenüber ablehnend auftraten, zeigten diese sich zwar häufig in der unterlegenen Rolle, suchten die Weibchen dennoch immer wieder mit einem „Keuchen“ auf. Solche geschlechtsspezifischen Unterschiede in der akustischen Kommunikation sind in der Tierwelt erst einmal nichts Ungewöhnliches, lassen sie sich doch in zahlreichen Arten beobachten. „Sie deuten jedoch auf etwas Wesentliches hin – dass sie eine wichtige Rolle im Werbe- und Sexualverhalten spielen“, erklärt die Erstautorin der Studie Dr. Julia Jenikejew. Doch wovon sind die geschlechtstypischen Verhaltensmuster abhängig? Woher wissen die Männchen zum Beispiel, wann es sich lohnt, sich der potenziellen Partnerin anzunähern, und wann sie eher eine Abfuhr zu erwarten haben?

Zwei weitere in der Fachzeitschrift Conservation Physiology publizierte Studien verglichen die Hormonprofile der Weibchen und Männchen mit ihrem Verhalten und fanden Antworten auf diese Fragen. Es bestätigte sich zunächst, dass sich die Konzentrationen des Hormons Progesteron zuverlässig dazu eignen, den weiblichen Zyklus zu charakterisieren und ihre fruchtbarste Phase, den Östrus, auf eine Dauer von bis zu fünf Tagen zeitlich einzugrenzen. Diese Phase fiel bei beiden Geschlechtern mit häufigerem Körperkontakt und vermehrten sozio-positiven Interaktionen untereinander zusammen. Auch Verpaarungen fielen in diese Phase. Auffällig war, dass auch das „Keuchen“ der Männchen vorwiegend während des weiblichen Östrus‘ auftrat, was die Paarungsfunktion des Rufes bestätigte. Gleichzeitig deutet es darauf hin, dass es ein von den Weibchen ausgehendes Signal geben musste, welches die Männchen dazu veranlasste aktiv um sie zu werben. Doch welches? Aufschluss dazu fanden die Wissenschaftlerinnen im auf dem Geruchssinn basierendem, also dem olfaktorischen Verhalten der Weibchen: Diese spreizten nämlich ausschließlich während ihrer Östrus-Phase den Schwanz ab und markierten sprühartig mit Urin.

„Die Tatsache, dass diese natürlichen Verhaltensmuster auch in Menschenhand beibehalten werden, sind deutliche Anzeichen, dass sie entscheidend für eine intakte Fortpflanzung sind“, schlussfolgert Dr. Jenikejew. Ihre Empfehlung für eine nachhaltig erfolgreiche Zucht der Breitmaulnashörner in Zoos ist daher die Simulation der natürlichen Bedingungen der Wildnis. Für das Fortbestehen dieser einzigartigen Art wäre eine stabile Zoo-Population entscheidend.


Julia Jenikejew studierte Biowissenschaften an der Universität Münster und folgte mit dem Schwerpunkt in der Verhaltensforschung ihrer absoluten Leidenschaft für die Tierwelt. Nach Feldforschungsaufenthalten in Madagaskar und Namibia fand sie schließlich in ihrem Promotionsprojekt am Institut für Zoologie an der Tierärztlichen Hochschule Hannover die einmalige Gelegenheit um eine Brücke zwischen Verhaltensbiologie und Artenschutz zu schlagen. Seit Anfang 2022 geht sie am Institut für Terrestrische und Aquatische Wildtierforschung (ITAW) nicht nur den ökologischen und anthropogenen Einflüssen auf die heimische Fauna nach, sondern bildet sich auch im angewandten Projektmanagement im Natur- und Artenschutz fort.

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