Quanten-Macher

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Rainer Blatt ist ziemlich dezidiert, wenn es um die Quantenphysik geht. Er hält rein gar nichts vom „Mystizismus“ – wie er es mit etwas abfälliger Miene sagt. Den hat die Theorie seit ihren Anfängen umweht, in einer Zeit, in der an irgendwelche Nachweise solch exotischer Themen wie verschränkter Teilchen oder Quanten-Teleportation überhaupt nicht zu denken war. Rein theoretisch begründet, hielt die Wissenschaft diese in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts neu formulierte Quantenphysik zuerst einmal für experimentell nicht beherrschbar. Sie galt als eine im physikalischen Labor unerforschbare Parallelwelt, die so gar nicht in unsere beobachtbare Wirklichkeit passt. Niels Bohr meinte deshalb noch: „Wer über die Quantenwelt nicht entsetzt ist, der hat sie nicht verstanden“. Die Materie löst sich darin in Bewegung auf, schlimmer noch: Werner Heisenberg konfrontierte die Welt mit der Unschärfe-Relation, die ohne experimentellen Boden reichlich Anlass zu unterschiedlichen Spekulationen bot und besagte, dass Materie – immer auch Welle zugleich – nur mit einer der beiden Zustandsgrößen experimentell exakt bestimmbar ist. Die jeweils andere Größe gehe nicht messbar im Rauschen der Unbestimmtheit unter. Alles in allem: eine Theorie, die jahrzehntelang besten Nährboden für allerlei mehr oder weniger tiefgründige philosophische Denkspiele bot.

In den letzten drei Jahrzehnten hat sich das mächtig geändert. Die Macher haben sich der Quantenphysik bemächtigt, längst jonglieren und teleportieren, kontrollieren und manipulieren sie in dieser Welt. Nichts scheint unmöglich. Der Physiker Rainer Blatt, den ich in Innsbruck besuchte, erzählte mir offen: Vor zwanzig Jahren habe er selbst es noch nicht für möglich gehalten, Eingriffe in die Quantenwelt nicht nur messen, sondern sogar wieder rückgängig machen zu können. Doch inzwischen wisse er, dass „das mit den richtigen Protokollen möglich ist“.

Der denk-gewaltige Ludwig Wittgenstein äußerte noch Anfang des 20. Jahrhunderts: „Die Welt ist alles, was der Fall ist“; Anton Zeilinger, der den Quanten-Ruhm des Innsbrucker Standortes maßgeblich mit begründete, setzte da knapp ein Jahrhundert später nicht minder wort-gewaltig noch eins oben drauf: „Die Welt ist alles, was der Fall ist – und auch alles, was der Fall sein kann.“ Eines der Hauptprobleme im Verständnis der Vorgänge im Quantenbereich ist für uns die Tatsache, dass der Faktor Zeit darin seine Bedeutung verliert. Deshalb hatte gerade Albert Einstein, der Entdecker der Lichtgeschwindigkeit und der zeitlich begrenzten Ausbreitungsgeschwindigkeit von Photonen, seine liebe Mühe, die Quantenphysik mit seiner Sicht der Welt zur Deckung zu bringen. Er war ein öffentlich bekennender Kritiker der Quantenmechanik, schob sie – bei allem wissenschaftlich ernst gemeinten Respekt vor den herausragenden Quantenphysikern seiner Zeit – doch in den Bereich überbordender Phantasie. Ihn störte vor allem jener Effekt, den er selbst in den dreißiger Jahren als „Quanten-Verschänkung“ bezeichnete: Sie besagt, dass Veränderungen der Quantenzustände isolierter Teilchen in allen damit verschränkten Teilchen „instantan“ – also gleichzeitig, und damit unabhängig von der Entfernung – auftreten. Einstein brachte sein Unbehagen auf eine einfache Begrifflichkeit und sprach von der „spukhaften Fernwirkung“. Die entlockt Blatt heute nur ein fast schon genervtes: „Ich halte nichts davon“. Klar, er ist ein Quanteningenieur, und mit Magie kommt man da nicht weit. Viel mehr hält er dagegen von belastbaren Experimenten, mit denen man die Quantenwelt inzwischen immer besser und ganz real unter Kontrolle bringen kann. Das “Wie” steht also im Fokus, das “Warum” bleibt dabei belanglos, und damit auch, ob wir solche Vorgänge jemals wirklich begreifen können. Dieses Feld überlässt Blatt gern den Philosophen, deren bis ins Bizarr-Surreale gehende Interpretationen ihn selbst offenbar ganz kalt lassen.

Diese furchtlose Einstellung ist zweifellos die beste Grundlage für den gewaltigen Fortschritt bei der Quanten-Teleportation. Der für den in der makroskopischen Wirklichkeit verorteten Menschen reichlich skurrile Effekt ist inzwischen faktisch bewiesen und in der quantenphysikalischen Welt der Hochschulen längst “business as usual”. Er bietet inzwischen massive technologische Möglichkeiten. Quanten Computing ist das Ziel: ein Betriebssystem für Computer, die künftig nicht mehr mit Bits, sondern mit QuBits rechnen und dank ihrer ausgeprägten Fähigkeiten im Parallelprozessieren immer dann den rasch heiß laufenden Digitalrechnern den Rang ablaufen werden, wenn es um das Operieren mit großen Datenmengen geht. Ob es noch fünfzehn oder weniger als zehn Jahre dauern wird, bis erste brauchbare Quantenalgorithmen auf dem Markt sein werden? Darüber lässt sich trefflich streiten. Im Grund genommen ist es nur noch eine Frage der Ressource Mensch. Der Hype auf die Quantentechnologie bei jungen Forschern und Entwicklern in der Industrie mag ein Indiz dafür sein, dass es schneller gehen könnte, als manch vorsichtiger Geist heute noch erwartet.

Innsbruck ist ein Hotspot dieser Forschungsdisziplin – und irgendwie hofft die Wissenschafts-Community dort auch, einen Nobelpreis für die großen hier vollbrachten Leistungen einheimsen zu können. Allerdings wird der altehrwürdigen Auszeichnung höchst forschender Tätigkeit im Zeitalter der modernen Wissenschaftsstruktur irgendwie der Boden entzogen. Naturwissenschaftliche Forschung am Rande unserer Erkenntnis funktioniert nicht mehr im Stile Albert Einsteins, sondern nur noch im Team – und selbst die Grenzen zwischen theoretischer und experimenteller Arbeit zerfließen immer mehr. Dem trägt das von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und der ortsansässigen Universität gegründete Innsbrucker Institut für Quantenoptik und Quanteninformation Rechnung, in dem Theoretiker und Experimentatoren Hand in Hand zusammen arbeiten. Die kurzen Wege führen halt schneller zum Ziel.

Lässt sich wissenschaftliche Innovation heute also überhaupt noch einzelnen Köpfen zuweisen? In Boulder Colorado beispielsweise, dem Wirkungsfeld des großen David J. Wineland, Nobelpreisträger im Jahr 2012, gehörte auch der junge Rainer Blatt zu jenem Team, das die Quantenphysik der Atome auf eine experimentelle Stufe hob: In einer Ionenfalle von Wolfgang Paul haben sie dort ein ionisiertes Beryllium-Atom durch Laserbestrahlung zwischen Spiegeln in eine Stehwelle, also praktisch zum Stillstand gebracht und dann durch weitere Laserbestrahlung so manipuliert, dass das Ion in einem möglichst stabilen Überlagerungszustand gehalten wurde. Dafür muss das ionisierte Atom einen Energiewert einhalten, der genau zwischen zwei Quantenzuständen liegt. Manch einer sagt, die Nobelpreis-Leistung von Wineland in Boulder wäre ohne das große Team hinter ihm niemals möglich gewesen …

Blatt wollte aber noch mehr. Denn in Innsbruck legten Peter Zoller und Ignacio Cirac Mitte der neunziger Jahre den theoretischen Grundstein einer weiterführenden Erkenntnis. Sie berechneten, dass sich ein Atom in diesem Überlagerungszustand mit einem anderen Atom in Überlagerungszustand „verschränken“ lässt, wie es in der Fachsprache heißt. Anders gesagt: Sie bewiesen auf dem Papier, dass Quanten-Verschränkung experimentell tatsächlich möglich sein könnte, nämlich dann, wenn es gelingt, mehr als ein Atom in einer Ionenfalle ruhig zu stellen. So können sich die Quanteneffekte überlagern. Die in Formeln gefasste Schlussfolgerung von Zoller und Cirac anders formuliert: Verschränkte Atome können grundsätzlich als Parallelspeicher für Rechenoperationen dienen. Soweit also die Theorie. Kein Wunder: Diese Vorstellung elektrisierte den Macher Blatt, der inzwischen in Innsbruck sesshaft geworden war. Wie könnte man in einer Falle nicht nur ein Teilchen, sondern gleich mehrere davon zum Stillstand bringen? Es brauchte jahrelanges Tüfteln und Probieren, aber 2004 konnte die sensationelle Meldung veröffentlicht werden: In den Laboren der Tiroler Landeshauptstadt war es erstmals gelungen, drei Ionen nicht nur in Quantenüberlagerung zu verschränken, sondern sie in diesem Zustand auch noch kontrolliert zu manipulieren. Die experimentelle Tür zu den QuBits war aufgestoßen.

Heute sind atomare Verschränkung und Quanten-Teleportation in Blatts unterschiedlichen Forschungsstätten „state of the art“. Daraus ist für den Wissenschafts-Nachwuchs ein weites Aktionsfeld erwachsen. Die Komplexität des Gesamtsystems, die Aufrechterhaltung der Verschränkung von mehreren Teilchen in einer Falle, aber auch die Fehlerkorrektur-Verfahren mit dem permanenten Eingriff ins so instabile Quantensystem – alles das ist hoch komplex, weder theoretisch noch experimentell gänzlich voll im Griff – und für den Außenstehenden schlichtwegs unverständlich. In meiner Sendung aus Innsbruck habe ich dennoch den gewagten Versuch unternommen, die forschende Welt von Rainer Blatt zumindest andeutungsweise vorzustellen. Klar, dass all das, was dort geschieht, an die Grenzen dessen geht, was für den Nicht-Physiker noch irgendwie greifbar ist. Manchmal glaubt man dabei, selbst in eine mentale Unschärferelation abzudriften, in der sich Fäden der Erkenntnis spinnen, nur, um sich dann gleichzeitig wieder gänzlich aufzulösen. Die Bedeutung solcher Wissenschaft ist dabei aber evident: Denn das, was da gerade auf atomarer Ebene passiert, ist faszinierend, spektakulär und technologisch hoch relevant zugleich. Kurz gesagt: Morgen werden diese Technologien unsere Welt bestimmen.

Aber bitte auch das: In Sachen Quanten-Teleportation nicht abheben! Wer glaubt, bald könnte das kultige “Beam me up, Scotty” eines Captain Kirk zur Realität werden, der wird von Blatt gleich eines Besseren belehrt und ziemlich hart auf den Boden der realen Tatsachen zurückgeholt. „Die Quanten-Teleportation braucht immer einen klassischen Kanal der Nachrichtenübertragung, sonst kann der Empfänger mit seiner Quanteninformation nichts anfangen. Mehr ist da nicht!“ – Basta! – möchte man da noch hinzufügen. Aus, der Traum also – schade eigentlich!

Hier noch mein Interview mit Tommaso Calarco, dem zentralen Kopf hinter dem europäischen Quanten-Manifest:

Manifest der Quanten-Macher

Mehr bei Spektrum über die Forschungen von Rainer Blatt – hier.

Den Sprechertext der Reportage gibt’s bei HYPERRAUM.TV.

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Ich habe viele Jahre journalistisch im Bereich Wissenschaft und Technologie gearbeitet, später dann mit meiner kleinen Beratungsfirma als Medienexpertin. 2010 erfüllte ich mir meinen großen Traum und gründete den Spartensender HYPERRAUM.TV, für den ich eine medienrechtliche Rundfunklizenz erteilt bekam. Seither mache ich als One-Woman-Show mit meinem „alternativen TV-Sender“ gewollt nicht massentaugliches Fernseh-Programm. Als gelernte Wissenschaftshistorikern habe ich mich gänzlich der Zukunft verschrieben: Denn die Vergangenheit können wir nur erkennen, die Zukunft aber ist für uns gestaltbar. Wir sollten versuchen, nicht blind in sie hinein zu stolpern!

12 Kommentare

  1. Zitat: Ob es noch fünfzehn oder weniger als zehn Jahre dauern wird, bis erste brauchbare Quantenalgorithmen auf dem Markt sein werden?
    Brauchbare Quantenalgorithmen gibt es schon länger, brauchbare Quantencomputer aber noch nicht (so richtig). Ein Algorithmus ist eine Rechenvorschrift und damit ein Haufen Papier. Sie können sicher sein: Es gibt ganze Papierberge vollgedruckt mit Quantenalgorithmen, es gibt aber noch keine Maschinen auf denen diese laufen.

    In der Wikipedia findet man unter Quantum algorithm immerhin 18 solche Quantenalgorithmen. In Quantum algorithm Zoo finden sich noch mehr. Doch sie können sicher sein. Es gibt noch viel mehr.

    Im übrigen ist die Quantenmechanik schon lange eine der am besten und stärksten bestätigten physikalischen Theorien. Das muss sie auch sein, damit man gar Quantencomputer bauen kann, denn es braucht geradezu unheimliches Vertrauen in die Theorie, wenn man einen Quantencomputer bauen will. Ein solcher Computer spuckt nämlich nach kurzer oder auch langer Rechnung ein Resultat aus und es ist praktisch unmöglich den Rechenvorgang zu debuggen. Man stelle sich einen konventionellen Computer vor, den man nicht debuggen kann, bei dem man also nicht nach jedem Schritt überprüfen kann ob er das Richtige macht. Den meisten Programmieren stehen nur schon beim Gedanken daran die Haare zu Berge. Doch bei Quantencomputern ist das tatsächlich so: Man kann Quantenprogramme nicht debuggen. Man muss in den Algorithmus und in die Maschine vertrauen – und damit auch in die Theorie, die dahinter steht.

    Gut noch, dass sie Einstein und damit das Einstein-Podolksy-Rosen Paradox erwähnen, denn wie sie richtig sagen, Einstein irrte, was die Quantentheorie angeht, als er mit dem ERP-Paradox zeigen wollte, dass diese Theorie nicht vollständig sein kann. Doch er irrte auf geniale Weise: In diesem Paradox zeigt er, dass aus der Quantentheorie folgt, dass es eine instantane Fernwirkung gibt, indem eine Messung an einem mit einem anderen Teilchen verschränkten Teilchen sofort das andere Teilchen mitändert, auch wenn das andere Teilchen weit entfernt ist. Einstein sah darin einen Widerspruch, würde doch das Lokalitätsprinzip verletzt. Das Lokalitätsprinzip besagt, dass jede Wirkung sich ausbreiten muss, damit sie ein entferntes Objekt beeinflussen kann und die Ausbreitungsgeschwindikgeit der Wirkung kann höchstens Lichtgeschwindigkeit betragen. Allerdings war das ERP-Paradox nur ein Gedankenexperiment. Niemand hatte so etwas 1935 (Datum der Erfindung des ERP-Paradoxs) beobachtet oder gar gemessen. Das Geniale am EPR-Paradoxon ist nun gerade, dass es eine Steilvorlage für Experimentalphysiker war, so etwas zu überprüfen. Experimentell erstmals gefunden wurde diese “spukhafte Fernwirkung” aber erst 1972, bestätigt dann von Alain Aspect in den 1980er Jahren . Die Experimentalphysiker haben hier wirklich geschlafen. Die Quantentheorie war nämlich in den 1930er abgeschlossen. Doch die Experimentalphysiker haben wichtige Effekte, die sie beschrieb, erst Jahrzehtnte später nachgewiesen. Wie aber interpretiert man heute die “spukhafte Fernwirkung”? Nun, es gibt nur eine Interpretation, die kompatibel mit dem Lokalitätsprinzip ist: Die beiden verschränkten Objekte sind offensichtlich trotz der räumlichen Entfernung in gewisser Hinsicht immer noch ein Objekt und es braucht daher gar keine räumliche Ausbreitung der Wirkung einer Messung. Wenn wir ein Objekt messen, messen wir damit auch das andere, weil die beiden Objekte in Bezug auf das, was wir messen zusammengehören. Die beiden Objekte sind also eine Art telepathisch verbundene Zwillinge um jetzt einmal etwas esoterisch zu werden (was aber nicht nötig ist um mit der Quantentheorie zurecht zu kommen).

    Wer weiss, vielleicht gibt es ja noch mehr wichtige und spektakuläre Dinge ähnlich dem EPR-Paradoxon, die sich kluge Leute schon lange ausgedacht haben und die nie jemand überprüft hat womit uns vieles entgangen ist – oder auch erspart blieb.

  2. Herr Holzherr: Danke für die interessanten Ausführungen zur spukhaften Fernwirkung – aber auch und gerade zur Assoziation mit dem Debugging. Das war mir so noch gar nicht in den Sinn gekommen. Und das wird für den einschlägigen Markt erhebliche Veränderungen bringen. Denn es passt so gar nicht zur heute üblichen, von Microsoft eingeführten Logik: nicht ganz fertige Software im Markt zu finalisieren. Außerdem wohl auch das: nicht mehr die frei fliegenden, eher kreativ arbeitenden Nerds, sondern bodenständige Ingenieurs-Denker werden künftig als Quantenprogrammierer gefragt sein. Oder? Wie sehen Sie das?

    • Ja Susanne Päch, die Quantenprogrammier der ersten Stunde sind sogar theoretische Physiker und Mathematiker.
      Auch wenn Quantencomputing einmal eine breitere Verbreitung gefunden haben wird es nur wenige eigentliche Quantenprogrammierer geben. Vielmehr ist zu erwarten, dass Quantencomputing in ganz bestimmten Bereichen zum Einsatz kommt, nämlich in Gebieten, wo ein Quantencomputer einen klassischen Computer um Längen schlängt. Das ist aber lange nicht auf allen Gebieten der Fall. Gebiete wo man etwas von Quantencomputern erwarten kann sind etwa die Materialforschung, die Entwicklung von Medikamenten oder das Gebiet des Machine Learning. Ein paar wenige Quantenalgorithmen für diese Spezialanwendungen können dann aber das ganze Gebiet völlig umwälzen, einfach weil nun Probleme angegangen werden können, die sich früher jeder Berechnung entzogen.

      • @Martin Holzherr: Wenn ich die Experten richtig verstanden habe, dann sind das die Quantensimulatoren, die Sie da in der Anwendung beschreiben – wobei mir auch gesagt wurde, dass die Grenze zwischen Quantensimulatoren und Quantencomputern oft nicht mehr gezogen wird. Und ja, es wird interessant zu beobachten sein, wie der Programmierer vom Mathematiker zu Physiker migriert!

  3. Von Quantencomputern erwartet man Quantum Supremacy (superpolynomial speedup), also eine so starke Überlegenheit gegenüber klassischen Computern beim Lösen bestimmter Probleme, dass diese Probleme nur von Quantencomputern in endlicher Zeit gelöst werden können. Es geht also nicht um die Berechnbarkeit an und für sich (denn was berechnbar ist kann selbst der allereinfachste Computer lösen, wenn man ihm Zeit lässt), sondern es geht um die Geschwindikgeit, es geht um die Zeit bis die Lösung vorliegt. Ein Quantum Supremat kann das gleiche Problem in endlicher Zeit lösen, wofür ein klassischer Supercomputer eventuell länger bräuchte als das Universum schon alt ist.
    Allerdings war bis vor kurzem ungewiss, ob es solche Probleme überhaupt gibt, oder ob man durch geschicktes Programmieren von klassischen Computern Quantencomputer “einholen” könnte.
    In der Informatik ist das Problem der Geschwindigkeit eines Computers beim Lösen eines Problems unter dem Begriff “Komplexitätsklasse einer Berechnung” bekannt.
    Ursprünglich kannte man nur die beiden wichtigen Komplexitätsklassen P und NP, wobei P für “lösbar in polynominaler Zeit” und NP für lösbar in “nondeterministisch polynomialer Zeit” steht. Sortieren von n Datenelementen ist beispielsweise in der Komplexitätsklasse P, denn der Aufwand steigt mit der Anzahl n der zu sortierenden Elemente gemäss n*log(n), doppelt soviel Elemente zu sortieren benötigt also etwas mehr als doppelt soviel Rechenzeit. Das ist aber nur ein Spezialfall für einen polynomialen Rechenaufwand wo maximal n hoch a (a hoch eine Konstante) Zeit benötigt wird, um ein Problem zu lösen.
    Ein Problem ist in NP [nondeterministischer polynominaler Zeitaufwand], wenn man es durch einen Rechner mit unbegrenzter Parallelität in polynomialer Zeit lösen kann. Bis heute ist unbekannt ob NP == P ist oder nicht, man kann aber zeigen, dass fast alle NP-Probleme auf ein “Ur”-NP-Problem zurückgeführt werden können. Ferner hat man in einer Generalisierung von NP-Problemen, die Problemklasse PH (polynomiale Hierarchie) geschaffen, welche P und NP-Probleme umfasst und noch Raum für Probleme offenlässt, die noch komplexer sein könnten als NP-Probleme.
    Seit dem Beginn des Quantum Computing als Idee gibt es jedoch eine weitere Berechnungsklasse, nämlich BQP (“bounded-error quantum polynomial time.”): Das sind Probleme, die Quantencomputer in polynomialer Zeit lösen können. Bis gestern wusste man nicht ob eventuell P == NP == PH == BQP, man wusste also nicht ob Quantencomputer wirklich echt stärker sind. Doch gestern (also vor ein paar Monaten) hat der theoretische Informatiker Ran Raz von der Princeton University zusammen mit einem Kollegen bewiesen, dass BQP echt effizienter ist als PH, dass es also Probleme gibt, für die schon heute und für ewige Zeiten sicher ist, dass sie bei genügend grosser Problemgrösse nur von Quantencomputern gelöst werden können. Darüber berichtet der Quanta-Artikel Finally, a Problem That Only Quantum Computers Will Ever Be Able to Solve Hier ist das Problem (Zitat Quanta Magazine, übersetzt von DeepL): Stellen Sie sich vor, Sie haben zwei Zufallszahlengeneratoren, die jeweils eine Ziffernfolge erzeugen. Die Frage für Ihren Computer ist diese: Sind die beiden Sequenzen völlig unabhängig voneinander oder stehen sie in einem verborgenen Zusammenhang (wobei eine Sequenz die “Fourier-Transformation” der anderen ist)? Aaronson hat dieses “Forrelation”-Problem 2009 eingeführt und bewiesen, dass es zu BQP gehört. Das ließ den härteren, zweiten Schritt – zu beweisen, dass forrelation nicht in PH ist.
    Ran Raz, ein theoretischer Informatiker an der Princeton University, hat das nun bewiesen: Dieses Problem kann nur von einem Quantencomputer in polynominaler Zeit gelöst werden und BQP (universelles Quantenrechnen) ist weit mächtiger als PH (Polynominales Zeugs auf der klassischen Maschine)

  4. Susanne Päch schrieb (22. Juni 2018):
    > Rainer Blatt ist ziemlich dezidiert, wenn es um die Quantenphysik geht. […]
    > „Die Quanten-Teleportation braucht immer einen klassischen Kanal der Nachrichtenübertragung, sonst kann der Empfänger mit seiner Quanteninformation nichts anfangen. Mehr ist da nicht!“

    Ähnlich dezidiert ist festzustellen:
    „Das Quanten-Computing braucht immer eine in klassisch-atomaren Rechenschritten ablaufende Probe des Ergebnisses, sonst kann der Nutzer nicht guten Gewissens damit aufhören, das Ergebnis zu bezweifeln und die entsprechenden Quanten-Computer-Versuche immer noch weiter zu wiederholen.“

    p.s.
    > Nils Bohr meinte […]

    … Niels Bohr.

    p.p.s.
    SciLogs-Kommentar-HTML-Test:

    “&amp;mu;<sub>B</sub>” wird dargestellt als: “μB”.

    • Frank Wappler: merci! Der Niels war tatsächlich kein Flüchtigkeitsfehler, sondern eine Wissenslücke – hier korrigiert. 🙂

  5. @Susanne Päch (Zitat): Wenn ich die Experten richtig verstanden habe, dann sind das die Quantensimulatoren, die Sie da in der Anwendung beschreiben – wobei mir auch gesagt wurde, dass die Grenze zwischen Quantensimulatoren und Quantencomputern oft nicht mehr gezogen wird.
    Quantencomputer sind noch etwas anspruchsvoller als Quantensimulatoren. Quantensimulatoren müssen das zu simulierende System meist mit Simulationshardwareelementen nachbilden, Quantencomputer nicht.
    Bis Quantencomputer oder auch nur schon Quantensimulatoren für anspruchsvolle Aufgaben zur Verfügung stehen kann es durchaus noch ein oder zwei Jahrzehnte dauern. Es gibt hier möglicherweise eine Analogie zu den Fusionsreaktoren. Von denen wurde auch jahrzehntelang als zukünftigen Energielieferanten gesprochen. Aber erst heute steht in jedem Keller ein Fusionsreaktor 😉

  6. Susanne Päch schrieb (27. Juni 2018 @ 14:02):
    > Frank Wappler: merci! Der Niels war […] eine Wissenslücke

    Gern geschehen.
    Dass der Dank ausdrücklich offenbar nur meinem Hinweis auf die Rechtschreibung des Vornamens von Niels Bohr galt, nicht aber meinen Hinweisen auf die (nach wie vor) unbefriedigende Unterstützung von HTML-Tag-Darstellungen in SciLogs-Kommentaren bzw. auf die Vorläufigkeit jeglicher Ermittlung von Potentialen und (potentiellen) Orientierungen oder Verdrehungen (aus dem Vergleich der Ergebnisse von atomar-nachvollziehbaren Berechnungen mit nicht-atomaren “Vorgängen”), lässt verbliebene und eher noch gravierendere Lücken vermuten …

  7. Lieber Herr Wappler:

    … unbefriedigende Unterstützung von HTML-Tag-Darstellungen in SciLogs-Kommentaren…

    Erstens sei noch einmal darauf hingewiesen, dass es sich bei den SciLogs nicht um ein Produkt von HYPERRAUM.TV handelt, sondern von Spektrum. Ich habe keinerlei Möglichkeiten, von meiner Seite in die Programmierung des Portals einzugreifen, als rein ideeller Anwender kann ich nur bei der Redaktion von Spektrum auf das Thema aufmerksam zu machen, was ich bereits mehrmals getan habe. That’s it. Dort verweist man mich auf größere technische Probleme als dieses, die vorher zu lösen seien.

    .. auf die Vorläufigkeit jeglicher Ermittlung von Potentialen und (potentiellen) Orientierungen oder Verdrehungen (aus dem Vergleich der Ergebnisse von atomar-nachvollziehbaren Berechnungen mit nicht-atomaren “Vorgängen”)verbliebene und eher noch gravierendere Lücken vermuten…

    Zweitens: Die Tatsache, dass ich dies als einen interessanten Gedankengang betrachte, halte ich nicht für genügend relevant, um ihn der Weltöffentlichkeit mitzuteilen. Hat echt null Bedeutung für eine fachliche Auseinandersetzung. Darüber müssen andere befinden. Was Wissenslücken grundsätzlich angeht: Dazu stehe ich als Querschnittsdenker.

  8. Aber erst heute steht in jedem Keller ein Fusionsreaktor

    Das ist das Blöde an Prognosen von bereits sichtbaren Trends. Der Zeitstrahl ist reichlich unbestimmt. Die heute berühmten Flugtaxis (weil ich mich gerade wieder einmal mit autonomem Fahren befasst habe … nicht philosophisch, sondern technologisch … und in Kürze auch etwas veröffentlichen werde) müssten nach Prognosen des Jahres 1900 schon längst umherschwirren. Der Teufel steckt halt manchmal im Detail – warum soll’s beim Quantencomputer auch anders sein?

  9. Susanne Päch schrieb (28. Juni 2018 @ 11:42):
    > [… die] Redaktion von Spektrum auf das Thema [»unbefriedigende Unterstützung von HTML-Tag-Darstellungen in SciLogs-Kommentaren«] aufmerksam zu machen […]
    > Dort verweist man mich auf größere technische Probleme als dieses, die vorher zu lösen seien.

    Somit ist es uns gemeinsam offenbar gelungen, öffentlich und archiviert zu dokumentieren, dass diejenigen, denen eine “technische Lösung des Themas” zu Gebote steht, davon Kenntnis genommen und Rückmeldung gegeben haben. Weiter so!

    > […] dass es sich bei den SciLogs […] um ein Produkt […] von Spektrum […] handelt

    Ich finde es zwar unbehaglich, mich als “Konsument eines Produkt” ausgeben zu müssen, um mich öffentlich, Barriere-frei, archiviert und (vor allem) hinsichtlich bestimmter “Themen” auffindbar äußern zu können.

    Immerhin besteht aber dadurch auch die Aussicht, diejenigen, denen zu Gebote steht, öffentliche, Barriere-freie, archivierte und thematisch auffindbare (Meinung-)Äußerungen stattdessen durch Einsatz eines angemessenen Anteil unseres Beitrags für kommunikative Teilhabe zu finanzieren, von dieser Möglichkeit in Kenntnis zu setzen und ggf. zu Rückmeldungen zu veranlassen.

    > […] Was Wissenslücken grundsätzlich angeht: Dazu stehe ich als Querschnittsdenker.

    Immerhin besteht trotzdem die Aussicht, auf diesem Wege denjenigen öffentliche Kenntnisnahme und Rückmeldung abzuringen, die Wissenslücken (jeweils in einem hinreichend engen Fachgebiet) ebenso für letztlich schließbar halten, wie ich.

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