Asteroiden-Abwehr


Ein namenloser, etwa zwanzig Meter großer Asteroid aus dem Weltraum tauchte 2013 plötzlich am Himmel über dem Ural auf und zerbarst  knapp über der Erdoberfläche. Zwar schlugen nur kleinere Brocken auf der Oberfläche auf, doch die mächtige Schockwelle der Detonation richtete erheblichen Schaden an. Sechs umliegende Städte wurden von der Druckwelle erschüttert, alle Fenstergläser gingen zu Bruch und rund 1500 Menschen mussten medizinisch versorgt werden.

Noch kennen wir viel zu wenige: Von geschätzt mehreren Millionen Asteroiden bis zu einer Größe von hundert Metern, die die Erde meist auf stark elliptischen Bahnen umkreisen, kennen wir gerade mal sechstausend. Die Objekte zwischen hundert Metern und einem Kilometer werden auf fünfzigtausend geschätzt, katalogisiert ist davon bisher nur ein Fünftel. Lediglich bei den wirklich großen Asteroiden mit einem Durchmesser von mehr als einem Kilometer liegt die Dunkelziffer bei geschätzt nur etwa zehn Prozent, fast neunhundert Objekte sind hier bekannt. Die kleinen NEOS mit Durchmessern von unter dreißig Metern – also die Kategorie des Tscheliabinsk-Asteroiden – sind heute also praktisch unbekannt. Um Einschläge solcher Objekte schon Tage im Voraus entdecken zu können, entwickelt die ESA ein eigenes terrestrisches Teleskop. Es hat den Namen FlyEye und wird in Sizilien den Nachthimmel künftig regelmäßig überwachen. Erstmals soll damit ein globales Vorwarnsystem für kleine Asteroiden aufgebaut werden.

Die große Frage hinter der Jagd auf NEOs: Was würde es uns nützen zu wissen, dass eine Kollision bevor steht? Könnten wir eine solche Katastrophe überhaupt verhindern?

Schon 2012 startete die Europäische Union das Projekt NEO Shield. Es befasste sich mit dem Krisenfall einer bevorstehenden großen Kollision. Darin hat nicht nur die NASA, sondern auch die russische Behörde Roskosmos mitgearbeitet. Alan Harris, Leiter dieses vom DLR international gemanagten Projektes, kam mit seinen Kollegen zum Schluss, dass es für diesen Notfall vor allem drei Methoden einer möglichen Abwehr gibt: Erstens die Veränderung der Bahn durch einen kinetischen Einschlag, zweitens die berührungslose Bahnveränderung durch die Gravitationswirkung einer in der Nähe des Asteroiden platzierten Sonde – und drittens mit Hilfe eines nuklearen Sprengsatzes. Die dritte Maßnahme möchten die aus der zivilen Raumfahrt kommenden Experten möglichst vermeiden, die zweite erfordert zwar langen Vorlauf, wo dies aber möglich ist, bietet die Methode den Vorteil, dass sie ohne weitere Erkundungsflüge umsetzbar ist. Dennoch wird heute die erste Methode als wahrscheinlichste propagiert. Tim Spahr, Pionier der Asteroidenforschung, führt im Video aus, warum es seiner Meinung nach in jedem Fall vorab eine Erkundungsmission erfordern würde. Denn unser Wissen über die physikalischen Eigenschaften von Asteroiden noch viel zu gering ist, um die tatsächliche Wirkung eines derartigen Manövers vorhersagen zu können.

Übrigens hat es in der zivilen Raumfahrt-Geschichte der USA schon einmal ein Armageddon-Szenario gegeben: Ziel der Mission Deep Impact war der Komet Tempel 1. Ein 372 kg schweres Projektil aus Kupfer wurde zu ihm auf Kollisionskurs gebracht. Erstmals konnte die Wissenschaft einen Blick ins Innere eines Kometen werfen. Ob jedoch die Bahn des Objektes durch die Wucht des Aufpralls verändert wurde, blieb 2005 wegen fehlender Beobachtungsmethoden unerforscht. Beim Besuch des Kometen durch die Sonde Star Dust im Jahr 2011 zeigte sich jedenfalls nicht einmal mehr der Krater, der durch den Einschlag geschlagen worden war. 

Wie weit es überhaupt gelingt, einen Asteroiden tatsächlich aus seiner Bahn zu bringen, das soll bei einer bereits fest geplanten Mission der NASA nun erstmals genauer untersucht werden. Unter realen Bedingungen wird mit DART (für Double Asteroid Redirection Test) der Ernstfall geprüft: Wie verändert ein kinetisches Projektil die Flugbahn eines Asteroiden tatsächlich? Testobjekt ist der Asteroid Didymos mit einem Durchmesser von achthundert Metern. Er wird in einem Abstand von etwas mehr als einem Kilometer von einem Trabanten begleitet: ein hundertfünfzig Meter messender  Mond, der auf Kollisionskurs mit der Erde erheblichen Schaden anrichten könnte. Er ist das eigentliche Ziel der Mission.

Der Start von DART wird zum Jahreswechsel 2020/21 sein. Im Oktober 2022 soll die Sonde dann das elf Millionen Kilometer von der Erde entfernte Asteroiden-Doppelsystem erreicht haben. Wenn das 500 Kilogramm schwere Teil auf den Asteroidenmond zurast, wird DART noch den optimalen Einschlagspunkt ermitteln. Die dafür nötigen Manöver werden nicht mehr vom Bodenzentrum der NASA, sondern erstmals von der internen Software an Bord von DART gänzlich autonom gesteuert. Sie errechnet dabei auch den optimalen „Rendezvous-Punkt“, also den genauen  Einschlagpunkt der Sonde. Zuletzt bringt sich DART selbständig auf exakten Kollisionskurs. Mit etwa sechs Kilometern pro Sekunde wird die Sonde dann auf dem Mond einschlagen.

Geht es nach den Planungen des Planetary Defence Office der ESA, soll drei Jahre später die europäische Sonde HERA das Asteroiden-Paar besuchen. So könnte die Wirkung des Projektils vor Ort viel genauer vermessen und die Objekte nach dem Einschlag aus der Nähe deutlich besser beobachten werden, als das mit irdischen Teleskopen möglich ist. Doch die fast dreihundert Millionen Euro teure Mission ist derzeit im ESA-Budget noch nicht finanziell abgesichert. Die Abwehrexperten hoffen aber, dass die Absegnung des Projektes beim ESA-Ministerrat im November erfolgt. Politisch wird das Projekt stark von Deutschland unterstützt, denn OHB hätte geeignetes Know How und auch großes Interesse, die Sonde im Auftrag der ESA zu bauen.

Wird der Mensch mit DART erstmals die Bahn eines Himmelsobjektes in unserem Sonnensystem  maßgeblich verändern können? Mit oder ohne HERA wird die Wissenschaft durch das Kollisions-Manöver mit dem Didymos-Mond weitere Aufschlüsse über die innere Struktur von Asteroiden gewinnen. Damit lassen sich die numerischen Modelle weiter  verbessern, mit denen solche Abwehrszenarien für den Gefahrenfall simuliert werden. Aber auch die Berechnung der grundsätzlichen Effekte von Asteroiden-Einschlägen wird mit diesen Erkenntnissen an Präzision gewinnen.

Würde sich ein größerer Asteroid auf Kollisionskurs mit der Erde befinden, braucht es aber nicht nur technische Lösungen, denn eine derartige Mission zur Abwehr eines Einschlages muss weltweit legitimiert sein. Deshalb ist das Thema längst auch bei den Vereinten Nationen auf der Agenda. Inzwischen haben zwei große Gruppen ein UN-Mandat, sich um das Gefahrenpotenzial eines Asteroiden-Einschlages und Abwehrszenarien auf weltweiter Bühne zu kümmern. Im IAWN, dem International Asteroid Warning Network, arbeiten weltweit vor allem Betreiber von Teleskopen zusammen, die die Entdeckung von Asteroiden voran bringen.

Das zweite Gremium innerhalb der UN ist die Space Mission Planning Advisory Group, kurz SMPAG. Sie vereint die großen Raumfahrtagenturen, allen voran die NASA mit ihrem großen Weltraumbudget, sowie die ESA und die russische Roskosmos. Jüngst ist sogar die chinesische Raumfahrtbehörde eingetreten, ohne allerdings bisher substanziellen fachlichen Input zu liefern.

Noch ist die Asteroiden-Abwehr nur Theorie, denn die großen Objekte sind bekannt und keine ihrer Bahnen birgt zur Zeit ein Kollisionsrisiko. Vielleicht ist das auch der Grund, warum die Experten der SMPAG bisher noch nicht wirklich weit gekommen sind, was genau im Fall einer ernsthaften Bedrohung eigentlich auf der globalen Bühne der Politik passieren und vor allem wie entschieden werden soll. Die Lösung der technischen Abwehr ist dabei wohl das kleinere Problem. Im Fokus der Uneinigkeit stehen jedoch völkerrechtliche, juristische ebenso wie politische Fragen, die auch den Fall des technischen Scheiterns einer Mission und deren Folgen einschließen. Denn das könnte bedeuten, dass sich der Einschlagpunkt des Asteroiden über Ländergrenzen hinweg verschiebt. Es ist das Horrorszenario der Weltramrechtler, für das sie derzeit keinen Plan haben. Noch ist die Weltgemeinschaft, das jedenfalls sagt der Raumfahrtwissenschaftler Alan Harris als DLR-Teilnehmer dieser Runden, weit davon entfernt, zu einem Konsens zu kommen. Ist es möglich, dass sich die Staaten darauf verständigen, den Fehlschlag einer Raumfahrt-Mission zur Asteroiden-Abwehr völkerrechtlich keinesfalls zu sanktionieren, egal unter welchen Geschehnissen? Alan Harris ist da skeptisch, während Tim Spahr als „unverbesserlicher Optimist“ Hoffnung hat, dass „die Juristen, wenn ein Notfall besteht, sehr schnell zusammen kommen und eine Lösung für das Problem finden würden.“

Jedenfalls: Zumindest im Schulterschluss von Amerikanern und Europäern wird das international koordinierte Procedere im Ernstfall schon praktisch geübt – in einer Art „Space Game“ eines bevorstehenden Einschlages. Manche sehen deshalb trotz allem recht optimistisch in die Zukunft.

Bei diesem Text handelt es sich um eine bearbeitete Fassung des Sprechertextes zum oben präsentierten Video, das auch zahlreiche Statements von Tim Spahr, dem langjährigen, inzwischen pensionierten Direktor des Minor Planets Center  in den USA, Alan Harris (DLR) sowie Rüdiger Jehn vom Planetary Defence Office der ESA, enthält.

Im vorigen Blog-Beitrag Asteroiden im irdischen Nahfeld erfahren Sie mehr über die Thematik, wie man Asteroiden finden kann.

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Ich habe viele Jahre journalistisch im Bereich Wissenschaft und Technologie gearbeitet, später dann mit meiner kleinen Beratungsfirma als Medienexpertin. 2010 erfüllte ich mir meinen großen Traum und gründete den Spartensender HYPERRAUM.TV, für den ich eine medienrechtliche Rundfunklizenz erteilt bekam. Seither mache ich als One-Woman-Show mit meinem „alternativen TV-Sender“ gewollt nicht massentaugliches Fernseh-Programm. Als gelernte Wissenschaftshistorikern habe ich mich gänzlich der Zukunft verschrieben: Denn die Vergangenheit können wir nur erkennen, die Zukunft aber ist für uns gestaltbar. Wir sollten versuchen, nicht blind in sie hinein zu stolpern!

5 Kommentare

  1. Wir müssen realistisch sein: der Einschlag eines mehr als 100 Meter grossen Objekts auf der Erdoberfläche ist extrem unwahrscheinlich und Objekte mit einem Durchmesser von 1 km treffen die Erde sogar nur alle 500‘000 Jahre einmal. Solch grossen Impaktoren können nur abgewehrt werden, wenn sie Monate bis Jahre vor dem Impakt erkannt werden. Wird ein solcher Körper aber gar viele Jahre vorher detektiert, dann ist die Abwehr gar nicht so schwierig, denn man kann es mehrmals versuchen, Eine Atombombe als Sprengmittel kommt dann erst als vorletzte Option zum Zug und die allerletzte Option wäre eine Evakuation eines ganzen Landstrichs. Doch eine Detektive 10 oder mehr Jahre vor dem Einschlag macht ein solches Szenario sehr unwahrscheinlich, denn schon eine geringfügige Ablenkung des bedrohlichen Objekts genügt dann um es von seinem Kurs abzubringen. Damit wird offensichtlich, dass die möglichst frühe Detektion das Entscheidende ist.
    FlyeEye (das neue Weitwinkelteleskop der ESA das eine Himmelsabschnitt 13 Mal so gross wie der Erdmond abbildet) ist also ein Schritt in die richtige Richtung. Aber nur ein erster Schritt, denn auch FlyeEye wird Asteroiden, die direkt in Richtung Sonne auf uns zusteuern nicht entdecken können. Doch auch dafür gibt es Abhilfe in Form beispielsweise eines Infrarotteleskops, das etwa in einer Bahn um die Sonne im Abstand der Venus kreist, denn damit könnten auch Asteroiden entdeckt werden, die heute von der Erde aus unsichtbar sind. Dazu gab es bereits ein Projekt, nämlich das Sentinel Space Telescope der B612-Firma, das aber an der Finanzierung scheiterte. Hier ein Auszug aus dem Wikipedia-Eintrag
    Das Weltraumteleskop wurde entwickelt, um 90% der Asteroiden mit einem Durchmesser von mehr als 140 Metern (460 ft) zu lokalisieren, die in erdnahen Umlaufbahnen existieren. Das Teleskop hätte die Sonne in einer Venus-ähnlichen Umlaufbahn (d.h. zwischen Erde und Sonne) umkreist und sollte 90% der großen Asteroiden in der Erdregion des Sonnensystems katalogisieren. Das Schiff wäre in eine ähnliche Umlaufbahn wie die Venus gebracht worden, so dass es alle 20 Tage die Hälfte des Nachthimmels klar sehen konnte, und es hätte Objekte ausgesucht, die derzeit oft schwierig, wenn nicht gar unmöglich sind, von der Erde aus im Voraus zu sehen”[5] Sentinel hätte eine Einsatzdauer von sechseinhalb bis zehn Jahren gehabt.

    Für mich steht ausser Frage, das es nur eine Frage der Zeit ist bis nicht nur 90, sondern 100% aller NEOs grösser als 50 Meter bekannt sind – und zwar bekannt mit detaillierten Bahnparametern. Sobald es so weit ist weiss man hunderte von Jahren im Voraus was auf uns zukommt.

  2. Im Video werden politische, militärische und organistorische Fragen zur Asteroidenabwehr diskutiert und gar behauptet es handle sich um ein politisches nicht um ein technisches Problem. Das Gegenteil stimmt. Sichere, planbare Asteroidenabwehr ist vor allem ein technisches Problem, nämlich das Problem alle ( wirklich alle) potenziell gefährlichen Asteroiden zu entdecken und ihre Bahnen aufs genaueste zu kartieren. Mit diesem Wissen gibt es keine Schrecksekunde mehr, es kann dann also nicht mehr passieren, dass man ein gefährliches Objekt nur wenige Wochen vor seinem Einschlag entdeckt.

  3. @Susanne Päch: Ja im Zusammenhang mit der Asteroidenabwehr hat sich bereits ein ganzes Ökosystem entwickelt und es haben ganz verschiedene Berufssparten eine gedankliche Beschäftigung gefunden – vom Militär bis zum selbsternannten Weltenretter.
    Zum Glück sind sich aber ein paar entscheidende Personen und Organisationen durchaus bewusst, dass die Entdeckung aller in die Nähe der Erde kommenden Asteroiden grösser als 140 Meter das Hauptziel sein. muss. Denn es gilt: Die NEO-Population umfasst schätzungsweise 13.000 Objekte 140 Meter und größer, die jeweils mehr als 60 Megatonnen Energie freisetzen können. Von diesen wurden nur geschätzte 28 Prozent gefunden. (galt im Jahr 2017). Die Nasa schreibt auf ihrer Site
    Planetary Defense Frequently Asked Questions :
    Anfang 2019 belief sich die Zahl der entdeckten erdnahen Asteroiden auf mehr als 19.000. Durchschnittlich 30 neue Entdeckungen kommen jede Woche hinzu. Der 15.000-Meilenstein, der am 13. Oktober 2016 erreicht wurde, markierte einen 50-prozentigen Anstieg der Zahl der bekannten erdnahen Asteroiden seit 2013, als die Entdeckungen im August dieses Jahres 10.000 erreichten. Mehr als 95 Prozent dieser Objekte wurden durch von der NASA finanzierte Vermessungen (hauptsächlich mit bodengebundenen Teleskopen) seit 1998 entdeckt, als die NASA zunächst ihr Near-Earth Object Observations Program gründete und anfing, sie zu verfolgen und zu katalogisieren.
    Und zu den vielversprechendsten Suchtechniken liest man:
    Studien über die NEO-Suchtechniken und -Technologien (siehe Seite Unterstützende Dokumente) deuten auf ein spezielles weltraumgestütztes Infrarot-Asteroiden-Vermessungsteleskop hin, zusätzlich zu größeren bodengestützten Teleskopen, um die Erkennungsrate erheblich zu erhöhen und das Ziel des NASA Authorization Act von 2005 zu erreichen, die physikalischen Eigenschaften von 90 Prozent der NEO-Population bis zu einer Größe von 140 Metern zu erkennen, zu verfolgen, zu katalogisieren und zu charakterisieren.

    Die NASA hat also das Ziel möglichst viele oder gar alle erdnahen Asteroiden über 140 Metern zu erfasen sogar festgeschrieben – in ihrem NASA Authorization Act.

  4. “…Millionen Asteroiden bis zu einer Größe von hundert Metern, die die Erde meist auf stark elliptischen Bahnen umkreisen…”
    mag korinthenkackerei sein, aber in meinen augen liest sich das als kreisten die um die erde, wie der mond, was irreführend wäre.

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