Adventskalender: Das achtzehnte Türchen

BLOG: Hochbegabung

Intelligenz, Sonntagskinder und Schulversager
Hochbegabung

Der vierte Advent! Und das achtzehnte Türchen! Dann machen wir wohl mal die letzte Kerze an und das heutige Türchen auf …!

Meek young men grow up in libraries, believing it their duty to accept the views which Cicero, which Locke, which Bacon have given, forgetful that Cicero, Locke and Bacon were only young men in libraries when they wrote those books. (Ralph Waldo Emerson)

(Übersetzung: Bescheidene junge Menschen wachsen in Bibliotheken auf in dem Glauben, es sei ihre Pflicht, die Ansichten zu akzeptieren, die Cicero, die Locke, die Bacon vorgegeben haben – und vergessen darüber, dass Cicero, Locke und Bacon auch nur junge Menschen in Bibliotheken waren, als sie diese Bücher schrieben.)

Ich muss bei diesem Zitat an die Studentinnen und Studenten in meinem Kreativitätsseminar denken. Das Seminar war recht frei gestaltet; jeder konnte ein Thema bearbeiten, das mit Kreativität und zumindest ansatzweise mit Psychologie zu tun haben musste. Im begleitenden Blog diskutierten wir dann die Schwierigkeiten, die sich bei der Bearbeitung der Themen stellten. Ich war begeistert, wie schnell die Studierenden (die, was das Thema angeht, kaum Vorkenntnisse mitbrachten – Kreativität ist im Gegensatz zur Intelligenz ein Konstrukt, das nicht wirklich Eingang in den Bachelor-Kanon der psychologischen Diagnostik und der Differentiellen Psychologie gefunden hat …) zu den grundlegenden Fragen dieses Bereichs vordrangen – und was für kluge Ideen sie dazu hatten, die sehr große Überschneidungen zu den Antworten von Forschern aufwiesen, die sich zum Teil schon seit Jahrzehnten mit der Materie befasst hatten.*

Unser Bildungssystem trimmt die Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen schon stark darauf – so zumindest mein Gefühl –, vorgegebene Autoritäten wiedergeben zu können, allenfalls noch, diese anerkannten Ideen auf andere Kontexte anzuwenden. Klar bestreitet niemand die Bedeutung solider Grundkenntnisse; aber (1) sich diese auf anderen Wegen als über das Exzerpieren von Büchern und Frontalunterricht in der Vorlesung anzueignen, um dann (2) selber weiter zu denken (wobei es den Lehrenden dann obliegt, die Rahmenbedingungen dafür zu schaffen) ist doch das, was das eigentliche Ziel der Bildung ist. Was meinen Sie?

 

* Wer Lust hat, mehr darüber zu erfahren: Wir hatten im Seminar eine Kreativitätsübung zum Thema “Wie Studierende sich ihre Lehrveranstaltungen wünschen” durchgeführt. Für unser Uni-Journal habe ich das Ganze, zusammen mit einem Abriss des Seminarkonzepts, mal zusammengefasst. Sie können sich bei Interesse die Langfassung des Artikels direkt von meiner Website herunterladen.

 

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Dr. rer. nat. Tanja Gabriele Baudson ist Diplom-Psychologin und Literaturwissenschaftlerin. Seit Oktober 2017 vertritt sie die Professur für Entwicklungspsychologie an der Universität Luxemburg und ist als freie Wissenschaftlerin mit dem Institute for Globally Distributed Open Research and Education (IGDORE) assoziiert. Ihre Forschung befasst sich mit der Identifikation von Begabung und der Frage, warum das gar nicht so einfach ist. Vorurteile gegenüber Hochbegabten spielen hierbei eine besondere Rolle - nicht zuletzt deshalb, weil sie sich auf das Selbstbild Hochbegabter auswirken. Zu diesen Themen hat sie eine Reihe von Studien in internationalen Fachzeitschriften publiziert. Sie ist außerdem Entwicklerin zweier Intelligenztests. Als Initiatorin und Koordinatorin der deutschen „Marches for Science“ wurde sie vom Deutschen Hochschulverband als Hochschullehrerin des Jahres ausgezeichnet. Im April 2016 erhielt sie außerdem den SciLogs-Preis "Wissenschaftsblog des Jahres".

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