Wie künstliche Intelligenz Leben retten kann

Nachdem Louisa im vorherigen Blog-Beitrag die Schattenseiten der Künstlichen Intelligenz aufgezeigt hat, folgt heute die positive Sichtweise: Der Einsatz von KI in der Neurologie, zum Beispiel bei der Erkennung von Krankheiten und der Vorhersage von Komplikationen.

24 Stunden in die Zukunft – Früherkennung in der Intensivmedizin

Patientinnen und Patienten auf der Intensivstation haben ein höheres Sterberisiko als auf einer Normalstation. Sie sind deshalb an ein Monitoring angeschlossen, um wichtige Parameter wie EKG, Blutdruck oder Hirndruck kontinuierlich zu überwachen. Diese Monitoringsysteme schlagen bei Über- oder Unterschreiten bestimmter Grenzwerte Alarm. 

Ein KI-System hingegen kann schon kleine Veränderungen innerhalb dieser Grenzbereiche oder Tendenzen beobachten – und aus diesen Veränderungen eine Prognose ableiten.

Am Uniklinikum in Hamburg-Eppendorf (UKE) wurde deshalb ein KI-System entwickelt, das auf machine learning basiert. Es prognostiziert Hirndrucksteigerungen bis zu 24 Stunden im Voraus. Somit kann man die Therapie schon anpassen, bevor die Krise wirklich eintritt. Und damit hoffentlich das Ergebnis für den Patienten bzw. die Patientin verbessern. 

Was ist überhaupt der Hirndruck?

Der Hirndruck ist der Druck im Inneren des Schädels. Da der Schädel verknöchert ist, führt eine Volumenzunahme in der Schädelhöhle schnell zu einem Druckanstieg. Anders formuliert: Füllt man einen Luftballon mit immer mehr Wasser, dehnt er sich einfach immer weiter aus (bis er platzt). Entsteht hingegen immer mehr Hirnwasser oder Blut im Gehirn, kann sich der starre Schädel nicht nach außen ausdehnen. Stattdessen wird im Inneren das Hirngewebe zusammengedrückt und dadurch weniger durchblutet und der Hirndruck steigt. Bei vielen neurologischen Notfällen kann im Verlauf der Hirndruck steigen und zu dauerhaften Schädigungen des Hirngewebes führen. 

Was macht das Modell? 

Um das Modell zu trainieren, wurden einerseits anonymisierte Daten von mehr als 1000 Patienten der Hamburger Uniklinik verwendet. Zusätzlich griff man auf Datensätze aus öffentlichen US-Datenbänken zurück. Anhand dieser Daten trainierte ein neuronales Netzwerk und lernte, welche Informationen unwichtig waren und welche hingegen abgespeichert werden mussten. Schließlich wurde mit den verbleibenden Datensätzen getestet, wie gut das Modell Vorhersagen trifft. Wie oben bereits erwähnt wurden selbst 24 Stunden im Voraus stabile Prognosen dafür getroffen, ob sich eine kritische Phase anbahnt. Noch deutlich genauer waren die Vorhersagen für den Zeitraum der nächsten 1-2 Stunden. Damit kann ein solches KI-Modell zukünftig eine wichtige Stütze in der neurologischen Intensivstation sein.   

Bilderkennung – Time is brain

Ein Klassiker des KI-Einsatzes in der Medizin ist die automatisierte Bilderkennung. Ebenfalls basierend auf machine-learning kann eine KI lernen, auf CT-Bildern Hirnblutungen zu erkennen. Daraufhin kann die KI priorisieren, welche Bilder sich die Radiologinnen und Radiologen als nächstes anschauen. Durch diesen Prozess kann die Zeit bis zur Diagnosestellung deutlich verkürzt werden, was wiederum das Ergebnis für Patientinnen und Patienten drastisch verbessert. Denn bei akuten Krankheitsbildern des Gehirns gilt fast immer: “Time is brain!”

  • Arbabshirani MR, Fornwalt BK, Mongelluzzo GJ, et al. Advanced machine learning in action: identification of intracranial hemorrhage on computed tomography scans of the head with clinical workflow integration. NPJ Digit Med. 2018;1:9. Published 2018 Apr 4. doi:10.1038/s41746-017-0015-z
  • Schweingruber N, Gerloff C. Künstliche Intelligenz in der Neurointensivmedizin [Artificial intelligence in neurocritical care]. Nervenarzt. 2021;92(2):115-126. doi:10.1007/s00115-020-01050-4
  • Schweingruber N, Mader M, Wiehe A, et al. A recurrent machine learning model predicts intracranial hypertension in neurointensive care patients [published online ahead of print, 2022 Feb 9]. Brain. 2022;awab453. doi:10.1093/brain/awab453
  • Beitragsbild von Gerd Altmann auf Pixabay

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Veröffentlicht von

Martje Sältz studiert seit 2016 Humanmedizin am UKE in Hamburg und promoviert zum Einfluss der Ernährung auf die Halsgefäße. Medizin auf Italienisch lernte sie in ihrem Auslandssemester in Palermo kennen. Sie möchte wissenschaftliche Themen verständlich und spannend beschreiben und damit mehr Menschen für Gesundheit und ihren Körper begeistern.

6 Kommentare

  1. Ja, Deep Learning kann subtile Muster und Zusammenhänge in einem Strom von Daten erkennen – etwas was fast jeder selbst schon erlebt hat etwa bei der AI-gesteuerten personalisierten Werbung im Internet oder bei den mit den individuelle Vorlieben berücksichtigenden Vorschläge für neue You-Tube Videos.

    Klar gibt es dafür – für Deep Learning – sehr viele Anwendungen. Auch in der Medizin.

    Und von Jahr zu Jahr kommen neue Anwendungsgebiete dazu. Dabei ist Deep Learning erst seit dem Jahr 2012 so skalierbar und so performant geworden, dass an einen kommerziellen Einsatz gedacht werden konnte. In nur 10 Jahren hat Deep Learning nicht nur die KI-Forschung erobert, sondern auch die ganze digitale Welt bis hin zu den Sozialen Medien wo nun smarte Bots sich als Benutzer und Gesprächspartner ausgeben, aber andererseits KI-Programme auch Mobbing, Fake-News und andere problematische Inhalte erkennen und eventuell blockieren.

    Kurzum: Wir leben jetzt schon in einer durch KI-Einsatz smarter gewordenen Welt. Dabei stehen wir erst am Beginn des breiten Einsatzes von KI. Schon in weiteren 10 Jahren wird fast jeder Arbeitsplatz und fast jeder Job sich durch den Einsatz von KI geändert haben und vieles spricht dafür, dass die Änderungen von den meisten, die sie einsetzen als positiv erlebt werden wird.

  2. Aus meiner Sicht führt die Bezeichnung “KI” etwas in die Irre. “Es” ist zwar “künstlich”, weil es von Menschen gemacht ( Hardware und Grundlagen des Trainings ) ist, aber “es” ist nicht “intelligent” in dem Sinne, wie wir “intelligent” verstehen. Da der Begriff wohl aus dem englischsprachigen Raum kommt, ist die Frage, ob “AI” ( artificial intelligence ) den Begriff “intelligence” im Sinne von “intelligent=schlau” oder im Sinne von “intelligence=Aufklärung” meint. Dass der Begriff im Englischen zweideutig ist, habe ich anlässlich einer Scherzfrage eines US-Kollegen im Restaurant gelernt, als der mich fragte, ob ich wüsste, was ein “Oxymoron” sei, und, auf zwei entfernt sitzende Militärs deutend, gleich selbst die Antwort gab: “Military Intelligence”.
    Was wir heute als KI bezeichnen ist doch ( nach “Schulung” ) eher so etwas wie ein “Savant”, eine Spezialbegabung auf einem Gebiet, konsequent, ohne Ablenkung, ohne emotionale Bindung, logisch eine große Datenmenge bewertend.

    • @Karl Maier (Zitat): „ es [die KI] ist nicht “intelligent” in dem Sinne, wie wir “intelligent” verstehen“
      Ja, Deep Learning-Systeme verstehen die Welt nicht wirklich. Sie sind aber ein riesiger Fortschritt im Vergleich zum Zustand vor dem Jahr 2012, als es nicht einmal Systeme gab, die etwa die Objekte auf einer Strasse wie etwa den Champs-Élysées erkennen konnten ohne grossen vorherigen Programmieraufwand.

      Deep Learning ermöglicht erstmals ein sogenanntes end-to-end Learning, was bedeutet, dass sie allein mit übertitelten Bildern von Objekten trainiert werden können um später diese Objekte (z.B. einen BMW) korrekt zu erkennen, selbst wenn die Objekte in der Anwendung sich etwas von den Trainingsobjekten unterschieden und etwas verrauscht sind. Vorher war das nicht möglich.

      Der heutigen KI stehen also erstmals allein über Training die Welt der Bilder und Töne offen und sie kann ohne Programmieraufwand nach einer Trainingsphase Objekte oder gesprochene Worte erkennen und identifizieren. Darüber hinaus kann Deep Learning etwa auch Zeitreihenprognosen machen, also zeitliche Abhängigkeiten erkennen.

      Ganz generell ist Deep Learning in der Lage die hinter Datenreihen steckenden zum teil hochkomplexen und mehrdimensionalen Funktionen zu approximieren, was darauf hinausläuft, dass sie voraussagen kann was an einer bestimmten Stelle zu erwarten ist. Damit ähneln Deep Learning Systeme Experten, die ein sehr gutes Bauchgefühl entwickelt haben und sich auf einem bestimmten Gebiet sehr gut auskennen.

      Verglichen mit Menschen besitzen Deep Learning-Systeme eine Welterfassung gemäss Kahnemans System 1 (Zitat: „System 1 arbeitet automatisch und schnell, weitgehend mühelos und ohne willentliche Steuerung.”
      Was der heutigen KI fehlt ist ein System 2 (Zitat): „ „System 2 lenkt die Aufmerksamkeit auf die anstrengenden mentalen Aktivitäten, die ohne sie nicht funktionieren, darunter auch komplexe Berechnungen. Die Operationen von System 2 gehen oftmals mit dem subjektiven Erleben von Handlungsmacht, Entscheidungsfreiheit und Konzentration einher.

      • Martin Holzherr
        26.06.2022, 22:19 Uhr

        Ich stelle nicht in Abrede, dass diese Verfahren ausgesprochen nützliche Werkzeuge bei komplexen, mehrdimensionalen Aufgabenstellungen sind, allerdings auch nur bei gleichartigen, immer wiederkehrenden Fragestellungen. Es wäre interessant zu erfahren, was eine auf die Unterschiede zwischen Hund und Katze dressierte “KI” “sagt”, wenn das Bild eines Tigers auftaucht.
        Ich vermute ( cum grano salis ), dass wir Menschen ( eben ausgenommen vielleicht die Savants ) deshalb eine solche Leistungsfähigkeit nicht erreichen, weil wir uns – evolutionär eingeprägt – bei solchen Aufgaben immer unbewusst zugleich die Frage nach “nützlich”, “schädlich” und “gefährlich” für uns und unsere Nachkommen stellen, also unseren Hippocampus ( ich denke, dass der die Schaltstelle für Gefühle ist, und wenn der es nicht ist, dann eben ein anderes Modul ) befragen. Andererseits steht auch eine “KI” niemals vor dem Problem, eine Datenlage in Hinsicht auf ihr physisches Überleben überprüfen zu müssen.
        Wir sollten aber angesichts der unbestreitbaren Leistungen der modernen Technik nicht in Ehrfurcht erstarren – es ist und bleibt ein Werkzeug, wenn auch ein potentes und potentiell gefährliches. Aber Kernspaltung ist auch das, was man eine “zweischneidige Klinge” nennt.

        • @Karl Maier (Zitat): „ Es wäre interessant zu erfahren, was eine auf die Unterschiede zwischen Hund und Katze dressierte “KI” “sagt”, wenn das Bild eines Tigers auftaucht.„
          Antwort: Eine mit Bildern von Hund und Katze trainierte KI liefert für das Bild eines Tigers zwei Prozentzahlen, die den Grad der Übereinstimmung mit der Kategorie Hund oder Katze angeben. Ein mögliches Resultat für den Tiger wäre also: 30% Hund, 75% Katze.
          Ein Mensch dagegen würde den Tiger wahrscheinlich als grössere und gefährlichere Katze einstufen. Eine KI dagegen weiss nichts über die Welt des Menschen. Der Begriff „gefährliche Katze“ ist für eine KI, die nur mit Fotos trainiert wurde, ohne Bedeutung.

          In den letzten 4 Jahren hat sich aber abgezeichnet, dass selbst heutige KIs zu menschenähnlichen Erkennungsleistungen fähig sind, wenn sie mit extrem viel Daten gefüttert werden. KIs, die mit allen vom Menschen produzierten Texte von der Wikipedia bis zu Internet-Chats trainiert wurden, können auf Fragen und in Dialogen wie gute menschliche Experten mit überlegenem Wissen reagieren. Sie lassen sich aber immer noch als dumm entlarven, wenn man ihnen Fangfragen stellt in denen nicht existierende Dinge oder nicht existierende Sachverhalte vorkommen, denn ein kritisches Denken fehlt auch den „Vielleser“-KIs. Wenn man eine solche zu Dialogen fähige KI, welche das gesamte Geschreibsel der Menschheit verschluckt hat, etwa fragt, wieviele Augen die Sonne habe, so antwortet sie nicht mit: „Das ist eine unsinnige Frage“, sondern etwa mit der Antwort: „Die Sonne hat ein Auge“. Und wenn man dann nachfragt, entdeckt man bald einmal, dass der KI eine Vorstellung davon fehlt, was die Sonne überhaupt für ein Objekt ist.

  3. Ich kann diesen Kommentar nur begrüßen. KI ist ein Segen für die Medizin. Dieses System steckt noch in den Anfängen und ich kann mir gut vorstellen das solche Systeme auch präventiv eingesetzt werden könnten, also in der Form das Menschen bereits im Vorfeld durch KI -Systeme so überwacht werden das sie erst gar nicht auf Intensivstationen müssen. Hirndruck und andere relevante medizinische Daten ,bin ich mir sicher, werden in Zukunft sicher bei gefährdeten Personen am Körper gemessen und dem jeweiligen Facharzt übermittelt.

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