Taylor Swift und Post-Concert Amnesia

Stell dir Folgendes vor: Du stehst mit Tausenden von Menschen vor einem Stadion und kannst nicht aufhören zu grinsen. Du hast vor sechs Monaten stundenlang in der Warteschlange um die Tickets zu dem Konzert deiner absoluten Lieblingskünstlerin oder deines Lieblingskünstlers gekämpft, gewartet und nun stehst du hier in dem Outfit, das du dir am Vortag säuberlich rausgelegt hast, und kannst den Start kaum abwarten. In den zwei bis drei Stunden fühlst du alles, du singst und tanzt so viel, dass du kaum Zeit hast, um auch mal richtig durchzuatmen. Du hast die Zeit deines Lebens, doch wenn das Konzert vorbei ist und die Aufregung abklingt, merkst du, dass deine Erinnerung etwas…schwammig ist. Du schaust dir deine Videos an, fragst dich „Wow, wurde dieses Lied wirklich gespielt? War ich da? Ist das meine Stimme, die den Text so laut mitsingt?“ Du kannst nicht so richtig erinnern. So scheint es gerade vielen „Swifties“ zu gehen. Taylor Swift ist in den USA gerade auf großer Tour. In der „Eras Tour“ spielt sie die Hits aller ihrer Alben. Ich mag als Taylor-Fan selbst voreingenommen sein, aber die Show, die sie auflegt, ist beeindruckend. 44 Lieder, 16 Outfit-Wechsel und zahlreiche Choreografien. Bis zu 70.000 Fans aus dem ganzen Land sind jedes Wochenende bei ihren Auftritten im Stadion. Taylor Swift bricht immer wieder Rekorde und scheint aktuell die beliebteste Künstlerin zu sein. Also warum berichten so viele ihrer Fans, sich nicht mehr richtig an ihre Konzerte erinnern zu können?

Psychische und körperliche Erregung

Eine wichtige Grundregel ist, dass mit starken Emotionen fast immer starke physiologische Aktivierung einhergeht. Haben wir Angst, beginnt unser Herz schneller zu schlagen, wir schwitzen oder zittern, sind angespannt. Die physiologische Reaktion auf starke Aufregung und Spannung ist sehr ähnlich. Auch wenn diese Emotion eher positiv bewertet wird, macht unser Körper nicht unbedingt einen Unterschied in den Signalen, die er sendet.

Erregung und das Gedächtnis

Zurück zu unserer Konzert-Situation. Vor dem Konzert sind wir aufgeregt, nervös, angespannt, gespannt. Für viele Fans sind die Lieder ihrer Lieblingsmusikerinnen und Musikern emotional geladen, wir werden überflutet von Gefühlen. Es ist hell, bunt und laut, um einen herum schreien Tausende von Menschen und man selbst beginnt sich zu bewegen, zu springen, zu tanzen, vielleicht machst du den eigenen Emotionen auch etwas Luft und schreist ein bisschen mit.

Für unsere Psyche ist diese Erregung und Reizüberflutung ein Ausnahmezustand. Unser Gehirn nimmt die Umgebung als stressig wahr, und unser Hypothalamus, ein zentrales Regulationssystem, setzt Botenstoffe frei, die den Körper in Alarmbereitschaft versetzen. Die sogenannte Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse (kurz: HHNA) ist ein evolutionär sehr alter Teil unseres Nervensystems, der auf Stress reagiert. Durch HHNA-Aktivität wird unser Körper befähigt, in kritischen Situationen zu fliehen oder zu kämpfen. Aus dem Grund steigt unter anderem unsere Herz- und Atemfrequenz, unsere Muskulatur wird mit mehr Blut versorgt, sodass wir schneller mehr Kraft mobilisieren können. Wir nehmen unsere Umgebung und ihre Reize genauer wahr, um besser reagieren zu können. In einer solchen Situation ist unser Körper bereit, sich selbst in Sicherheit zu bringen, das Formen neuer Erinnerungen und damit die Genauigkeit unseres Gedächtnisses stehen erst einmal im Hintergrund, unser Gehirn hat einfach andere Prioritäten. Die HHNA sorgt dafür, dass das Stresshormon Cortisol ausgeschüttet wird. Cortisol beeinflusst die Funktion des Hippocampus, eine zentrale Hirnregion für das Speichern und Abrufen von Erinnerungen. Wird die Funktion des Hippocampus teils von Stresshormonen blockiert, können Erlebnisse nur schlecht abgespeichert werden und im Nachhinein stehen uns Erinnerungen in geringerer Quantität und Qualität zur Verfügung.

Gleichzeitig wird die Amygdala, ein Teil unsers Gehirns, der Emotionen und Stress verarbeitet, aktiv. Die Amygdala schüttet Noradrenalin aus, welches genau wie Cortisol an Rezeptoren des Hippocampus andocken kann. Noradrenalin steigert die Aktivität des Hippocampus. Eigentlich sorgt es damit dafür, dass wir uns besser an emotionale Erlebnisse erinnern können. Der Zusammenhang von Noradrenalin und unserer Gedächtnisleistung ist jedoch umgekehrt u-förmig. Das Erinnern an Ereignisse, die für uns unbedeutsam und wenig emotional sind, erinnern wir uns schlechter. Je emotional relevanter die Ereignisse für uns sind, desto besser ist unsere Erinnerung, doch es kommt zu einem Punkt, an dem dieser Zusammenhang kippt und die emotionale Erregung die Möglichkeiten der Verarbeitung übersteigt. Mit zu hohen Ansprüchen, zu vielen Reizen und Gefühlen und damit zu vielen ausgeschütteten Botenstoffen ist unser Hippocampus sozusagen blockiert. Ab hier werden weniger Erinnerungen in unserem Langzeitgedächtnis gespeichert und es kann passieren, dass wir das Stadion verlassen und nicht mehr recht wissen, was eigentlich gerade passiert ist. Dieses Phänomen ist nicht auf Taylor Swift-Konzerte beschränkt. Jede Situation, die in uns sehr starke Gefühle oder Anspannung auslöst, kann zu den beschriebenen Gedächtnisproblemen führen.

Bei der Frage, ob man Konzerte mit dem Handy filmen sollte, spalten sich die Geister. Vielleicht ist das ein oder andere Video aber auch eine moderne Antwort auf ein „altes Problem“.

Quellen

Elzinga, B. M., Bakker, A., & Bremner, J. D. (2005). Stress-induced cortisol elevations are associated with impaired delayed, but not immediate recall. Psychiatry Research134(3), 211-223. https://doi.org/10.1016/j.psychres.2004.11.007

Haupt, A. (2023, May 26). Why you can’t remember that Taylor Swift concert all too well. Time Magazine. https://time.com/6282468/taylor-swift-concert-memory/

Hypothalamus-hypophysen-Nebennieren-Achse (HHN-achse). (n.d.). Lexikon der Psychologie, Hogrefe AG – Dorsch – Lexikon der Psychologie. https://dorsch.hogrefe.com/stichwort/hypothalamus-hypophysen-nebennieren-achse-hhn-achse

Wingenfeld, K., & Wolf, O. T. (2014). Stress, memory, and the hippocampus. Frontiers of Neurology and Neuroscience, 109-120. https://doi.org/10.1159/000356423

Yonelinas, A. P., & Ritchey, M. (2015). The slow forgetting of emotional episodic memories: An emotional binding account. Trends in Cognitive Sciences19(5), 259-267. https://doi.org/10.1016/j.tics.2015.02.009

Young, K. D., Preskorn, S. H., Victor, T., Misaki, M., Bodurka, J., & Drevets, W. C. (2016). The effect of Mineralocorticoid and glucocorticoid receptor antagonism on autobiographical memory recall and amygdala response to implicit emotional stimuli. International Journal of Neuropsychopharmacology19(9), pyw036. https://doi.org/10.1093/ijnp/pyw036

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Mein Name ist Lea Anthes und ich studiere Klinische Psychologie und Psychotherapie im Master an der Goethe-Universität in Frankfurt. Ich interessiere mich schon lange für Themen rund um das menschliche Gehirn und konnte mich während meines Bachelorstudiums der Psychologie sowohl umfangreich mit der kognitiven Neurowissenschaft auseinandersetzen als auch praktische Erfahrung im Bereich der klinischen Neuropsychologie sammeln. Gerne teile ich diese Begeisterung mit interessierten Leserinnen und Lesern.

4 Kommentare

  1. kann es sein, dass die erinnerung deswegen weniger (empfunden) wird, weil das leben heute oft nur durch den bildschirm wahrgenommen wird?
    ein second-life erlebnis beim wiederanschauen kann ich auch nicht wirklich erkennen.

    es gefällt mir, wenn es einzelne künstler (exzentriker oder nicht) gibt, die darum bitten nicht zu filmen – auch wenn ich der meinung bin, dass das gar nicht notwendig wäre, weil man sich auf das echte bild, das echte dabeisein konzentrieren sollte, und nicht ständig darauf achten muss *alles im sucher* zu haben, natürlich geht da etwas verloren.

    aber sowas gibt es heute leider viel zu selten, im echten leben dabei zu sein, dass essen zu geniessen, als zu überlegen, wie das foto rüber kommt.
    da muss man dann schon wieder einen extra kurs belegen, ganz ohne handy
    …. im wald, oder so.

    grüssle

    • Ein bisschen “digitaler Detox” könnte sicherlich vielen von uns gut tun. Entschleunigen und Genießen kann in einer schnelllebigen Gesellschaft so wichtig sein. Sicherlich wären die von “Post Concert Amnesia” betroffenen Fans aber auch traurig, keine Videos, sprich kaum Erinnerungen zu haben. Eine interessante Frage, die meiner Erfahrung nach auch viele regelmäßige Konzert-Gehende spaltet.

  2. Ich stimme ihren Ausführungen im Prinzip sehr zu, halte sie jedoch für Erscheinungen und weniger für die Ursache der Probleme. Konkret: Das Unterbewusstsein reagiert hier und hier wiederum unbewusst abgespeicherte Gedanken. Diese Konstrukte, buddhistisch gesehen, werden ,so meine Vermutung , jeweils angetriggert.
    Da sie (man) sich selbst dessen nicht bewusst ist, besteht die Möglichkeit unbewusste Vorgänge in Form von Achtsamkeit/Meditation bewusst werden zu
    lassen oder durch Spiegelung . Wir erregen uns erst nachdem wir gelernt haben worüber wir uns erregen.

    • Das Praktizieren von Achtsamkeit oder Meditation kann ein sehr gutes Mittel sein, um Erregung schon vor dem Einsetzten abzufangen oder währenddessen unser erregtes Nervensystem besser beruhigen zu können. Die Momente würden so nicht wie im Rausch an uns vorbei gehen, sondern bewusster wahrgenommen werden, was unserem Gedächtnis durchaus behilflich sein könnte.

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