Dermatozoenwahn: Insekten unter der Haut

In diesem Artikel werden wir in die Welt des Dermatozoenwahns eintauchen, in eine Welt aus Angst und Paranoia, in eine Welt von Menschen, die von unheimlichen Obsessionen geplagt werden und von Parasiten, die Leben zerstören.

Der Dermatozoenwahn, auch Ekbom-Syndrom genannt, ist eine seltene, aber faszinierende Erkrankung, bei der die Betroffenen fälschlicherweise glauben, von Parasiten wie Würmern oder Milben befallen zu sein. Dieser Irrglaube führt zu radikalen Hautreinigungen mit Säuren, Insektiziden oder Strom, mechanischen Säuberungen durch intensives Bürsten oder Schleifen, einer endlosen Konsultation verschiedenster Experten, der Verbrennung und Zerstörung von Bettwäsche, Kleidung und Wohnräumen bis hin zum Suizid.

Ursachen

Der Dermatozoenwahn kann sowohl primär, also als eigenständige Krankheit, als auch sekundär als Symptom einer anderen Krankheit auftreten. Zu diesen gehören unter anderem neurogenerative Erkrankungen wie Parkinson oder MS, Schlaganfälle, Schädel-Hirn-Traumata oder Tumore, aber auch rein psychische Störungen wie Schizophrenie, Borderline oder Depression. Doch auch Drogen wie Kokain oder Amphetamine oder ein Alkoholentzug mit Delir können ursächlich für die Erkrankung sein. Betroffen sind meist alleinstehende Personen aus allen sozialen Schichten, wobei Frauen etwas häufiger erkranken als Männer. Der Altersgipfel liegt zwischen 48 und 60 Jahren und die Inzidenz bei etwa 17 pro 1.000.000 pro Jahr, wobei die Dunkelziffer hoch ist.

Verlauf

Wie man sich vorstellen kann, ist die erste Anlaufstelle für viele Betroffene der Hautarzt. Nicht zuletzt durch die radikalen Reinigungsmaßnahmen leiden viele Patienten an tatsächlichen Hautläsionen und Ausschlägen, die schmerzen, jucken, und den Verdacht auf Parasiten erhärten. Doch alle Untersuchungen führen zum gleichen Ergebnis: „Kine Anzeichen für eine pathologische Besiedlung“. Trotz negativer Befunde beharren die Betroffenen auf ihrem Ungezieferbefall und vermuten ein unzureichendes Fachwissen der Mediziner. Den meisten Ärzten wird schnell klar, dass es sich um eine psychiatrische Erkrankung handelt. Einige drücken sich vorsichtig aus und machen vernünftige Vorschläge wie die Pflege der entstandenen Hautschäden oder die Einnahme von Beruhigungsmitteln, andere unterstellen den Patienten Drogenkonsum oder erklären sie für verrückt. So oder so verlassen die Betroffenen ihre erste Anlaufstelle meist enttäuscht und verzweifelt.

Was darauf folgt ist eine Reise von Experten zu Experten. Dabei kann es sich um Hausärzte, Internisten, Etmologen, aber auch um Kammerjäger oder Chemiker handeln, niemals aber um Psychiater oder Psychologen. Die Betroffenen suchen obsessiv nach Beweisen, sammeln Hautfetzten oder Stofffasern und bringen diese zu ihren Terminen mit, was als „Matchbox Sign“ bezeichnet wird. Wenn auch nach dieser Odyssee keine Parasiten identifiziert werden konnten, wenden sich viele an das Internet, wo in Foren laienhafte Informationen, die Wut auf die Fachleute und Tipps und Tricks zur Hautreinigung geteilt werden. Im schlimmsten Fall führt die unbehandelte Erkrankung zu gefährlichen körperlichen Verletzungen und zur absoluten Isolation aus dem sozialen Umfeld, was die Chance auf Heilung noch weiter reduziert.

Was kann man tun?

Ein weit verbreiteter Lehrsatz aus der Psychiatrie lautet: „Die Behandlung ist kein Problem – wenn sie zustande kommt.“ Das gilt auch für den Dermatozoenwahn, da gerade die Eigenschaft des Wahns (krankhafte Falschbeurteilung der Wirklichkeit, an der mit absoluter subjektiver Gewissheit festgehalten wird) eine Einsicht des Patienten für eine psychiatrische Therapie nur schwer möglich macht.

Sollte der Dermatozoenwahn auf Grund einer körperlichen Krankheit entstanden sein, erledigt sich das Problem mit der Behandlung der Grunderkrankung meist von selbst. Bei psychischen Ursachen sind „atypische Neuroleptika“ das Mittel der Wahl. Sie blockieren im Gehirn die Dopaminrezeptoren und verringern somit die Aktivität derjenigen Nervenzellen, die Dopamin zur Informationsübertragung nutzen. Dadurch verringern sie die Intensität, mit der der ein Mensch seine Umwelt, seinen Körper und seine Gedanken wahrnimmt und helfen den Dermatozoenwahn-Patienten, ein normales Leben zu führen. Die Behandlung mit atypischen Neuroleptika ist in den meisten Fällen erfolgreich und mit vergleichsweise wenig Nebenwirkungen verbunden.

Bei den Betroffenen jedoch ist die Therapie mit Medikamenten, die auch bei Psychosen oder Schizophrenien angewendet werden, wenig beliebt. Schließlich ginge mit der Einnahme der Tabletten eine Akzeptanz für die psychische Ursache der Erkrankung einher, die die Erkrankung selbst bei vielen einfach nicht zulässt. Entsprechend schlecht sind auch die Heilungschancen.

So schade es auch ist, keinen Hoffnungsschimmer am Ende des Horizonts bieten zu können, so froh können wir darüber sein, dass diese Krankheit sehr selten auftritt. Und wer weiß, vielleicht findet sich ja doch eines Tages ein geeignetes Heilmittel.

Literatur

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Veröffentlicht von

Mein Name ist Louisa Sohmen und ich bin Medizinstudentin in Hamburg. Da ich erst am Anfang meines Studiums stehe, konnte ich noch keine eigenen Erfahrungen in der wissenschaftlichen Forschung sammeln, allerdings kann ich mir gut vorstellen, später in einem solchen Bereich tätig zu werden. Die Komplexität des menschlichen Gehirns faszinierte mich schon immer, weswegen ich mich sehr freue, mich hier regelmäßig mit spannenden Fakten auseinandersetzen zu können.

6 Kommentare

  1. Die Betäubung wäre eine therapeutische Möglichkeit.
    Vgl. mit :

    Einige drücken sich vorsichtig aus und machen vernünftige Vorschläge wie die Pflege der entstandenen Hautschäden oder die Einnahme von Beruhigungsmitteln, andere unterstellen den Patienten Drogenkonsum oder erklären sie für verrückt. [Artikeltext]

    An sich ist es aber schon klar, dass hier idR Drogenmissbrauch ursächlich ist ?!
    Das ‘Heilmittel’ würde dann der Entzug sein, so dass nicht mit weiteren Drogen, die wie gemeint gekommen werden muss, so zu kompensierend scheinend ?!

    MFG
    WB

    • Ja, das habe ich vielleicht etwas unglücklich ausgedrückt. Drogen gehören auf jeden Fall zu häufigen Auslösern, allerdings auch alle möglichen anderen Erkrankungen, wie ja auch im Artikel erwähnt. Die Liste iste lang. Und gerade deswegen sollte der behandelne Arzt nicht pauschal von Drogenmissbrauch als Ursache ausgehen – und – selbst wenn es doch die Ursache ist, sowas etwas indirekter adressieren, damit der Patient nicht den Eindruck bekommt, der Arzt nähme sein eigentliches Problem (die Parasiten) nicht ernst.

      Was meinen Sie mit Betäubung als Behandlungsmöglichkeit? Die Patienten wollen ja ein Mittel gegen die Insekten und werden sich wohl kaum für “Schlaftabletten” begeistern können, zumal diese keine besonders gute Wirkung beim DW erbringen. Eine betäubene Creme für die Haut?

      • Das persönlich empfundene Symptom könnte mit anderen Drogen (“Betäubung”) dann sozusagen weg-therapiert werden ? [1]
        Dr. Webbaer schwer beeindruckt sein, auch qua Alter hier vorkommender Kraft, sehr nett, weiterhin viel Erfolg!
        [1]
        ‘Und gerade deswegen sollte der behandelne Arzt nicht pauschal von Drogenmissbrauch als Ursache ausgehen – und – selbst wenn es doch die Ursache ist, sowas etwas indirekter adressieren, damit der Patient nicht den Eindruck bekommt, der Arzt nähme sein eigentliches Problem (die Parasiten) nicht ernst.’
        Hier sind einige anderer Meinung, idR ist es der Drogenmissbrauch.

        Hoffentlich ist “Old Dockie” hier nicht allzu persönlich geworden, ist halt sehr stark beeindruckt von Ihnen.

  2. Die Studie Bei Dermatozoenwahn lohnt sich ein Drogentest konnte bei 83 Patienten mit Symptomen über 5 Jahre oder länger in 22% der Fälle Drogen nachweisen. In 1/3 der Fälle Cannabis, eine Droge, die oben nicht aufgeführt ist.

    Allerdings scheint mir, dass das auch Zufall sein kann, denn die Inzidenz [neu auftauchende Fälle] ist ja mit 17 Fällen unter 1 Million Menschen pro Jahr sehr gering. In einer Region ist es vielleicht der Drogenkonsum der dafür häufig verantwortlich ist, in einer anderen ist es etwas anderes, was am häufigsten die Ursache ist.

    Über die Prävalenz [Momentanes Vorhandensein von Betroffenen] las ich andernorts:
    Die Prävalenz von DW ist nicht genau bekannt, sie wird auf 3 – 7 pro 10 000 Personen geschätzt.

    So selten ist der Dermatozoenwahn also nicht, denn: in einer klitzekleinen Stadt mit 10‘000 Einwohnern sind 3 bis 7 Einwohner daran erkrankt. Der Grund für die relativ grosse Prävalenz im Vergleich zur Inzidenz liegt wohl einfach daran, dass die Erkrankung typischerweise sehr lange anhält. Wer‘s einmal hat, hat es typischerweise über mehrere Jahre.

    Fazit: Jeder/Jede hat wohl schon einmal vom Dermatozoenwahn gehört, was wohl einfach an der so schön exotischen Bezeichnung liegt. Allerdings muss man sagen: in der Medizin gibt es hunderte, ja tausende exotische oder auch nur seltene Erkrankungen. Zählt man alle Betroffenen zusammen, kommt man dann doch auf eine recht grosse Anzahl von Menschen, von denen jede Einzelne/jeder Einzelne an einer seltenen Krankheit leidet, alle zusammen aber doch mehrere Spitäler füllen können.

    Es braucht also doch ein paar Dr.House‘s auf dieser Welt.

    • Also so :

      -> https://de.wikipedia.org/wiki/Dr._House#Charakter

      .. mag Dr. Webbaer nicht.

      Auch so – ‘Jeder/Jede hat wohl schon einmal vom Dermatozoenwahn gehört, was wohl einfach an der so schön exotischen Bezeichnung liegt.’ – ist es nicht.

      ‘Eine psychiatrische Erkrankung’ [Artikeltext] liegt womöglich oft nicht vor, sondern Nebenwirkung von abstellbarem Drogenkonsum, vgl. mit Ihrem ‘Allerdings scheint mir, dass das auch Zufall sein kann.’, Kommentatorenfreund.

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