Das Monster in uns

Es ist vier Uhr morgens und ich schließe das quietschende Schloss der Gefängniszelle auf. Zählappell. Durch meine verspiegelte Sonnenbrille habe ich Schwierigkeiten, die Gefangenen in der dunklen, staubigen Luft zu identifizieren. Schemenhaft erkenne ich drei nackte Körper, die zitternd in den Ecken der Zelle kauern. Es stinkt nach Schweiß und Fäkalien. Gefangener Nr. 304 bettelt mich an, ihm einen Toilettengang zu gewähren, Nr. 316 fragt nach Wasser. Doch die Inhaftierten haben sich nach ihrem gestrigen Aufstand jegliche Privilegien verwirkt. Nach einer kurzen Zurechtweisung mit dem Gummiknüppel schließe ich die schwere Gittertür wieder und mache mich auf den Weg zur nächsten Zelle.

So oder so ähnlich wird sich die Situation für die Wärter im Stanford Prison Experiment angefühlt haben. Nur waren sowohl Gefangene als auch Wärter eigentlich psychisch stabile Studenten aus der Mittelschicht und das Gefängnis ein ausgebauter Kellerraum der Stanford University.

Was ist das Stanford Prison Experiment?

Der wohl berühmteste Versuch der Psychologie wurde 1971 von drei US-amerikanischen Psychologen durchgeführt. Ziel war es, das menschliche Verhalten unter Bedingungen der Gefangenschaft zu erforschen. 

Die Rollenzuweisung der Probanden in Wärter und Gefangene erfolgte zufällig. Die Polizei „verhaftete“ die Gefangenen einige Tage später. Anschließend überführte man sie in fensterlose Zellen, die im Keller der Universität eigens für das Experiment angefertigt wurden. Durch Löcher in den Wänden filmte das Forschungsteam die Versuchsteilnehmer, eine Sprechanlage diente der Abhörung. Die Wärter trugen verspiegelte Sonnenbrillen und Gummiknüppel, die Gefangenen schwere Fußketten und kurze Krankenhaushemden. Statt mit Namen wurden sie mit Nummern angesprochen. Die Wärter hatten die Freiheit, eigenständige Regeln und Maßnahmen auszuarbeiten, um für Ruhe und Ordnung zu sorgen und einen Ausbruch zu verhindern.

Schon am zweiten Tag kam es unter den Gefangenen zu einem Aufstand, da sie mit den Zuständen im Gefängnis unzufrieden waren. Diesen schlugen die Wärter brutal nieder. Er resultierte in zahlreichen Bestrafungen: keine Toilettengänge nach 22 Uhr, keine Betten, keine Kleidung. Zusätzlich wurde eine neue, komfortable Zelle für diejenigen, die nicht am Aufstand beteiligt waren, eröffnet, womit die Wärter verhinderten, dass sich unter den Gefangenen Solidarität bildete.

Vor allem nachts gerieten die Schikanen immer weiter außer Kontrolle. Die Gefangenen mussten viele Zählappelle und extreme körperliche Übungen über sich ergehen lassen, wurden angekettet, dazu gezwungen, ihre Toiletten mit bloßen Händen säubern und wurden stundenlang in enge, dunkle Räume gesperrt. Nach einigen Tagen zeigten viele deutliche Stresssymptome und verloren zunehmend den Bezug zur Realität.

Obwohl das Experiment eigentlich 14 Tage andauern sollte, wurde es nach sechs Tagen abgebrochen. Die Versuchsleiter stellten fest, dass auch sie ihre Objektivität verloren und mittlerweile die Rolle der Leiter einer Strafvollzugsanstalt angenommen hatten. Einige Gefangene litten nach der „Entlassung“ unter emotionalen Zusammenbrüchen und psychisch bedingtem Hautausschlag, langfristige Folgen sind allerdings keine bekannt.

Erklärungsansätze

Dass Stanford Prison einige Fragen aufwarf, ist nicht verwunderlich. Wie werden intelligente, psychisch gesunde Menschen innerhalb weniger Tage zu Sadisten? Ist eine humane Form der Haft überhaupt möglich? Und kann dieses Verhalten die Verbrechen des Nationalsozialismus erklären? Auch wenn es auf diese Fragen keine eindeutigen Antworten gibt, existieren dennoch einige Erklärungsansätze für die Ausschreitungen in Stanford:

Deinviduation

Als Deinviduation bezeichnet man den Verlust der sozialen Urteilsfähigkeit, welcher häufig durch Anonymität in Gruppen auftritt. Charakteristisch für diesen Zustand sind eine geschwächte Verhaltenskontrolle, verringerte rationale Urteilsprozesse und eine niedrigere Bewertungsangst. Daraus resultiert eine höhere Bereitschaft zu extremen Verhaltensweisen, wie sie beispielsweise bei Hooligans, aber auch bei den Gefängniswärtern im Experiment beobachtet wurden.

Kognitive Dissonanz

Hierbei handelt es sich um einen Gefühlszustand, der durch unvereinbare Kognitionen, also Gedanken, Meinungen, Absichten etc. entsteht. Ein solcher Zustand erzeugt innere Spannungen, die unangenehm sind und betroffene Personen dazu drängen, wieder eine Konsonanz herzustellen. Im Fall der Gefängniswärter bestand die Dissonanz zwischen ihren ethischen Grundsätzen und dem von ihnen erwarteten Verhalten. Um eine Konsonanz zurückzuerlangen, verdrängten sie ihre moralischen Bedenken und führten die inhumanen Tätigkeiten aus, ohne diese zu hinterfragen.

Behaviorismus

Im Behaviorismus wird das Verhalten als Ergebnis von verstärkenden und abschwächenden Faktoren betrachtet. Innere Prozesse wie Emotionen oder Motivation bleiben unberücksichtigt. Durch positive oder negative Verstärkung, also gute oder schlechte Reize, wird eine bestimmte Verhaltensweise verstärkt oder abgeschwächt – man lernt. Im Experiment wurden die rabiaten Methoden der Wärter auf der einen Seite durch die Versuchsleitung, aber auch durch das Gehorsam der Gefangenen positiv verstärkt. Sie selbst verstärkten wiederum das aufsässige Verhalten der Gefangenen negativ. Daraus resultierte, dass sich beide Gruppen, voneinander beeinflusst, immer weiter vom Normalzustand entfernten.

Wenngleich die oben genannten Phänomene einzeln betrachtet Verhaltensmuster sind, die man mit ein wenig Willenskraft unterdrücken könnte, summieren sie sich in der Gefängnisumgebung auf. Versuchsleiter Zimbardo sagt dazu: „In die situativen Kräfte sind eine Reihe von Faktoren eingeflossen, von denen keiner für sich genommen sonderlich dramatisch war, die jedoch zusammen eine machtvolle Synthese bildeten.“

Kritik

Obwohl das Stanford Prison Experiment weltweit bekannt ist und sogar den Stoff für mehrere Verfilmungen bot, ist es mindestens genauso berüchtigt wie berühmt.

Die Integrität des Versuches wurde schon mit seiner Veröffentlichung in Frage gestellt, da sich die Wissenschaftler statt für ein Fachjournal für das New York Times Magazine entschieden. Mit den Jahren wurden immer mehr Stimmen laut, die vermuten ließen, dass die Versuchsleitung die Wärter ermutigt hätte, hart durchzugreifen. Außerdem wäre sowohl den Wärtern als auch den Gefangenen klar gewesen, welches Ergebnis die Forscher erwarteten, so dass der Versuch eher einem Improvisationstheater als einem wissenschaftlichen Experiment glich. Weitere Kritikpunkte sind die zu kleine Stichprobengröße und das Annehmen der Probanden von stereotypischen Rollen, wie man sie aus echten Gefängnissen und den Medien kennt.

Bewertung

Trotz aller, vermutlich größtenteils berechtigter Kritik, bin ich mir sicher, dass wir vom Stanford Prison Experiment lernen können. Zahlreiche Vorfälle der Vergangenheit und leider auch der Gegenwart sind ein Beweis dafür, dass Obrigkeitshörigkeit und Gruppenzwang unter ungünstigen Umständen fatale Folgen haben können. Das Bedürfnis nach sozialer Anerkennung kann mitunter größer sein als das Bedürfnis nach moralischer Korrektheit. In Kombination mit der Anonymität der Gruppe, einer starken Rollenidentifikation und positiver Verstärkung durch die Versuchsleitung oder andere Obrigkeiten wäre wahrscheinlich kaum jemand widerstandsfähig genug, anders zu handeln.

Es würde wohl zu weit gehen, mit diesen Argumenten Vorkommnisse wie den Nationalsozialismus zu erklären, allerdings halte ich es dennoch für wichtig, sich dieses psychischen „Makels“ bewusst zu sein. Das Bewusstsein steigert die Chance, ähnliche Situationen in der Zukunft frühzeitig zu erkennen und diesen standhalten zu können.

Literatur

  • Phillip Zimbardo (2005) Das Stanford Gefängnis Experiment. Eine Simulationsstudie über die Sozialpsychologie der Haft. 3. Auflage. Santiago Verlag. ISBN 3-9806468-1-5.
  • Dr. Saul McLeod (2020) The Stanford Prison Experiment. [Online im Internet.] URL: https://www.simplypsychology.org/zimbardo.html [Stand 18.07.2021.]
  • Vera Pache (2019) Kritik am weltberühmten Gefängnisexperiment. [Online im Internet.] URL: https://www.deutschlandfunknova.de/beitrag/stanford-prison-experiment?token=4pbheuru7gs4imts7kuh7nisr0wxdzjf [Stand 18.07.2021.]
  • Sebastian Herrmann (2018) Das wichtigste Gefängnis Experiment steht unter Betrugsverdacht. [Online im Internet.] URL: https://www.sueddeutsche.de/wissen/psychologie-das-wichtigste-gefaengnis-experiment-steht-unter-betrugsverdacht-1.4043674 [Stand 18.07.2021.]

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Mein Name ist Louisa Sohmen und ich bin Medizinstudentin in Hamburg. Da ich erst am Anfang meines Studiums stehe, konnte ich noch keine eigenen Erfahrungen in der wissenschaftlichen Forschung sammeln, allerdings kann ich mir gut vorstellen, später in einem solchen Bereich tätig zu werden. Die Komplexität des menschlichen Gehirns faszinierte mich schon immer, weswegen ich mich sehr freue, mich hier regelmäßig mit spannenden Fakten auseinandersetzen zu können.

25 Kommentare

  1. Da ist kein Monster in uns, es ist nur die dem der Empathie entgegenwirkenden Kreislauf, des imperialistisch-faschistischen Erbensystems zeitgeistlich-reformistische Bildung zu bewusstseinsbetäubter Suppenkaspermentalität (“verhaltensökonomische Impfung”), entsprechend instinktiv-konfusionierte Bewusstseinsschwäche in Angst, Gewalt und egozentriertem “Individualbewusstsein” in geistigem Stillstand seit der “Vertreibung aus dem Paradies” (Mensch erster und bisher einzige geistige Evolutionssprung).

    Ich habe einige Jahre in einer “radikalen” trotzkistischen Bewegung erlebt, wie stumpfsinnig, blödsinnig und wahnsinnig-dogmatisch sich diese “gebildete” Suppenkaspermentalität auswirkt, egal / oder besonders wenn außergewöhnliche Impulse von Aussenstehenden kamen!!!

    Wenn es ein Rezept zur erkenntnisreichen Erlangung von wirklich-wahrhaftiger Eindeutigkeit wäre, würde ich ein Buch darüber schreiben, deshalb erstmal nur dies: Die URSACHE aller Probleme unseres symptomatischen “Zusammenlebens”, ist der materialistisch-bedingte Glaube (das “gesunde” Konkurrenzdenken) an/in die Unwahrheit des nun “freiheitlichen” WETTBEWERBs um “Wer soll das bezahlen?” und unternehmerischen Abwägungen in/zu “Arbeit macht frei”.

    “Es war seit jeher den Epigonen vorbehalten, befruchtende Hypothesen des Meisters in starres Dogma zu verwandeln und satte Beruhigung zu finden, wo ein bahnbrechender Geist schöpferische Zweifel empfand.” (Rosa Luxemburg)

  2. Aufgrund meiner intensiven Erfahrungen, kann ich an die Authentizität des Stanford-Experiments glauben – Wir sind alle Täter und Gefangene, bis wir endlich der Unwahrheit keine Kompromissbereitschaft mehr bieten!

    “Die glücklichen Sklaven sind die erbittertsten Feinde der Freiheit.” (Marie von Ebner-Eschenbach)

    • Ich denke, dass gerade in der Polizei die von mir angesprochene Massenanonymität in Kombination mit einer gewissen Machtposition ein großes Problem darstellt. Ganz unabhängig davon, ob die Aktionen in dem Video gerechtfertigt sind (ich finde es schwierig, das anhand einiger Momentaufnahmen zu beurteilen), steht fest, dass Polizisten, und zwar international, immer wieder in dieses Muster fallen. Darauf sollte die Polizei als Institution vermutlich besser achten.

      • Na ja, ich denke dass die Brutalität der Polizei schon eindeutig ist.
        Ich glaube nicht dass das früher in Deutschland denkbar gewesen wäre.
        Aber es zeigt auch dass unter bestimmten Voraussetzungen Gewaltbereitschaft sehr rasch zunimmt.

      • @Louisa Sohmen: “Darauf sollte die Polizei als Institution vermutlich besser achten.”

        Nun, ich hätte auch gerne Polizisten, Altenpfleger, Politiker, etc., die schon bei der Berufswahl ihrer Berufung entsprechend das richtige Potential an Verantwortungsbewusstsein und Kompetenz mitbringen, so daß ungeeignetes Personal aus Kostengründen, unternehmerische Abwägungen oder taktischen Entscheidungen nicht durchflutschen – Es ist sehr leichtfertig dies nur der jeweiligen Institution aufzubürden, besonders wo alle Herausforderungen immer offensichtlicher auf einen menschenwürdigeren und das Leben allgemein konsequenten Systemwechsel hindeuten!

        • Stimmt, für dieses Problem ist nicht ausschließlich die Institution verantwortlich. Ich denke trotzdem nicht, dass ungeeignete Kandidaten nur aus Kostengründen bei der Polizei landen. Ein Beruf, bei dem man uniformiert und bewaffnet durch die Gegend läuft, eine Machtposition gegenüber “Verbrechern” hat und gegebenenfalls körperliche Gewalt ausüben darf, zieht sicherlich einige Menschen an, die einen Hang zum Sadismus bzw. Machtmissbrauch haben. Deswegen bin ich nicht der Meinung, dass es realistisch ist, zukünftig keine untauglichen Polizisten mehr einzustellen, die Verantwortung, solche Ausfälle unter Kontolle zu haben und eventuell stärker zu ahnden, liegt dann wohl letzendlich doch bei der Institution.

          • @Louisa Sohmen: “… eine Machtposition gegenüber “Verbrechern” hat und gegebenenfalls körperliche Gewalt ausüben darf, zieht sicherlich einige Menschen an, die einen Hang zum Sadismus bzw. Machtmissbrauch haben.”

            Eine Welt in der wir weniger Polizei brauchen (jetzt eher mehr!?), oder mehr Altenpfleger (jetzt eher weniger!?), die hat sicher weniger bis keine frustbedingten Probleme mit Menschlichkeit, darum geht es doch seit jeher!?

          • Mag sein, dass es darum geht, diese Vorstellung klingt für mich allerdings sehr utopisch. In Zeiten von ansteigender sozialer Ungleichheit, einer akuten Klimakatastrophe und stetig wachsender Überbevölkerung habe ich nicht das Gefühl, dass frustbedingte Probleme zukünftig abnehmen. Aber schön, wenn Sie da so optimistisch sein können 🙂

          • “Aber schön, wenn Sie da so optimistisch sein können”

            Oh, ich bin da ganz und garnicht optimistisch 🙁

          • @Louisa Sohmen

            Übrigens, Überbevölkerung ist auch nur ein systemrationales Problem, also ein konfusionierendes Symptom der bewusstseinsbetäubten Überproduktion von systemrationalen Kommunikationsmüll, so wie der Klimawandel nur zur Katastrophe wird weil Mensch sich nicht entsprechend entwickelt.

      • @Louisa Sohmen: “Darauf sollte die Polizei als Institution vermutlich besser achten.”

        Alles muß seine herkömmlich-gewohnte “Ordnung” haben – Kompromissbereitschaft, so fängt die Problematik der systemrationalen Bewusstseinsbetäubung an, macht den “Tanz um den heißen Brei” und die “rechtmäßige” Schuld- und Sündenbocksuche leichter!?

        Krise – Ich habe schon einige erlebt, die auch mit der Methode “Flexibilität” nicht auf-/eingefangen werden konnten.

  3. Eine Kerneigenschaft des Menschen ist der Sadismus. Ich weiß nicht, was da in unserer Evolution schief gelaufen ist – eine Möglichkeit wäre, als wir von Vegetarier auf Allesfresser (zurück) umsteigen mussten, waren wir mies im Töten, sodass wir die Beute auf jede erdenkliche Weise kaputt quälen mussten und noch lebendig verspeisten, sodass Leid zum Appetizer wurde. Das Verhalten einfacher Primaten wie Schimpansen oder Skinheads, die ihre Artgenossen in Gruppen jagen und zum Krüppel prügeln, ohne sie zu töten, deutet auf so was hin. Bei Katzen dürfte ähnliches Verhalten andere Ursachen haben. Noch tiefer betrachtet, hat das Quälen Ähnlichkeit mit Kauen: Das Gefängnis ist das Maul des Wärters, die Gefangenen das zähe Fleisch, das zermürbt und zerkleinert werden muss – der Punkt, wo man plötzlich keinen Spaß mehr an der Folter hat und den Gefangenen fortschickt, wäre dann das Schlucken, der Moment, ab dem die Beute verschwindet. All das sind natürlich keine wissenschaftlichen Theorien, sondern Science Fiction. Doch wenn Sie sich das Gehirn als eine Art Zwiebel mit Schalen vorstellen, die sehr primitive Schaltungen verkompliziert und pervertiert hat, um sie an die Umwelt anzupassen, dann, wenn sich die Umwelt verändert hat, eine neue Schicht Anpassung durch Verkomplizierung und Pervertierung der alten Schicht gezüchtet hat, und so weiter, und die Schichten sich hinterher vernetzen können, als würden Sie aus den Restseelen all der Viecher, die wir im Laufe der Evolution mal gewesen sind, Frankenstein-Chimären basteln, würde das sehr viele Dinge erklären. Und mal ehrlich – wie sollte es anders sein? Beim Körper ist es doch auch so gelaufen.

    Sadismus erkennen wir gleich beim Sex: Das Weibchen spielt das gequälte Opfer, das Männchen erscheint uns lächerlich, als wollte es dadurch das Weibchen beruhigen, der Situation den Ernst nehmen und die Harmlosigkeit unterstreichen. Folter galt über Jahrtausende auch als Kunstform, ein beliebter Partyspaß, vorgeführt bei Fressgelagen zwischen Tänzerinnen und Jongleuren. Bei den Hexenprozessen dürfte die Verbindung zwischen Sex und Folter bekannt sein, doch auch hier bekamen die Hexenjäger plötzlich Hunger, und fraßen sich auf Kosten des Opfers satt, als wären sie eine Affenhorde, die es bei lebendigem Leibe verzehrt. Die anale Phase, in der Exkremente und Aggression zusammenfallen, dürfte mehr mit den stinkenden Eingeweiden von Jagdbeute zu tun haben, als mit dem Eigenkot des kleinen, süßen Torquemadas in the making. Die Verknüpfung von Sex mit Gewalt und Fressen dürfte die Sache verfeinert haben, man möchte seinen Partner ja halbwegs intakt, willig und wiederverwendbar erhalten – aus den Prügeln des Schimpansen wird die feine Manipulation des Liebhabers, Folterknechts, Künstlers, Handwerkers, Wissenschaftlers. Auch der Jagdtrieb dürfte hier mitspielen, bei dem es darum geht, die Umgebung aufmerksam zu beobachten, zu deuten, präzise und zielgerichtet zu handeln, nicht zu viel und nicht zu wenig, um exakt das gewünschte Ergebnis zu erzielen. Für so etwas braucht man Intelligenz, Feinmotorik und opponierbare Daumen. Ist sehr gut möglich, dass es der Sadismus ist, der unserer Evolution den Weg zur Menschwerdung eröffnet hat.

    Nehmen Sie das Monster aus dem Menschen, und sie kappen seinem Hirn die Stromversorgung. Irgendwo tief in uns sind Fressen und Denken, Töten und Lieben das Gleiche, es sind nur verschiedene Weisen, dieselben Impulse auszuleben. Wir versuchen seit Jahrtausenden, unter unsere Oberfläche zu schauen, unser eigenes innerstes Wesen zu ergründen, doch dazu müssen Sie das Gehirn einfach nur mit dem Skalpell sezieren: Ist ein Fisch. Wenn’s hochkommt, vermutlich eher eine Bazille. Da ist irgendwas, das sich durch den Urozean frisst und vögelt, und sich einen Körper und ein Hirn nach dem anderen übergestreift hat, um damit in jeder beliebigen Umwelt weitermachen zu können. Das aktuelle Hirn bauen wir uns durch Lernen, die Umwelt durch Technologie – wenn wir die richtige Kombination finden, ist das Monster in uns nicht unser Feind, sondern unser bester Freund.

    • @Paul S: “Ich weiß nicht, was da in unserer Evolution schief gelaufen ist …”

      Es ist die geistige Evolution, die mit unserem ersten und bisher einzigen geistigen Evolutionssprung in der brutal-egozentrierten Konfusion des geistigen Stillstandes mit wettbewerbsbedingten Konkurrenzdenken mündete, anstatt unsere instinktiv-hierarchiesche Bewusstseinsschwäche (das Erbe aus dem Tierreich) gemeinsam zu verarbeiten, um der unserem Ursprung entsprechende Eigenverantwortung als Mensch (ALLE zusammen) gerecht zu werden – Gottes Wege sind NICHT unergründlich, besonders weil Gott keine Person ist, sondern die Reine Vernunft des Geistes der/die Universum/Schöpfung, bzw. das Zentralbewusstsein ist.

  4. Das Bedürfnis nach sozialer Anerkennung kann mitunter größer sein als das Bedürfnis nach moralischer Korrektheit.

    Das ist sicherlich so.
    Die Frage bleibt allerdings, ob Menschen auch in einem Versuch so reagieren würden, wenn sie wissen, dass sie an einem teilnehmen.

    Ich kann mit schwer vorstellen, dass Studenten oder auch Schüler unter den genannten Bedingungen so “ausrasten”. Alle Beteiligten wussten ja, dass der Versuch zeitlich begrenzt ist und man ggf. mit Konsequenzen rechnen muss.

    Wo das beispielsweise sicher passiert ist beim Militär, Polizei, Feuerwehr u.ä.. Da nennt man das dann Korpsgeist z.B.
    Sicher gibt es das auch anderswo.

  5. Ich habe früher von ehemaligen Wehrmachtssoldaten Geschichten gehört, dagegen ist dieses oben beschriebene “Experiment” noch sehr harmlos. Das ging damals -absehbar- nicht über mehrere Tage sondern über Jahre ohne jede Hoffnung . Bei Menschen, die in solche “Notsituationen” geraten, tritt meiner Ansicht nach ein Überlebensmodus in Kraft, wo auch das Paniksystem aktiviert wird. Wenn sie sich in Panik befinden, treten sie alles tot was sich im Wege befindet ,kennen also keine Moral/Ethik mehr. Es entsteht automatisch eine Art Überlebenshierarchie nach dem der Stärkere sich durchsetzt.
    In den Kriegsgefangenenlagern prügelte der “Stärkere” sich das meiste Essen ,die besten Schlafplätze ohne Wanzen, die leichteste Arbeit usw…Diese Herren, die das oben beschriebene Experiment machten, sollten sich mehr am wirklichen Leben orientieren. In vielen Gefängnissen herrschen wohl ähnliche Hierarchien.

    • @Golzower

      In Amiland sind es vor allem die privatisierten Gefängnisse, die sich ihr Personal besonders durch “hire and fire” sehr einfach “effizient” machen können, ausserdem hat die dortige Bevölkerung ein noch sehr viel anderes Verhältnis zu Verbrechen und Gerechtigkeit.

      Angeblich, aus Kostengründen, will man hier auch mehr privatgeführte Gefängnisse bauen lassen – wenn da mal nicht die Gier auf profitable Gewinne wie bei den Altenheimen Druck auf Politik macht!?

  6. Der Polizei den Schwarzen Peter zuzuschieben ist zu kurz gedacht. Im Augenblick geht die Gewaltbereitschaft von der Gesellschaft aus, gegen die Polizei.
    Die ist schlecht bezahlt, mit Überstunden überhäuft, der Dank bleibt aus. Die Polizisten werden von den Zuschauern bei Auseinandersetzungen beschimpft.
    Wir haben Polizei in der Verwandtschaft, was die erzählen…..Mein Fazit: Die Gesellschaft krankt …..
    In der Sozialpolitik und bei der gerechten Verteilung von Eigentum läuft vieles schief. In den Medien hat der Staat kaum noch Einfluss. Der Staat ist hilflos bei Gewaltvideos. Was wir hier unseren Kindern zumuten ist nicht mehr tolerierbar.

    • Die eigentlich Verantwortlichen sind auf der Regierungsbank zu suchen.
      Grotskerweise werden Demonstrationen die der Regierung ind Kram passen erlaubt.
      Regierungskritische Demonstrationen werden dagegen verboten. Das ist politische Willkür und kein Rechtsstaat mehr.
      Fest steht jedenfalls dass in dem Fall oben die Gewalt eindeutig von der Polizei ausgeht auch wenn die Verantwortlichen dafür die Politiker sind.

  7. @Markweger: 😏 “Die eigentlich Verantwortlichen …”

    Ja Eigentlich, nur verantwortlich ihrem Gewissen gegenüber, so sind diese Spitzen des heuchlerisch-verlogenen gesellschaftlichen Marionettentheaters durch “demokratisches” Kreuzchen auf dem Blankoscheck legitimiert, da wundert mich nichts, weshalb ich nur am Anfang meiner Berechtigung zweimal gewählt habe.

    Der Parlamentarismus ist also “nur” der Gipfel “monströser” Verkommenheit!?👋😃

  8. Trotz aller, vermutlich größtenteils berechtigter Kritik, bin ich mir sicher, dass wir vom Stanford Prison Experiment lernen können. Zahlreiche Vorfälle der Vergangenheit und leider auch der Gegenwart sind ein Beweis dafür, dass Obrigkeitshörigkeit und Gruppenzwang unter ungünstigen Umständen fatale Folgen haben können.
    […]
    Es würde wohl zu weit gehen, mit diesen Argumenten Vorkommnisse wie den Nationalsozialismus zu erklären, allerdings halte ich es dennoch für wichtig, sich dieses psychischen „Makels“ bewusst zu sein. [Artikeltext]

    Das war gut, stark formuliert, auch, wie heißt es so schön : reflektiert oder ausgewogen, um Sacharbeit bemüht, wie Dr. Webbaer findet, nicht plump also, auch nicht irgendwie “moralisch / politisch engagiert”.

    Das Stanford Prison Experiment ist aus diesseitiger Sicht mit Vorsicht zu genießen, aber nicht direkt falsch.
    Sicherlich spielte hier der sogenannte Zeitgeist eine Rolle, es ging womöglich auch um sogenannte politische Gefangene, die in liberaler Demokratie gewalttätig politisch tätig wurden und es sollte womöglich schon an US-amerikanischen Unis a bisserl relativiert werden.
    Dr. Webbaer war dabei, erinnert sich gerne auch an Rechtsanwälte der Güteklasse Ströbele und Schily, Schily war der, der von Isolationsfolter sprach, sog. RAF-Strafgefangene meinend, auch von Systemmord, so jedenfalls sinngemäß.
    Dr. W “mochte” auch seine Statements zum Tod von Holger Meins, “Rudi” war dabei, dies nur ganz am Rande notiert, 1974.

    Mit freundlichen Grüßen
    Dr. Webbaer (der womöglich, lol, ein wenig vom Thema, vom ausgezeichneten dankenswerterweise bereit gestellten WebLog-Inhalt abkam, sorry for that, womöglich in “kommentarischen Niederungen” noch knapp zulässig)

  9. Stanford Prison Experiment und die deutschen Polizei Bataillone
    Zitat aus obigem Artikel:

    Wie werden intelligente, psychisch gesunde Menschen innerhalb weniger Tage zu Sadisten? Ist eine humane Form der Haft überhaupt möglich? Und kann dieses Verhalten die Verbrechen des Nationalsozialismus erklären?

    In Nazideutschland wurden zur Sicherstellung des Bedarfes an Polizeikräften in den von der Wehrmacht besetzten Gebieten ungediente Wehrpflichtige und Angehörige älterer Geburtsjahrgänge als Polizeirekruten angeworben.
    Die Aufgabe dieser Amateuer-Polizisten war nicht selten, Juden in den besetzten Gebieten zu töten. Und dazu waren die meisten bereit, denn sie stellten sich auch bei Freiwilligkeit als Exekutoren zur Verfügung. In der Wikipedia liest man zum Polizei-Bataillon 322 (Zitat):

    Am 11. Juli 1941 erging der Befehl, alle jüdischen Männer von 17 bis 45 Jahren zusammenzutreiben und anschließend außerhalb der Stadt[ Białystok ] zu erschießen. Das Bataillon durchkämmte gemeinsam mit dem Polizei-Bataillon 316 die jüdischen Viertel und transportierte die Festgenommenen zu einem Hinrichtungsplatz. Dort ermordeten die Polizeitruppen etwa 3.000 jüdische Opfer.

    Das Reserve Polizei-Bataillon 101 wurde durch die Arbeiten des Historikers Christopher Browning bekannt, der damit zeigen wollte wie aus Zivilisten Mörder wurden. Die Mitglieder dieser aus Zivilisten zusammengestellten Polizeitruppe ermordeten 38‘000 Juden und deportierten 45‘000 in die Vernichtungslager.
    In der Wikipedia liest man dazu:

    Der Dokumentarfilm Das radikal Böse von Stefan Ruzowitzky versucht auf der Grundlage der von Christopher Brownings Darstellung die psychologische Motivation der Mitglieder der Einsatzgruppe zu ergründen, sich an den Morden zu beteiligen oder, wie einige wenige, zu verweigern.

    Ebenso befasst sich die ZDF-Dokumentation „Täter ohne Reue“ in einem Abschnitt mit dem Reserve-Polizei-Bataillon 101 in Hinblick auf die Fragestellung wie die Umstände das Täterverhalten beeinflussen.

    Mir scheint es naheliegend, das Stanford Prison Experiment in diesem Zusammenhang zu sehen.
    Es stellt sich die Frage: Warum waren deutsche Reservisten so leicht als Judenmörder zu rekrutieren?
    Meine Antwort: Der Judenhass wurde in Deutschland viele Jahre lang gepflegt. Unter anderem als Thema in Zeitschriften. Der Judenhass war im damaligen Deutschland nicht mehr nur ein verborgener Hass, sondern ein öffentlicher Hass. Jeder Deutsche durfte offen gegen Juden hetzen und das wiederum bewirkte bei sehr vielen, dass sie auch (gewaltsame) Akte des Hasses als gerechtfertigt zu sehen begannen.

    Fazit: In der Rolle des Polizisten macht ein Mensch eher das, was er Polizisten zutraut. Besonders leicht fällt das aber gegenüber „Gefangenen“, gegen die man eh schon Vorurteile hat.

  10. „Es waren keine Monster, es waren normale Männer“
    Der Dokumentarfilm „Das radikal Böse“ wird mit der Einblendung eines Zitats von Primo Levi eingeleitet:

    „Es gibt die Ungeheuer, aber sie sind zu wenig, als dass sie wirklich gefährlich werden könnten. Wer gefährlich ist, das sind die normalen Menschen.“

    Im Film geht es um die Männer/Polizisten des Reserve-Polizei-Bataillons 101, die aufgeboten als Reservisten und eingesetzt in den von den Nazis besetzten Gebieten, zwischen 1941 und 1943 mindestens 38‘000 jüdische Männer, Frauen und Kinder erschossen.

    Hannah Arendt war die „Eingeberin“ des Filmtitels mit ihrem Satz (Zitat): „Das radikal Böse ist das, was nicht hätte passieren dürfen, das heißt das, womit man sich nicht versöhnen kann […] woran man auch nicht schweigend vorübergehen darf.“

    Doch, muss man fragen: Empfanden die Laien-Polizisten des Bataillons 101, deren Aufgabe die Erschiessung von Juden waren, so etwas wie Mitleid gegenüber ihren Opfern oder gar ein Gefühl der Schuld?
    Antwort: Wohl die Wenigsten.

    Alexandra Zawia sagte zum Film (Zitat):

    „Und jene Deutsche, die während des Zweiten Weltkriegs als Mitglieder der Einsatzgruppen in Osteuropa systematisch zwei Millionen Juden erschossen, waren eben keine Monster. Es waren normale Männer.“

    Heike Littger sagte zu den Konsequenzen für heute (Zitat):

    Unweigerlich denkt man über sich selbst nach. Wie blind ist man für den tagtäglichen Rassismus? Befähigt man seine Kinder darin, Stellung zu beziehen, sich treu zu bleiben, Schwächeren zu helfen und Ausgrenzung auszuhalten? Was haben Verweigerer, was Mitläufer nicht haben? Kann man diese Kompetenzen trainieren? Der Film gibt darauf keine Antwort.

    Fazit: Wer in die Rolle des Polizisten gestellt wird, der ist allein dadurch zu mehr fähig, als er sich vielleicht vorstellen kann.

  11. Es stellt sich die Frage: Warum waren deutsche Reservisten so leicht als Judenmörder zu rekrutieren?
    Meine Antwort: Der Judenhass wurde in Deutschland viele Jahre lang gepflegt. Unter anderem als Thema in Zeitschriften. Der Judenhass war im damaligen Deutschland nicht mehr nur ein verborgener Hass, sondern ein öffentlicher Hass. [Kommentatorenfreund “Martin Holzherr”]

    Es gibt sozusagen einen Grund-Hass-Bedarf in den Bevölkerungen, in der Weimarer Demokratie, die eine schwache Demokratie war, dem Deutschen Reich sozusagen aufgedrängt worden ist, wobei der Judenhass (‘Antisemitismus’ ist sozusagen ein blödes Wort, weil unpassend), Dr. Webbaer ist kein Jude, wohl bereits längere Zeit schon schwelte und insofern, auch in Ermangelung von Gesetzen gegen die Volksverhetzung, von den Nationalsozialisten bestens ausgebaut werden konnte.
    Nicht nur im Deutschen Reich übrigens.
    Dr. Webbaer ist insofern, er darf womöglich auch für Sie als Stammkommentator bei den Scilogs.de sprechen, Herr “Holzherr”, zufrieden, dass mit Herrn Dr. Michael Blume nun in BW ein Antisemitismusbeauftragter bereit steht, der nicht nur nett, sondern auch gebildet und klug ist.
    Von der Zentriertheit auf Deutsche rät Dr. Webbaer abär ab, es ist wohl so, dass hier das zusätzliche Problem vorlag, seinerzeit, dass die Deutschen sozusagen Organisationsweltmeister waren (und sind?), insgesamt ist so überall möglich.

    Mit freundlichen Grüßen
    Dr. Webbaer

  12. Zur freundlichen Sicht, die Dr. W mag und bezorzugt kommentarisch beitragen wird, ist es so, Frau Louisa Sohmen,

    … dass aus anthropologischer Sicht schlicht stets auch gekillt wird, wenn beherrscht werden sollte, psychologisches Gequatsche, auch so meinend : ‘Anonymität der Gruppe’, Dr. W geht davon aus, dass Sie wissen, was gemeint ist.

    Die Zeiten haben sich zwar geändert, gewisse Veranstaltungsmengen bleiben aber doch.

    Mit freundlichen Grüßen
    Dr. Webbaer (der sich bewusst im Zeitversatz gemeldet hat, der Nicht-Veröffentlichung dieses Leserbriefs nicht entgegen spricht und insgesamt viel Erfolg wünscht, auch nicht i.p. “NS” als nicht Täter, sondern als Gegner, die Erbfolgeschaft meinend, historisch nicht gemeint sein kann, “NS” meinend, danke)

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