Dr. habil. Wallraffs nächster Coup

BLOG: Graue Substanz

Migräne aus der technischen Forschungsperspektive von Gehirnstimulatoren zu mobilen Gesundheitsdiensten.
Graue Substanz

Wenn demnächst der Nachwuchswissenschaftler eine Vorlesung hält, sollten wir ihm ins Gesicht schauen. Dann wäre Günter Wallraff wenigstens in einem Punkt widerlegt. „Einem Nachwuchswissenschaftler schaut man nicht ins Gesicht“, sagte er nämlich zu seiner geplanten Undercover-Recherche an einer deutschen Hochschule. Und erklärte damit, warum er glaubt, dass man ihn in all den Wochen, in denen er als Nachwuchswissenschaftler in Lehre und Forschung aktiv recherchieren will, nicht erkennen wird.

Und sagte damit zugleich, warum das System moderner Sklaverei, in dem Menschen bis zum Umfallen und zum finanziellen Ruin schuften, funktioniert: Es sieht keiner so genau hin, wenn es heißt, dass nächste Seminar hält ein Nachwuchswissenschaftler. Wer denkt schon daran, dass er nicht oder weit unter Tarif bezahlt wird?

 


 

OK, das war dann doch nur der leicht abgeänderte Text heute in der F.A.Z. zu den Paketfahrern. Nein, ich will auch nicht die unsägliche Situation dort oder wo auch immer mit der der Wissenschaftler direkt vergleichen.

Wenn ich die aktuellen Berichte lese, beschämt es mich natürlich schon, wenn ähnliche Begriffe, also z.B. “moderne Sklaverei” oder “finanzieller Ruin”, auch in der Diskussion um den deutschen Nachwuchs fallen. Gleich zweimal allerdings.

Erstens, weil natürlich die Lage in der akademischen Welt um ein Vielfaches besser ist. Die Chancen an einer gesellschaftlichen Teilhabe sind ungleich besser. Man kann sich einfach von Akademia abwenden und hat dann immer noch sehr gute Möglichkeiten in der wirklichen Welt.

Es beschämt aber auch, da ich weiß, dass im noch weiter übertragen Sinn solche Kampfbegriffe die ich selbst übrigens nicht so verwendet habe – eben auch auf das System der Karrierewege an den deutschen Hochschulen passen. Niemand, der die vielen Berichte in den letzten Monaten gelesen hat, kann die Ähnlichkeiten übersehen. Auch hier bleibt ein System der breiten Öffentlichkeit verborgen, ja selbst die Studenten wissen oft kaum, wie Karrierewege an einer Hochschule aussehen. Man wünscht sich unweigerlich, Walfraff würde mal dort seinen nächsten Coup landen. Bis man dann den gerade aktuellen Bericht liest und ihm einfach nur beglückwünschen möchte, doch wieder den richtigen Ort gefunden zu haben.

Zu den weiteren Hintergründen verweise ich auf den Beitrag: 25% akademische Juniorpositionen.

 

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Markus Dahlem forscht seit über 20 Jahren über Migräne, hat Gastpositionen an der HU Berlin und am Massachusetts General Hospital. Außerdem ist er Geschäftsführer und Mitgründer des Berliner eHealth-Startup Newsenselab, das die Migräne- und Kopfschmerz-App M-sense entwickelt.

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