Kleinvieh macht auch Mist

BLOG: Go for Launch

Raumfahrt aus der Froschperspektive
Go for Launch

Ein Gespenst geht um in Europa … und nicht nur dort. Ein Gespenst in Form eines Hypes, der viele beliebte Modethemen aufgreift, wie Nanotechnologie, Schwarmintelligenz oder verteilte Systeme. Topaktuell – wer so viele Buzzwords in nur einem Satz unterbringt, dem hört man zu. Sie lesen doch auch gebannt mit, oder? Na also.

Nano- oder gar Picotechnologie ist in diesem Zusammenhang allerdings übertrieben, denn es geht um Nano- oder Picosatelliten. Nanosatelliten haben eine Masse von 1-10 kg, Picosatelliten von bis zu einem kg … also unterscheidet sie nur eine Größenordnung, nicht etwa drei. Aber bei Hypes kommt es nicht auf den Wahrheitsgehalt an. Noch von ein paar Jahren konnte man von Plänen lesen, nach denen Schwärme solcher Kleinsatelliten sich im Orbit relativ zueinander ausrichten und damit Synthetische-Apertur-Radarantennen oder Radioteleskope einer Leistungsfähigkeit bilden sollten, die die von in einem Stück gestarteten Systemen auf großen Satelliten um Längen übertreffen.

Solche Schwärme von Kleinstsatelliten sollten auch noch den Vorteil mitbringen, dass beim Ausfall einzelner Satelliten sofort andere deren Platz übernehmen, das Gesamtsystem also weiter funktioniert.

Das klang ja alles recht gut und bot reichlich Stoff für schöne Powerpoint-Präsentationen und Hochglanzprospekte. Man rechnete damit, dass ganze Legionen von Kleinstsatelliten den erdnahen Weltraum überschwemmen würden, dank Massenfertigung zu Gesamtkosten, die weit unter denen heutiger Satelliten liegen. Allerdings kam es dazu bis heute nicht, denn Kleinstsatelliten bringen nicht nur Vorteile, sondern auch massenhaft Probleme. Um wirklich eine feste Konfiguration zu bilden und beizubehalten, bedarf es genauer Sensorik und präziser Regelungstechnik.  Anspruchsvolle Technik lässt sich jedoch nicht komplett miniaturisieren, sie wird dann entweder exorbitant teuer, oder sie wird unzuverlässig. Oder beides.

Außerdem haben Satelliten die Eigenschaft, dass man nicht hinfliegen und sie instandsetzen kann, wenn etwas klemmt. Sie sind andererseits aber enormen Belastungen durch Teilchen- und UV-Strahlung, durch Beschleunigung und Vibrationen beim Start, durch Mikrometeoriten und durch thermische Belastungen ausgesetzt. Das macht selbst die solideste Technik irgendwann kaputt. Deswegen sind bei Satelliten die Kernsysteme überdimensioniert und redundant, d.h., wenn’s wichtig ist, legt man noch was drauf und baut zusätzlich auch noch eins mehr ein.

Bei einem Kleinstsatelliten kann man das aber nicht, denn der muss ja klein und billig sein. Damit relativiert sich auch der scheinbare Vorteil des verteilten Systems, denn wenn alle seine Satelliten unzuverlässig sind, bleiben am Ende gar keine mehr übrig, die das Gesamtsystem mit Leben erfüllen.

Na, vielleicht kriegt man das ja noch gebacken, wer weiß. Vielleicht aber auch nicht. Es wäre nicht der erste Hype, der den Bach ‘runtergeht … Schwarm, aber nicht Schwarmintelligenz, sondern eher ein Schwarm toter Fische nach einem Chemieunfall?

Auch wenn das mit den Schwärmen wohl noch etwas Feinschliff braucht, einzelne Kleinstsatelliten wurden schon gestartet. So einen Satelliten kann ein Universitätsinstitut für wenig Geld, aber mit viel Engagement der Studenten bauen, den Start bekommt man typischerweise umsonst. Bei vielen Raketenstarts ist noch etwas Nutzmassenkapazität und Platz frei, da reicht es leicht für einen oder mehrere Microsats, NanoSats oder “CubeSats” (würfelförmige, mit Solarzellen belegte Objekte mit einem Liter Rauminhalt und rund einem kg Masse. Das reicht für die Funkanlage und ein kleines Experiment. Noch kleinere Satelliten sind wirklich nur noch auf eine chipbestückte Platine mit Solarzellen auf der einen Seite reduziert – auch dafür gibt es Anwendungszwecke, beispielsweise für Amateurfunker.

Aber natürlich ist nicht alles eitel Sonnenschein, denn wenn es den Start für lau gibt, kann man sich die Zielbahn nicht aussuchen. Es geht dahin, wohin der Hauptpassagier der Rakete (der den Start bezahlt) will. Oft ist dies die beliebteste Erdbeobachtungsbahn auf einem sonnensynchronen Orbit einer Höhe von 800-900 km und einer Inklination von 98-99 Grad. Die Oberstufe der Rakete bewerkstelligt den Einschuss in die Bahn, dann heißt es “Alles Aussteigen!” und danach sind sowohl Hauptnutzlast und mitgeführte Kleinstsatelliten auf sich gestellt.

Bei einer Masse von einem Kilogramm oder weniger ist an ein Triebwerk und Tanks nicht zu denken. So ein Nano- oder Picosat treibt steuerlos auf seiner Bahn und funktioniert so lange, wie er funktioniert (meist nicht sehr lange). Aber selbst wenn er kaputt ist, ist er noch lange nicht weg, er zieht immer noch seine Kreise und kreuzt  immer wieder die Bahn anderer Satelliten. Ausweichen ist nicht drin, und selbst das Verfolgen per Radar ist bei den ganz kleinen Dingern nicht so einfach, sodass man möglicherweise ihre Bahn nicht genau bestimmen und deswegen auch das Kollisionsrisiko mit anderen Satelliten nicht exakt vorausberechnen kann.

Und damit werden sie wirklich zu einem Problem. Typische Relativgeschwindigkeiten bei einer Kollision im Orbit liegen jenseits von 10 km/s. Selbst ein Kilogramm Masse bringt beim Aufschlag locker 50 Megajoule an kinetischer Energie mit – das entspricht der Energie der Explosion von 10 kg TNT. Allemal genug, um sich selbst und den Kollisionsgegner in eine Wolke von Trümmern zu verwandeln. Erschwerend kommt hinzu: In so hohen Bahnen haben Objekte typische Lebensdauern, die in Jahrzehnten bemessen werden. Die Hochatmosphäre ist dort schon sehr dünn – die Population aus defekten Satelliten und Trümmern wird durch aerodynamische Abbremsung nur sehr langsam ausgedünnt.

Falls also jemand unter meinen Lesern irgendetwas mit dem Bau eines Kleinstsatelliten zu tun hat – hier mein Appell:

  1. Idealerweise suchen Sie sich eine Bahn aus, in der die Lebensdauer nicht so hoch ist. 600 km wären schon OK. Alles unter 800 km ist akzeptabel. Gerade in den Bereich zwischen 800-900 km gehört so etwas gar nicht.
  2. Wenn Sie schon auf eine hohe Bahn müssen, dann treffen Sie wenigstens Vorkehrungen, damit die Lebensdauer reduziert wird. Alles, was die Querschnittsfläche vergrößert, hilft. Es kostet nur ein paar Gramm Masse, nach dem Aussetzen automatisch Flügel aus dünnem Blech ausklappen zu lassen, die den aerodynamischen Querschnitt um ein Mehrfaches erhöhen und das Objekt um so schneller aus der Gefahrenzone entfernen.

Weitere Information

ESA-Webseite zum Projekt SSETI-Express, bei dem es um den Bau und Betrieb eines Mikrosatelliten durch Studenten in verschiedenen Ländern ging. Der Satellit wurde am 27. Oktober 2005 gestartet, fiel aber bald darauf einem elektrischen Defekt zum Opfer

Webseite eines dänischen Enthusiasten mit Auflistung bisheriger CubeSat-Starts

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Ich bin Luft- und Raumfahrtingenieur und arbeite bei einer Raumfahrtagentur als Missionsanalytiker. Alle in meinen Artikeln geäußerten Meinungen sind aber meine eigenen und geben nicht notwendigerweise die Sichtweise meines Arbeitgebers wieder.

10 Kommentare

  1. Appell schon angekommen!

    Ihr Appell ist bereits erhört worden: von der Firma Interorbital Systems, die ab Ende des Jahres dutzendweise Klein- und Kleinstsatelliten, sog. TubeSats, in der Südsee auf ihrer ‘Neptune 30’ starten will. Und zwar bewusst nur in 310 km Höhe, damit ein relativ rascher Reentry garantiert ist. Ein interessanter Passagier bei der Premiere wird übrigens MiniRomit1 sein, ein Doppel-CubeSat – mit eigenem Raketenantrieb zur Veränderung der Bahnhöhe nach dem Aussetzen.

  2. Schöner Beitrag…

    …für den sich m.E. noch ein Buzzwort angeboten hätte: Nachhaltigkeit!

    “Kleinsatelliten bitte so planen, dass der Orbit nachhaltig genutzt werden kann.” (Also, dass sie bald nach Funktionsende den Weg allen Zeitlichen gehen.)

    Zu klären wäre da nur noch: Zählt Verglühen in der Atmosphäre eigentlich als Recycling? In den Kreislauf werden die Rohstoffe ja doch irgendwie wieder eingespeist…

    Danke nochmal für den interessanten und anregenden Beitrag!

    Michael

  3. @Daniel Fischer

    Ja, das ist mal eine gute Nachricht. Hoffentlich setzt sich der Trend durch. Leider hat man sich in der Vergangenheit nicht immer daran gehalten.

    Wenn ich mal hier beispielsweise nach Picosat% im Satellitennamen suche, oder nach Nanosat% oder nach Cubesat% …

    http://www.heavens-above.com/…p;alt=0&tz=CET

    … dann komme ich schon noch auf nicht Wenige, die sich bei über 800 km oder nahe dran tummeln. Bei einigen legt die Inklination nahe, dass sie ursprünglich höher waren.

    Und wie auch bei anderen Gefahren sind die, die man schon identifiziert hat, nicht die, vor denen man am meisten Angst haben muss, sondern die, die man noch nicht gefunden hat. Je kleiner der Satellit, desto besser seine Chance, durchzurutschen.

    Bei einem “dedicated Launch” kann man sich natürlich die Bahnhöhe aussuchen, so wie Interorbital das anbietet. Aber wenn es nur ein kostenloser Start als Ko-Passagier ist, geht das nicht.

    Dann sollte wenigstens die Luftbremse her. Wenn die gleich nach dem Aussetzen automatisch ausgefahren wird, am Besten über einen mechanismus, der auch dann funktioniert, wenn der Satellit nicht ansprechbar ist, dann ist schon mal das Problem entschärft.

  4. Lightcraft

    Wie man die Nanosatelliten billig und umweltfreundlich in den Orbit hinauf bekommt:

    Lightcraft – Laserantriebe für Nanosatelliten:

    http://www.dlr.de/…px/tabid-2803/4273_read-6407/

    Als Luftbremse wäre ein kleiner Ballon aus Mylar geeignet, in dem am Anfang im gefalteten Zustand einige Wassertropfen sind, die dann später im Vakuum verdampfen.

    Der Ballon muss nicht so gross sein, wie Echo 1A, der aber sehr schön war:

    http://de.wikipedia.org/wiki/Echo_1

  5. @Karl Bednarik

    Na, ob das wirklich so billig und umweltfreundlich ist? Der Laser dient doch zur Verdampfung eines festen Brennstoffs, und pro kg Endmasse im Orbit muss auf jeden Fall eine Energie von mehr als 32 MJ aufgebracht werden. Deutlich mehr, wenn man die diversen Verluste einbezieht. Gut, 32 MJ sind auch nur knapp 9 kWh….

    So einfach ist das allerdings nicht mit dem Laser, denn wenn man ins orbit will, geht’s ja nicht nur geradeaus hoch, sondern der überwiegende Anteil der knietischen Energie muss in horizontaler Richtung aufgebracht werden. Da ist der zu startende Satellit aber schon sehr schnell außerhalb der Reichweite und der Sichtbarkeit der Laserstation.

    Wie auch immer, billiger als kostenlos ist schwierig. Viele Nano-Satelliten werden heutzutage kostenlos als Beipack zu einem ohnehin gestarteten groeßeren Satelliten ins Orbit gebracht. Den Betreibern ist es meist wurscht, in welchen Orbit sie landen. Hauptsache Orbit, Hauptsache billig.

  6. Zur Semantik des Worts

    Das Wort “Nachhaltigkeit” ist mir ein Rätsel. Es ist mir schon seit jeher bekannt und hatte auch immer eine genau definierte Bedeutung: “Dieses Verhalten ist geeignet, die Beziehungen zwischen beiden Ländern nachhaltig zu schädigen.” … also ein Synonym zu “tiefgreifend”, “fundamental”, “gründlich”.

    Seit wenigen Jahren wird dieses Wort aber, typischerwiese von Journalisten, Politikern und andern naturwissenschaftsfernen Gruppen, mit einer anderen Bedeutung verwendet (Von Wissenschaftlern und Ignenieuren hört man es dagegen kaum).

    Diese Bedeutung ist alles andere als klar. Mal meinen die Betreffenden damit die Minimierung der Verschmutzung, mal die Wiederverwendung der Rohstoffe, mal, dass maximal soviel einer Ressource verbraucht wird wie nachwächst oder sonstwie generiert wird.

    Ich hege den Verdacht, dass das Wort sich gerade wegen seiner semantischen Schwammigkeit solcher Beliebtheit erfreut. Da kann man hinterher immer sagen: “Doch, doch, genau DAS habe ich gemeint.”

    Ich hoffe, dass Anatol Stefanowitsch sich in seinem Sprachlog mal dieses Wortes annimmt und uns erklärt, was es damit auf sich hat.

    Vorausgesetzt, hier geht es um die Bedeutungsgehalt “Ressourcenschonung”, so ist die Ressource, die geschont werden muss, damit sie auch zukünftigen Generationen zur Verfügung steht, der erdnahe Weltraum selbst.

    Der erdnahe Weltraum: Das Gebiet ab 200 km über unseren Köpfen bis hinaus jenseits des geostationären Gürtels.

    Dort, wo die Luftdichte schon so gering ist, dass bereits orbitale Flüge möglich werden und damit eine Situation, in der die Fluggeschwindigkeit so hoch ist, dass Fliehkraft und Schwerkraft einander aufheben, vulgo “künstliche Schwerelosigkeit”.

    Dort, wo man hoch genug ist, um globale Messungen der Erdoberfläche und -atmosphäre vorzunehmen, aber tief genug, um eine gute Auflösung zu erhalten.

    Diese Ressource gilt es zu schonen, und zwar dadurch, dass die dort eingebrachten menschengemachten Objekte nach Ablauf ihres Einsatzes entfernt werden.

  7. Lightcraft 2

    Meine Wasserdampf-Ballon-Luftbremse ist doch hübsch, federleicht, platzparend, einfach, und selbst-entfaltend, oder?

    Unterhalb von 11 km Höhe fliegt das Lightcraft nur mit Luft.

    Bei einer Bahnsteigung von 10 % kann das Lightcraft 110 km weit mit Luft fliegen.

    Auf diese Weise werden 90 % der Geschwindigkeit in horizontaler Richtung aufgebaut.

    Oberhalb von 11 km Höhe verwendet man den festen Treibstoff Delrin (CH2O)n, der nur zu CO2 und H2O verbrennt.

    Das DLR schreibt:

    Das überraschende Ergebnis war, dass abnehmender Luftdruck je nach Energie des Laserpulses zunächst nicht zu einer Verringerung des ausgelösten mechanischen Impulses führt.

    Erst bei einem Luftdruck, der einer Flughöhe von mehr als 11 km entspricht, setzt eine merkliche Abnahme des mechanischen Impulses ein.

    Für den Einsatz eines festen Treibstoffes (Delrin) im Fokus des Lightcrafts ergab sich im Vakuum eine Ausströmgeschwindigkeit von 2,5 km/s, entsprechend einem spezifischen Impuls von 255 s.

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