CO2-Gehalt der Atmosphäre im Jahre 1890

Da ich mich nicht sonderlich für Behauptungen interessiere, die den Klimawandel infrage stellen, wäre mir die Behauptung glatt entgangen, der CO2-Gehalt der Atmosphäre sei seit 1890 gar nicht angestiegen, wenn mich nicht neulich jemand darauf angesprochen hätte.
Hier ist der Facebook-Post, auf den sich unzählige Leute berufen. Dort wird auf einen Eintrag zum Stichwort “Kohlensäure” in der Ausgabe von Meyers Konversationslexikon vom Jahr 1890 Bezug genommen.

Da viele Leute diese Behauptung verbreitet haben, haben sich auch Faktenchecker damit auseinandergesetzt, beispielsweise correctiv.org oder mimikama.at. Die Faktenchecker weisen – zu Recht – darauf hin, dass die Messung des Anteils eines Spurengases in der Erdatmosphäre im Jahr 1890 noch nicht exakt gewesen sein konnte. Sie verweisen auch auf die zahlreichen und umfassenden modernen Messungen der letzten Jahrzehnte hin, die den Anstieg des CO2-Gehalts der Atmosphäre belastbar dokumentieren.
Seltsamerweise weisen die Faktenchecker nicht auf die augenfälligste Schwäche des Lexikoneintrags von 1890 hin. Dort wird nur gesagt, CO2 “[…] findet sich zu etwa 0.04 Prozent [in der] Atmosphäre […]”. Allein schon wegen einer solchen Aussage sollte man diesen Wert mit Vorsicht behandeln. Prozent wovon? Sind damit Massen-Prozent, Volumenprozent oder der Anteil von CO2-Molekülen an den Teilchen in der Atmosphäre gemeint?
Wenn so ein fundamentaler Umstand nicht explizit dazugeschrieben ist, kann man mit dem genannten Wert erst einmal gar nichts anfangen. Stefan Taubitz, der Autor des Facebook-Posts, schreibt dazu: “Recherche bedeutet Mühe, wird aber immer wieder belohnt“. Das ist zwar im Prinzip zutreffend. Aber alle recherchierten Informationen sollten auch verifiziert werden. Insbesondere dann, wenn man sie interpretiert und daraus weitreichende Schlüsse zieht.
Der CO2-Gehalt der Atmosphäre wird aktuell mit etwas über 400 ppm angegeben. Das ist eine ziemlich saubere und unmissverständliche Angabe: Von einer Million Teilchen (zumeist Molekülen) in dem Gasgemisch, das unsere Atmosphäre darstellt, sind etwa 400 CO2-Moleküle, also 0.04%.
Meinten die Autoren von Meyers Konversationslexikon von 1890 dasselbe? Das halte ich für ziemlich unwahrscheinlich, wenn man den allgemeinen Wissensstand der damaligen Zeit berücksichtigt. Viel wahrscheinlicher ist, dass im Konversationslexikon Massen-Prozent gemeint sind.
Will man allerdings Massen-Prozent in ppm umrechnen, muss man die Masse der Moleküle des Kohlendioxids und der anderen Bestandteile der Luft berücksichtigen. Kohlenstoff hat die Atommasse 12, Stickstoff 14, Sauerstoff 16 und Argon 40. Der Durchschnittswert der Massen der Luftteilchen (zweiatomige Sauerstoff- und Stickstoffmoleküle plus Argon-Atome) ist ziemlich genau 29; Kohlendioxid liegt mit der Masse 44 um einen Faktor 1.5 darüber.
Nehmen wir jetzt mal an, der Messwert von 0.04% im Jahr 1890 sei exakt gemessen worden und man hätte damit Massen-Prozent gemeint. Um von diesem Wert auf den Anteil der CO2-Moleküle an den Teilchen der Luft zu kommen, muss man 0.04% durch besagten Faktor 1.5 dividieren … das ergibt 0.0267% bzw. 267 ppm, was nebenbei bemerkt ziemlich genau dem Wert von weniger als 300 ppm entspricht, den die moderne Wissenschaft für den CO2-Gehalt im späten 19. Jahrhundert auf Basis von Messungen und Berechnungen ermittelt hat.
Wir sehen also: keineswegs widerlegt Meyers Konversationslexikon von 1890 den aktuellen Stand der Atmosphärenforschung. Es ist sogar umgekehrt – die dort gemachte Aussage unterstreicht den erheblichen Anstieg vom CO2-Gehalt. Man sollte zwar einer so alten Quelle nicht übermäßig viel Bedeutung beimessen, das sage ich fairerweise dazu. Aber als Beleg für die Schlussfolgerungen, zu denen der Autor des Facebook-Artikels und alle diejenigen kommen, die ihn zitieren – dafür taugt Meyers Konversationslexikon von 1890 nicht. Mal ganz abgesehen davon, dass ein Eintrag in einem alten Lexikon ohnehin nicht mal eben so die Ergebnisse von Jahrzehnten wissenschaftlicher Forschung und Messungen vom Tisch wischen würde, ebensowenig wie ein Facebook-Post.
Es gibt einen “aktuellen” Vergleich, der ist aber schon 15 Mio Jahre alt. Der Meeresspiegel lag 30 m höher! (Link)
Das wußte man schon 2009, wenn die “facebooker 2019” nicht nur Rosinen picken würden.
Meyers Konversationslexikon von 1890 als Referenz zu nehmen für den damaligen Kohlendioxid-Gehalt in der Atmosphäre ist um vieles schlimmer als die heutige Wikipedia als Referenz zu nehmen und dabei wird genau das, die Wikipedia als Referenz zu nehmen häufig kritisiert, sogar von Wikipedianern, denn die Wikipedia bemüht sich ja gerade, gültige Referenzen etwa zu Forschungsartikeln zu unterhalten.
Erstaunlich, über was man alles diskutieren und sich austauschen kann.
Ich vermute eher, dass damals, wenn nicht explizit angegeben, Volumen- statt Massenprozent gemeint sind. Was aber an der Unzuverlässigkeit der Quelle natürlich nichts ändert. Hier ein weiterer alter Lexikonwert:
Der Artikel “Atmosphäre” im selben Lexikon bringt Aufschluss, was gemeint ist: Da gibt es eine Tabelle der Zusammensetzung, und da sind für “Kohlensäure” 0,03 “Volumprozente” und 0,05 “Gewichtsprozente” angegeben.
Ich vermute in der Facebook-Kopie eher Masseprozent. Seinerzeit wurde der CO2-Gehalt gravimetrisch bestimmt: eine definierte Menge Luft wurde durch ein Rohr geleitet, das mit einer basischen Chemikalie (etwa fein gemahlenes NaOH) gefüllt war, aus der Gewichtsdifferenz erhält man dann direkt die Massenprozent. Alternativ kann man auch eine alkalische Lösung nehmen (z.B. Natronlauge), das funktioniert beides sehr gut und gibt auch recht genaue Resultate. Dieses Verfahren wurde noch bis in die 1970er Jahre in der Elementaranalyse verwendet.
Um auf Volumenprozent zu kommen, muss man dann umrechnen, d.h. sich über das Ergebnis Gedanken machen. Wenn man schon so weit ist, ist es natürlich naheliegend, auch die korrekte Einheit anzugeben.
Der letzte Schrei der Technik war damals Luftverflüssigung nach Linde.
Wenige Jahre nach 1890 wurden dann auch die Edelgase entdeckt, angefangen mit Argon.
Was auch gegen Teilchenzahl-Prozent spricht: damals war noch nicht entschieden, ob es Atome und Moleküle wirklich gibt.
Namhafte Physiker, darunter Ernst Mach, waren da skeptisch.
In den nuller Jahren des 20. Jahrhunderts hat sich das geklärt.
Ja und in meinem Brockhaus Konversationslexikon von 1902 steht ca. 0,6gr/m³ enstpricht ziemlich genau 328ppm CO2
beste Grüße
Mal angenommen Deutschland sei “CO²-neutral”. Um wieviel Prozent würde sich der CO²-Anteil der Atmospäre dadurch verringern?
Das ist eine ganz andere Frage, die mit dem Thema des Artikels nichts zu tun hat.
Ich nehme an, Google wird Ihnen bei der Suche nach dieser Information dienlich sein. Hinweis: Seien Sie vorsichtig mit Quellen, die “CO²” schreiben. Man kann davon ausgehen, dass die nicht wirklich wissen, wovon sie reden.
“Mal angenommen Deutschland sei “CO²-neutral”. Um wieviel Prozent würde sich der CO²-Anteil der Atmospäre dadurch verringern?”
Gar nicht.
Der CO2-Gehalt in der Atmosphäre würde etwas weniger stark ansteigen, wenn eine Quelle wegfällt. CO2 reichert sich in der Atmosphäre an.
Auch damals (im 19. Jhd.) gab es schon Bücher und die Suchmaschine “Google” bietet die Möglichkeit in einigen von ihnen nach Wörtern zu suchen : (Link)
Die aktuelle Schadstoff- und Klimaentwicklung in Europa der letzten 40 Jahre (Link)
Zunahme CO2 +20% , N2O + 10% , CH4 +15% , es geht aufwärts bis ? und dann
Soso….
Correctiv hat also “recht”, leistet sich aber gleichzeitig einen Riesenbock. Und der Rest des Kommentars sind Vermutungen und Annahmen von “Wahrscheinlichkeiten”. Wie aussagekräftig die Co2-Messungen im 19. Jahrhundert waren, weiß Herr Khan einfach nicht. Aber er hat eine sehr starke Meinung darüber!
Das ist genau das “Geschwurbel”, das üblicherweise “Klimaleugnern” unterstellt wird!
Correctiv.org hat recht mit seinem Hinweis auf die damalige Genauigkeit der Messungen, hätte aber bemerken müssen, dass eine Angabe des “prozentualen Anteils” ohne nähere Angabe darüber, welcher Anteil gemeint ist, keine Aussagekraft hat. Darauf habe ich hingewiesen. Was werfen Sie mir vor?
Ihre Vorwürfe sind nicht nachvollziehbar. Jede meiner Angaben im Artikel ist begründet. Zahlenwerte werden genannt.
Um die “Aussagekraft der CO2-Messungen” im 19. Jahrhundert geht es hier gar nicht. Auch nicht um den Kohlendioxidanteil in der Atmosphäre zur damaligen Zeit, denn der ist heute mit hoher Genauigkeit messbar. Die Aussagekraft der damaligen Messungen ist also gar nicht relevant. Wer einen Lexikoneintrag von 1890 zu Unrecht schon als Beweis für die unzutreffende Behauptung sieht, dass der wissenschaftlich gesicherte Anstieg des Kohlendioxidgehalts der Atmosphäre gar nicht stattfindet, der sollte etwas genauer hinschauen.
Herr Khan, bitte erklären Sie, wie Sie genau auf den Durchschnitt von 29 kommen:
Will man allerdings Massen-Prozent in ppm umrechnen, muss man die Masse der Moleküle des Kohlendioxids und der anderen Bestandteile der Luft berücksichtigen. Kohlenstoff hat die Atommasse 12, Stickstoff 14, Sauerstoff 16 und Argon 40. Der Durchschnittswert der Massen der Luftteilchen (zweiatomige Sauerstoff- und Stickstoffmoleküle plus Argon-Atome) ist ziemlich genau 29; Kohlendioxid liegt mit der Masse 44 um einen Faktor 1.5 darüber.
Denn (44+32+28+40):4 = 36 und nicht 29
Sie müssen schon die jeweiligen Anteile von O2, N2 und Ar berücksichtigen.
Mittelwert der Molekularmasse der Hauptbestandteile von Luft: 0.21*32+0.78*28+0.01*40= ca. 29
Wenn sie 3 Murmeln mit 10 Gramm Masse, 12 mit 15 Gramm und 30 mit 20 Gramm Masse haben und die durchschnittliche Masse wissen wollen, dann rechnen Sie ja hoffentlich auch nicht (10+15+20)/3=15 Gramm, oder? Die richtige Rechnung ist (3*10+12*15+30*20)/45=18 Gramm.
Ob es sich bei der Angabe um Massen- oder Volumenprozente handelt ist in der Tat unklar. Letztlich müsste man herausfinden, welch Quelle sie damals 1890 benutzt haben.
Volumenprozente sind jedenfalls auch möglich, denn damals gab es nur lokale Messungen des CO2 Gehaltes in der bodennahen Luft und keine Messungen, die representativ für die gesamte Atmosphäre wären.
Das Problem den CO2 Gehalt der gesamten Atmosphäre zu bestimmen, wurde erst in den 1950er Jahren gelöst.
Der CO2 Gehalt der Atmosphäre ist nämlich nur in der freien Atmosphäre oberhalb von etwa 1500 Metern Höhe einigermaßen repräsentativ. Unterhalb davon, in der planetaren Grenzschicht ist der CO2 Gehalt sehr unterschiedlich, je nachdem ob Quellen oder Senken in der Nähe sind und wie gut die Atmosphäre gerade durchmischt ist.
Nur in Abwesenheit von Quellen und Senken sind Messungen in Bodennähe überhaupt ähnlich wie in der oberen Atmosphäre, z.B. über Eisschilden.
Bodennahe Messungen in der Nähe von Vegetation oder menschlich Quellen von CO2 werden dagegen unterschiedliche lokale Werte liefern.
Bei ausgedehnten Wäldern in der Wachstumsphase kann der lokale CO2 Gehalt der Atmosphäre deutlich weniger als das globale Mittel betragen, da die Pflanzen der Luft das CO2 entziehen.
Andererseits wird außerhalb der Wachstumsphase organische Materie wieder zersetzt und gibt CO2 an die Luft ab, wodurch der lokale CO2 Gehalt ansteigt. Zusätzlich gibt der Menschen durch die Verbrennung von Holz und Kohle ebenfalls CO2 an die Luft ab, besonders im Winter.
Am stärksten ist der Einfluss der Quellen und Senken, wenn der Luftaustausch mit der oberen Atmosphäre nur gering ist. Gerade bei Inversionswetterlagen wie sie vorwiegend im Winter auftreten, sammelt sich das CO2 aus den menschlichen wie natürlichen Quellen in der Luft nahe dem Boden an und es können lokal CO2 Konzentrationen erreicht werden, die deutlich über dem mittleren CO2 Gehalt der Atmosphäre liegen.
Die Messungen des CO2 Gehalts der Luft, die im 19. Jahrhundert gemacht wurden stammen aus der Nähe von Vegetation oder menschlichen Siedlungen. Sie schwanken daher stark und liegen oftmals deutlich über dem globalen Mittel, wenn sie zu einer Zeit gemessen wurden, in der die lokale CO2 Emissionen hoch und der Luftaustausch mit der oberen Atmosphäre schlecht war.
Sie sind daher nicht repräsentativ für die gesamte Atmosphäre.