Heißen chinesische Raumfahrer “taikonauten”?

BLOG: Go for Launch

Raumfahrt aus der Froschperspektive
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Die Medien pfeifen es von den Dächern: In China sagt nennt man einen Astronauten angeblich “Taikonaut”. Ist das wirklich so? Nö. “Taikonaut” ist ein außerhalb Chinas erfundenes Kunstwort, zusammengesetzt aus einem stark verbogenen chinesischen Begriff und dem griechisch/lateinischen Wort für Seemann, ναúτης /nauta.

Wozu erfindet einer so ein Kunstwort? Keine Ahnung. Die Chinesen scheren sich jedenfalls nicht drum. Der in der Volksrepublik China verwendete Begriff ist nämlich keineswegs “Taikonaut”, sondern ( , wörtlich übersetzt so viel wie Raumfahrtmitarbeiter oder -bediensteter). Das rollt doch gleich ganz anders von der Zunge, oder?

In Taiwan und Hongkong sagt man dagegen ( , so viel wie Weltraum-Mensch). Wenn man die deutsche Wikipedia-Seite zum Eintrag “Raumfahrer” aufsucht und von dort zur entsprechenden chinesischen Seite springt, landet man hier – Sie werden die Schriftzeichen der Überschrift gleich wiedererkennen.

Kurz und gut: Die Chinesen nennen ihre Raumfahrer nicht “taikonaut”. Mir kann es eh egal sein, es ist mir schon lange zu aufwändig, mir merken zu müssen, welche Bezeichnungen wo gelten – “astronaut” bei den Amerikanern, “kosmonavt” bei den Russen, “spationaute” bei den Franzosen. Für mich sind die alle einfach Raumfahrer. Und ich bin – leider – kein Raumfahrer.

Gut, genug dazu. Eigentlich bin ich aus einem ganz besonderen Grund auf dieses Thema zu zu sprechen gekommen.

Heute ist der 15. Oktober. Der achte Jahrestag des ersten Flugs eines chinesischen Raumfahrers (a) in einem chinesischen Raumschiff (b), das von einer chinesischen Rakete (c) von einer chinesischen Basis (d) aus gestartet wurde und in China wieder landete (e). Und außerdem hat er eine chinesische Frisur (f).

Die Volksrepublik China ist damit erst die dritte Nation in der mittlerweile über 50jährigen Geschichte der bemannten Raumfahrt, die dieses Paket an Leistungen erbrachte.

Fast genau zwei Jahre später startete Shenzhou 6 mit zwei Raumfahrern an Bord, die fünf Tage im Orbit blieben. Wiederum knapp 3 Jahre nach Shenzhou 6 startete Shenzhou 7 mit drei Raumfahrern. Dabei absolvierte der Raumfahrer Zhai Zhigang die erste chinesische EVA. Zhais Raumanzug wurde in China entwickelt und ist eine Ableitung des damals aktuellsten russischen Modells Orlan-M.

Am 29. September 2011 startete die Volksrepublik China das Raumschiff Tiangong 1, das aus einem druckbeaufschlagten Experimentenmodul und einem Servicemodul besteht und an das Shenzhou-Raumschiffe andocken können. Damit hat China eine eigene, zunächst noch kleine Raumstation. Die unbemannte Mission Shenzhou 8 soll im November dieses Jahres das Andocken testen. Im Erfolgsfalle werden 2012 die bemannten Missionen Shenzhou 9 und 10 folgen, deren Raumfahrer sich in der Station aufhalten werden.

Die Chinesen machen was, ob uns das passt oder nicht. Und wir Europäer machen nix und werden uns bald schon verwundert den Staub aus den Augen reiben. Dann werden nämlich nicht mehr wir, sondern andere den Ton angeben und uns zeigen, wo del Hammel hängt. Und wir haben dann gefälligst zu tun, was die uns sagen.


Fußnoten:

(a) Der Militärpilot Yang Liwei (Yang ist der Familienname), geboren am 21. Juni 1965. Yang wurde nach seinem Flug ähnlich wie damals Gagarin von der chinesischen Führung zum Volkshelden stilisiert. Im von oben verordneten Mediengetöse geht der Mensch Yang Liwei aber wahrscheinlich vollkommen unter.

(b) Die Mission Shenzhou 5 war der erste bemannte Flug des chinesischen Shenzhou-Raumschiffs, das sich technisch offensichtlich stark an das erprobte russische Sojus-Raumschiff anlehnt, aber keineswegs nur ein simpler Nachbau ist.

(c) Die Trägerrakete Langer Marsch 2F ist eine Variante aus einer Entwicklungsreihe chinesischer Raketen. Die Variante 2F verwendet zwei Stufen und vier Zusatzraketen (Booster), die allesamt Hydrazin als Brennstoff und Distickstofftetroxid als Oxidator verwenden. Diese Stoffe sind gefährlich und teuer, bieten aber in der technischen Handhabung gewisse Vorteile. Zukünftige Baureihen der Raketenfamilie Langer Marsch werden Kerosin und Flüssigsauerstoff in den Boostern und Unterstufen und Flüssigwasserstoff/Flüssigsauerstoff in der Oberstufe einsetzen. Die jetzigen Baureihen 2 und 3 ähneln in Aufbau und Leistung der russischen Sojus, die Technik ist aber eine ganz andere. Bei den Treibstoffen ähneln sie eher der mittlerweile eingestellten europäïschen Ariane 4.

(d) Der Start von Shenzhou 5 erfolgte am 15. Oktober 2003 von der chinesischen Startbasis Jiuquan in der Wüste Gobi. Von Jiuquan aus wurde 1970 der erste chinesische Satellit mit dem schwülstigen Namen Dong Fang Hong 1 (“Der Osten ist rot”) gestartet. China betreibt noch zwei weitere Startbasen, Taiyuan, etwas weiter östlich in der Provinz Shanxi und Xichang in der Provinz Sichuan. Eine weitere Basis wird auf der Insel Hainan im äußersten Süden des Landes aufgebaut. Dieser Standort, der Starts nach Osten und Süden über das offene Meer gestattet, ist nicht nur günstiger gelegen für Starts in Bahnen niedriger Inklination wie geostationäre Telekommunikationssatelliten. Auch die Gefährdung der Bevölkerung ist dort geringer. Im Jahre 1996 ereignete sich in Xichang das berüchtigte “Massaker am Valentinstag”, bei dem eine Rakete vom Typ Langer Marsch 3B in ein Dorf stürzte.

(e) Die Landung von Shenzhou 5 erfolgte am Abend des 15. Oktober 2003 (in China war es bereits der Morgen des 16. Oktober) nach 14 Umläufen

(f) ein sogenannter Flattop, in China ziemlich populär, warum auch immer.

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Ich bin Luft- und Raumfahrtingenieur und arbeite bei einer Raumfahrtagentur als Missionsanalytiker. Alle in meinen Artikeln geäußerten Meinungen sind aber meine eigenen und geben nicht notwendigerweise die Sichtweise meines Arbeitgebers wieder.

10 Kommentare

  1. Austronaut

    Am schönsten finde ich immer noch die Bezeichnung, die unsere östereichischen Nachbarn für ihren bisher einzigen Raumfahrer Franz Viehböck hatten – Austronaut. Und die meisten Suchmaschinentreffer nach Austronaut sind Tippfehler 🙂

  2. aber nicht taikong ren

    Habe trotz intensivem Suchen auf http://zh.wikipedia.org/…AE%87%E8%88%AA%E5%91%98 die taiwanesische/hongkonesiche Version von Raumfahrer nicht gefunden. Scheint da etwa sogar auf Wikipedia der chinesische Hegemonialansprucht auf Taiwan durch.

    Wir Europäer machen nix und werden uns bald schon verwundert den Mond-Staub aus den Augen reiben?

    [Antwort: Oha, der Artikel ist noch nicht einmal erschienen und schon sind zwei Kommentare da. Da hat wohl jemand den Link zur Vorabversion getwittert.

    Das mit dem Anspruch Chinas auf Taiwan ist ganz sicher richtig. Jeder Verweis auf irgendeine Form der Eigenständigkeit, und sei es nur sprachlich, würde schnell getilgt, in Wikipedia und anderswo. Dabei gibt es diese Eigenständigkeit auch in sprachlicher Sicht. Eine volksrepublikanisch-chinesische Bekannte erzählte mir, dass sie Schwierigkeiten hat, die Reklame in taiwanesischen Fernsehprogrammen oder solchen aus Hongkong zu verstehen, selbst wenn die Sendungen in Mandarin und nicht in kantonesisch oder anderen Dialekten ausgestrahlt werden, weil es darin vor eigenen Begriffen und Slangworten nur so wimmelt. Aber “taikonaut” sagt man selbst dort nicht …

    Worauf sollte Ihr Link bei “Mond-Staub” verweisen?

  3. Sonderzeichen

    … habe mir schon gedacht, dass die chinesischen Zeichen gefressen werden, dort steht nun ein “X” oder ein “s”. Die Links führen aber zumindest richtig weiter …

  4. @Michael Khan: Mondstaub-Link

    Der Mondstaub-Link verweist auf eine noch nicht angelegte Wikipedia-Seite – in chinesisch.
    Mondstaub-Link weil chinesisch für mich so fremd ist wie Mondstaub – mit dem Unterschied dass es google translate gibt.

    Mit späteren Versionen von google-translate und der Instantübersetzung von chinesischen Audionachrichten sollte es sicher schon bald möglich sein, einen im chin. TV übertragenen Raketenstart im Original zu verfolgen und alles zu verstehen: Die Fortschritte in der Informatik übertreffen diejenigen in der Raketentechnik offensichtlich. Es ist natürlich auch einfacher Bytes herumzuschieben als Nutzlast in den Orbit zu transportieren.

  5. Sorry

    Jetzt blieb auch noch ein Teil des Wortes in meiner Überschrift auf der Strecke. Anscheinend kann man hier nicht alle Zeichen versenden.

  6. @Markus, @Mona

    Ja, die Eingabe so mancher diakritische Zeichen und überhaupt der Unicodes für chinesische Schriftzeichen ist in Lifetype ein Vabanque-Spiel, allemal mit der neuesten Version. Mit der alten Version ging es noch, da hatte Anatol mit seinem Tsunami-Artikel Glück. Ich weiß nicht, für wie viele der grauen Haare auf meinem Haupt Lifetype verantwortlich ist, aber es sind sicher nicht wenige.

    Das von Markus angesproche Schriftzeichen sieht tatsächlich nach einem Astronauten mit etwas klobigem Raumanzug aus. Das ist aber die “vereinfachte” Version des Zeichens, wie es in der Volksrepublik China verwendet wird. Das ursprüngliche Zeichen, das zuvor in China und heute noch u.a. in Taiwan und Japan verwendet wird, sieht sogar noch mehr wie ein Raumfahrer aus. Mehr zur Etymologie hier oder hier.

  7. Danke für diesen Beitrag.

    Siehe auch meinen Leserbrief vom 29.9.11 auf dieser Seite:
    http://www.spektrum.de/…el/1124399&_z=798888

    “Astronauten, Taikonauten, Kosmonauten?

    Aus Anlass einer aktuellen Meldung möchte ich eine Sache anregen, die mich schon länger beschäftigt. Im westlichen Kulturraum werden Weltraumfahrer als Astronauten bezeichnet. Redet man von russischen Akteuren, werden diese als Kosmonauten bezeichnet. Und jetzt kommen noch die “Taikonauten” aus China.

    Ich finde, diesen Sprachgebrauch sollte man vermeiden. Abgesehen von der konfusen Sprachvermischung sollte man doch nicht jeder emporkommenden Technologienation (sprachlich) das All zugestehen. Stattdessen sollte man Weltraumfahrer jeder Nation einheitlich bezeichnen. Das wäre auch ein Zeichen, dass über den Wolken kleinlicher Nationalismus verschwinden sollte. Denn es ist nicht der amerikanische, nicht der russische, chinesische oder meinetwegen indische Weltraum, an dessen äußerem Rand die Astronauten zaghaft kratzen. Es ist ein Teil des Himmels, der allen Menschen gehört.”

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