Goethe und die Geologie der Alpen

„Wie mir auch Mineralogie … unsäglich viel aufschliesen und mir der eigentlichste Nutzen der Reise bis jetzt sind.“

J.W. von Goethe

Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832) ist heute als Autor und Dichter weltbekannt, nebenher betätigte er sich aber auch als Anwalt, Politiker, Künstler und als begeisterter Geologe. Im Laufe des Jahres 1785 plante Goethe einen „unbestimmten Urlaub“ um „der freyen Lufft und Welt geniessen, mich geistlich und leiblich zu stärcken.“

Es sollte eine Reise nach Rom werden. Im Herbst 1786 ging es über Karlsbad, Regensburg und München zunächst Richtung Alpen. Auf alten Handelsrouten bei Seefeld querte man die Nördlichen Kalkalpen und erreichte Innsbruck. „Die duncklen mit Fichten bewachsnen Vorgründe, die grauen Kalckfelsen, die höchsten weisen Gipfel auf dem schönen Himmelsblau, machen köstliche, ewig abwechselnde Bilder.“ Goethe beschreibt die Gesteine bei Innsbruck als „Kalck, von dem ältesten der noch keine Versteinerungen enthält.“ Er glaubte, dass sich die Kalkalpen bis nach Dalmatien fortsetzten. Goethe konnte noch nichts über die Dreiteilung der Alpen in Nördliche Kalkalpen-Zentralalpen-Südliche Kalkalpen wissen, die erst 1791 durch den französischen Alpinisten und Naturforscher Belsazar Hacquet eingeführt wurde. Von Innsbruck ging es dann ins Wipptal über Steinach weiter Richtung Brenner, wo Goethe am 8. September 1786 ankam.

Die Geologie entlang der Reiseroute Goethes, vom Oberostalpinen Kristallin entlang des Tauernfensters ins Südalpin.

In seinem Tagebuch, wo er für eine spätere Veröffentlichung die Eindrücke seiner Reise festhält, schreibt er über die metamorphen Gesteine am Brenner: „Glimmerschiefer und Quarz durchzogen. Stahlgrün und dunkelgrau. An denselben lehnte sich ein weißer, dichter Kalkstein, der an den Ablösungen glimmerig war und in großen Massen, die sich aber unendlich zerklüfteten, brach. Oben auf dem Kalkstein legte sich wieder Glimmerschiefer auf, der mir aber zärter zu sein schien. Weiter hinauf zeigte sich eine Art Gneis oder vielmehr eine Granitart, die sich zum Gneis umbildet.“

Goethe beschreibt hier wahrscheinlich den Übergang vom Innsbrucker Quarzphyllit zu den metamorphen Kalkschiefern und Marmorlagen der Tauernschieferhülle, gefolgt von den Zentralgneisen (die aber nicht direkt am Brenner vorkommen).

Die Schieferhülle des Tauernfensters in der Nähe des Brenners, mit Bündner-Schiefer, Kaserer-Serie (Schiefergestein), Hochstegen-Zone (Dolomit- & Kalkmarmor) und Zentralgneise.
Kalkphyllite-Kalkschiefer mit Zentimeter-mächtigen Quarzlagen, Aufschluss direkt am Brenner.
Unreiner Marmor der Hochstegen-Zone, die dunklen Lagen sind verfaltete, glimmerreiche Einschaltungen in den Kalk- und Dolomitmarmor.
Handstück von Zentralgneis.

Goethes Ansichten zum Aufbau der Alpen war stark durch die Lehren des deutschen Mineralogen Abraham Gottlob Werner (1749-1817) geprägt. Laut Werner bildeten sich alle heute erkennbaren Gesteinsarten in einer bestimmten Reihenfolge durch Auskristallisation aus einer wässrigen Urlösung. Das älteste Gestein war Granit, gefolgt von verschiedenen metamorphen Gesteinen und Sedimenten. Goethe war deshalb etwas verwundert, dass er am Brenner keinen Granit finden konnte, wo doch im Kern der Alpen der kristalline Untergrund zutage treten sollten. Er schreibt, „daß hier oben nicht ferne der Granitstock seyn muß an den sich alles anlehnt …[]… es wäre eine hübsche Aufgabe für einen jungen Mineralogen“ diesen zu finden.

Am 9. September geht es weiter und noch in der Nacht passiert man Sterzing und Mittewald um bei Tagesanbruch Bozen zu erreichen. Ironischerweise verpasste Goethe so den Brixner Granit, der im Eisacktal zwischen Mauls und Franzensfeste ansteht. Diese große Intrusion von magmatischen Gesteinen kennzeichnet die nördliche Grenze des Südalpin. Es wäre interessant gewesen, Goethes Gedanken zu diesen Vorkommen von Granit zu kennen, weit abseits des Alpenhauptkammes gelegen.

Handstück von Brixner Granit.

Rund um Bozen beschreibt Goethe wieder Kalkstein (des Mendelgebirges) und (Brixner) Glimmerschiefer. Von Kollmann bis südlich Bozen stehen Porphyre an, die laut Werners Lehre und Goethes Meinung nach nicht vulkanischen Ursprungs sein können. Tatsächlich irren sich hier beide. Der Bozner Quarzporphyr bildete sich als heftige Vulkanausbrüche eine fast 4.000 Meter mächtige Abfolge von Asche und Laven ablagerten.

Bozner Quarzporphyr mit großen Bruchstücken, die durch große Hitze am Rand mineralogisch umgewandelt wurden.

In Bozen ist Goethe schon mehr an die “Dolce Vita” als an Gesteine interessiert und am Gardasee schreibt er: „Die schönsten und größten Natur Erscheinungen des festen Landes habe ich nun hinter mir, nun gehts der Kunst, dem Altertum und der Seenachbarschaft zu.“ Dennoch sammelte er zwischen Innsbruck und Gardasee insgesamt 24 verschiedene Gesteinsarten für seine Sammlung.

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David Bressan ist freiberuflicher Geologe hauptsächlich in oder, wenn wieder mal ein Tunnel gegraben wird unter den Alpen unterwegs. Während des Studiums der Erdwissenschaften in Innsbruck, bei dem es auch um Gletscherschwankungen in den vergangen Jahrhunderten ging, kam das Interesse für Geschichte dazu. Hobbymäßig begann er daher über die Geschichte der Geologie zu bloggen.

1 Kommentar

  1. David Bressan schrieb (17. Juni 2019):
    > Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832) ist heute als Autor und Dichter weltbekannt, […]
    > Er schreibt „daß hier oben nicht ferne der Granitstock seyn muß an der sich alles anlehnt …“

    Goethe ist natürlich auch schon als Autor der Formulierungen bekannt

    „daß hier oben nicht ferne der Granitstock seyn muß an den sich alles anlehnt …“

    und

    „daß hier oben nicht ferne der Granitstock seyn muß an dem sich alles anlehnt …“


    .

    p.s.
    Anonym_2019 schrieb (10. Juni 2019 @ 14:38):
    > Mit der SRT kann man berechnen, dass eine Uhr an der Decke eines nach “oben” beschleunigten Aufzuges im Weltraum schneller geht als eine am Boden befindliche Uhr.

    Nein, kann man nicht. …
    Mit der SRT lässt sich stattdessen

    – 1. berechnen, ob zwei Beteiligte (im Flachen, einzeln) z.B. gleichmäßig/hyperbolisch beschleunigt gewesen wären, oder nicht;

    – 2. berechnen, ob zwei Beteiligte, die (im Flachen, einzeln) gleichmäßig/hyperbolisch beschleunigt waren, dabei gegenüber einander chronometrisch starr blieben ( vgl. http://physics.stackexchange.com/questions/38377/an-accelerating-and-shrinking-train-in-special-relativity ), oder nicht; und schließlich

    – 3. wie die Gang-Raten zweier Uhren überhaupt miteinander zu vergleichen wären, die (im Flachen, einzeln) gleichmäßig/hyperbolisch beschleunigt waren, dabei gegenüber einander chronometrisch starr blieben.

    Derjenige der beiden, dessen Ping-Dauer bzgl. des anderen dabei größer/länger als umgekehrt die des anderen war, würde dabei als “der obere” bezeichnet;
    aber um Gang-Raten zweier Uhren miteinander zu vergleichen, sind natürlich nicht nur bestimmte Dauern miteinander zu vergleichen, sondern außerdem die jeweils entsprechenden “Gänge” bzw. “Gang-Fortschritte” bzw. Differenzen von Ablesewerten “t”.

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