Ländliche Entwicklung in Zentralvietnam

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Revilla-DiezInterview mit Prof. Dr. Revilla-Diez:

Prof. Dr. Revilla-Diez forscht und lehrt am Institut für Wirtschafts- und Kulturgeographie der Leibniz Universität Hannover. Seine Forschungsschwerpunkte in Südostasien sind
Regionale Innovationspotenziale und die Systemtransformation in Vietnam. In einem aktuellen DFG Projekt untersucht er Schocks und die regionalwirtschaftliche Entwicklung in Thailand und Vietnam. Ich sprach mit ihm über die ländliche Entwicklung in Zentralvietnam.

Stefan Ohm: Herr Revilla-Diez, vor wenigen Wochen brachte der Taifun „Ketsana“ schwere Verwüstungen für die Küstenregionen in Zentralvietnam. Wie schützen sich die Bewohner in den betroffenen ländlichen Regionen vor dieser jährlich wiederkehrenden Gefahr?

Herr Revilla-Diez: Die Regionen in Zentralvietnam werden jedes Jahr von Taifunen heimgesucht. Diese bringen Starkregenereignisse, Stürme und auch immer Überflutungen. Das Leben in den betroffenen Regionen kommt hierbei vollständig zum Erliegen. Vor einigen Jahren erlebte ich selbst solch einen Taifun. Auf dem Weg von Hanoi nach Hue mussten wir die Fahrt für drei Tage unterbrechen, da die Infrastruktur komplett überfordert war.
Wie schützen sich die Menschen nun vor diesen jährlichen Katastrophen? Diese Frage ist nicht einfach zu beantworten. Gerade jüngere und qualifiziertere Bewohner reagieren mit Abwanderungen in die Zentren des Landes, wie beispielsweise Ho Chi-Minh City oder Hanoi. Anhand der Bevölkerungspyramide lässt sich in den ländlichen Regionen nachweisen, dass besonders der aktive Altersabschnitt der Bevölkerung zwischen 15 und 65 Jahre stark reduziert ist. Allerdings haben nicht alle Bewohner der ländlichen Gebiete die Möglichkeit abzuwandern, vor allem arme Bevölkerungsgruppen in Zentralvietnam und den Bergregionen des Nordens sind sozusagen gefangen in ihrer lokalen Umgebung, konzentrieren sich auf Landwirtschaft sind. Während Überschwemmungszeiten kommt es häufig zu Ernteausfällen, viele Haushalte versuchen daher ihre Einkommensmöglichkeiten zu erweitern und arbeiten z.B. als Tagelöhner im Baugewerbe oder in der Industrie. Diese Aktivitäten lassen sich als Überlebensstrategien bezeichnen. Der Aufbau von Rücklagen wird damit nur selten möglich. Gerade die Armen scheinen sich ihrem Schicksal fatalistisch zu beugen.

Stefan Ohm: Mit welchen zusätzlichen Risiken haben die Bewohner in den ländlichen Regionen Vietnams zu kämpfen?

Herr Revilla-Diez: Im Rahmen des Forschungsprojekts konzentrieren wir uns nicht nur auf die Folgen von Naturkatastrophen, sondern auch auf die Wirkung anderer externer Schocks. Z. B. haben die Weltmarktpreise für Agrargüter einen großen Einfluss auf das Einkommen ländlicher Haushalte.
Dies zeigt sich besonders in der Untersuchungsregion Dak Lak, die in den letzten Jahren, bedingt durch hohe Kaffee- und Pfefferpreise, einen starken wirtschaftlichen Aufstieg verzeichnete. Dies hatte unmittelbare Auswirkungen auf den Wohlstand und den Lebensstandard der dortigen Bewohner. Der Anteil der Menschen in Armut in dieser Provinz ist in den letzten Jahren deutlich zurückgegangen. Aber eine derartige Entwicklung ist natürlich nicht dauerhaft zu erwarten. Es ist absehbar, dass der Boom des Kaffeekonsums zurückgehen wird. Dieser wurde hauptsächlich durch enorme Nachfrage in Westeuropa ausgelöst. Durch die einseitige Wirtschaftsstruktur und die Spezialisierung auf Kaffee sind die Menschen in Dak Lak besonders gegenüber Preisschwankungen gefährdet.
Die Gefährdung ländlicher Regionen ist also nicht nur allein durch Naturkatastrophen begründet, sondern auch durch eine einseitige Wirtschaftsstruktur, die zugleich mit einer starken Abhängigkeit von internationalen Märkten verbunden ist.

Stefan Ohm: Wie bestreiten die Bewohner in den ländlichen Regionen in Vietnam neben der Landwirtschaft ihr Einkommen? Welche Quellen bestimmen maßgeblich das Haushaltseinkommen?

Herr Revilla-Diez: In unseren Untersuchungsregionen sind unterschiedliche Strukturen vorzufinden. In Thua Thein Hue, mit Hue als Provinzhauptstadt und neben Danang ein Kristallisationspunkt in Mittelvietnam ist eine diversifizierte Wirtschaftsstruktur vorzufinden. Das Hinterland von Hue profitiert dabei stark von der Nähe zu Absatzmärkten, aber auch zu Bildungs- und Forschungseinrichtungen. Die Menschen, die wir hier vorfinden haben eine relativ breit diversifizierte Einkommensstruktur. Das bedeutet, dass die Landwirtschaft in vielen Haushalten nicht die einzige Einkommensquelle darstellt. Bedeutende Einkommensquellen sind in Thua Thien Hue der Dienstleistungssektor und das Baugewerbe.    
Die anderen beiden Untersuchungsregionen Ha Tinh und Dak Lak sind stark landwirtschaftlich geprägt. Ha Tinh zählt seit vielen Jahren zu den ärmsten Regionen Vietnams. Eine Einkommensdiversifizierung ist hier nur in geringem Maße zu beobachten. Ein Strukturwandel, der neue Wirtschaftssektoren schafft, ist hier nicht zu beobachten. Das Arbeitskräftepotential ist in dieser Provinz sehr schwach ausgeprägt. Viele junge Menschen wandern ab, besonders die Qualifizierten. Dies wirkt sich schon seit Dekaden auf das Produktionspotential der Region aus.
In Dak Lak ist, wie bereits erwähnt, der Kaffee die dominierende Einkommensquelle. Es gibt eine große Anzahl von Haushalten, die noch direkt in der Landwirtschaft tätig sind, sei es auf eigenen Farmen oder als Arbeiter auf Plantagen. Eine breit diversifizierte Einkommensstruktur ist hier nicht zu beobachten. Die Struktur der Landwirtschaft ist sehr einseitig und birgt somit eine großes Risiko gegenüber externen Schocks. Die zentrale Herausforderung in Dak Lak besteht darin, den Strukturwandel weiter voranzutreiben. Dak Lak befindet sich hierbei in einer günstigeren Situation als Ha Tinh, weil hohe Einnahmen aus dem Kaffeehandel generiert werden.

Stefan Ohm: Sie erwähnten zuvor, dass vor allem Dak Lak von der Entwicklung an den internationalen Märkten beeinflusst wird. In welcher Weise hat sich die weltweite Finanzkrise auf die ländlichen Regionen Vietnams ausgewirkt?

Herr Revilla-Diez: Im Rahmen einer exportorientierten Entwicklungsstrategie konnte sich die vietnamesische Wirtschaft in den letzten Jahren in die Weltwirtschaft integrieren. Allerdings ist die Wirtschaft Vietnams noch stark reguliert. Die aktuellen Wachstumsraten sind, wie auch schon während der Asienkrise 1997, stark zurückgegangen. Allerdings befinden diese sich immer noch in einem positiven Bereich. Ein Minuswachstum ist nicht zu beobachten, die Wirtschaft läuft relativ robust weiter. Die Finanzkrise hat die Menschen in den ländlichen Regionen nur teilweise erreicht oder hatte wenig direkte Auswirkungen.   
Im Rahmen des Forschungsprojektes versuchen wir Unternehmen, die großen internationalen Konzernen zuarbeiten oder internationalen Wertschöpfungsketten angegliedert sind, zu identifizieren. Allerdings sind diese Unternehmen in den Untersuchungsregionen nur sehr selten anzutreffen. Der Kaffeehandel in Dak Lak ist bisher nicht von einer Krise betroffen, da die Weltmarktpreise bislang sehr stabil blieben bzw. deutlich angestiegen sind. In den urbanen Räumen sind die Auswirkungen dagegen direkter zu spüren. Textilproduzenten, die für internationale Marken produzieren, sind da schon eher betroffen. In aktuellen Zeitungsberichten ist von Betriebsschließungen oder Entlassungen zu lesen. Aber im Vergleich zu anderen Entwicklungsländern läuft der Abschwung relativ moderat ab.

Stefan Ohm: Welche entwicklungspolitischen Maßnahmen sind in Zukunft für die ländlichen Regionen in Vietnam notwendig, um die Armut zu reduzieren?

Herr Revilla-Diez: Bei der Unternehmensbefragung ist deutlich geworden, dass die geringe Qualifikation der Arbeitskräfte ein großes Problem darstellt. Viele Kinder erhalten in den ländlichen Regionen nur die Primarausbildung. Darüber hinaus bestehen nur wenig weiterführende Bildungsangebote. Eine systematische Berufsausbildung gibt es in Vietnam bisher nicht. Es ist ungemein wichtig, dass der vietnamesische Staat mehr im Bereich der Bildung tut. Bei einer solchen Strategie besteht aber auch immer die Gefahr, dass gerade qualifizierte Menschen den ländlichen Raum verlassen, da in den Zentren einfach ein besseres Arbeitsplatzangebot herrscht.
Ich glaube, dass das Potential für einen Strukturwandel in den Untersuchungsregionen gegeben ist. Die Provinz- und Distrikthauptstädte können als Kristallisationskerne für die Wirtschaftsentwicklung dienen und dabei eine wichtige Rolle für die Regionalwirtschaft übernehmen. Alternativen zu dieser Entwicklung gibt es nur wenige. Die vietnamesische Regierung versucht einige Standorte zu Clustern oder Wachstumspolen auszubauen. Dies ist bei der gegeben Wirtschaftsstruktur Vietnams allerdings recht schwierig. Vietnam strebt seit einigen Jahren eine inländische Erdölraffinierung an. Dieses wurde mit massiven Subventionen begleitet. Internationale Konzerne verweigerten sich jedoch dieser Entwicklung, da die von der vietnamesischen Regierung angebotenen Standorte zu weit von den Erdölfundstätten in Südvietnam lagen. Ich bin daher sehr skeptisch, dass solche Projekte erfolgreich sein werden. Sie sind wie Kathedralen in der Wüste, mit wenigen Verflechtungen zur lokalen Wirtschaft.  
Sehr viel hängt in den ländlichen Regionen also von der Bildung der Bevölkerung ab. Nur durch eine solche Entwicklung können neue Unternehmen und Arbeitsplätze entstehen, die neue  Einkommensquellen schaffen.

Stefan Ohm: Wo liegen die Schwerpunkte in der zukünftigen Forschung?

Herr Revilla-Diez: Was wir gerne untersuchen möchten, ist das Potential für Unternehmensgründungen im ländlichen Raum. Wir haben bisher zwei große Haushaltsbefragungen mit jeweils 2000 Haushalten in Vietnam und Thailand durchgeführt und dabei herausgefunden, dass ca. in 30% der ländlichen Haushalte selbstständige Haushaltsmitglieder anzutreffen sind. In der nächsten Phase des Projekts werden wir analysieren, welches Potential in diesen Gründern steckt und welche Motivation diese Menschen antreibt. Viele dieser Unternehmen entstanden sicherlich aus der Not heraus, da die Erträge der Landwirtschaft zu gering sind oder jährlich stark schwanken.
Wir sind optimistisch, dass wir da auch einige Gründer identifizieren, die ein Unternehmen gründen, weil sie eine gute Idee haben. Wir wollen Faktoren identifizieren, die deren Wachstum und Entwicklung entgegenstehen; wo z.B. die Hemmnisse bei der Kreditbeschaffung oder bei Genehmigungen liegen. Liegen die Probleme eher vor Ort, oder doch eher auf nationaler Ebene? Wir hoffen, dass wir durch diese Analyse Handlungsempfehlungen für die Entwicklung des ländlichen Raums formulieren können.
Das Thema der Gründungen im ländlichen Raum ist in der Entwicklungs- bzw. Schwellenlandforschung noch sehr unterrepräsentiert. Wir möchten herausfinden, welches Potential diese Gründungen im ländlichen Raum haben und ob diese als Promotoren des Strukturwandels begriffen werden können und somit einen wichtigen Baustein einer endogenen Entwicklungsstrategie darstellen.

Stefan Ohm: Herr Revilla-Diez, vielen Dank für dieses Gespräch.

Übersichtskarte „Geographische Lage der Untersuchungsregionen in Vietnam“

 
Quelle: eigene Darstellung auf Basis der SRTM Daten der NASA 2008 und den Provinzkarten der SOCIALIST REPUBLIC OF VIETNAM 2007

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Meine Name ist Stefan Ohm und ich bin Geograph. Vor meinem Studium habe ich eine Ausbildung zum Fachinformatiker absolviert und danach bei Electronic Data Systems (EDS) als Lotus Notes Entwickler gearbeitet. Während meines Studiums in Hannover führte mich mein Weg zur Texas State University in San Marcos (USA) sowie zur University of Bristol (UK). Darüber hinaus absolvierte ich zwei Praktika bei NGO’s in Neu Delhi (Indien), mit dem Ziel Entwicklungsprozesse vor Ort genauer zu betrachten und damit ein besseres Verständnis über diese zu erhalten. Promoviert habe ich über den Strukturwandel im Perlflussdelta und Hongkong (China) an der Justus Liebig Universität in Gießen.

2 Kommentare

  1. Lob

    Dem kann ich mich nur anschließen. Das ist ein richtig guter Blog. Er müßte eigentlich viel bekannter sein.

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