“Nope” – das war nichts

Was macht man heutzutage, wenn man ein UFO sieht? Nein, nicht eine diffuse Lichterscheinung, sondern eine echte fliegende Untertasse, die obendrein noch alles andere als harmlos ist? Der neue Sci-Fi-Horrorfilm „Nope” gibt eine zeitgemäße Antwort: Man stellt überall Kameras auf, um die Erscheinung zu filmen und im Internet damit ein Vermögen zu verdienen.

Der Ansatz ist auf jeden Fall originell und daraus lässt sich einiges machen. „Nope” ist bereits der dritte Horrorfilm des amerikanischen Regisseurs und Drehbuchautors Jordan Peele. Mit seinem Debüt-Film „Get out” 2016 landete er auf Anhieb einen Welterfolg, und so waren die Erwartungen auch diesmal hoch.

Der Schauspieler Daniel Kaluuya übernahm, wie bereits in „Get Out”, die Hauptrolle. Er spielt den wortkargen und etwas trägen Otis Jr., genannt OJ, den Erben eines Hofs für Filmpferde in einem wüstenhaften Canyon in der Nähe von Los Angeles. Seit sein Vater sechs Monate zuvor von einem plötzlich vom Himmel fallenden Nickel (Fünfcentstück) erschlagen wurde, führt er den Hof alleine. Das ist kaum zu schaffen, und so hilft ihm ab und zu seine quirlige Schwester Emerald („Em”). Beiden fehlt allerdings der Geschäftssinn des allgemein geschätzten Vaters, und so geht der Hof der Pleite entgegen. Zehn Pferde hat OJ bereits an Jupe, den Geschäftsführer eines benachbarten touristischen Westerndorfes, verkauft. Jupe war ein Kinderstar, aber ein mörderisch durchdrehender Schimpanse machte seiner Sitcom vor Jahrzehnten ein Ende. Die grausige Szene mit dem blutbefleckten Affen leitet den Film ein, obwohl lange unklar bleibt, was sie mit dem Rest des Films zu tun hat. Auch Jupes lieblose Ansammlung von staubigen Holzhäusern ist kein Publikumsmagnet, und er braucht dringend neue Attraktionen.

Peele lässt sich viel Zeit mit der Einführung der Figuren, und wirkliche Spannung kommt zunächst nicht auf. Aber irgendwann verdichten sich die Hinweise auf ein UFO. Pferde verschwinden, der Strom fällt kurzfristig aus und eine Wolke steht wie festgenagelt am Himmel. Für einen kurzen Moment erhascht OJ tatsächlich einen Blick auf eine Art fliegende Untertasse. Em überredet ihren zögernden Bruder, bei einem Elektronik-Discounter teure Überwachungstechnik einzukaufen, um mit den Aufnahmen des UFOs im Internet Millionen zu verdienen. Der Servicemann Angel Torres baut alles auf und möchte unbedingt dabei sein, wenn das UFO auftaucht. Beim ersten Versuch geht noch alles schief: Eine Kamera fällt im entscheidenden Moment aus und auf der Linse der zweiten lässt sich ein großes Insekt nieder.

Achtung Spoiler! Wer den Clou des Films lieber im Kino erleben möchte, sollte die nächsten beiden Absätze nicht lesen.

Es stellt sich bald heraus, dass es sich bei dem angeblichen UFO um eine Art fleischfressendes Luftraubtier handelt, nicht etwa einen Vogel, sondern ein ätherisches Wesen, das so gefährlich ist wie ein Krokodil oder ein Komodowaran – aber auch so dumm. Es ernährt sich von Pferden oder Menschen und spuckt alles Unverdauliche wieder aus, wie z. B. Fünfcentstücke. Em tauft das Monster „Jean Jacket”, nach einem Pferd, das ihr Vater früher besessen hat.

Jupe kennt Jean Jacket wohl schon seit Monaten. Für seine neue Show will er es als Hauptattraktion vermarkten. Ein von OJ gekauftes Pferd soll als Köder herhalten. Aber das Wesen spielt nicht mit und die Premiere endet in einem Blutbad. OJ, Em und Angel fürchten jetzt, dass eine ganze Meute von Polizisten und Reportern in ihren Canyon einfällt und ihnen die Sensation vor der Nase wegschnappt. Wie besessen entwickeln sie eine Methode, das Wesen anzulocken. Der berühmte Kameramann Antlers Holst soll ihnen helfen, lehnt aber zunächst ab. Wie soll er ein Wesen filmen, bei dessen Annäherung jedes strombetriebene Gerät seinen Dienst versagt? Aber die Herausforderung reizt ihn und und er macht schließlich mit. Die Jagd nach dem perfekten Shot kostet ihn schließlich das Leben. Jetzt treibt der Film auf einen furiosen Höhepunkt zu. Das Wesen stirbt am Ende, aber Em gelingt vorher noch ein unerwartetes Foto.

Ende Spoiler

Am Anfang zeigt der Film ein Zitat des alttestamentarischen Propheten Nahum (3,6): „Ich bewerfe dich mit Dreck, schände dich und stelle dich öffentlich zur Schau.”

Im Englischen heißt der letzte Teil „ … and make you a spectacle.”

Und genau davon handelt der Film. Der Schimpanse und die Filmpferde werden von Menschen gezähmt, misshandelt und gebrochen, um ein Spektakel aus ihnen zu machen. Aber sie bleiben wilde Tiere und irgendwann wenden sie sich gegen ihre Peiniger. Für das Filmmonster Jean Jacket gilt das nicht, es wurde nie gezähmt und muss angelockt werden, wenn man es filmen will, etwa so, wie einen Komodowaran.

Der ganze Film ist durchsetzt mit Anspielungen auf diverse Spektakel, manchmal subtil, manchmal auffällig. Die Hauptperson nennt sich OJ, offenbar nach O.J. Simpson, dem schwarzen Footballspieler, der jahrelang im Mittelpunkt mehrerer Skandale stand. Im Jahr 1994 wurde er beschuldigt, seine weiße Ex-Frau und einen Bekannten erstochen zu haben. Nach einer wilden Verfolgungsjagd, die live im Fernsehen übertragen wurde, nahm ihn die Polizei schließlich fest. Im anschließenden spektakulären Mordprozess wurde er jedoch freigesprochen. Sein Anwalt hatte erfolgreich argumentiert, die Polizei habe aus rassistischen Motiven die zahlreichen Indizien selbst platziert, um seinem Mandanten zu schaden.

2008 stand Simpson erneut vor Gericht, diesmal wegen bewaffneten Raubüberfalls, was ihm neun Jahre Gefängnis einbrachte. Die Abkürzung OJ ist deshalb in den USA zum Synonym für ein Medienspektakel geworden.

Bei allen Anspielungen ist „Nope” aber kein kulturkritischer Arthouse-Film, sondern will in erster Linie unterhalten. Damit ist er selbst ein Spektakel und muss nach dessen Regeln funktionieren. Und da kommen doch beträchtliche Schwächen zutage. Sicher, in der heutigen Zeit wollen Menschen alles und jedes mit ihren Handys festhalten. Gaffer drängen sich bei jedem Verkehrsunfall vor, um als erste möglichst schreckliche Bilder in die sozialen Netze hochzuladen. Andererseits leben wir aber auch im Zeitalter von Photoshop und Deepfakes. Ein Bild ist wertlos, wenn es nicht ein nachweislich echtes Ereignis aus einem unbekannten Blickwinkel dokumentiert. Das Bild eines UFOs, dem niemand sonst begegnet ist, bringt kein Geld ein, weil es jeder für eine Fälschung halten würde. Damit funktioniert aber die Prämisse des Films nicht mehr.

„Nope” zieht eine Linie vom durchgedrehten Schimpansen über erschreckte Filmpferde zu einem gigantischen ätherischen Raubtier. Bei so grundverschiedenen Wesen funktioniert das nicht, und so bleibt das verantwortungslose Handeln der Figuren weitgehend unverständlich. Wer die Attacken eines wütenden Schimpansen überlebt hat, wird nicht ernsthaft annehmen, dass er deshalb ohne Schutz einem hungrigen Tiger gegenübertreten kann. Außerdem ist Jean Jacket offenbar so dumm wie der gefräßige Plapperkäfer des Planeten Traal (im Original „the ravenous bugblatter beast of Traal”) aus dem Hitckhiker’s Guide to the Galaxy. Zitat:

„Ein zum Verrücktwerden dämliches Vieh, es nimmt an, wenn du es nicht siehst, kann es dich auch nicht sehen“.

Auch Jean Jacket geht nur auf solche Opfer los, die es ansehen – manchmal jedenfalls. Während die Protagonisten ihm entkommen, indem sie konsequent auf den Boden starren, haben einige der Nebenfiguren weniger Glück. Es fehlt dem Plot einfach an innerer Logik, da helfen auch die vielen Verweise und Zitate nichts.

Lohnt sich der Film trotzdem? Der Regisseur hat seine originelle Grundidee streckenweise gut umgesetzt, die Kameraarbeit ist hervorragend und fängt die Stimmungen sehr gut ein. Während die beiden Hauptdarsteller Daniel Kaluuya und Keke Palmer etwas blass wirken, glänzen Brandon Perea als Angel Torres und besonders Michael Wincott in der Rolle des hyperprofessionellen alten Kameramanns Antlers Holst.

Es dauert lange, bis in dem Film so etwas wie Spannung aufkommt. Immerhin gelingt Peele ein rasanter, bunter und sehenswerter Höhepunkt.

Insgesamt reicht der Film für einen amüsanten, aber keineswegs spektakulären Kinoabend.

„Nope”. USA, 2022. Regie, Drehbuch und Produktion: Jordan Peele. Sci-Fi-Horror. Laufzeit 130 Minuten. Seit 11. August 2022 in den deutschen Kinos.

 

Avatar-Foto

Veröffentlicht von

www.thomasgrueter.de

Thomas Grüter ist Arzt, Wissenschaftler und Wissenschaftsautor. Er lebt und arbeitet in Münster.

8 Kommentare

  1. Zitat:

    Man stellt überall Kameras auf, um die Erscheinung zu filmen und im Internet damit ein Vermögen zu verdienen.

    Ja, dieses Motiv findet man in mehreren aktuellen Filmen: Nichts bringt die verdummten Kinder der Heutzeit davon ab, gedankenlos weiterzumachen und alles auszuwerten und zu Geld zu machen. So etwa im Film Don’t Look Up zu sehen

    Gemäss der Beschreibung des Films von Thomas Grüter scheint hier aber noch ein anderes interessantes Element inszeniert zu werden: der des exotischen, des abstrusen, den das fremdartige Geschöpf in unseren Alltag bringt und uns demonstriert, dass selbst Ausserirdische gut in den Zoo der Abartigkeiten und Verrücktheiten passen, den es auch hier schon gibt.

  2. Das erinnert mich an den “Film Cowboys & Aliens”
    mit Daniel Craig und Harrison Ford von 2011.

    Der Song “It Came Out of the Sky” von Creedence
    Clearwater Revival behandelt ein ähnliches Thema.

    • Den ersten Film hat Dr. Webbaer gesehen, er ging.
      Wenn auch das Thema “irgendwie” nicht angemessen war.
      Dr. W hat auch Ihren Musik-Hinweis, Kommentatorenfreund Karl Bednarik, kurz geprüft, danke.
      MFG
      WB

  3. Wieder so eine Rechnung mit einer Unbekannten denn da konstruiert die irdisch beschränkte menschliche Phantasie wiederum Horrorbilder um Außerirdische die ja alle, wenn man diesen Filmen glaubt, irgendwie brutal, machtgierig, blutgierig etc. sind und die von der angeblich moralisch und sittlichen weit überlegenen Menschheit immer besiegt werden wie im Märchen . Solche Außerirdischen, die es geschafft haben zwischen Galaxien zu reisen, sind meiner Ansicht nach dieser irdischen Spezies weit überlegen und können garantiert auch Gedanken lesen bzw. den Menschen besser durchschauen als dieser sich selbst. Die werden dann einen Teufel tun
    und sich dem irdischen Kommerz auszuliefern , geschweige denn sich von geldgierigen Individuen vermarkten zu lassen. Ich denke mal dass es für solche Intelligenz ein leichtes wäre menschliche Gehirne in ihrem Sinne zu manipulieren und zu programmieren .
    Da dieses offenbar noch nicht geschehen ist , nehme ich an dass solche Intelligenz noch nicht hier war bzw. kein Interesse am Oktoberfest oder Ballermann hat…

  4. Nope: viel Fiction, wenig Science
    In den meisten SF-Stories geht es eigentlich nicht um den Weltraum, ja nicht einmal um die Zukunft, sondern vielmehr darum wie Menschen auf unerwartete Situationen und Lebenswelten reagieren. Das scheint auch bei Nope der Fall zu sein, was sich etwa darin zeigt, dass sie das ausserirdische Monster nach einem Pferd, nämlich Jean Jacket, benennen.

    Wenn wir an SF-TV-Serien wie Raumschiff Orion, Raumschiff Enterprise oder an bekannte TV-Filme mit einem SF-Thema zurückdenken wie etwa Odyssee 2001, dann wird gerade im Rückblick klar, dass diese Filme viel über die Zeit aussagen, in der sie gedreht wurden, kaum aber etwas über die eigentliche Zukunft. Ändern wird sich das vielleicht etwas, wenn Aufenthalte in Raumstationen, auf dem Mond oder Mars irgendwann zur neuen Realität werden.

    Rein von den technischen Möglichkeiten her, sind wir heute schon sehr viel näher an solchen Zukünften. Seltsamerweise werden für die Eroberung des erdnahen Weltraums, von Mond und Mars wahrscheinlich nicht staatliche Raumfahrtorganisationen wie NASA, ESA oder die chinesische Raumfahrtagentur hauptverantwortlich sein, sondern es werden eher Unternehmer wie Elon Musk und private Raumfahrtunternehmen wie Rocket Lab, Relativity Space oder Rocket Factory Augsburg sein, die ein neues Raumfahrtzeitalter ermöglichen und das vor allem mit der Realisierung von wiederverwendbaren Raketen, etwas, was die NASA schon mit dem Space Shuttle umzusetzen versuchte, woran sie aber kläglich scheiterte.

    Auch das sagt etwas über unsere Welt aus, das nämlich, dass in unserer Welt das Scheitern in gewissem Sinne das Normale ist und Sieger und echte Weiterentwicklungen nicht selten zu einem wesentlichen Teil Aussenseitern und neu gegründeten Unternehmen zu verdanken sind. Man kann sogar ruhig sagen: Wer allein in den Staat vertraut, der wird mit grosser Wahrscheinlichkeit enttäuscht werden. Aber auch wer in einzelne Unternehmer und herausragende Figuren vertraut wird oft enttäuscht werden. Es scheint eher so, dass wir uns alle immer wieder irren und täuschen, seien wir nun Regierungsvertreter, Vertreter von Unternehmungen oder auch nur Vertreter von uns selbst. Allerdings ist jeder Irrtum und jedes Scheitern auch eine Chance daraus zu lernen um schliesslich auf Umwegen doch noch das Erträumte oder etwas ihm Gleichwertiges zu erreichen.

    Das Unmögliche muss nicht unmöglich, muss nicht Fiktion bleiben!

    • Filme dienen der Kommunikation (also auch dem wirtschaftlichen Betrieb), sog. SciFi-Filme sind bei näherer Betrachtung oft kein “SciFi”, sondern Fantasy oder nackter Spekulatius, haben mit der Scientia kaum mehr zu tun, und in der Tat sind derartige Filme Abbilder ihrer Zeit.
      Dr. Webbaer (“Cineast”) schaut gerade die russische, die O-Version von “Solaris”, kann hier nicht richtig warm werden, Stanislaw Lem soll hier auch nicht richtig “warm” geworden sein.

      Hier – ‘Das Unmögliche muss nicht unmöglich, muss nicht Fiktion bleiben!’ [Ihre Nachricht] – ist es so, dass als unmöglich Erkanntes, weil aus sich heraus Widersprüchliches nicht sein kann, jedenfalls nicht so, wie gedacht.

      Ansonsten ist es so, dass alles, was denkbar, auch möglich ist, auch weltlich.

      Mit freundlichen Grüßen
      Dr. Webbaer

  5. Vielen Dank für diese Rezension, für die Anschauung bzw. Betrachtung, Dr. Webbaer hat ein wenig im sog. Torrent-Wesen geschaut und dort erfreut sich dieser Film einer gewissen Beliebtheit.
    Es liegt auch ein Eintrag in der bekannten Online-Enzyklopädie vor und Erfolg am Markt ist vorhanden.
    Insgesamt vertraut der Schreiber dieser Zeilen gerne dem Rezensenten, womöglich wird er hier nicht reinschauen, dankt auch für diese Einschätzung, die er ohne Rezension nicht hätte gewinnen können.
    Ansonsten ist es womöglich i.p. Cinema so, dass sozusagen alle guten Filme bereits abgedreht und publiziert worden sind, die Wiederholung sog. Franchises ist womöglich ein klarer Hinweis darauf, oder liegt es daran, dass die Rezipienz es ist, die nicht mehr neu zu erreichen ist, weil selbst einfallslos?
    Mit freundlichen Grüßen und weiterhin viel Erfolg
    Dr. Webbaer