Warum der Chemie-Nobelpreis 2023 an mRNA-Impfstoffe gehen sollte

Update: nachdem Karikó und Weissman den Nobelpreis in Medizin bekommen haben, bleibt von meinen Chemie-Tipps nur noch Caruthers übrig. Den Tipp auf halber Strecke noch mal ändern fand ich albern, aber ich denke immer noch, dass der Chemie-Nobelpreis zwischen zwei verwandten Gebieten geteilt wird. Deswegen nehme ich noch das Solexa-Illumina Next-Generation Sequencing dazu, beziehungsweise dessen Erfinder Balasubramanian und Klenerman.

Es ist ja ein beliebtes Spiel beim Nobelpreis für Chemie, anhand der vorherigen Preise zu spekulieren, welches Themenfeld mal wieder dran ist. Das funktioniert bei uns deswegen so gut, weil der Chemie-Nobelpreis de facto mindestens ein halber Biologie-Nobelpreis ist. Und die hat in den letzten Jahrzehnten haufenweise überragend wichtige Entdeckungen hervorgebracht.

Das hat Vorteile und Nachteile. Einerseits nämlich geht der Chemie-Nobelpreis dadurch sehr oft an Dinge, die quasi alle schon mal gehört haben – zum Beispiel Crispr-Cas9, Bakteriophagen oder DNA-Reparatur -, statt eben an letztendlich nur Fachleuten bekannten Techniken wie Klickchemie oder Katalyse. Andererseits beschert es uns eben das Dilemma, dass jeder Preis auch eine Entscheidung zwischen dem Biologie-Zweig und der “echten” Chemie ist – und sich in beiden Gebieten die preiswürdige Forschung stapelt.

Nach zwei klassischen chemischen Preisen in den letzten beiden Jahren könnte man schon auf den Gedanken kommen, dass jetzt erstmal wieder der Biologie-Stapel abgearbeitet wird. Dieses Jahr gibt es aus meiner Sicht aber auch unabhängig von solchen Überlegungen zwei klare Kandidaten für den Chemie-Nobelpreis. Zum einen nämlich die chemische DNA-Synthese, zum anderen die mRNA-Impfstoffe.

Chemische Nukleinsäure-Synthese

Der erste Kandidat hätte den Charme, dass er beide Lager quasi auf sich vereint. Die DNA- und RNA-Synthese, zu allererst verbunden mit Marvin Caruthers, ist eine im Kern chemische Technik. Mit ihr kann man aber gezielt beliebige Abfolgen von Erbgutbausteinen erzeugen, und diese Möglichkeit ist absolut zentral für einen ganzen Haufen biologischer, biotechnischer und medizinischer Anwendungen.

Natürlich haben schon vor Caruthers andere Leute DNA-Bausteine chemisch gekoppelt, aber mit seinem Team hat er die Technik zuverlässiger, einfacher und vor allem großtechnisch skalierbar gemacht. Heutzutage stecken diese Verfahren in den Maschinen, die Erbgutsequenzen automatisch im großen Stil herstellen. Ohne das gäbe es keine PCR, kein Crispr, keine synthetische Biologie und auch keine mRNA-Impfstoffe.

Deswegen ist durchaus denkbar, dass Caruthers beim zweiten Preiskandidaten mRNA quasi mitgeehrt wird. Die mRNA-Technik hinter den Impfstoffen basiert ja im Kern auf der gleichen Technik, gewünschte Erbgut-Sequenzen herzustellen. (Addendum: wie in den Kommentaren angemerkt, wird allerdings die mRNA im Impfstoff selbst biotechnisch hergestellt) In dem Fall würde sich der Preis vermutlich nicht ausschließlich auf die Impfstoffe beziehen, sondern insgesamt auf “Advances in the technical and medical use of nucleic acid” oder so in etwa. Aber wenn nun ein Nobelpreis für RNA vergeben wird, dann sind natürlich die Impfstoffe gemeint. Und das würde zuerst mal bedeuten: Katalin Karikó.

Frau Karikó hat zwei ganz zentrale Dinge gezeigt: erstens, dass man Zellen mit künstlicher mRNA dazu bringen kann, jedes beliebige Protein herzustellen. Das klingt heute völlig offensichtlich, in den frühen 90ern war das eine ziemlich revolutionäre Idee. Zweitens stellte sie zusammen mit Drew Weissman fest, dass der Baustein Pseudouridin die normalerweise extrem starke Immunreaktion auf fremde mRNA dämpft, so dass die RNA auch ausgelesen werden kann.

mRNA-Technologie

Ohne diese beiden Aspekte wären RNA-Therapeutika gar nicht möglich. Und der Punkt, weshalb alle den Preis für mRNA erwarten, ist keineswegs nur die Covid-Impfung. Die mRNA-Technologie dürfte Impfungen allgemein revolutionieren, einfach weil man jede beliebige RNA einfach herstellen kann, statt sich mit rekombinanten Proteinen oder gar infizierten Eiern rumzuschlagen. Das ist auch der Schlüssel zu den – bisher nur hypothetischen – Impfstoffen gegen Krebs, die ja personalisiert sein müssen.

Der dritte wichtige Aspekt ist, wie man den Kram auch in die Zelle kriegt. Dafür sind spezialisierte Lipide entscheidend, die positive Ladungen tragen können. Die verkapseln nicht nur die negativ geladene RNA sehr gut, sondern verschmelzen auch mit den ebenfalls negativ geladenen Zellmembranen, so dass die Fracht in die Zelle gelangt. Dahinter steckt u.a. die Arbeit von Pieter Cullis über die verschiedenen Strukturen, die Lipide abhängig von Ladung, pH, Zusammensetzung der Lipide und anderen Faktoren annehmen. Selbstorganisation von Lipiden ist ohnehin ein heißes Thema, Stichwort Ursprung des Lebens.

Es ist natürlich keineswegs gesagt, dass ein Nobelpreis für mRNA-Technik tatsächlich Chemie sein muss. Schließlich könnte das genauso gut oder sogar besser in Medizin laufen, und möglicherweise wird das auch passieren.

Aber aus meiner Sicht wäre das etwas unbefriedigend. Denn ein Nobelpreis nur für die Impfung, in dem das Thema der Synthese des Erbgutes nicht auftaucht, wäre irgendwie nur eine halbe Sache. Die Nukleinsäure-Synthese ist ja für die Impfung absolut grundlegend und ein Nobel-Kandidat aus eigenem Recht.

Natürlich könnte auch die Impfung in Medizin und die DNA in Chemie kommen, also zwei Preise für das Nukleinsäure-Feld, aber das scheint mir nen Tick viel für ein Jahr. Da würde man eher die DNA-Synthese dieses Jahr und die mRNA-Impfung dann später ehren, womöglich wenn die Technologie verbreiteter ist. Eine denkbare Lösung wäre aber, beide Themen unter dem großen Label  “Nukleinsäure-Technologie” zusammenzupacken. Das könnte man dann als Chemie-Preis zum Beispiel an Karikò, Weissman und Caruthers geben. Das wäre mein persönlicher Favorit.

13 Kommentare

  1. Sehr geehrter Herr Lars FISCHER, bei allem Respekt, bitte die aktuellen Kommentare in den USA (zB : Dr. Peter McCullough) als auch fachliche Vorträge vor dem EU-Parlament recherchieren, dann kann man nur zu dem Schluß kommen das mRNA nichts bei dem Chemie-Nobelpreis zu suchen hat; denn die Auswirkungen werden erst massiv in 2024 zum Vorschein kommen.
    Herzlich grüßt
    Wolf

      • Wer genau hat das gesagt und in welcher Funktion?

        Laut Gesundheitsminister Lauterbach sollte ich als Ungeimpfter jedenfalls schon den Winter 21/22 nicht überleben können (“Geimpft, genesen oder gestorben”). Komischerweise lebe ich immer noch ungeimpft und hatte auch noch nie Corona.

  2. mRNA Vaccine werden meines Wissens nach aber nicht mit chemischer Synthese hergestellt sondern mit in vitro transcription mit Hilfe von rekombinanten RNA Polymerasen.

    Chemische Synthese ist natürlich notwendig für PCR und verwandte Anwendungen.

  3. Ein wie gemeinter Preis hat an eine Person(engruppe) zu gehen, nie aber an einen Gegenstand, der keine Person(engruppe) ist ?

  4. Ein weiterer Kandidat wären die Teams von Alphafold oder RoseTTAFold, die bei der Nutzung von KI zur Vorhersage von Proteinstrukturen rasante Fortschritte gemacht haben. Allerdings gab es den letzten Preis für Strukturaufklärung erst 2017, könnte also sein, dass die noch nicht dran sind.

  5. Liebe Coronaskeptiker, Impfgegner und Leerdenker:

    Ihr müsst ganz stark sein. Katalin Karikó und Drew Weissman haben heute den Nobelpreis erhalten. In Medizin/Physiologie.

    Das Nobelpreis-Komitee schreibt: “Die Entdeckungen der beiden Nobelpreisträger waren entscheidend für die Entwicklung wirksamer mRNA-Impfstoffe gegen Covid-19 während der Pandemie, die Anfang 2020 begann. Die “bahnbrechenden Erkenntnisse” der Forschenden hätten dazu beigetragen, “dass während einer der größten Bedrohungen für die menschliche Gesundheit in der heutigen Zeit so schnell wie nie zuvor Impfstoffe entwickelt werden konnten”.”

  6. Liebe Coronaskeptiker, Impfgegner und Leerdenker:

    Ihr müsst ganz stark sein.

    Das ist so herrlich unlogisch. Als wenn ein Nobelkomitee für die Adressierten irgendwie relevant wäre – oder irgendeine Autorität besäße.

    Im Gegenteil, einige werden sich sogar bestätigt sehen: musste ja so kommen.

  7. Genau genommen wurde damals gesagt (ich meine von der Corona Konifere Attila Hildmann) alle Geimpften würden 21 sterben, das Jahrhundert wurde nicht spezifiziert und insofern ist die Aussage korrekt aber vollkommen unsinnig 🙂
    Nimmt man korrekterweise an, dass 2021 vom Koch gemeint war, dann ist sie schlichtweg falsch. Ich bin dreimal geimpft und lebe immer noch, ob ich allerdings 2121 noch lebe, das glaube ich eher nicht.

  8. Auch wenn die mRNA-Technologie noch so viele Preise bekommt, vertraue ich den mRNA-Impfstoffen bisher nicht! Ich täte mich als gemäßigter Querdenker einordnen. Ich nehme für mich aber nicht in Anspruch, den letztendlichen fachlichen Durchblick zu haben.

    Ich habe mich von Anfang an gefragt, warum unbedingt eine bis dahin noch nicht in der breiten Bevölkerung angewandte Impftechnik möglichst allen verabreicht werden sollte. Ganzvirusimpfstoffe gibt es seit rund 200 Jahren und haben sich bewährt.

    Ich finde es nachvollziehbar, daß man im Falle von Risikopersonen nicht 5 bis 10 Jahre warten kann, bis ein Impfstoff zur Verfügung steht. China und Indien haben aber bewiesen, daß man im Nottfall Ganzvirusimpfstoffe genauso schnell entwickeln kann wie mRNA-Impfstoffe.

    Dieses einseitige Setzen auf Biontech/Pfizer-Impfungen und die üble Verleumdung von Andersdenkenden durch viele Personen der Öffentlichkeit haben in mir bis heute ein Trauma hinterlassen. Um vor allem noch mehr Risikopersonen zu überzeugen und Vertrauen zu gewinnen, hätte man auch klassische Impfstoffe aus Indien und China bereitstellen oder auch Valneva beschleunigt zulassen sollen.

    Letzten Endes hat sich wieder einmal gezeigt, daß sich Atemwegsviren wie SARSCoV2 auf Dauer nicht ausrotten lassen. Vielleicht sollte man für zukünftige Pandemien daraus lernen, daß man die Pandemie per Durchseuchung zu Ende gehen läßt und man Risikopersonen bis dahin so weit wie möglich vor schweren Krankheitsverläufen schützen will statt das Virus ausrotten zu wollen.

    Ich mache mir auch Sorgen darum, daß es bald nur noch mRNA-Impfstoffe in Europa gibt und man eines Tages im Falle neuer Krankheitsausbrüche, auch durch altbekannte Erreger wie Pocken oder Polio, gezwungen wird, sich damit impfen zu lassen.

    Sollte es neue Ausbrüche sehr gefährlicher Erreger geben, bin ich selbstberständlich bereit, mich impfen zu lassen, wenn es der Allgemeinheit nützt. Aber ich vertraue lieber altbewährten Verfahren. Vielleicht werde ich den mRNA-Impfstoffen eines Tages auch vertrauen, wenn noch mehr Langzeitbeobachtungen vorliegen und sie ausgereifter sind. Die Wahrheit der Behauptungen der einen oder der anderen Mediziner läßt sich als Laie letztendlich nicht wirklich überprüfen. Ich gehe einfach mit logischem Menschenverstand daran.

  9. Ach ja, so manche Querdenker fand und finde ich auch wenig vertrauenswürdig. Sie werfen den amtlichen Stellen Panikmache vor, aber machen nichts anderes, wenn sie behaupten, es werde unter den MRNA-Geimpften ein Massensterben einsetzen. Und Covid-19 als harmlose Grippe hinzustellen war vor allem in den ersten anderthalb Pandemiejahren unverantwortlich.

  10. Was passiert mit einer Zelle die ein fremdes Protein herstellt(was der Zweck der sog. mRNA I. ist)?
    Sie wird vom Immunsystem zerstört.Ist je nach Bundesland Realschulstoff(war es jedenfalls vor paar Jahren).

    • Ja, das gehört auch so. Eine Zelle, die körperfremde Proteine (oder Tumorantigene) herstellt, ist eine Gefahr für den Körper und wird zerstört. Passiert die ganze Zeit.

      Allerdings dringen die Lipidnanopartikel des Impfstoffes nicht beliebig in alle möglichen Zellen ein (wie auch), sondern müssen aktiv aufgenommen werden. Und das machen spezielle Immunzellen.

      Den Link hab ich entfernt wegen erstens Spam und zweitens Quatsch.

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