Sars-CoV-2 in den Hoden und Unfruchtbarkeit

Die möglichen Auswirkungen von Covid-19 auf die Fortpflanzung sind in der Berichterstattung bisher ein bisschen zu kurz gekommen. Das Thema interessiert aber viele Leute, wie die Reaktionen auf meinen Twitter-Thread und den Hashtag #hodencovid zeigen. Deswegen auch hier noch mal eine kurze Zusammenfassung, bevor ich wieder Urlaub hab.

Die Vermutung, dass Sars-CoV-2 unfruchtbar machen könnte, ist dabei nicht neu. Seit Beginn der Pandemie sind diverse Veröffentlichungen erschienen, die sich mit der Frage befassen. Hintergrund ist der Rezeptor ACE2, an den das Virus bindet um in die Zelle zu gelangen. Der Rezeptor sitzt nicht nur in der Schleimhaut der Atemwege, sondern auch in anderen Organen wie der Niere und anscheinend auch den Hoden. [1]

Dort tragen ihn nicht nur die Vorläuferzellen der Spermien, sondern auch drei andere Zelltypen, die bei der Spermienreifung helfen. Prinzipiell kann also Sars-Cov-2 diese Gewebe befallen und dort Schaden anrichten. Allerdings gibt es bisher keine guten Belege, dass das tatsächlich passiert. Mehrere Arbeitsgruppen versuchten zum Beispiel, Virus-RNA in Samenflüssigkeit nachzuweisen, wurden aber nicht fündig.

Dass an der Sache dennoch was dran ist, dafür spricht allerdings, dass schon bei Sars im Jahr 2003 Hodenentzündungen eine Folge der Infektion waren. Die Hoden von sechs an Sars Verstorbenen Personen zeigten dabei erhebliche Schäden – allerdings anscheinend nicht so sehr durch das Virus, sondern durch eine Immunreaktion. Das Problem wiederum kennt man bei schweren Verläufen von Sars-CoV-2 aus der Lunge.

Andere Indizien legen ebenfalls nahe, dass zumindest unter bestimmten Umständen auch Sars-CoV-2 die Hoden befällt. So gibt es Berichte über Beschwerden in den Genitalien während Covid-19, in einer Studie betraf das 20 Prozent der Infizierten.  In einer anderen Untersuchung bescheinigen Fachleute von der Uniklinik Düsseldorf Betroffenen mit moderat schweren Verläufen eine schlechtere Spermaqualität als nur mild erkrankten und der gesunden Kontrollgruppe. Sie hatten demnach insgesamt weniger Spermien, von denen ein kleinerer Anteil beweglich war.[2]

Allerdings stammen diese Befunde von ganzen vier Personen. Auch viele andere Studien rund um Covid-19 und Fruchtbarkeit haben nur relativ wenige Leute untersucht, so dass selbst ein auf dem Papier eindeutiges Resultat in die eine oder andere Richtung kaum mehr als ein Indiz ist. Nicht zuletzt gibt es natürlich bisher keine Untersuchungen, ob Infizierte langfristig tatsächlich weniger Kinder zeugen.

Wie bedeutsam und vor allem gefährlich Hodencovid tatsächlich ist, kann ich deswegen bisher nicht wirklich beurteilen. Zu diesem Ergebnis kommt auch ein aktueller Review auf einer Urologie-Webseite. Das Paper mit der Spermienqualität weiter oben legt immerhin nahe, dass milde oder symptomlose Infektionen keine Auswirkungen auf die Spermienproduktion haben. Ich persönlich würde aus dem Bauch heraus vermuten, dass reduzierte Fruchtbarkeit durch Sars-CoV-2 selten ist und fürs Gesamtbild keine Rolle spielt.

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[1] Unklar ist allerdings, ob und in welchem Ausmaß das ebenfalls benötigte Protein TMPRSS2 in diesen Zellen auftaucht.
[2] In diesem Paper weist eine Arbeitsgruppe außerdem auf eine mögliche Verbindung zwischen ACE2 und Unfruchtbarkeit hin. Bei organisch bedingter Unfruchtbarkeit findet man demnach in den Hoden oft mehr ACE2 als normal. Umgekehrt reguliert Sars-CoV-2 die ACE2-Menge in betroffenen Geweben hoch. Nach dieser These gäbe es eine indirekte Möglichkeit, wie Sars-CoV-2 unfruchtbar macht. Nicht Zerstörung des Gewebes durch Infektion und Immunreaktion ist demnach die Ursache, sondern die Überaktivierung des Rezeptors. Ich finde die Argumentation aber sehr spekulativ.

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