LHC-Start am Mittwoch morgen
BLOG: Einsteins Kosmos
Das sind aufregende Zeiten für Physiker: Nach Jahrzehnten der Vorbereitung startet am Mittwoch morgen, 10. September 2008 gegen 9:00 Uhr das bislang größte Unternehmen der Wissenschaftsgeschichte: Der leistungsstärkste Teilchenbeschleuniger der Welt, der Large Hadron Collider (LHC) am CERN bei Genf, wird eingeschaltet.
Superlativen
10000 Physiker, Techniker und Ingenieure aus 85 Ländern haben jahrelang an diesem Mammutprojekt der Naturwissenschaften gearbeitet. Getrieben hat sie die Neugier, die Welt im Kleinsten verstehen zu wollen. Erstaunlicherweise bringt uns dieses Verständnis von Teilchen und Kräften auch einem Verständnis des Universums näher, weil der LHC Bedingungen aus den Frühphasen des Kosmos herstellt.
9:00 morgens in die Röhre
Die ersten Protonenstrahlen werden um 9:00 Uhr morgens fast mit Lichtgeschwindigkeit durch den Ring geschossen. Sie jagen mit etwa 0,45 TeV durch eine evakuierte 27-Kilometer-Röhre am kältesten Ort des Universums mit nur zwei Grad über dem absoluten Nullpunkt.
Noch kein Bums
Kollisionen der Protonen sind erst zu einem späteren Zeitpunkt geplant. Erst dann kommen die hausgroßen Detektoren (ATLAS, CMS, ALICE, LHC-b) entlang des Rings in etwa 150 Metern Tiefe zum Einsatz.
Ziel für 2008
Noch in diesem Jahr soll die Energie des Protonenstrahls auf 5 TeV gesteigert werden. Die maximal mögliche Energie liegt bei 7 TeV. Mit Entdeckungsmeldungen ist 2008 noch nicht zu rechnen, weil erst Tests der Apparaturen im Betrieb nötig sind und weil Messreihen erst nach einiger Laufzeit aussagekräftig sind ("die Statistik ist dann besser").
Multimediales Ereignis
Es lohnt sich schon jetzt die Berichterstattung im Fernsehen, Radio und Internet zu verfolgen. Live-Übertragung per Webcast beginnt Mittwoch früh ab 8:30 Uhr. Bitte besuchen Sie
http://lhc-first-beam.web.cern.ch/
Auf dieser Website gibt es auch viele weitere Informationen, Videos, Berichte, Links.
An vier Standorten in Deutschland findet eine vernetzte Pressekonferenz statt:
Träume und Hoffnungen der Physiker könnten sich endlich erfüllen. Higgs-Boson, Supersymmetrie, Extradimensionen – wir kommen!
Seien Sie dabei.
Quelle: CERN-/LHC-Komunikation Deutschland, Hamburg
Kurzer Bericht vom Vormittag
Aufatmen bei den Physikern: Der erste Umlauf der Protonen im Beschleunigerring hat funktioniert! Alles läuft nach Plan.
Ab 8:30 Uhr begann die Übertragung vom CERN per Live-Stream im Internet. Zeitgleich wurde eine Videokonferenz abgehalten, bei der CERN, DESY, GSI, MPP und BMBF beteiligt waren. LHC-Projektleiter Lyn Evans und CERN-Generaldirektor Robert Aymar eröffneten und kommentierten das große Ereignis.
Die Beschleunigung beginnt
Wasserstoff wird in einen Linearbeschleuniger (LINAC) gegeben. Die neutralen Atome müssen zunächst von ihren negativ geladenen Elektronen befreit werden. Übrig bleiben Wasserstoffatomkerne, also ein Protonen. Erst diese elektrisch positiv geladenen Teilchen können mit elektrischen Feldern beschleunigt und mit magnetischen Feldern geführt werden. Das zu beschleunigende Bündel Protonen ("Bunch") besteht aus etwa fünf Milliarden Protonen.
Nach dem LINAC windet sich der Protonenstrahl durch eine Schraubenbahn im so genannten "Booster" – hier werden die Protonen weiter beschleunigt. Schließlich wird der Strahl in das ringförmige Protonensynchrotron SPS eingebracht und danach geht’s auf die Rennpiste: in den großen Beschleunigerring LHC.
Beschleunigerringe am CERN: Start am LINAC und Ende im LHC; klicken zum Vergrößern (Quelle: CERN)
Behutsames Anfahren
Ein physikalisches Experiment sollte man nicht überstürzen, erst recht, wenn es vier Milliarden Euro gekostet hat. Daher schossen die Physiker den Strahl nicht gleich komplett durch den ganzen 27 Kilometer umfassenden Ring, sondern ließen den Protonenstrahl erstmal abschnittsweise den Ring passieren. Der ganze LHC-Ring ist in acht Sektionen, den Oktanten, unterteilt. Es sollte getestet werden, ob die 9600 blauen Dipolmagnete entlang des Ringe funktionieren und den Strahl präzise durch die Vakuumröhre leiten – Stück für Stück. Nach und nach wurden die "Materie-Bremsklötze" entfernt, bis ein kompletter Umlauf abgeschlossen war.
LHC-Schema mit Oktanten; klicken zum Vergrößern (Quelle: CERN)
Geschehen am Vormittag
9:30 Der Strahl startet im Oktant 2.
9:35 Wow, der Protonenstrahl trifft präzise bei Oktant 3 ein und bringt die dort platzierte Titanfolie zum Leuchten! Ein kurzer, heller Blitz bestätigt die erfolgreich absovierte erste Etappe. Jubel bricht aus!
9:42 Noch ein Blitz. Der Strahl kommt bestens in den Oktant 3.
9:46 Wieder ein Blitz. Der Strahl durchläuft Oktant 5 – hier steht das Großexperiment CMS.
9:55 Protonen blitzen in Oktant 6.
10:15 Der Blitz bestätigt Ankunft in Oktant 8 – hier steht das Großexperiment LHC-b.
10:20 Es ist fast geschafft: Der Strahl kommt nahe an den Ort, wo er in den LHC eingeschossen wurde.
10:25 Der Protonenstrahl ist präzise einmal den 27 Kilometer Ring des LHC durchlaufen! Applaus und Jubel bei allen Beteiligten.
10:45 Ende der Videokonferenz
Wie geht es weiter?
In der Videokonferenz beantworteten Physiker an allen fünf Standorten (CERN, DESY, GSI, MPP, BMBF) die Fragen der Medienvertreter. Hier ein paar Informationshappen aus den Antworten:
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Neue Physik, z.B. die Entdeckung des Higgs-Teilchens, könnte frühestens Mitte 2010 bekannt gegeben werden. Die Experimente müssen erst eine gewisse Zeit laufen, um handfeste (d.h. statistisch signifikante) Aussagen machen zu können.
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Das Higgs-Teilchen hat laut Theorie höchstens eine Masse von 200 GeV (etwa 200fache Protonenmasse) und müsste dann mit dem LHC entdeckt werden können.
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Weiterhin möchten die Physiker die Substruktur der Materie verstehen. Gibt es noch kleinere Elementarbausteine als Quarks und Leptonen?
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Die Physiker fahnden nach supersymmetrischen Teilchen, also Teilchen, die das Standardmodell der Teilchenphysik nicht erklärt. Das leichteste supersymmetrische Teilchen, das Neutralino, wäre am leichtesten zu entdecken und ein guter Kandidat für die noch nicht verstandene, aber astronomisch beobachtete Dunkle Materie.
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Die Entdeckung der Supersymmetrie würde auch die Idee der Vereinheitlichungen der Kräfte hin zu den Großen Vereinheitlichten Theorien (GUT) und den Unified Theories (UT) bekräftigen.
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2009 ist damit zu rechnen, dass der LHC auch schwere Bleiionen beschleunigen wird. Das eröffnet völlig neue Experimentiermöglichkeiten, z.B. die Herstellung eines Quark-Gluon-Plasmas.
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Die nächsten großen Ziele sind: die ersten Protonenkollisionen und die Messungen mit den vier Großexperimenten ATLAS, CMS, ALICE und LHC-b.
Ich wünsche den Kollegen am LHC einen herzlichen Glückwunsch zum fulminanten Start und viel Erfolg für die weiteren Experimente!
Was wurde aus dem 11. September?
War das Irrtum, Missverständnis, ZeitungsNT oder kam irgendwer drauf dass das vielleicht doch kein so gutes Datum ist 😉 ?
Und wie stehen die Wetten, dass da wirklich was Spektakuläres wie Higgs oder was völlig Neues gefunden wird?
Web-Cam?
In dem Artikel ist doch die Rede von einer Web-Cam Liveübertragung…hat wer von euch einen Link dafür? Auf N24 reden die mir zuviel 🙂
link
siehe unter webcast.cern.ch
Das war’s?
So, also sind wir dank des LHC jetzt alle tot oder durch ein Wurmloch in ein anderes Universum versetzt? Na, das Jenseits habe ich mir aber zumindest interessanter vorgestellt als das, was mich hier umgibt und was verdaechtig dem aehnelt, was mir zuvor den Alltag versuesste.
Das Ende naht! 😉
Hallo Herr Khan,
noch sind am LHC ja keine Beams kollidiert und selbst falls hätten die Beams nur wenige hundert GeV Energie, also nicht mehr als bisherige Collider auch schon hatten. Wie Andreas schreibt, soll die Energie in den Beams aber noch dieses Jahr auf 5 TeV gesteigert werden.
Viele Grüße,
Leonard Burtscher
@Michael Khan
Langsam. Noch gab es keine Kollisionen der Protonen am LHC. Erst wenn das geschehen ist (in wenigen Wochen), haben wir ein weiteres gutes Argument gegen die Kritik am LHC.
(Bitte nicht vergessen, dass im Vorfeld – auch hier in den KOSMOlogs – viele gute Argumente gegen Desasterszenarien vorgebracht wurden; nicht zuletzt unsere eigene Existenz).
Gruß,
Andreas
@Leo
Ich werde alt und langsam…
😉
Schon klar
Gut, dann spare ich mir die Ironie noch ein paar Wochen auf. Eigentlich sollte ich ueber diese Sachen ohnehin nicht scherzen, denn:
Dass die uninformierte Panikmache um den LHC nicht nur nervig und albern ist, sondern wirklichen Schaden anrichten kann und damit unverantwortlich ist, hat sich auf traurige Weise gezeigt:
http://de.news.yahoo.com/…wissensch-5fcb2b9.html
@matze
Webcam gefaellig? Hier bitte:
http://www.cyriak.co.uk/lhc/lhc-webcams.html
@ Khan
“Webcam gefaellig? Hier bitte:”
🙂 Sie sind ja hart drauf, aber Sie haben schon recht: Warum muß der Mensch immer an “schwarze Löcher” denken? Ödipuskomplex? Die alles verschlingende Mutter? Vielleicht springt ja auch der Osterhase oder der Weihnachtsmann aus dem LHC. Ist schließlich auch eine denkbare Hypothese. Und wer es religiös haben will, für den habe ich auch ein Leckerli:
“wir werden aber alle verwandelt werden; und dasselbige plötzlich, in einem Augenblick, zu der Zeit der letzten Posaune.” (J.Brahms hat sehr das schön vertont)