Weshalb Wissenschaft für viele Frauen unattraktiv ist

Tagebücher der Wissenschaft

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Curt Rice hat im Guardian unter der Überschrift „Weshalb Frauen die akademische Wissenschaft verlassen und weshalb Universitäten sich sorgen sollten“ beschrieben, weshalb der Wissenschaftsbetrieb so unattraktiv ist. Der Artikel stützt sich auf eine Erhebung u.a. der Royal Society of Chemistry. Ich finde, nichts von dem beschriebenen ist neu, aber es ist einerseits schön, für die eigenen Erfahrungen Bestätigung in Form von Daten zu bekommen und andererseits  lohnt sich, einfach noch einmal darauf hinzuweisen, dass sich oft die „falschen“ Leute am besten in der Wissenschaft bewähren. 

Während ihrer Zeit als DoktorandInnen stellen viele Forschende in den Naturwissenschaften fest, dass das Umfeld, in dem sie sich bewegen, in vieler Hinsicht höchst unattraktiv ist. Die Steine, die einem während der Karriere in den Weg gelegt werden, sind unverhältnismäßig dicke Brocken, denn die Aussichten auf Erfolg sind dürftig und oft von Zufall und Glück bestimmt, das Arbeitsklima ist insgesamt sehr kompetitiv, mit vielen Entbehrungen und Unsicherheiten verbunden und diese betreffen Frauen stärker als Männer. Die Zeit der Qualifikation ab ca. dem 30. Lebensjahr, während man von Postdocs erwartet, viel in der Welt herumzureisen, beißt sich mit dem Wunsch vieler Frauen, eine Familie zu gründen – die biologische Uhr tickt. 

Innerhalb der Zeit ihrer Doktorarbeit in der Chemie sinkt die Bereitschaft, in der Wissenschaft zu bleiben, von 72% (Frauen) und 61% (Männer) auf 12% und 21%. Das sind beachtliche Zahlen und spiegeln einfach Desillusionierung wieder, die praktisch jeder erfährt, der eine Weile in der Wissenschaft zugebracht hat. 

Damit bleiben oft Leute in der Wissenschaft, die wenig soziale Kompetenz besitzen, keine Familie und Freizeit haben, sich und ihre Arbeit gut verkaufen können und u.a. auch aus falschen Gründen sehr wettbewerbsstark sind. Viele verlassen den Betrieb, weil sie unglücklich mit dem Umfeld sind und es mit ihrem eigenen Lebensentwurf einfach nicht in Einklang bringen können. 

Curt Rice meint nun, dass den Unis damit wertvolles Talent verloren geht, weil die klugen Köpfe alle in die Industrie abwandern würden:

Universities will not survive as research institutions unless university leadership realises that the working conditions they offer dramatically reduce the size of the pool from which they recruit. We will not survive because we have no reason to believe we are attracting the best and the brightest. When industry is the more attractive employer, our credibility as the home of long-term, cutting edge, high-risk, profoundly creative research, is diminished.

Ich sehe nicht, inwiefern und ob sich die Situation in den letzten Jahren verändert haben sollte und diese Bedrohung wirklich so akut ist, wie er es darstellt. Industrielle Forschung ist ein völlig anderes Umfeld, das seine ganz eigenen Nachteile hat (Fremdbestimmung, Unfreiheit, Druck durch Deadlines). 

Wissenschaft  – im universitären oder industriellen Umfeld – ist eben nicht für jeden. Es ist sicher sehr schade, dass wir damit viele Leute verlieren und wiederum andere unglücklich machen, aber gibt es eine Rechtfertigung für den wissenschaftlichen Fortschritt, am status quo etwas zu ändern? Und wenn ja, wie soll das gehen? Durch Quotenregelungen, Kinderförderung, einen Ausbau des akademischen Mittelbaus oder tenure-track-Positionen, die einem ein Minimum an Sicherheit und Perspektive bieten?

Wie ist eure Meinung dazu?

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  • Veröffentlicht in: Allgemein

Martin Ballaschk ist promovierter Biologe, aber an vielen anderen Naturwissenschaften interessiert. Das Blog dient ihm als Verdauungsorgan für seine Gedanken. Beruflich ist er als Wissenschaftskommunikator, hier rein privat unterwegs.

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