Durchsichtiges Museum, durchsichtiges Manöver

BLOG: Edle Einfalt, stille Größe

Hellas inside
Edle Einfalt, stille Größe

Athen hat ein neues Museum. Das Akropolis-Museum ist von der Akropolis in einen Wahnsinnsbau unterhalb des Parthenons umgezogen, der wieder einmal die Frage aufwirft, warum man für archäologische Museen nur hyperfuturistische Architektur als passend erachtet. Von Athens Tempelberg aus besehen, mutet das neue Domizil für die Altertümer wie ein Flugzeugträger an, der durch die Altstadt pflügt. Baustil wie Bauplatz haben zu erregten Diskussionen geführt, die während der langen Bauzeit nicht abebbten, sondern von Tag zu Tag immer lauter wurden. Bei all dem Geschrei um Korruption und Vetternbauwirtschaft geht das wirkliche Ärgernis völlig unter: Das Museum bleibt geschlossen.

 

Im Frühjahr 2008 sollte das Museum passend mit einem kolossalen Fest eröffnet werden. Tausende von Einladungen wurden verschickt, dann die Eingeladenen wieder ausgeladen ( viele sprachen von einem Konjunkturprogramm für die Post)  und auf Herbst vertröstet. Untröstlich war mein Tankwart, denn er hatte an diesem Tag frei, hätte mitkommen können, weil wieder einmal Streik in Griechenland war. Mit anderen Enttäuschten rüttelte er an den Toren, aber nur Archäologen wurden kurz eingelassen, wohl um die Fachwelt einzulullen.

 

Der Herbst kam, und abermals wurden Einladungen verschickt, die Eingeladenen wieder ausgeladen, diesmal auf März 2009 vertröstet. Ich hielt an der Tankstelle, um meinem potentiellen Begleiter die neuerliche Verschiebung der Eröffnung mitzuteilen. Er war am Boden zerstört. Es wäre so schön gewesen, denn just zum Eröffnungstermin hatte ihm ein Streik wieder einmal einen freien Tag beschert.

 

„Was nun?“ wandte er sich verzweifelt an seine Zapfsäule.

„Ich werde es nicht mehr erleben, das neue Akropolis-Museum!“ jammerte der Meister der Satzmelodie völlig tonlos.

„März ist doch bald!“ sagte ich.

„Ha“, sagte er. „Das schon, aber vielleicht ist da kein Streik.“

„Streik ist doch hier immer“, wollte ich ihn trösten.

„Hmhnnnn“, brachte er nur noch heraus.

Er, der Grieche, hatte keine Worte mehr. Das war so besorgniserregend, dass ich mein Handy herausnestelte und den Direktor des neuen Akropolis-Museums anrief.

 

Zwei Stunden später waren wir an der Hintertür des Museums. Wir hatten den ganzen Weg von unserem Stadtteil bis zu Akropolis laufen müssen, weil keine Metro fuhr, auch kein Taxi und der Tankwart sich weigerte, sein oder mein Auto zu besteigen, denn dann wären wir „lausige“ Streikbrecher und das dürfte nicht sein. Darüber würde sich nur der „lausige“ Staat freuen, argumentierte er. Ich hätte mich auch gefreut, aber das konnte ich ihm nicht mitteilen, weil ich die Luft für unseren Gewaltmarsch brauchte.

 

Seine Atemlosigkeit wurde gesteigert, als wir die Vorhalle des Museums betraten. Bereits hier blickt man tief, stolpert über die Besonderheit dieses Museums: eine Bodenlosigkeit, die Einblicke in die Vergangenheit gewährt. Der Fußboden ist aus Glas, und zehn Meter, zwanzig Meter unter sich sieht man die Grundmauern eines Athens, in dem Sokrates daheim war. Schaut auf gepflasterte Gassen, durch die er geeilt sein muss, um zur Agora zu kommen, dem Markt unterhalb der Akropolis. In der Tiefe unter einem anderen Saal sind die Fundamente aus der hellenistischen Epoche zu sehen. Zu dieser Zeit sind alle zum Markt geeilt, um von Alexander zu hören, von seinen Kämpfen, seinem Vorrücken gen Osten, neuen Eroberungen, Landgewinn, all den Schlachten, die ihn schließlich zum Großen machten. Mehr als die Philosophie waren jetzt Kriegsberichte gefragt.

 

Mein Tankwart ist platt. Er ist in die Knie gegangen und studiert das Stadtbild Athens, wie es vor 2008 plus 335 Jahren war. Noch merkt er es nicht, aber dem Museum fehlt etwas, zu dem man aufsehen kann. Der Hauptraum ist allein dem Parthenon-Fries gewidmet und der ist noch nicht da. Erpressen die Griechen etwa England mit einem leeren Museum, das nicht öffnet? Das nicht öffnen kann, weil die wesentlichen Ausstellungsstücke fehlen?

 

Lord Elgin war’s, Griechenlands Buh-Brite, der 1800 den Athene-Tempel auf der Akropolis demontiert hat. Er hatte es auf den Fries abgesehen, der im Halbrelief die jährliche Prozession zu Ehren der Stadtgöttin darstellte und den ganzen Tempel unter dem Dach umlief. Abbau und Abtransport der Marmorreliefe seien rechtens gewesen, brainwäscht die englische Regierung die Kritiker, denn als Lord Elgin Hand an die Akropolis legte, herrschten noch die Türken über Griechenland. Und Elgin, der 1799 Gesandter des britischen Königreichs beim Sultan des Osmanischen Reichs wurde, bot diesem bei seiner ersten Audienz im Palast zu Stambul ganz eigennützig an, den Tempel der Ungläubigen, vulgo Akropolis, zu entfernen. Später wird er behaupten, das Verbringen der Marbles nach Endland sei nur zum Schutz des Parthenon-Frieses gewesen, aber schon sein Landsmann und Zeitgenosse Lord Byron wirft ihm schnödes Gewinnstreben vor. Für 35 500 Pfund, damals ein Vermögen, verkauft er die marmornen Reliefe an das britische Museum. Es muss ein Zerstörungsgen in dieser Familie gegeben haben, den Elgins Sohn reißt Jahrzehnte später den alten Sommerpalast in Peking nieder.

 

Das Akropolis-Museum in Athen wartet. Ein leerer Raum soll ausreichend Druck erzeugen, das Britische Museum in London zu leeren. Wenigstens den Trakt, in dem der Parthenon-Fries untergebracht ist. Und so wartet ganz Griechenland, dass England endlich den Fries herausgibt. Die Strategie scheint zu wirken – nur nicht in England. Der Vatikan hat Teile des Frieses, die sich in seinem Besitz befanden, bereits zurückgegeben. Ebenso Italien. Aber die Teilstückchen füllen nicht den Raum, der für den ganzen Fries konzipiert wurde.

Und so wird gewartet, abgewartet. Solange die Reliefe des Frieses nicht vom einen ins andere Museum verschoben werden, verschiebt man die Einweihung. Muss sie verschieben, da bis dato nur unter dem Museum etwas zu sehen ist, nichts aber – außer den Kopien – im Museum. Kulturpolitik auf griechisch, oder:

 

A big fat greek Erpressung.

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Geboren in Deutschland; Vater und Mutter – der eine klassischer Archäologe, die andere Altphilologin – brainwashten ihr einziges Kind bereits im zarten Alter, lasen ihr z. B. als Gute-Nacht-Geschichte die „Odyssee“ vor – auf Altgriechisch. Studium der Vor- und Frühgeschichte und Alter Geschichte in Tübingen, Oxford und Athen. Weil es ihr die alten Griechen angetan haben, zog sie nach ihrem Examen in deren Land; und lebt gern hier, auch wenn die neuen Griechen nichts unversucht lassen, sie vom Gegenteil zu überzeugen. Sie arbeitet hier als Archäologin; flüchtet mitunter – wenn Abstand von Griechenland angeraten ist – in ihren Blog und zu Grabungen in die Türkei, den Vorderen Orient, Mittleren und Hinteren Orient. Nera Ide

1 Kommentar

  1. Das futuristische Aussehen für solche Projekte liegt eigentlich nahe, da man ja nicht in irgendeiner Weise das Alte kopieren möchte. Also lieber gleich auf vollen Kontrast setzen, das ist einfach als subtile Anklänge.

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