Der Domina-Effekt

BLOG: Edle Einfalt, stille Größe

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Edle Einfalt, stille Größe

Die Telefone stehen nicht still. Wie jeder normale Grieche habe ich wenigstens drei, ein festes und zwei mobile, und alle klingeln seit Tagen ununterbrochen. Freunde aus Deutschland wollen wissen, was an der Geschichte dran ist, die doch nicht wahr sein kann. Sie alle wollen all about Eve, alles über die Archäologin mit der Peitsche wissen.

In Athen hat sich etwas abgespielt – festhalten auf DVDs mit einer Laufdauer von 100 Stunden – das es glatt in die Schlagzeilen der Auslandspresse schaffte. Ein Resümee der Ereignisse, die hier seit Wochen top in den Nachrichten sind: Es war einmal ein Staatssekretär, der im griechischen Kultusministerium Narrenfreiheit hatte. An und für sich nichts Besonderes, denn die nehmen sich in Griechenland alle Minister und Politiker heraus. Nämlicher Christos Zachopoulos aber konnte es noch doller treiben, weil Premierminister Karamanlis eine schützende Hand über seinen Busenfreund hielt.

Herr Zachopoulos liebte die Öffentlichkeit, schob sein Haupt mit dem tragischen Schnurrbart vor jede erreichbare Kamera, gefiel sich in der Rolle des Ceterum-censeo-Zetterer der Nation. Wo immer er ein Fernsehteam erblickte, hob er erst den Zeigefinger, dann seine Stimme und polterte ins Mikrophon: "Im übrigen bin ich der Meinung, dass die Engländer Diebe sind und den Fries unseres Parthenons auf der Stelle zurückgeben müssen!"

Im Kultusministerium ist auch die junge Archäologin Eva Tsekou angestellt – das heißt sie war es, denn Chef Zachopoulos kündigte ihr aus heiterem Himmel. Da man in Griechenland kein Arbeitsgericht bemühen kann, bemüht sich Eva Tsekou selbst – und lässt nichts ungetan, ihren Ex-Chef zu verführen.

Kommt ihm diese Anmache nach dem Rausschmiss nicht spanisch vor, oder ist es einfach griechisch, typisch für griechische Staatsangestellte, nie ein Angebot auszuschlagen? Auf jeden Fall geht Zachopoulos in Tsekous Falle – im doppelten Wortsinn: Auf DVDS sind seine 100 Schäferstunden mit der Archäologin dokumentiert, die wiederholt die Peitsche schwingt.
Der Homeporno wird dem Premier zugespielt. Am Tag darauf stürzt sich Christos Zachopoulos vom Balkon seines Stadthauses in Athen. Er bricht sich Arm und Beine, knackst sich den Beckenknochen an. Die Sexaffäre wird ihm aber nicht das Genick brechen. Sex hat in Griechenland noch keinem Politiker geschadet – im Gegenteil. In einem Land, wo einst ein Gott es mit allen trieb, darf es heutzutage ein Halbgott ähnlich treiben und wird dafür angebetet. So hat es dem ehemaligen Premier Papandreou nicht geschadet, dass er einer Stewardess namens Mimi verfiel, jahrelang öffentlich mit ihr techelte, bevor er sie schließlich ehelichte. In den täglichen Bulletins, die seine Ärzte und Ehefrau verlauten ließen, war nicht die Altersschwäche des greisen Premierministers das Thema, sondern seine Mannesstärke.

Wenn es nicht der Sex war, was dann brachte den Staatssekretär zu Fall? Nicht das, was auf den DVDs zu sehen ist, sondern das, was man hören kann. Wie zehn nackte Staatssekretäre gibt Zachopoulos an, brüstet sich beim Bettgeflüster damit, dass es ihm gelungen sei, antike Stätten in Bauland umzuwandeln. Jedem neuen und neureichen Griechen seine Akropolis, weil man sich hierzulande gern an die alten Griechen anlehnt, was allein räumlich zu verstehen ist. Zachopoulos hat es möglich gemacht, dass sich über mykenischen Palästen Hotelpaläste erheben und über einem antiken Tempel ein Konsumtempel gebaut wird.
Das Ausmaß seiner Schiebereien ist noch nicht abzusehen, weil mittlerweile der Staat den Ton angibt, sprich ihn zensiert. Polizeiliche Ermittlungen haben ergeben, dass man nachträglich Szenen des Materials gelöscht hat, was nun die Öffentlichkeit hellhörig macht. So schnell wird kein Minister eine Villa am Parthenon errichten können oder ein Baumogul ein Chalet im geheiligten Delphi genehmigt bekommen. Vielleicht lag ja Eva Tsekou mehr daran, ihre eigentlichen Arbeitsplätze zu bewahren als die Stelle im Ministerium. Die Archäologin mit der Lanze.

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Geboren in Deutschland; Vater und Mutter – der eine klassischer Archäologe, die andere Altphilologin – brainwashten ihr einziges Kind bereits im zarten Alter, lasen ihr z. B. als Gute-Nacht-Geschichte die „Odyssee“ vor – auf Altgriechisch. Studium der Vor- und Frühgeschichte und Alter Geschichte in Tübingen, Oxford und Athen. Weil es ihr die alten Griechen angetan haben, zog sie nach ihrem Examen in deren Land; und lebt gern hier, auch wenn die neuen Griechen nichts unversucht lassen, sie vom Gegenteil zu überzeugen. Sie arbeitet hier als Archäologin; flüchtet mitunter – wenn Abstand von Griechenland angeraten ist – in ihren Blog und zu Grabungen in die Türkei, den Vorderen Orient, Mittleren und Hinteren Orient. Nera Ide

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