Goethes Zauberlehrling 2.0: Der Biohacker im Smart Home

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Die Welt ist voller Rätsel
Die Sankore Schriften

1797 schrieb Goethe die Ballade „Der Zauberlehrling“. Zu dieser Zeit war die Hausarbeit eine sehr anstrengende Tätigkeit – vor allem das Wäsche waschen am Waschtag war eine einzige Quälerei.

In der Waschküche wurde die Wäsche am Abend zuvor im Wäschekessel eingeweicht. Am nächsten Morgen wurden Weißwäsche und Unterwäsche aufgekocht und über dem Waschbrett mit Kernseife gerubbelt. Dann wurde die Wäsche gespült, bis das Wasser wieder klar war.

Walle! walle!
Manche Strecke,
daß, zum Zwecke,
Wasser fließe
und mit reichem, vollem Schwalle
zu dem Bade sich ergieße.

Vom Rubbeln wurden die Fingerkuppen wund und vom Ausspülen der Wäsche die Hände ganz rot und kalt. Zum Schluss wurde die Wäsche durch die Walze gedreht, damit das meiste Wasser ausgedrückt werden konnte.

Heute ersparen uns Waschmaschinen1 diese Quälerei mit entsprechenden Programmen: Vorwäsche, Kochwäsche, Schleudern. Der Trend geht sogar zu einem Haushalt in dem Haushalts- und Multimedia-Geräte durch bidirektionale Funkstandards, wie WLAN und Bluetooth, miteinander kommunizieren und zentral ferngesteuert werden können – das sogenannte Smart Home.

Smarte Waschmaschinen lassen sich vom Arbeitsplatz aus bedienen, sodass die Wäsche pünktlich zum Trocknen bereitsteht, wenn man nach Hause kommt. Das erfordert aber das Mitführen einer externen Hardware, z. B. eines Smartphones, Tablets oder Laptops.

Eine Zeichnung von Luise Duttenhofer zu Goethes Gedicht “Der Zauberlehrling. Auf einem Sockel mit einem Blütenornament stehend, beschwört der Zauberlehrling den menschgewordenen Besen („Auf zwei Beinen stehe, oben sei ein Kopf“) mit den Worten „Stehe! stehe! denn wir haben deiner Gaben vollgemessen!“, sein Treiben einzustellen, aber dem übereifrigen Lehrling ist das Zauberwort entfallen: „Ach, ich merk es! Wehe! wehe! Hab ich doch das Wort vergessen!“.

Sogenannte Biohacker wollen deshalb die Steuerhardware direkt in den Körper implantieren. So lassen sich z. B. durch unter die Haut eingepflanzte NFC-Chips smarte Schlösser von Haustüren öffnen. NFC steht für Near Field Communication und dient dem Austausch von Informationen zwischen zwei nahe aneinander gehaltenen Geräten oder Gegenständen. Dabei bedeutet „nah“ in der Praxis ein Abstand von weniger als vier Zentimeter.

Durch diese kurze Distanz ist die NFC äußerst sicher gegen das Abhören von außen. Mögliche Täter müssten sich Dir schließlich auf engsten Raum nähern, um Daten auszuspionieren. Die Übertragungsgeschwindigkeit ist mit maximal 424 KByte/s zwar geringer als die von Bluetooth, reicht aber dennoch, um kleine Datenmengen wie etwa Internet-Links in Sekundenbruchteilen zu verschicken.

Mit NFC lassen sich Bluetooth-Verbindungen leichter herstellen, indem das umständliche Pairing, also das Erstellen von Verbindungsschlüsseln beim erstmaligen Kontakt zweier Geräte entfällt. Wenn Du zum Beispiel zwei Android-Geräte mit NFC-Chip aneinanderhälst, kannst Du mit einem Klick Daten übertragen – zum Beispiel Links, Kontaktdaten oder auch Fotos. Besonders Google fördert die Verbreitung von NFC: alle Smartphones, die mit der Android OS Version 4.0 oder höher laufen, sind standardmäßig NFC-kompatibel.

Der Chemieingenieur Giovanni Traverso vom Massachusetts Institute of Technology in den USA hat eine elektronische Pille hergestellt, die im Magen eines Schweins die Körpertemperatur misst und die Daten mittels WLAN an einen Sendeempfänger schickt, der sich zwei Meter über dem Boden befindet. Eine Zink-Kupfer-Knopfbatterie liefert die Energie für die Pille, die eine Lebensdauer von einer Woche hat.

Hat der alte Hexenmeister
Sich doch einmal wegbegeben!
Und nun sollen seine Geister
Auch nach meinem Willen leben.
Seine Wort’ und Werke
Merkt ich und den Brauch,
Und mit Geistesstärke
Tu ich Wunder auch.

Haushalts- und Multimediageräte mit Geistesstärke – also mittels Gedanken – zu steuern, wäre für Biohacker eine neurotechnische Herausforderung. Invasive Gehirn-Computer-Schnittstellen2 müssten vom Gehirn erzeugte elektrische Nervensignale messen und mittels eines Funkstandards3 an Haushaltsgeräte übertragen. Dort würden diese Signale decodiert und in die gewünschten Computerbefehle umgesetzt werden.

Voraussetzung für diese Umsetzung ist allerdings eine vorausgehende Trainingsphase für das Haushaltsgerät. Der Biohacker muss dabei auf Kommando an bestimmte Tätigkeiten denken, zum Beispiel wie er an der Waschmaschine „Buntwäsche – 30 ºC – Schleudern“ einstellt. Der Computer des Haushaltsgeräts bekommt den Zeitpunkt dieser Vorstellung mitgeteilt und nach 200 Durchläufen4, mit entsprechendem Feedback des Biohackers, kann er jenes individuelle Muster von Nervensignalen erkennen, das für dieses Waschprogramm typisch ist5. Das bedeutet, das Haushaltsgerät muss fähig zum Deep Learning sein und ein künstliches neuronales Netz enthalten.

Fans des Science Fiction Autors Stanisław Lem werden jetzt an seine Kurzgeschichte “Die Waschmaschinentragödie” denken. Diese Geschichte erscheint in der Sammlung “Sterntagebücher” (Aus den Erinnerungen Ijon Tichys V), eine Zusammenstellung verschiedener Reisen des fiktiven Raumfahrers Ijon Tichy. Tichy schildert darin, wie der Konkurrenzkampf zweier Waschmaschinenhersteller zu einem enormen Innovationsdruck bei deren Ingenieuren und Designern führt. In die Waschmaschinen werden Fernseher eingebaut und nach einigen weiteren Verbesserungen erhalten sie schließlich menschliche Gestalt. Diese dient natürlich dem besseren Verkauf. Beispielsweise können sich Männer nun ihre Wäsche von Robotern waschen lassen, die wie berühmte schöne Schauspielerinnen aussehen. Die Waschmaschinen werden nicht nur immer schöner, sondern auch immer smarter (der musste jetzt sein). Schließlich gründen sie eine Gewerkschaft. Die Geschichte ist hier noch nicht zu Ende aber ich will nicht zu viel verraten und kehre zum Text zurück…….Wo waren wir stehen geblieben?

Die gedankengesteuerte Waschmaschine für Biohacker ist also technisch recht aufwendig. Da die meisten, in einem Haushalt lebenden Menschen, keine Biohacker sind, arbeiten die Elektroingenieure und Softwareentwickler des Smart Homes lieber an der endgerätlosen Steuerung über Handzeichen oder Sprachbefehle (wie bei  Siri).

In die Ecke,
Besen! Besen!
Seids gewesen!
Denn als Geister
Ruft euch nur, zu seinem Zwecke,
Erst hervor der alte Meister.

Fußnoten

1. Die erste vollautomatische Waschmaschine kam in Deutschland 1951 auf den Markt.

2. Die Elektronik von solchen Neuroimplantaten darf nicht mit Gasen und Flüssigkeiten innerhalb des Körpers in Verbindung kommen. Doch jeder Kontakt, der Nervensignale misst, erfordert eine elektrische Verbindung ins Gehäuse hinein, die isoliert werden muss. Bei der jahrelangen Nutzung dürfen weder Gehäuse noch Isolationsschichten ernsthaft geschädigt werden noch dürfen sich die elektrischen Kontakte mit den Nervenzellen auflösen.

3. Neurologen implantierten die Gehirn-Computer-Schnittstelle BrainGate, in die motorische Hirnregion des querschnittsgelähmten Matthew Nagle. Dazu drückten sie BrainGate mit einer Luftdruckpistole bei geöffnetem Schädel eineinhalb Millimeter unter die Hirnoberfläche. Von dort leitete es die Nervensignale über 100 Golddrähte durch ein kleines Loch in der Schädeldecke an die Außenwelt. Bedeckt wurde das Ganze von einem Metallsockel, von dem aus ein Kabel zum Computer führte, der die Nervensignale auswertete und übersetzte.

4. Die 200 habe ich nur genannt, um mal eine Hausnummer zu nennen. Ich weiß nicht, was realistisch wäre.

5. Der Neuroethiker Jens Clausen schreibt in “Verschwimmende Grenzen zwischen Menschen und Technik” (Spektrum Spezial Physik Mathematik Technik 2/15, S. 78):

Grundsätzliche Limitierungen des Geräts, beispielsweise in der Prognosegenauigkeit der Algorithmen sowie – abhängig davon – in der Zuverlässigkeit der ausgeführten Aktionen, müssen dem Nutzer im Vorfeld bekannt sein. Man könnte nun allerdings argumentieren, wer sich auf die Verwendung eines unsicheren Geräts einlässt, sei auch für resultierende Schäden verantwortlich. Gleichwohl ist es sinnvoll, intentionale Handlungen von Fehlfunktionen des Geräts unterscheiden zu können, um Schadensersatzansprüche und auch mögliche strafrechtliche Relevanz zu beurteilen.

Weiterführende Literatur

Neuroscience: Converting thoughts into action

Experiments in Thought Control

TED-Talk Hans Rosling: The magic washing machine

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Veröffentlicht von

Joe Dramiga ist Neurogenetiker und hat Biologie an der Universität Köln und am King’s College London studiert. In seiner Doktorarbeit beschäftigte er sich mit der Genexpression in einem Mausmodell für die Frontotemporale Demenz. Die Frontotemporale Demenz ist eine Erkrankung des Gehirns, die sowohl Ähnlichkeit mit Alzheimer als auch mit Parkinson hat. Kontakt: jdramiga [at] googlemail [dot] com

3 Kommentare

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  2. Waschen bedeutet im womöglich hier gemeinten Sinne Wäsche aus dem Zustand
    ‘dreckig’ in den Zustand “weiß” zu befördern, zu entkeimen und so…


    Opi W steift hier also durchaus pos. auf, Gag-Beispiele :
    A) ‘aneinanderhälst’
    B) ‘Dort würden diese Signale decodiert’
    und insbesondere auch C) ‘Wo waren wir stehen geblieben?’

    Den Mist durchgelesen, fand ihn gut.

    Sie sind ein originärer Denker bis Genie.


    Dr. W abär besser,
    MFG
    Dr. Webbaer

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