Corona: Früherkennung neuer Virusvarianten durch Abwassersequenzierung

Epidemiolog*innen glauben, dass die Omikron-Subvariante BA.5 eine Sommerwelle auslösen wird. Zwei Drittel der Corona-Infektionen in Deutschland gehen inzwischen auf diese Omikron-Subvariante zurück. Doch welche Virusvariante oder -subvariante wird im Herbst in Deutschland vorherrschend sein?

Das herauszufinden, erfordert die Sequenzierung der Genome der SARS-CoV-2-Viren, d. h. die Bestimmung der Nukleotid-Abfolge ihrer vollständigen genetischen Information. Virolog*innen wollen für die Sequenzierung die Viren jetzt aus dem Abwasser gewinnen.

Im Abwasser befinden sich SARS-CoV-2-Viren, die von Infizierten mit den Fäkalien ausgeschieden wurden. Durch die Entnahme von Abwasserproben können Epidemiolog*innen Informationen über die Infektionen einer ganzen Bevölkerung erhalten. Einige Abwassersysteme versorgen mehrere Tausend Menschen, andere Hunderttausende.

Vor der Abwassersequenzierung war die einzige Möglichkeit, um Viren für die Sequenzierung zu erhalten, die klinische Testung Tausender Menschen, bei der ihnen Nasensekret, Speichel oder Blut abgenommen wurde. Aber von allen, die sich testen ließen, wurde nur ein Bruchteil der Proben überhaupt sequenziert. Insbesondere in Gebieten, wo die Ressourcen, die öffentliche Beteiligung oder die Menge an Tests begrenzt sind, ist eine Sequenzierung oft schwer durchführbar.

Die Entnahme von Abwasserproben ist ein anderer Weg, um Viren zu erhalten. Es ist auch eine Informationsquelle, die weniger anfällig für eine Stichprobenverzerrung (Selection Bias) ist, da die Genetiker Informationen von allen Personen, die die Kanalisation benutzen, erhalten können, unabhängig davon, ob sie in einer Klinik getestet wurden oder nicht. Epidemiolog*innen wissen, dass es Personen gibt, die asymptomatische Infektionen haben und vielleicht nie getestet werden. Zusätzlich können die Epidemiolog*innen mit der Abwassersequenzierung Veränderungen in der Häufigkeit von SARS-CoV-2-Varianten in einer bestimmten Region im Laufe der Zeit verfolgen.

Forscher*innen der Oregon State University untersuchen Abwasser auf das SARS-CoV-2-Virus-19

Smruthi Karthikeyan von der Universität San Diego in Kalifornien, USA, Joshua I. Levy vom Scripps Research Institute, La Jolla in Kalifornien und weitere Forscher*innen haben die Abwassersequenzierung in einem Abwassersystem von San Diego durchgeführt und ihre Ergebnisse in der Fachzeitschrift Nature publiziert [1].

Die Abwasserproben wurden wöchentlich mit Robotern eingesammelt. Nach Anreicherung und Isolierung der RNA bestand für die Genetiker*innen die Herausforderung darin, die SARS-CoV-2-RNA aus der riesigen Menge von Viren- und Bakterien-RNA rauszufischen, die Menschen jeden Tag ausscheiden. Joshua Levy benutzte dafür RNA-Barcodes, das sind kurze RNA-Sequenzen, die für die jeweilige Virusvariante einzigartig sind. Die RNA-Barcodes speicherte er als Referenzen in einer Datenbank. Dann entwickelte er das Computerprogramm Freyja, das die RNA aus dem Abwasser nach diesen Barcodes durchforstet.

Die Genetiker*innen erkannten neu auftretende besorgniserregende Virusvarianten bis zu 14 Tage früher als die klinische Sequenzierung. Zusätzlich entdeckten sie Virusvarianten, die von der klinischen Sequenzierung nicht erfasst wurden.

Freyja – ist kostenlos und wird von den öffentlichen Gesundheitsbehörden in den USA bereits in großem Umfang zur Abwasserüberwachung eingesetzt. Wir können auch andere Viren, wie z. B. das Influenzavirus oder das Affenpockenvirus, im Abwasser nachweisen. Die Zusammenarbeit von Kommunen, Bundesländern und dem Bund im öffentlichen Gesundheitswesen, um so eine Abwasserüberwachung in Deutschland aufzubauen, würde unsere Fähigkeit verbessern, nicht nur auf diese Pandemie zu reagieren, sondern auch auf zukünftige.

Weiterführende Literatur

[1]. Karthikeyan, S., Levy, J.I., De Hoff, P. et al. (2022) Wastewater sequencing reveals early cryptic SARS-CoV-2 variant transmission. Nature, https://doi.org/10.1038/s41586-022-05049-6

Mit dem Tool “Freyja” können neue SARSCoV2-Varianten frühzeitig und automatisiert in Abwasser nachgewiesen werden.

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Veröffentlicht von

Joe Dramiga ist Neurogenetiker und hat Biologie an der Universität Köln und am King’s College London studiert. In seiner Doktorarbeit beschäftigte er sich mit der Genexpression in einem Mausmodell für die Frontotemporale Demenz. Die Frontotemporale Demenz ist eine Erkrankung des Gehirns, die sowohl Ähnlichkeit mit Alzheimer als auch mit Parkinson hat. Kontakt: jdramiga [at] googlemail [dot] com

5 Kommentare

  1. Grundsätzlich gilt es sog. Single Points of Access anzugehen, dies ist sozusagen ein Organisationsprinzip, das bspw. auch beim allgemeinen Drogenmissbrauch aussagekräftiger sein könnte, beispielsweise beim Gebrauch von Kokain, als die medizinische Erfassung oder die Abfrage von Personen.

    Zur hier gemeinten Durchseuchung der hier gemeinten Hominiden rät Dr. W abär auch an wie folgt zu beachten :

    -> https://de.wikipedia.org/wiki/Mikroorganismus#Mikroorganismen_im_menschlichen_Körper (‘Etwa 1 Billiarde Mikroorganismen stehen 10–100 Billionen menschlichen Zellen gegenüber. Dies entspricht einer Gesamtmasse von 0,5 bis 1 kg Mikroorganismen.’)

    So dass mit derartigen Maßnahmen aus diesseitiger Sicht keinerlei Alarmismus angeleitet bis persistiert werden sollte.

    Mit freundlichen Grüßen
    Dr. Webbaer (der “Corona” nunmehr in der Omikron-Variante als global auftretend und als unabwendbar versteht, auch als minder schädlich)

  2. Abwasserproben sind in vielerlei Hinsicht äusserst informativ. Viren und Bakterien im Abwasser geben Auskunft über Infektionskrankheiten, Drogen (Kokain, Cannabis, MDMA, etc) im Abwasser zeigen die wöchentliche, saisonale und bestimmten Ereignissen folgende Zu- und Abnahme des Drogenkonsums. Auch der Medikamentenkonsum (Antidepressiva, Opioide, etc) lässt sich so überwachen.
    In vielen europäischen Städten gibt es schon routinemässige Abwasserkontrollen auf aktuelle Viren, Drogen und Medikamente.

    Auch soziodemographische Konsummuster lassen sich im Abwasser feststellen. In reicheren Vierteln einer typischen US- Stadt findet sich mehr Alkohol und Kaffee, in ärmeren mehr Antidepressiva und Opioide .

  3. “Die Abwasseranalyse ist ein hervorragendes Instrument für die Pandemiekontrolle”, sagte der Vorsitzende des Bundesverbands der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes, Johannes Nießen, der Funke-Mediengruppe. “Optimal wäre, wenn alle Kommunen mitmachen würden.” Je mehr Städte daran teilnehmen, desto präziser werde das Bild vom Infektionsgeschehen.”

    https://www.sueddeutsche.de/gesundheit/gesundheit-amtsaerzte-fordern-mehr-abwasser-analysen-auf-corona-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-220704-99-905860

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