Bienen werden durch Handystrahlung gekillt?

BLOG: Detritus

Gedanken, biologisch abgebaut
Detritus

Es kursieren ja seit kurzem wieder gewohnt überhypte Berichte über Bienen, die angeblich langfristig durch Handystrahlung getötet werden. Neben intensiver Landwirtschaft, einem Bienenvirus, hemmungsloser Überzüchtung, transgenen insektizidproduzierenden Ackerpflanzen und der Varroa-Milbe hätte man damit einen weiteren möglichen Schuldigen für das mysteriöse Bienensterben (colony collapse disorder, CCD) gefunden.

Ich habe mir gerade mal die Originalpublikation „Mobile phone-induced honeybee worker pipingvon Daniel Favre angesehen – meiner Meinung nach gibt sie nichts dergleichen her. Seine Ergebnisse sind zwar interessant, aber soweit ich das sehe, kann man die Ergebnisse bestenfalls vorläufig nennen, Favre bezeichnet seine Arbeit auch ausdrücklich als „Pilotstudie“. Ich bin aber kein Bienenexperte, und habe auch sonst keinen Plan von CCD. Mag also sein, dass da prinzipiell was dran sein könnte.

Favre hat für seine Untersuchung Handys auf die Bienenstöcke gelegt und diese sich dann gegenseitig anrufen lassen und eine Gesprächsverbindung hergestellt, über die französisches Radioprogramm gespielt wurde. Nach 25 bis 40 Minuten setzte dann ein Piepsgeräusch der Arbeiterbienen ein (worker piping), das normalerweise ein baldiges Ausschwärmen anzeigen soll, oder auch eine Reaktion auf Störung sein kann. Kontrollexperimente wurden mit abgeschalteten bzw. im Stand-by-Modus befindlichen Telefonen durchgeführt.

Favre

Ein Versuchsaufbau von Daniel Favre. Es ist der Bienenstock erkennbar, auf dem zwei Handys (5, 3) mit Headset und ein Mikrofon (2) und Aufnahmegerät (1) erkennbar sind. Rechts im Bild (4) ist das Radio, das für den „Gesprächsinhalt“ sorgt.

Es gibt einige Fragen, die mir zu der Studie einfallen:

  1. Es ist unklar, wie die recht hohen Strahlungsdosen durch Handys direkt im Bienenstock mit irgendeiner Situation im „echten Leben“ verglichen werden können. Ich meine, die gesetzlichen Strahlungsgrenzwerte gelten für Menschen, nicht für Bienen. Kann gut möglich sein, dass die Strahlungsbelastung direkt am Handy nicht gut für eine kleine Biene ist. Und da die Bienen schon eine gute halbe Stunde brauchten, um überhaupt zu reagieren, scheint eine starke Exposition über einen längeren Zeitraum nötig zu sein.
  2. Wer telefoniert in einem Bienenstock? Für eine halbe Stunde? Werden die Bienen überhaupt in freier Natur solch hohen Intensitäten von Mikrowellen ausgesetzt? Ist die Strahlung etwa unter einem Funkmast mit der in der Untersuchung vergleichbar? Keine Ahnung …
  3. Es ist bekannt, dass Handystrahlung wasserhaltiges Gewebe erwärmt („Wollmützeneffekt“) – wäre das nicht auch ein möglicher Störungsgrund?
  4. Das Paper bietet keinerlei Statistik. Es wird lediglich die Anzahl der jeweiligen Experimente angegeben. Quantitative Daten über die Dauer oder die Lautstärke der Stressgeräusche oder die Anzahl der piepsenden Bienen habe ich auch nicht gefunden. Ob die gemessenen Effekte signifikant waren, ist unklar.
  5. Auch die restlichen Daten sind recht mager. Man kann etwa nicht nachvollziehen, zu welchen Tageszeiten die Experimente liefen, ob die Kontrollexperimente also wirklich vergleichbar waren, etc. Solche Details über die einzelnen Experimente fehlen – man muss da wohl dem Autor glauben, dass die Effekte unabhängig von Temperatur, Wind, Niederschlag, atmosphärischem Druck und Dauer der Sonneneinstrahlung war. Aufgezeichnet wurde das alles, nur wird das nirgendwo wiedergegeben.
  6. Inwiefern ist das „worker piping“ für das mysteriöse CCD überhaupt relevant? Ein Maß für die „Fitness“ des bestrahlten Bienenstocks gab es nicht, ganz zu schweigen von anderen Auffälligkeiten wie toten Bienen. Tote Bienen wären ein schöner „harter Endpunkt“, bei Piepstönen muss man spekulieren, ob die überhaupt relevant sind.
  7. Mich würde interessieren, ob das Pieps-Signal auch durch andere Reize getriggert wird, etwa Regen oder Klopfen gegen den Bienenstock.
  8. Die Kontrollexperimente bräuchten eigentlich einen Faraday-Käfig, wie Favre zugibt, um Hintergrundstrahlung auszusperren.
  9. Korreliert die zugrundeliegende Hypothese, dass Strahlung von Handymasten ein Grund für CCD sein könnte, mit der Realität? Also gibt es mehr tote Bienenvölker in Gebieten mit höherer Handymastendichte?
  10. Es erhöht nicht gerade die Glaubwürdigkeit einer Publikation, wenn Zeitungsartikel und sonstige Berichte ohne peer-review zitiert werden. Auch, dass der Autor eine Yahoo-Mailadresse für die Korrespondenz angibt, ist irgendwie … komisch.

Das alles macht es mir schwer, das Ganze einzuordnen.

Mag sein, dass Bienen wirklich empfänglich für Magnetfelder und auch gepulste hochfrequente Strahlung sind – immerhin benutzen Bienen wohl Magnetit-Kristalle, um das Erdmagnetfeld zu detektieren. Das ist alles in allem nicht unplausibel.

Aber einen überzeugenden Hinweis auf die Relevanz von „Handystrahlung“ für massenhaft sterbende Bienenvölker sehe ich in dem vorliegenen Paper aber nicht. Das behauptet Favre aber auch gar nicht. Er fordert, das genauer zu untersuchen. Bis dahin, finde ich, sollte man besser skeptisch bleiben.

Auf jeden Fall ist das alles kein Grund, das allerorten als „Mobiltelefone sind für den Tod von Bienen verantwortlich“ breitzutreten.



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Das Paper

Favre, D. (2011) „Mobile phone-induced honeybee worker piping Apidologie. DOI: 10.1007/s13592-011-0016-x

Hat-tip an @Fischblog und @ennomane für den Hinweis auf die Geschichte.

Martin Ballaschk ist promovierter Biologe, aber an vielen anderen Naturwissenschaften interessiert. Das Blog dient ihm als Verdauungsorgan für seine Gedanken. Beruflich ist er als Wissenschaftskommunikator, hier rein privat unterwegs.

12 Kommentare

  1. Seit einigen Jahren arbeiten viele Imker mit Stockwaagen, die mit einem Handy ausgerüstet sind und per SMS dem Imker täglich Meldungen verschicken. Da sind sicher mittlerweile tausende Geräte im Einsatz. Mir ist nicht bekannt, dass solche Völker die auf diesen Waagen stehen erhöhte Sterblichkeitsraten hätten.
    Die These von der Schädlichkeit von Handystrahlung auf Bienen anhand von Gebieten mit höherer Handymastendichte überprüfen zu wollen, wird auch schwierig, da in urbanen Gebieten auch andere Faktoren, wie zum Beispiel die Belastung der Bienen mit Pflanzenschutzmitteln aus der Landwirtschaft ebenfalls geringer ist, oder gar nicht vorkommt. Jedenfalls gibt es im Rahmen der Untersuchung von CCD bis heute keine Vergleiche von ländlichen und urbanen Gebieten.

  2. Strahlung vs. Schall

    Warum wurde eigentlich das Radioprogramm abgespielt? Und waren die Handys auf lautlos geschaltet? Sonst könnten die Bienen ja auch durch die Geräusche gestört werden oder sind Bienen taub?

  3. Kritik am Paper

    Kritik die ins gleiche Horn stößt findet man auch beim Bug Girl: http://membracid.wordpress.com/…s-still-no-link/

    Wieso das Radioprogramm abgespielt wurde: Ich würde mal vermuten, dass man das macht, damit die Intensität der Strahlung in etwa jener von einem “echten” Telefonat entspricht?

  4. @Carl

    Das mit den Stockwaagen ist natürlich interessant.

    Dass eine Vielzahl an miteinander verbundenen Variablen von suburbanen und ländlichen Gebieten vorliegen, das ist klar. Das auseinanderzudividieren, stelle ich mir schwierig, aber nicht unmöglich vor. Ich weiß leider viel zu wenig über das Thema.

    @Simon
    Das dachte ich auch zuerst, aber es wurde wohl für jedes Handy ein kabelgebundenes Headset verwendet, über welche die Handys gesteuert wurden. Entsprechend haben die Geräte selbst auch keinen Krach gemacht.

    Ich habe einen lesenswerten Blogeintrag von „Bug Girl“ gefunden, die das Versuchssetup mit der Situation vergleicht, sich das Telefon an seine Hoden zu schnallen:

    This design is rather analogous to strapping cellphones to your scrotum. Sure you’ll get an effect–but is it a real one that the average scrotum owner needs to worry about?

    Hehe.

    In den Kommentaren meldet sich Paul Hutch, der offenbar Ahnung von Hochfrequenztechnik hat und kritisiert den Versuchsaufbau:

    Testing the effects of radio signals is NOT rocket science. In industry we have to do this all the time including the CE immunity testing done on most electronic products bearing the CE mark. You simply use calibrated signal generators feeding calibrated amplifiers driving calibrated directional antennas.

    This simple industry standard setup can be kept meters away from the hives eliminating the thermal, acoustic and other mechanical factors that may be introduced by placing electronics in and on hives. The audio recording can also be done from a distance using a parabolic or shotgun microphone. Any decent engineering/physics department should be able to help entomologists get this up and running in short order for a very low cost.

  5. Zusammenhang des Todes!!11

    Der konstruierte Zusammenhang, was das unter den realitätsfernen Bedingungen mit Bienensterben zu tun haben soll war ja schon mal ein großes Highlight.

    Auch wenn das Headset oben ist, springt das Display an, wurde das berücksichtigt? Warum nicht eine reine Strahlenquelle verwendet sondern Handys?

  6. Bienensterben

    Ich möchte hier nicht auf den Artikel eingehen, reiht er sich doch in eine Vielzahl von anekdotischen Experimentalansätzen, die versuchen das komplexe Phänomen Bienensterben an einem Faktor festzumachen. Übrigens werden Überwinterungsverluste von 10 % der Bienenvölker als etwas ganz normales angesehen. Stattdessen möchte ich auf einen Artikel über das deutsche Bienenmonitoring verweisen, der das Problem über mehrere Jahre verfolgte und durch die Menge erhobener Daten auch statistische Aussagen zulässt:
    http://www.apidologie.org/…03/m09161/m09161.html
    Als Risikofaktoren wurden hier in erster Linie der Befall mit der Milbe Varroa destructor ausgemacht, gefolgt von Virusinfektionen mit DWV und ABPV. Auch das Alter der Königin hatte einen signifikanten Einfluss auf die Überlebenswahrscheinlichkeit des Stockes und natürlich als Binsenweisheit die allgemeine Fitness des Stockes im Herbst. Für den in der Öffentlichkeit häufig diskutierten und auch verantwortlich gemachten Faktor der Pestizidbelastung von Pollen konnte hingegen kein Einfluss nachgewiesen werden.
    Es ist schon merkwürdig, dass so profunde, aber unspektakuläre Untersuchungsergebnisse kaum diskutiert werden, dafür aber solche z.B. über Mobilfunkstrahlung.

  7. …kurzes Update

    Update: Daniel Favre emailed us the following statement regarding his study:
    “Active mobile phone handsets have a dramatic impact on the behavior of the bees, namely by inducing the worker piping signal.In natural conditions, worker piping either announces the swarming process of the bee colony or is a signal of a disturbed bee colony. For future experiments, in complement to the present original study and in order to reach more ‘natural’ conditions, mobile phone apparatuses should be placed at various increasing distances away from the hives. We should ask ourselves, whether the plethora of mobile phone masts also have an impact on the behaviour of the honeybees. Among other factors such as the varroa mite and pesticides, signals from mobile phones and masts could be contributing to the decline of honeybees around the world. I am calling the international scientific community for more research in this field.”

  8. @fatmike:

    Ja, das ist der Text, den er auch überall in die Kommentare reinkippt. Zeigt aber, dass auch der Autor sich nicht zu einem „ich habe bewiesen: Handys töten Bienen“ herablässt, ganz anders als ein paar Medienstimmen und Blogs, die ich so ergoogelt habe.

  9. @Martin: privat e-mail ist kein Grund…

    Eine yahoo-Adresse ist in Frankreich ähnlich verbreitet wie eine gmx-Adresse in Deutschland. Wie’s in der Schweiz ist, weiß ich nicht. Jedenfalls: das sollte kein Grund sein, die Studie in die Kategorie “komisch” einzuordnen. Apidologie ist immerhin ein peer review journal und ist isi-gelistet.
    Ich find’s persönlich auch etwas unprofessionell, allerdings hab ich auch schon Fälle erlebt, in denen manche alma mater ihren Absolventen nach der Exmatrikulation mal eben die Mailadresse gekappt hat. Nicht gerade toll, wenn man eine @uni-blabla.de-Adresse auf dem Paper angegeben hat. Wenn man im web auffindbar ist – gut, geschenkt, dann ist das kein Problem. Ich hab aber etwas gebraucht, trotz Adressangabe im paper.

    Interessant finde ich, daß Favre in der Presse/im Web immer wieder als “ehemaliger Biologe” bezeichnet wird. Sein Fachgebiet ist medizinische Mikrobiologie, darin ist er laut seiner eignen Homepage “suma cum laude” promoviert worden. Wie kann er also “ehemaliger” Biologe sein? (Truely puzzled!) Einen “Schuster-Leisten”-Spruch ist auch nicht angebracht, gerade bei den Insekten gibt’s da genügen Hobbyisten, die Licht in so manchen Winkel bringen. Von Ornithologen mal ganz zu schweigen.

    Dennoch, Skeptizismus ist angebracht, der Hype ist grenzenlos. Ich würde das gern unter besser kontrollierten Bedingungen mit hohem N und vernünftigem statistischen Design sowie validen Nullpoben wiederholt sehen. Und sowas hätte Favre ja wohl auch gern, wenn ich das richtig lese.

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