• Von Dierk Haasis
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Weltgeschichte für Ästheten

BLOG: Con Text

Wörter brauchen Gesellschaft.
Con Text

Geschichte geht um die Welt, Geschichtsschreibung bleibt nationalistisch

Wir haben ein Problem. Immer noch. Es liegt in der Geschichte: Wir lernen sie falsch. Ausserhalb martialischer Comics und Filme langweilt sie viele Menschen. Das ist ein Problem. Nein, das sind bereits zwei Probleme. Eine Geschichte, die in Geschichten erzählt wird, egal wie locker sie mit den Fakten umgehen, erreicht gerade junge Menschen eher als eine, die faktisch korrekt, aber distanziert ist.

Ein drittes Problem, für mich das grösste von allen, ist die Vereinzelung der Geschichte. Oder positiver formuliert: die Konzentration auf nationale Geschichte. Nichts dagegen, die eigene Geschichte zu lernen. Wenn allerdings ein bürgerliches Narrativ des 19. Jahrhunderts immer noch dominiert, eines, das auf Nationalstaaten abhebt, das Geschichte teleologisch erzählt, entsteht ein schiefes Weltbild.

‚Globalisierung ist schuld am wachsenden Unmut der Menschen!‘

Nehmen wir Globalisierung. Sie wird als neu gesehen, und schon deswegen bedrohlich empfunden. Dabei ist die Ausbreitung des Menschen und seiner ökonomischen Verbindungen quasi der Kern der Geschichte. Als Art kommen wir aus Afrika und wanderten nach Asien, nach Europa, pazifische Inseln, Amerika. Nur wenige Gruppen verloren wirklich den Kontakt zueinander. Sie handeln miteinander, sie tauschen sich aus.

Die auffälligsten Relikte vergangener Zeit finden sich in den architektonischen Leistungen – Kathedralen, Pyramiden, Stadtanlagen, Verteidigungswälle.

Weltgeschichte vs. Globale Geschichte

Ich habe eine ganze Reihe von Büchern zu und über Architektur in meinem Regal stehen. Sie behandeln einzelne Aspekte, kulturell abgeschlossene Räume und Weltgeschichte. Letztere gleich zweimal:

Bücher: A Global History of Architecture und A World History of Architecture

Michael Fazio, Marian Moffett, Lawrence Wodehouse. A World History of Architecture. London, ²2009.

Francis D.K. Ching, Mark Jarzombek, Vikramditya Prakash. A Global History of Architecture. Hoboken/NJ, ³2017.

Beide bieten einen breiten Überblick über die Geschichte der Architektur von Amerika über Asien bis Europa – ein weites Feld. Doch es gibt Unterschiede und die sind gar nicht so klein. Obwohl beide Bücher nebeneinander gelegt nahezu dieselbe Dicke erreichen – Global ist nur um die Hardcover-Deckel höher -, bringt es World auf 592 Seiten, Global schafft mit 850 über 250 Seiten mehr. Die gedruckte Schrift ist dabei nahezu identisch gross.

Beispiel Doppelseite A World History of Architecture

Beispiel Doppelseite A Global History of Architecture

Bei den Bildern hat World die Nase vorn, sie sind meist grösser und schöner. Bei Grundrissen und Höhendarstellungen liegen beide Werke gleich, Global hat vielleicht mehr, das liegt allerdings auch am grösseren Umfang. Leider sind die Grundrisse in Global nicht immer sehr deutlich.

Wer sich vorwiegend für die Architektur der Moderne ab 1920 interessiert, sollte auf jeden Fall in spezielle Bücher über Architekten und Schulen dazu investieren. In den beiden hier besprochenen Werken gibt es dazu Kapitel, die gemessen an der hohen Produktivität der Moderne oberflächlich bleiben müssen. Historisch weiter zurückliegende Schulen/Epochen haben den Vorteil des Rückblicks, in dem Gemeinsamkeiten und Unterschiede deutlicher zu sehen sind. Je weiter zurück, desto weniger Bauten sind erhalten. Auch ein Vorteil.

Der deutlichste Unterschied zwischen World und Global zeigt sich im Inhaltsverzeichnis [Umfang ist etwa gleich]:

aus dem Inhaltsverzeichnis A World History of Architecture

aus dem Inhaltsverzeichnis A Global History of Architecture

World orientiert sich an klassischer Epocheneinteilung mit deutlich eurozentrischer Sicht, in das Kapitel über asiatische und amerikanische sowie islamische Architekturen eingeflochten sind. Die Autoren von Global werfen die klassische, europäische Einteilung komplett über Bord. Sie teilen die Geschichte in arbiträre Schritte, die sich an der Menge zu erzählendem Stoff orientieren1: 3500 vuZ -> 2500 vuZ -> 1500 vuZ -> 800 vuZ -> 400 vuZ -> 0 -> 200 nuZ dann bis 1700 nuZ in Abständen von 200 Jahren, danach 2x 100 Jahre, einmal 50.

Darunter geht es geografisch um die ganze Welt. Die Vorteile liegen auf der Hand. Der Fokus liegt nicht mehr auf der eingeschränkten Sicht einer europäischen Geschichtsschreibung, alle Kulturen werden gleichbehandelt. Das zeigt sich auch in den historischen Abhandlungen, mit denen die Autoren die Bauwerke umgeben und einordnen.

Damit bekommen die Leser nicht nur einen guten Einblick in historische Abläufe von Regionen, deren Geschichte sie bisher vermutlich noch nicht kannten. Es wird auch deutlich, wie stark der globale Austausch über Jahrtausende war – Waren, die aus dem fernen Osten nach Byzanz kamen und umgekehrt. Auch Handwerker und Gelehrte reisten um die Welt. Wusste Sie z.B., dass die Menschen, die in der Region Armenien siedelten, als Steinmetze und Architekten in ganz Europa gefragt waren?

Ein Buch, sie zu lernen

Menschen mögen Listen und Hierarchien. Sie möchten wissen, was ist das Beste. Manch eine:r Leser:in nutzt für die eigene Lektüreauswahl nur die SPIEGEL-Bestsellerliste, ohne zu merken, dass guter Verkauf nichts mit Güte zu tun haben muss. Andererseits kann ich gut verstehen, wenn jemand bei so umfangreichen, nicht unbedingt billigen, Büchern, wie den beiden hier angeschauten, gern wüsste, welches sich zu kaufen lohnt.

Die kurze Antwort: Beide.

Es kommt darauf an, wie tief Ihr Interesse für Architektur und Geschichte ist. Es kommt darauf an, wie weit Sie Ihre Sicht auf die Welt ändern wollen. Es kommt drauf an, ob Sie ein Buch für den Kaffeetisch wollen, in dem Sie gerne für die Bilder blättern und sich hin und wieder festlesen.

Die dritte Auflage von World liegt bei ca. € 35, Global 2 liegt bei über € 80. Beide lohnen sich, beide geben einen guten bis sehr guten Überblick über Architektur im Wandel der Zeit.

Notes:
1. vuZ = vor unserer Zeitrechnung, nuZ = nach unserer Zeitrechnung
2. Bitte nicht mit dem Standardwerk von Banister Fletcher verwechseln, das weit über € 300,– kostet.

Nach dem Abitur habe ich an der Universität Hamburg Anglistik, Amerikanistik, Soziologie und Philosophie studiert. Den Magister Artium machte ich 1992/93, danach arbeitete ich an meiner Promotion, die ich aus verschiedenen Gründen aufsteckte. Ich beschäftige mich meist mit drei Aspekten der Literatur: - soziologisch [Was erzählt uns der Text über die Gesellschaft] - technisch [Wie funktioniert so ein Text eigentlich] - praktisch [Wie bringen wir Bedeutung zum Leser] Aber auch theoretische Themen liegen mir nicht fern, z.B. die Frage, inwieweit literarische Texte außerhalb von Literatur- und Kunstgeschichte verständlich sein müssen. Oder simpler: Für wen schreiben Autoren eigentlich?