• Von Dierk Haasis
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Bildersturm

BLOG: Con Text

Wörter brauchen Gesellschaft.
Con Text

Oha, die stürzen unsere Denkmäler! Das darf nicht sein, das hat es noch nie gegeben!

So tönt es aus aller Ecken … Nein, nur aus denen ganz weit rechts, die eigentlich schon hinter der Ecke sind, sowie von älteren Herren und Damen, die es sich mit ihrem Deutschlandbild ganz gemütlich gemacht haben. Im wesentlichen dieselben, die meinen, der Islam gehöre nicht zu Deutschland, jeder, der gegen Nazis demonstriert, sei ein Antifaschist und das sei schliesslich ganz schlimm, und Feminismus höre da auf, wo Mann den jungen Mädchen nicht mehr unter den Minirock kucken dürfe. Ja, es sind die üblichen Verdächtigen.

Wir sind uns, auch ohne grössere Umfrage, ziemlich sicher, dass jene, die nun am lautesten gegen Bildersturm feuilletonisieren, auch geklatscht haben, als im Irak die Statuen Saddam Husseins gestürzt wurden. Oder die nicht schnell genug Karl-Marx-Büsten und Lenin-Denkmäler auf den Abfallhaufen der Geschichte werfen möchten. Sie würden auch gegen Stalins aus Beton und Bronze schimpfen, hätten die Russen sie nicht 1953/4 selbst ganz ordentlich entsorgt.

The liquidation of sculptures was so complete that not a single example has survived. So devastating was the destruction of the pagan world that it took a thousand years, until the 15th century, before interest in its existence was anything more than fleeting.1

Wissen Sie, wer hier heilige Skulpturen und Denkmäler zerstört hat? Tipp: Den Islam gab es noch Jahrhunderte nicht.

Richtig, es waren Christen, nachdem ihre Religion im Römischen Reich Staatsreligion wurde.2 Nicht so lang, nachdem dieser frühe christliche Bildersturm überstanden war, rissen

Ikonoklasten wieder Bilder und Statuen von den Wänden. Das waren Protestanten.Das Stürzen von Denkmälern, das Zerstören geschichtsträchtiger Bauten, das Verbrennen mittelmässiger Kunstwerke, die irgendeine Politik oder Ideologie feiern, ist weder aussergewöhnlich noch neu noch je vergessen worden. Es ist ähnlich wie mit Steuern oder Staatsausgaben – man ist nur dagegen, wenn es die Interessen der Anderen betrifft.

Zu Recht wurde auf das Argument, Denkmäler wären notwendige Punkte historischer Wissensaufbereitung, entgegnet, dass wir es in Deutschland nach 1945 durchaus geschafft hätten, über das Dritte Reich breit und tief zu lernen, ohne in jeder Stadt einen Adolf-Hitler-Platz und an jeder dritten Ecke ein Reinhard-Heydrich-Denkmal zu haben.

Geht es um koloniale Verbrecher, Völkermörder und Kriegsgewinnler, scheint die Sache anders auszusehen. Über Kolonialismus, seine zentrale Rolle für bürgerlichen Reichtum und die heute noch bestehenden Probleme in grossen Teilen Afrikas, Asiens und Südamerikas lernen wir offenbar, indem wir an Statuen von Carl Peters, Heinrich Schimmelmann oder Heinrich Wissmann vorbeischlendern. Es dürfen auch Gebäude- oder Strassennamen sein. Hauptsache man lernt.

Tut natürlich keiner. Der ein oder die andere hat vielleicht noch den Namen Carl Peters’ mal gehört. Mit ganz viel Glück gibt es eine Nicht[film]historikerin, die den Nazipropagandafilm mit Hans Albers gesehen hat. Ohne die aktuelle Diskussion, die aus den USA herüberschwappt3, würden Sie nicht einmal in die Wikipedia schauen, um zu sehen, wer die oben genannten Herren sind.

Die Bequemlinge, die sich jetzt aufregen, die alles lieber lassen wollen, wie es ist, die nicht einmal die Diskussion um die Denkmäler und ihre Vorbilder wollen, beschweren sich aber gern, wenn es um Erinnerungsbauten für Opfer geht. Sie machen das teils offen, weil sie es nicht mehr als Beleidigung empfinden ‘Nazi’ genannt zu werden. Andere schieben ästhetische Gründe vor, meinen aber dasselbe: Wir wollen nicht an die dunklen Seiten unserer Mütter und Grossväter erinnert werden.

Wir müssen über den Hintergrund und Nutzen der meisten Denkmäler, die wir haben, sprechen. Wir müssen erkennen, welche sinnvoll und zeitgemäss sind – gerade, wenn einige lautstark gegen sie schimpfen. Ich möchte Opfermonumente nicht missen. Andererseits brauche ich Täterbejubelungen wirklich nicht.

Notes:
1. Francis D.K. Ching, Mark Jarzombek, Vikramaditya Prakash. A Global History of Architecture. JohnWiley & Sons, Hoboken/NJ, ³2017. p. 259
2. Erst einmal offizielle Religion des gerade gestorbenen Kaisers.
3. Für alle, die es noch nicht wussten: Die Südstaaten-Offiziers-Denkmäler in den USA wurden Jahrzehnte nach dem Krieg von Nostalgikern aufgestellt, die sich nach den guten alten Zeiten sehnten, als Schwarz noch wussten, wo ihr Platz war.

Nach dem Abitur habe ich an der Universität Hamburg Anglistik, Amerikanistik, Soziologie und Philosophie studiert. Den Magister Artium machte ich 1992/93, danach arbeitete ich an meiner Promotion, die ich aus verschiedenen Gründen aufsteckte. Ich beschäftige mich meist mit drei Aspekten der Literatur: - soziologisch [Was erzählt uns der Text über die Gesellschaft] - technisch [Wie funktioniert so ein Text eigentlich] - praktisch [Wie bringen wir Bedeutung zum Leser] Aber auch theoretische Themen liegen mir nicht fern, z.B. die Frage, inwieweit literarische Texte außerhalb von Literatur- und Kunstgeschichte verständlich sein müssen. Oder simpler: Für wen schreiben Autoren eigentlich?