Der Mythos von der «unsichtbaren Hand» – Von Ethik, Anstand und staatlichen Rahmenbedingungen der Wirtschaft

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Grenzgänge in den heutigen Wissenschaften
Beobachtungen der Wissenschaft

Das schweizerische Pharmaunternehmen Lonza macht dieser Tage Schlagzeilen: Dort stellte man 2017 fest, dass seine Fabrik in Visp im Kanton Wallis jahrzehntelang immense Mengen an Lachgas (Distickstoffmonoxid) emittiert hat. Dieses hat einen Treibhauseffekt von etwa 600’000 Tonnen Kohledioxid pro Jahr (der Treibhauseffekt von Lachgas ist 300 -mal so stark wie der von CO2), über ein Prozent der gesamten Klimagasemissionen der Schweiz, und das aus einer einzelnen Fabrik! Ein global führender Chemiekonzern, der sich in den letzten Jahren gerne als Vorreiter einer grünen Industrie präsentiert, hat also jahrelang nicht bemerkt, dass er Hunderttausende CO2-äquivalente Extra-Tonnen Klimagas in die Luft bläst. Man würde nach dieser Peinlichkeit denken, dass Lonza daraufhin doch die Emissionen schnell stoppt. Möglich wäre das durch den Einbau eines Katalysators, der das Lachgas in Stickstoff und Sauerstoff umwandelt, es also buchstäblich in Luft auflöst. Pustekuchen. Stattdessen entschied sich der Konzern zu einem Katz-und-Maus-Spiel mit den schweizerischen Behörden, wie Recherchen des schweizerischen Tagesanzeigers aufgezeigt haben. Dabei ging es um die Finanzierung der Katalysator-Anlage, die 12 Millionen Schweizer Franken kostet, ein läppischer Betrag für eine Firma, die im Jahr 2019 fast sechs Milliarden Umsatze und weit über eine Milliarde Franken Gewinn verbuchte. Lonza verlangt nicht nur, dass der schweizerische Staat die 12 Millionen Franken Kosten übernimmt. Denn auf einmal rochen die Manager Geld. Sie forderten, dass der der Bau des Katalysators vom Bund als CO2-Kompensationsprojekt anerkannt wird. Jede Tonne CO2-Reduktion (oder das Äquivalent dazu) können der Firma 95 Franken einbringen. Auf einmal winken der Firma also Dutzende Millionen Franken Extra-Gewinne anstatt nur die Übernahme der 12 Millionen Kosten durch den Staat. In all der Zeit der Verhandlungen (unterdessen sind mehr als drei Jahre vergangen, seit die Firma die Lachgas-Emission entdeckt hat) pustet die Firma Mengen an Klimagas in die Luft, obwohl es so einfach wäre, dieses zu verhindern. Die Öffentlichkeit und die Lonza-Aktionäre wurden über diesen Ausstoss erst zwei Jahre später informiert, und der Katalysator wird voraussichtlich erst im Frühjahr 2022 eingebaut. Die Firma ist kostenmässig dagegen längst aus dem Schneider.

Aus solchen Beispielen wird deutlich, dass das 1776 von Adam Smith eingeführte Konzept der „unsichtbaren Hand“ in der Realität kaum auf die Weise wirkt, wie sich das die Ökonomen in ihren Modellen gerne vorstellen (es ist umstritten, ob Smith selbst mit diesem Ausdruck gemeint hat, dass, wenn alle Akteure an ihrem eigenen Wohl orientiert sind, eine Selbstregulierung des Wirtschaftslebens zu einer optimalen Produktionsmenge und -qualität und zu einer gerechten Verteilung führt. Aber so ging diese Metapher in die Wirtschaftslehre ein). Ein bedeutender Aspekt, der verhindert, dass ein unbedingter, reiner marktwirtschaftlicher Wettbewerb zu gesellschaftlich akzeptablen Zuständen führt, ist, dass Kosten externalisiert werden. So ist der Ausstoss von Treibhausgasen wie CO2 oder Lachgas nach wie vor mit sehr geringen Kosten für die Verursacher verbunden; die realen Kosten werden weitestgehend in die Zukunft verbucht – und dann von allen bezahlt. Es ist, als würde man Müll aus dem Autofenster werfen. Dies ist für einen selbst die am wenigsten aufwendige und damit kostengünstigste Form der Entsorgung. Dass die Allgemeinheit mit dem Müll belastet wird, beziehungsweise für seine Entsorgung zahlen muss, wird nicht berücksichtigt. Es ist das bekannte Problem der „Tragik der Allmende“, das bereits Aristoteles in seinem Werk „Die Politik“ beschrieben hat: „Dem Gut, das der grössten Zahl gemeinsam ist, wird die geringste Fürsorge zuteil“. Die Marktdynamik bietet keinen Mechanismus, der dieses nur allzu menschliche Verhalten verhindern würde. Die unter Kostendruck stehenden Unternehmen könnten sich den Wettbewerbsnachteil nicht leisten, wenn sie freiwillig den tatsächlichen Preis für Produktion, Nutzung, Nebenkosten und Entsorgung ihrer Produkte kosten, wenn dies ihre Konkurrenten nicht tun.

Konkrete Berechnungen von global externalisierten Klimakosten kommen auf sehr grosse Zahlen:

  • Der Internationale Währungsfonds IWF bezifferte 2013 die externalisierten, also nicht im Preis berücksichtigten Kosten der fossilen Energieerzeugung auf ca. 4,9 Billionen US-Dollar pro Jahr. Das sind etwa 5,8 Prozent des globalen Bruttoinlandproduktes.
  • Nicholas Stern, Leiter des volkswirtschaftlichen Dienstes der britischen Regierung und ehemaliger Weltbank-Chefökonom, schätzte 2006 die direkten jährlichen Kosten für Klimaschäden ebenfalls auf 5 Prozent des globalen BIP. Bei Berücksichtigung der Kosten, die darüber hinaus durch die Belastung von Umwelt und Gesundheit entstehen, kommt Stern sogar auf ca. 17 Billionen US-Dollar, also auf 20 Prozent des globalen BIP. Umgerechnet auf die ca. 37 Milliarden Tonnen CO2-Emissionen, die im Jahr 2019 emittiert wurden, sind das für jede Tonne emittierten Kohlendioxid Schadenskosten von ca. 450 Dollar.

Kann man den Firmen einen Vorwurf machen, die in einem enormen wirtschaftlichen Wettbewerb stehen, nicht nur um Kosten und Kunden, sondern auch um Investoren und Aktionäre? Die Maxime der «shareholder value»-Optimierung aus den späten 1980er Jahren besagt, dass es nicht reicht nur wettbewerbsfähig zu sein, sondern dass auch der Firmenwert so weit wie möglich gesteigert werden muss. Da stören externe Auflagen natürlich nur. Wirtschaftsethiker stellen genau dieses Paradigma immer mehr in Frage und fordern stattdessen ein ethisches Fundament des wirtschaftlichen Schaffens, z.B. in Form einer Sinngebung, die über die Gewinnmaximierung hinausgeht. Diese könnte darin liegen, den Zweck der Firma für die Gesellschaft klarer zu definieren.

Beispiel für ethisches Fehlverhalten von Firmen gibt es jenseits von Lonza viele. Ein besonders eklatantes gibt uns die schweizerische Firma Glencore, die in den letzten Jahren immer wieder durch Skandale auf sich aufmerksam gemacht hat. Korruptionsvorwürfe, Verstösse gegen Umweltauflagen, Ausbeutung von Land und Bevölkerung in Drittwelt-Staaten, umstrittene Geschäfte zum Beispiel im Kongo und in Venezuela, die Untersuchungen der US-Justiz und kanadischer Behörden nach sich gezogen haben, Klagen von Aktionären wegen missbräuchlicher Geschäftsführung – die Liste der Klagen, die gegen diese Firma vorgebracht werden, ist lang. Und dennoch gedeiht die Firma prächtig, zu ihrem unredlichen Management gehören zahlreiche der reichsten Schweizer. „Ich bin Geschäftsmann, kein Politiker“, sagte ihr Chef einmal und rechtfertigte diese Aussage damit, dass es völlig in Ordnung sei, Geschäfte mit korrupten, gewalttätigen und rassistischen Regierungen zu tätigen und gegen Umweltauflagen zu verstossen.

Es gibt keine „unsichtbare Hand“, die ganz von allein die Dinge zum Besseren wendet. Der Ansatz, die Politik solle die Dinge einfach laufen lassen, um ein für alle Menschen bestmögliches Ergebnis zu bekommen, ist grundverkehrt. Denn ethisches Fehlverhalten wird vom Markt nicht zureichend abgestraft. Solange bedeutende Firmen wie Glencore und Lonza, oder auch Exxon und Koch Industries sich selbst keine Grenzen setzen und lieber dem eigenen Gewinnstreben auf Kosten des Gemeinwohls dienen, müssen diese Grenzen von aussen gesetzt werden. Dies ist in erster Linie die Rolle der Politik. Konsumenten und Aktionäre können zwar gewisse Zeichen setzen, doch eine sichere und dauerhafte Änderung dieser Missstände kann allein der Gesetzgeber erreichen. Dass dies möglich ist, zeigen die folgenden Beispiele:

  • In der Pharmabranche gelten in der meisten Ländern der Welt strenge Verfahren bei der Zulassung neuer Medikamente. Sie gewährleisten, dass Unternehmensinteressen nicht zu übergrossen Risiken für die Gesellschaft führen. In Deutschland hat nicht zuletzt der Contergan-Skandal Anfang der Sechzigerjahre Politik und Bürger für das Thema sensibilisiert.
  • Bei der Kernenergie gibt es klare staatliche Auflagen, was Sicherheit und Entsorgung angeht. KKWs unterstehen daher strengen Auflagen.
  • Nach vielen Jahren hat die amerikanische Justiz endlich gegen die jahrzehntelangen unsäglichen Lügen der Tabakindustrie bzgl.- der gesundheitlichen Schäden ihrer Produkte durchgegriffen und sie zur Zahlung von Hunderten von Milliarden Dollar verurteilt.

In der Schweiz gibt es am 29. November 2020 eine Volksabstimmung, die fordert, schweizerischen Firmen in die volle Verantwortung zu nehmen, wenn es um Verletzungen von gesetzlichen Auflagen im Ausland geht. Firmen sollen sich dann im Ausland an die gesetzlichen Regeln halten, ganz so, wie sie es auch im Inland tun müssen. Eine Selbstverständlichkeit sollte man denken. Aber genau darüber tobt zurzeit eine heftige politische Schlacht in der Schweiz, in der die Wirtschaft über den Verlust ihrer Wettbewerbsfähigkeit jammert. Bezeichnender geht es nicht.

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www.larsjaeger.ch

Jahrgang 1969 habe ich in den 1990er Jahren Physik und Philosophie an der Universität Bonn und der École Polytechnique in Paris studiert, bevor ich am Max-Planck-Institut für Physik komplexer Systeme in Dresden im Bereich theoretischer Physik promoviert und dort auch im Rahmen von Post-Doc-Studien weiter auf dem Gebiet der nichtlinearen Dynamik geforscht habe. Vorher hatte ich auch auf dem Gebiet der Quantenfeldtheorien und Teilchenphysik gearbeitet. Unterdessen lebe ich seit nahezu 20 Jahren in der Schweiz. Seit zahlreichen Jahren beschäftigte ich mich mit Grenzfragen der modernen (sowie historischen) Wissenschaften. In meinen Büchern, Blogs und Artikeln konzentriere ich mich auf die Themen Naturwissenschaft, Philosophie und Spiritualität, insbesondere auf die Geschichte der Naturwissenschaft, ihrem Verhältnis zu spirituellen Traditionen und ihrem Einfluss auf die moderne Gesellschaft. In der Vergangenheit habe ich zudem zu Investment-Themen (Alternative Investments) geschrieben. Meine beiden Bücher „Naturwissenschaft: Eine Biographie“ und „Wissenschaft und Spiritualität“ erschienen im Springer Spektrum Verlag 2015 und 2016. Meinen Blog führe ich seit 2014 auch unter www.larsjaeger.ch.

14 Kommentare

  1. Auch das Tetraethylblei wurde erst mit 30 Jahren Verzögerung verboten, obwohl es auch schon davor andere Antiklopfmittel gab, und obwohl auch schon davor die Giftigkeit von Tetraethylblei bekannt war.
    Ein strahlendes Beispiel der freien Marktwirtschaft war auch Martin Shkreli mit seinen Wucherpreisen für Medikamente, und für seine aktive Monopolbildung.

  2. Ich sage es ja inzwischen seit einer kleinen Ewigkeit immer wieder:

    Die URSACHE aller Probleme unseres imperialistisch-faschistischen “Zusammenlebens” im zeitgeistlich-reformistischen Kreislauf der stets gleichbleibenden bewusstseinsschwachen Hierarchien, ist der nun “freiheitliche” WETTBEWERB und seine Symptomatik in “gesundem” Konkurrenzdenken.

  3. Nur nicht aufregen. So funktioniert der Kapitalismus nun einmal. Wir wählen ihn, wir lassen ihn gewähren, wir müssen unter den Folgen leiden.

  4. “Aber genau darüber tobt zurzeit eine heftige politische Schlacht in der Schweiz, in der die Wirtschaft über den Verlust ihrer Wettbewerbsfähigkeit jammert. Bezeichnender geht es nicht.”

    Doch, denn seit Corona ist das “unternehmerische Risiko” noch weiter in den Hintergrund gerückt, für die “Rettung der Wirtschaft”, die seit China … so oder so nicht zu retten ist – spätestens wenn es um die Rückzahlung der Kredite geht, wo die “politischen Strategen” das bisherige “Monopoly” aus Zahlungsunfähigkeit/Zahlungsunwilligkeit in ein “Mensch ärgere dich nicht” umwandeln, wird sich das …!!!

  5. @ Lars Jäger

    Aus solchen Beispielen wird deutlich, dass das 1776 von Adam Smith eingeführte Konzept der „unsichtbaren Hand“ in der Realität kaum auf die Weise wirkt, wie sich das der englische Nationalökonom vorgestellt hat.

    Für mich wird aus Deinem Artikel vor allem deutlich, dass Du “Wealth of Nations” von Adam Smith nicht gelesen hast. Korrekt? 😉

    Es gibt zwei Ökonomen, die fast niemand gelesen und deren vermeintliche Hauptgedanken von fast allen missverstanden werden. Der eine ist Ludwig Erhard mit seinem Konzept der Sozialen Marktwirtschaft, der andere ist Adam Smith mit der vielzitierten Unsichtbaren Hand.

    Nur … dass es dieses Konzept bei Adam Smith so gar nicht gibt. Die “unsichtbare Hand” ist bei ihm bestenfalls eine Randnotiz. Hier wird die Literaturlage ganz gut zusammengefasst:
    https://en.wikipedia.org/wiki/Invisible_hand#Adam_Smith

    Was man mit “unsichtbarer Hand” heute(!) meint, ist eher, dass Anbieter und Nachfrager ihr Marktverhalten unter Beachtung gesellschaftlicher Rahmenbedingungen durch gegenseitige Beobachtung so verändern, dass sich ein erstrebenswerter Zustand ergibt. Beispiel: Der Staat hat nirgendwo angeordnet, dass es Wissenschaftszeitschriften gibt. Dennoch wird Spektrum publiziert. Ist das also ein Wunder? Nein. Man kann die Publikation metaphorisch durch die “unsichtbare Hand” des Marktes erklären.

    Die von Dir beschriebene Situation in der Schweiz hat damit nichts zu tun und mit Adam Smith schon gar nichts. 🙂

    • @Tim und Lars Jäger:

      Korrekt gesehen und zum Glück klar angesprochen:

      Nur Menschen die ‘Wohlstand der Nationen’ NICHT gelesen haben packen die unsichtbare Hand als Strohmann-Argument gegen die Ordnungskräfte des freien Marktes aus. Aber so blutleer ist die heutige “intellektuelle” Kapitalismuskritik nun mal…

      Was kaum einer von o.g. Personen anspricht:
      Smiths ‘Wohlstand der Nationen’ ist nur Teil 2 seiner Ausführungen zu Marktwirtschaft, Freihandel und Gesellschaft. Das weit wichtige Werk ist Adam Smiths ‘Theorie der moralischen Gefühle’!
      Herr Jäger und andere Kapitalismuskritiker mögen mir – bis heute – auch nur ein anderes Ökonomiebuch zeigen, in dem die Bibel und ihre hohen moralischen Prinzipien (Z.B. Anstand/ Respekt/ Fairness ggü. Handelspartnern und Arbeitnehmern, sowie dauernde Appelle an gerechte Entlohnung etc.) so häufig vorkommen wie in der ‘Theorie der moralischen Gefühle’.

      Dass man Smith so verunglimpft liegt daran, dass man ‘TdmG’ nicht gelesen hat, von dem Smith selbst sagte, dass dieses Buch die moralische Grundlage für ‘WdN’ legt.
      Wenn man also nicht wahrhaben will, dass Adam Smith an christliche Nächstenliebe in der Marktwirtschaft als moralische Grundlage appellierte, und stattdessen lieber Smith-bashing und Marktwirtschafts-Pseudokritik a la mediale Empörungskultur des 21. Jh. betreiben will, dann ist man bei Herrn Jägers Artikel gut aufgehoben.

      • Sie haben ja recht. Adam Smith beschreibt die unsichtbare Hand tatsächlich nicht ganz in dem Zusammenhang, in dem sie heute so oft vewendet wird (und doch, ich habe The Wealth of Nations tatsächlich gelesen). Doch (leider) wird die “unsichtbare Hand” heute (und das geht u.a. auch auf P. Samuelson zurück) aber genau in dem erwährnten Zusammenhang erwähnt. Aber all das tut weng zur Sache in dieser Diskussion. Es geht ja gar nicht um A. Smith…Ihr Kommentar dient eher der Ablenkung…

        • @Lars Jäger:

          Meine Antwort ist nicht im entferntesten so sehr Ablenkung, wie ihr halbherziges Eingeständnis, dass sie eine historische Quelle bewusst falsch eingesetzt haben, um einen emotional gerichteten Masseneffekt zu erzielen.
          Ihre Argumentation GEGEN eine von Ihnen als ungerecht/ ausbeuterisch empfundene Spielart des Kapitalismus (nennen wir ihn ruhig gerne den ‘Asozialen Kapitalismus’) fußt doch auf einer Fehlanwendung von Smiths Ideen zur Marktregelung und einer logisch-historischen Fehlübertragung derselben, und zwar so:

          Feststellung 1: Im Kapitalismus existiert heute Ungerechtigkeit. Teile des Kapitalismus sind asozial.
          – – – – – – – – – –
          Hypothese 1: Die Ungerechtigkeit existiert, weil wenig bis keine Verantwortung von einem Großteil der Marktteilnehmer übernommen wird.
          Hypothese 2: Die heutigen Marktteilnehmer übernehmen keine Verantwortung, weil diese Art zu wirtschaften systeminhärent ist.
          Hypothese 3: Adam Smiths ‘Wohlstand der Nationen’ hat das westliche Kapitalismussystem im Kern geprägt.
          Hypothese 4: Weil Adam Smith die Theorie der unsichtbaren Hand propagierte, kamen Menschen auf die Idee, man könne guten Gewissens Verantwortung beim Wirtschaften an einen imaginären ‘boogie-man’ abdrücken.
          – – – – – – – – – –
          Schlussfolgerung: Siehe Feststellung 1.

          Man könnte ja hämisch sein und sagen “Erwischt Herr Jäger.”, wenn man hämisch sein wollte. Das liegt mir fern.

          Wenn Kapitalismuskritik, dann bitte sachlich, unter sauberer Verwendung der Quellen, mit entsprechender historisch angemessener Kontextualisierung derselben!
          Und btw: Samuelson als GLOBALEN Kritiker des Kapitalismus anzuführen – und das in einem mehr schlecht als recht angegebenen Pseudo-Zitat nach dem Motto “Ich weiß noch was, ich kenn’ noch wen!” – und nicht als Kritiker des US-AMERIKANISCHEN Systems ist des Übels zweiter Streich.

          Was waren die Standards von Spektrum.de nochmal: Wissenschaftlichkeit dachte ich, oder nicht?

        • @ Lars Jaeger

          Aber all das tut weng zur Sache in dieser Diskussion.

          In einer wissenschaftlichen Publikation sollten zumindest die Fakten stimmen, darum darf man auf Fehler ruhig auch hinweisen.

          Vor allem, wenn durch den Artikel eine heute sehr typische kapitalismuskritische Haltung mäandert, die in diesem Satz kulminiert:

          Der Ansatz, die Politik solle die Dinge einfach laufen lassen, um ein für alle Menschen bestmögliches Ergebnis zu bekommen, ist grundverkehrt.

          Hier wird ein Strohmann aufgebaut. Niemand, wirklich niemand fordert heute, die Politik solle “die Dinge einfach laufen lassen”. Es gibt nirgendwo auf der Welt Laissez-faire-Kapitalismus und gab ihn eigentlich auch niemals.

  6. Beispiel für ethisches Fehlverhalten von Firmen gibt es jenseits von Lonza viele.

    Klar. Aber zeigt nicht auch der Staat Deutschland ethisches Fehlverhalten, wenn er im Jahr 2020 das neue Kohlekraftwerk Datteln 4 ermöglicht. Oder ist diese Entscheidung allein Uniper anzulasten, der Firma, die es baut?
    Und wie steht es mit Waffenexporten:

    Die Bundesregierung hat seit Anfang 2019 Rüstungsexporte für mehr als eine Milliarde Euro an Länder genehmigt, die am Jemen-Krieg beteiligt sind. Damit befeuere sie den seit fünf Jahren andauernden Krieg, sagen Kritiker.

    Gilt nicht auch hier: (Zitat): die realen Kosten werden weitestgehend in die Zukunft verbucht und derjenige, der das macht ist teilweise der Staat selber.

    Denn es ist nun so: Der Staat setzt die Rahmenbedingungen. Was in Deutschland oder der Schweiz erlaubt ist, das wird vom Staat festgelegt. Der Staat bestimmt ob Waffenexporte in Kriegsgebiete erlaubt sind, ob Kohlekraftwerke gebaut werden können und sehr vieles mehr.
    Wenn sie schreiben:

    So ist der Ausstoss von Treibhausgasen wie CO2 oder Lachgas nach wie vor mit sehr geringen Kosten für die Verursacher verbunden;

    so haben sie absolut recht. Doch es sind die Staaten, die das billig machen oder die fossile Energien sogar subventionieren.

    Firmen müssen tatsächlich vor allem Gewinn machen, denn andernfalls droht ihnen die Schliessung. Die Schweiz aber oder Deutschland muss nicht unbedingt Gewinn machen. Wir müssen nicht in die Hände spucken um das Bruttosozialprodukt zu erhöhen, Wir tun es aber. Denn mehr Wohlstand, der von den Firmen erwirtschaftet wird bedeutet ja auch mehr Pflege und ein höheres Rentenniveau. Im Konfliktfall entscheiden sich fast alle Stimmbürger für mehr Wohlfahrt selbst wenn das auf Kosten anderer (die vielleicht in anderen Ländern leben) geht.
    Und wenn es darum geht ob VW, BMW, Mercedes und die anderen deutschen Autofirmen eine gute Zukunft haben sollen oder ob sie wegen Fehlverhalten so stark abgestraft werden sollen, dass ihre Zukunft bedroht ist, dann entscheiden sich die meisten Staatsbürger aus verständlichen Gründen wiederum fürs Erste.

  7. So ist es, die “unsichtbare Hand” ist decodiert als Wechselwirkung zwischen der komplementären Kooperation ( z.B. Tausch, Teilen, Ziel und Zweck zwischen Angebot und Nachfrage) und Konkurrenz ( z.B. Wirkung auf den Preis), sowie der Entscheidungstheorie.

    Es ist die Frage, wer (u.a. Rolle/Funktion) entscheidet warum wie womit und wofür bzw. wogegen.

    In einer immer volleren, enger werdenden und gestörten Welt lernen wir endlich mal den intrinsichen Wert der Natur kennen und schätzen.
    Not ist doch ein guter Lehrmeister.

  8. Neben den Schwierigkeiten der Externalisierung von Kosten zeigt die Aufhängergeschichte auch die Schwierigkeit der Regulierung. Die Firma hofft darauf, dass der Staat die Investitionskosten übernimmt und man kann davon ausgehen, dass diese Hoffnung nicht vollkommen unbegründet ist. Regulierung kann also auch massive Fehlanreize setzen, wie man an diesem Beispiel sehen kann. Es muss also nicht nur irgendeine Regulierung her, sondern die richtige. Das Schwierige ist dann nur festzustellen, welche das ist und diese auch durchzusetzen, in einer Welt in der die Unternehmen global konkurrieren, aber die Regulierung regional ist und staatliche Akteure dementsprechend begrenzten Einfluss haben.

  9. Das unendliche Thema Wirtschaft und Moral.
    Interessanterweise, oder sollte man sagen pikanterweise, hat das BIT (Bureau International du Travail) seinen Sitz in Genf. Diese Organisation der UNO unterstützt die Entwicklungsländer . Wer und wieviel Geld ein Land bekommt, das hängt von den Daten ab, die ein Entwicklungsland veröffentlicht. Die haben immer zwei Bilanzen vorrätig. Eine mit schwarzen Zahlen, wenn der Präsident wiedergewählt werden möchte, und eine Bilanz mit roten Zahlen, wenn man sich Beihilfen von der UNO erbittet.
    Beide Bilanzen haben ihre Berechtigung und man kann auch nicht sicher sagen, welche stimmt.
    Die Schweizer Firmen machen nichts anderes wenn es um die Bewertung von CO² geht. Die Deutschen machen auch nichts anderes wenn es um die Bewertung des Braunkohletagebaus geht.
    Es ist ein schmaler Grat zwischen dem Allgemeinwohl und dem Wohl einer Kapitalgesellschaft.

    hto, dieses Problem werden Sie nicht lösen .

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