Auslöschung ganzer Spezies – Was mit Gene Drive und CRISPR möglich wird

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Grenzgänge in den heutigen Wissenschaften
Beobachtungen der Wissenschaft

Die genetische Veränderung nicht nur der Eigenschaften von Individuen, sondern die dauerhafte genetische Manipulation ganzer Populationen ist einer der grössten Träume – oder je nach Lesart Albträume – der Genforscher. Die Auswirkungen wären enorm:  So könnten beispielsweise Insekten wie Tsetsefliegen oder Moskitos über ihre gesamte Spezies hinweg so verändert werden, dass sie gegen die beim Menschen krankheitsauslösenden Parasiten immun sind und diese somit nicht mehr übertragen können.

Lassen sich die Gene einzelner Lebewesen heute mit Hilfe verschiedener Methoden verhältnismässig leicht verändern, so existierte lange eine fundamentale Barriere, bestimmte Gene gezielt in einer gesamten Population durchzusetzen. Denn nach der klassischen Genetik wird bei (sich sexuell vermehrenden) Lebewesen mal das Merkmal der Mutter, mal das vom Vater, manchmal sogar das eines Grosselternteils vererbt. Es ist also reine Glückssache, ob sich eine gewünschte Mutation – ob zufällig entstanden oder mit Absicht erzeugt – auf die nächste Generation überträgt oder nicht. Um die Schlafkrankheit beim Menschen einzudämmen reicht es also nicht, ein paar genmanipulierte Tsetse-Fliegen, die immun gegen die Erreger sind, in der Nähe von Siedlungen freizusetzen. Es bräuchte eine sehr, sehr grosse Zahl an Insekten, um eine ganze (wilde) Population weniger gefährlich zu machen. Das ist in der Praxis zumeist unmöglich.

Seit 15 Jahren kennen die Wissenschaftler allerdings eine Art Turbo für die Vererbung veränderter Gene, sodass diese mit grösserer Wahrscheinlichkeit als üblich an die Nachkommen weitergegeben werden. Die Biologen sprechen von „Gene Drive“ („genetischer Antrieb“). Gene Drive kommt auch in der Natur vor, wenn bestimmte Gene molekulare Mechanismen nutzen, um dem Zufall auf die Sprünge zu helfen und höhere Transmissionsraten zu erzielen. Allerdings geschieht dies unkontrolliert und zu unbestimmten Zeitpunkten. Im Jahr 2003 entwickelte der Biochemiker Austin Burt die Idee, diesen Vererbungsturbo künstlich herzustellen. Das Ziel ist, den natürlichen Wert der erblichen Übertragung von veränderten Genen von ca. 50 Prozent näher an 100 Prozent zu bringen.

Bis vor ca. fünf Jahren waren die Anwendungen des Gene Drives jedoch sehr limitiert, da die genetischen Matrizen für das Aufspalten der DNA an der gewünschten Stelle (die so genannten Endonukleasen) der gewünschten Sequenz auf der DNA entsprechen müssen. Diese Flexibilität hatte man mit den verfügbaren Endonukleasen nicht. Mit der Entdeckung des Geneditierverfahrens CRISPR im Jahr 2012 änderte sich dies schlagartig.  „CRISPR“ steht für „clustered regularly interspaced short palindromic repeats“ und beschreibt bestimmte Abschnitte sich wiederholender DNA-Stücke im Erbgut von Bakterien. Zu diesen DNA-Stücken wird die Endonuklease „Cas9“ hinzugefügt (es gibt auch noch zahlreiche weitere ähnliche Mechanismen mit anderen Enzymen). Der zusammengesetzte Komplex aus beiden ist für die Gentechniker besonders interessant, weil er wie Legobaustein-Finder und Schere zugleich funktioniert: Die Geningenieure bestücken den CRISPR/Cas9-Enzymkomplex mit einer Sequenz, die genau komplementär zu der gewünschten DNA-Zielsequenz ist. Dieser Gesamt-Komplex findet dann die gewünschte Zielsequenz in der DNA und schneidet diese genau dort auf. Damit ist für jede Stelle an der DNA eine geeignete Endonuklease gefunden, womit sich an jeder beliebigen Stelle eine neue Gensequenz einbauen oder eine alte ersatzlos entfernen lässt.

Mit CRISPR eröffnet sich damit ein Weg, einen Gene Drive-Mechanismus zu installieren, so dass mit nur einigen Dutzend oder ein paar hundert manipulierten und dann freigelassenen Tieren eine gewünschte genetische Änderung in eine ganze Population eingebracht werden kann. Dazu werden in der DNA der Spermien oder Eizellen nicht nur gezielt Genabschnitte verändert, sondern der passende CRISPR/Cas9-Komplex gleich mit in das Genom eingebaut. Sobald eine Befruchtung stattgefunden hat und sich die beiden haploiden homologen Chromosomenstränge (das manipulierte und das „wilde“) aneinanderfügen, zerschneidet CRISPR/Cas9 an der entsprechendem Stelle in der DNA der Wildform. Intakt übrig bleibt der genetisch modifizierte Strang, der nun als Vorlage für den zerschnittenen DNA-Strang dient: Um die entstandene Lücke zu füllen, kopiert der Reparaturmechanismus der Zelle einfach das manipulierte Gen mitsamt der CRISPR/Cas9 Sequenz auf das zerschnittene Chromosom. Damit tragen nun beide Chromosomenstränge die genetische Veränderung. Wie bei einem Schneeballsystem wird diese dann bei jeder neuen Generation dupliziert und an alle Nachkommen weitergegeben. Jedes Mal, wenn eine andere Genvariante bei der Befruchtung dazukommt, wird sie entfernt und durch die Kopie des veränderten Gens ersetzt. CISPR/Cas9 gibt den Biotechnologen also das entscheidende Werkzeugt, um mit Gene-Drives ganze Populationen schnell und dauerhaft zu verändern.

Die möglichen Anwendungen sind unbeschreiblich aufregend. Für jedes Problem liesse sich eine massgeschneiderte Gene-Drive-Lösung basteln, die Erreger unschädlich werden lässt oder Pflanzen dauerhaft gewisse Eigenschaften verleiht. Wissenschaftler sprechen schon von „sculpting evolution“, also von der „Formung der Evolution“. Bei der Ausrottung von Krankheiten, die durch Insekten übertragen werden, wie Malaria oder des Dengue- oder Zika-Virus, wäre diese Technik sehr hilfreich und würde wohl von vielen begrüsst.

Und tatsächlich: Vor wenigen Tagen publizierten Wissenschaftler vom Imperial College in London einen Gene Drive, der eine ganze Population vom Mücken in nur wenigen Generationen aussterben liess (A. Crisanti et al., A CrisPr–Cas9 gene drive targeting doublesex causes complete population suppression in caged Anopheles gambiae mosquitoes, Nature Biotechnolgy, 24 Sept 2018). Das vom Team um Andrea Crisanti eingeführte Gen zielte auf die Geschlechtsbestimmung ab. Im Wesentlichen verhinderten sie, dass weibliche Nachkommen produziert werden. Die Population, mit der hier experimentiert wurde, befand sich noch in einem abgeschlossenen Raum. Doch einmal in die freie Wildbahn freigelassen, könnte die neue Methode die Malaria ausrotten, in dem sie einfach ihren Überträger, die Stechmücke Anopheles eliminiert. Jedes Jahr sterben eine Millionen Menschen an dieser Krankheit. Entsprechend erfreut sind Tropenmediziner und Biologen über diesen Erfolg,

Aufgrund ihrer enormen Potenz ist die neue CRISPR-Gen-Drive-Methode allerdings auch hochgradig problematisch: Wie kontrollieren wir die veränderten Gene? Mutieren sie weiter? Des Weiteren ist belegt, dass unterschiedliche Arten Gene miteinander austauschen können. Was geschieht, wenn ein Gen auf eine andere Art übertragen wird und dort plötzlich ganz andere, unerwünschte Eigenschaften hervorruft? Was bedeutet es für uns, wenn sich ganze Ökosysteme schlagartig verändern? Eine Technologie, die ganze Spezies gezielt ausrotten kann, wirft ethische Fragen auf, deren Tragweite Wissenschaftler und politische Entscheidungsträger erst beginnen zu verstehen. Hier das Leben von Millionen von Menschen, die vor dem Hungertod und vor Krankheiten wie Malaria gerettet werden, dort die Existenz von ein paar missliebigen Tier- und Pflanzenarten sowie das Risiko einer unerwarteten ökologischen Revolution – wie sollen wir das gegeneinander aufwiegen? Und was bei Krankheiten, die durch Insekten übertragen werden, aufregend klingt, wird schnell unheimlich, wenn man diese Möglichkeit auf höher entwickelte Lebewesen oder gar den Menschen überträgt.

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www.larsjaeger.ch

Jahrgang 1969 habe ich in den 1990er Jahren Physik und Philosophie an der Universität Bonn und der École Polytechnique in Paris studiert, bevor ich am Max-Planck-Institut für Physik komplexer Systeme in Dresden im Bereich theoretischer Physik promoviert und dort auch im Rahmen von Post-Doc-Studien weiter auf dem Gebiet der nichtlinearen Dynamik geforscht habe. Vorher hatte ich auch auf dem Gebiet der Quantenfeldtheorien und Teilchenphysik gearbeitet. Unterdessen lebe ich seit nahezu 20 Jahren in der Schweiz. Seit zahlreichen Jahren beschäftigte ich mich mit Grenzfragen der modernen (sowie historischen) Wissenschaften. In meinen Büchern, Blogs und Artikeln konzentriere ich mich auf die Themen Naturwissenschaft, Philosophie und Spiritualität, insbesondere auf die Geschichte der Naturwissenschaft, ihrem Verhältnis zu spirituellen Traditionen und ihrem Einfluss auf die moderne Gesellschaft. In der Vergangenheit habe ich zudem zu Investment-Themen (Alternative Investments) geschrieben. Meine beiden Bücher „Naturwissenschaft: Eine Biographie“ und „Wissenschaft und Spiritualität“ erschienen im Springer Spektrum Verlag 2015 und 2016. Meinen Blog führe ich seit 2014 auch unter www.larsjaeger.ch.

9 Kommentare

  1. Es sind in der Tat faszinierende und erschreckende Möglichkeiten die sich da auftun. Allerdings kann ich mir nicht vorstellen, dass eine gesamte Mückenspezies in freier Natur so ausgelöscht werden kann. Dazu dürfte der Genpool der verschiedenen Mückenpopulationen zu mächtig und zu flexibel sein. Alleine schon die sexuelle Selektion mit unterschiedlichen Vorlieben für leicht abweichende Partner wird einer explosionsartigen Ausbreitung der Killer Gene über alle Populationen einer Spezies Grenzen setzen. Alle Weibchen, welche nicht auf die veränderten Männchen stehen (genauer gesagt auf die Varianten von Männchen, die zufälligerweise genetisch Verändert wurden) haben plötzlich einen unermesslichen evolutionären Vorteil. Nach einem kurzen Strohfeuer wäre alles wieder beim alten, die veränderte Variante ausgestorben.

  2. Stimme ralph zu, die Natur findet einen Weg.
    Eigentlich besteht gar kein Widerspruch zwischen Schutz vor Krankheiten wie Malaria und einem umsichtigem Umgang mit neuen Möglichkeiten. Wenn man übertreibt bei der Bekämpfung, wird man mit Sicherheit einen Erreger ernten, der noch viel weniger lustig ist als die aktuellen, analog zu den aufkommenden Multiresistenten durch den verantwortungslosen Umgang mit Antibiotika.

  3. Was für Mücken gilt, die in freier und unkontrollierbare rNatur passieren könnte (hhier die naiven erwartungen der Kommentatoren Oben), kann schon gar nicht mehr für Menschen gelten.

    Die menschliche Population ist im gegensatz zu den Mücken in der Natur vollkommen unter Kontrolle. Jeder Mensch ist “Identifizierbar” – also ist er auch, anders, als in der Natur, im Falle einer popultionsweiten Manipulation, eben wegen der Identifizierbarkeit in Gefahr, wegen Wirkkungslosigkeit im Nachhinein einer “Sonderbehandlung” doch noch zum Opfer zu fallen.

    Eben weil die Natur und natürliche Organisationformen in der modernen Zivilisation völlig ausser Kraft gesetzt werden können. es ist alles nur eine Frage der Kontrolle und der Organisation der Maßnahmen zur Erreichung von Zielsetzungen.

    Und mit den modernen Möglichkeiten ist das alles Heute kein Problem mehr. Eben, weil die Kontrollstruktur inzwischen Lückenlos gestaltet werden kann. Und niemand würde davon etwas mitbekommen. Obwohl schon jeder weiß, dass er heute eindeutig identifizierbar ist.

    Es ist bedenklich, wie ausweichend manche Kommentatoren diesen Gefahren gegenüber in einen Hoffnungsmodus übergehen und der “Natur” etwas andichten, was sie immer dann nicht mehr leisten kann, wenn künstliche Strukturen konkret gegen diese natürlichen Strukturen entwickelt und aufgebaut wurden.

  4. Die Gefahren von horizontalem Gentransfer oder nicht beabsichtigten Wirkungen von bewussten genetischen Veränderungen um eine Krankheit zu heilen oder ein Schadinsekt zu eliminieren werden meiner Ansicht nach überschätzt. Horizontalen Gentransfer beispielsweise gibt es schon natürlicherweise und ein solches Gen kann sich nur ausbreiten, wenn es einen Vorteil bringt, denn allzu häufig gelingt es Genen nicht von Organismus zu Organismus zu springen und gelingen kann es nur, wenn dieser Zufall einen Nutzen für den Empfänger bringt.

    Was aber viele unterschätzen und was im obigen Artikel sogar völlig fehlt: Gentechnologie inklusive Gene-Drive kann auch als Waffe eingesetzt werden. Ja es ist nur eine Frage der Zeit bis so etwas passiert. Ein bewusst als Waffe eingesetzter Gene-Drive kann um vieles wirksamer und tödlicher sein als selbst ein regionaler oder globaler Atomkrieg. Stellen wir uns nur vor, ein böswilliger Forscher erzeuge einen Schad-Organismus, der zu totalen Ernteausfällen bei Reis oder Weizen führt und zudem verbreiten sich die verantwortlichen Gene mittels Gene-Drive. Dann könnte es welweit zu totalen Ernteausfällen für Reis oder/und Weizen kommen mit katastrophalen Folgen für die ganze Menschheit.

    Es ist eine völlig falsche Annahme Menschen und Forscher wollten immer nur das beste für die Menscheit (sogar für Menschen, die anders abstimmen als man selbst) und nur ein dummer Zufall oder übersehene Nebenwirkungen könnten dann zu Schaden führen. Die Menschheitsgeschichte erzählt etwas ganz anderes. Die amerikanischen Ureinwohner, die Indianer, wurden beispielsweise teils bewusst mit Masern infiziert um sie zu dezimieren. Es gibt natürlich noch weit aktuellere Beispiele für den bewussten Einsatz von Technologie für die Vernichtung von Feinden.

    Jede mächtige Technologie ist deshalb auch eine mächtige Waffe.

  5. Ganz genau, werter Herr Dr. Jaeger, ohne deutsche Umlaute, so wie es sich auch gehört, aus Sicht einiger :

    Aufgrund ihrer enormen Potenz ist die neue CRISPR-Gen-Drive-Methode allerdings auch hochgradig problematisch: Wie kontrollieren wir die veränderten Gene?

    Weil “wir” nicht genau die Funktionsweise der Datenhaltung des Lebens genau verstehen (können) liegt hier sozusagen ein Stochern im Dunkeln vor, mit der Natur als “Black Box”, die i.p. Risk-Reward-Überlegung äußerst vorsichtig zu nutzen, statt zu bejubeln wäre.

    Das hier geschilderte Problem ist also noch tiefgreifender als im dankenswerterweise zur Verfügung gestellten WebLog-Artikel beschrieben.
    “Denn sie wissen nicht was sie tun”, sagte mal ein “Wissender”, die gute Nachricht besteht abär aus diesseitiger Sicht darin, dass sich anbahnender Schaden wohl in Grenzen halten wird, denn der Mensch ist wohl nicht in der Lage entscheidend zerstörerisch auf die Datenhaltung des Lebens zuzugreifen.

    MFG + schönes Wochenende schon einmal!
    Dr. Webbaer

  6. @ Herr Holzherr :

    Die Gefahren von horizontalem Gentransfer oder nicht beabsichtigten Wirkungen von bewussten genetischen Veränderungen um eine Krankheit zu heilen oder ein Schadinsekt zu eliminieren werden meiner Ansicht nach überschätzt.

    Nur interessehalber angefragt, Dr. W ist auch hier nicht vom Fach und insofern nur interessierter Laie, in etwa so, wie fast überall jeder “nur” Ausländer ist :
    Gibt es auch ‘vertikalen’ Gentransfer ?

    Liegt nicht eine Sequenzialisierung (das Fachwort) der Gendatenhaltung vor, so dass diese Datenhaltung serialisiert (ein weiteres Fachwort) wird, um dann Sequenzen auszutauschen, bedarfsweise, auf “gut Glück” letztlich, allerdings wird Ihnen dies womöglich niemand vom Fach direkt so vertellen.

    Also “horizontalen Gentransfer” fände Dr. W schon recht lustig,
    MFG + schönes Wochenende,
    Dr. Webbaer (der nicht der hier gemeinten Technologie generell gegen reden möchte, sie darf mithilfe der Risk-Reward-Überlegung genutzt werden, sie hat sozusagen den Segen von Dr. W, allerdings wird halt per se wenig verstanden und Seiteneffekte (ein drittes Fachwort) sind zu erwarten – allerdings sind die absehbaren Schäden, hier stimmt Ihnen Dr. W zu, Herr Holzherr, überschaubar, weil der Mensch hier wenig versteht, kann er vermutlich auch nur eher weniger Schaden anrichten – und Nutzen wird sich womöglich ebenfalls partielle ergeben (der den Schaden abär nicht ausgleichen wird, aus diesseitiger Sicht))

  7. Der Ausdruck “horizontaler Gentransfer” bezieht sich auf die zeichnerische Darstellung eines Stammbaumes mit senkrechter Zeitachse.
    Beim horizontalen Gentransfer werden Gene auf andere Zweige des Stammbaumes übertragen.
    Beim vertikalen Gentransfer werden Gene nur auf die Nachkommen übertragen.

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