Die großen Fragen: Unsterblichkeit – der Fluch des unerfüllbaren Wunsches

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Vom Nutzen und Missbrauch des Verständigungsmittels Sprache
Babylonische Türme

Nehmen wir einmal an, Menschen könnten tatsächlich immer länger leben, bis sie tatsächlich fast unsterblich sind. Was würde dann geschehen, und wären wir dann wirklich glücklicher? Um ganz ehrlich zu sein: wahrscheinlich nicht.

Wenn ich die Debatte um die Unsterblichkeit verfolge, dann habe ich manchmal den Eindruck, sie ist ein Ausfluss unseres gegenwärtigen Luxus. Nur wer sich keine Sorgen machen muss, den nächsten Tag zu überstehen, und wer ein gutes Leben hat, kann an die Unsterblichkeit denken. Tatsächlich aber ist die Sehnsucht nach einem Leben ohne Tod schon sehr alt. Im vor ca. 4000 Jahren entstandenen Gilgamesch-Epos sucht der gleichnamige König von Uruk nach einem Kraut, das ihm ewiges Leben ermöglicht. Nach vielen Abenteuern findet er es, aber eine Schlange stiehlt es ihm wieder. Sie häutet sich und verschwindet. Im Altertum galten Schlangen als Symbol der Unsterblichkeit. Wenn sie alt zu werden drohten, warfen sie einfache ihre Haut ab. Was darunter zum Vorschein kam, sah glänzend und jung aus. Beneidenswert! Aber natürlich altern und sterben Schlangen wie alle anderen Tiere auch. Aber ihre so genau wusste man das nicht, und so beförderten die abgelegten Schlangenhäute den Traum von der ewigen Jugend.

Auch die Bibel kennt das Thema:

Nachdem Gott Adam und Eva mit der verbotenen Frucht erwischt hat, führt er ein schnelles Selbstgespräch (Moses 1, 3: 22-23):

Und Gott der HERR sagte: „Der Mensch ist jetzt ja geworden wie unsereiner, insofern er gut und böse zu unterscheiden weiß. Nun aber – dass er nur nicht seine Hand ausstreckt und auch (Früchte) vom Baume des Lebens nimmt und (sie) isst und unsterblich wird!“ Deshalb stieß ihn Gott der HERR aus dem Garten Eden hinaus, damit er den Erdboden bestelle, von dem er genommen war.i

Und so müssen wir uns heute eben auf den medizinischen Fortschritt verlassen. Immerhin ist die Lebenserwartung in den letzten 1000 Jahren in Europa von etwa 30 bis 35 auf 80 Jahre gestiegen. Weltweit stieg sie allein in den letzten 120 Jahren von 31 aus 71 Jahre. Lässt man die hohe Kindersterblichkeit außer Betracht, ist die Verbesserung immer noch beachtlich.

Wenn das so weiter geht, dann sind 200 Jahre bald eher die Regel als die Ausnahme. Andererseits sind schon jetzt die meisten Menschen bei ihrem Tod Pflegefälle. In der griechischen Sage gibt es den schönen Königssohn Tithonos, in den sich Eos, die Göttin der Morgenröte unsterblich verliebte. Und so bat sie Zeus, ihm ebenfalls den Tod zu ersparen. Er stimmte zu, aber sie hatte leider vergessen, für ihn auch ewige Jugend zu erbitten. So alterte und schrumpfte er erbärmlich, nur seine schrille Stimme blieb. Er war bald ein Pflegefall, den Eos in einem Kästchen mit sich herumtrug. Nach Ovid mutierte er schließlich zur Zikade. Mit dem Tithonos-Effekt hat unsere Gesellschaft jetzt schon zu kämpfen. Die Lebenserwartung ist hochgeschnellt, aber die aktive Lebensspanne hat sich nicht so stark vergrößert. Deshalb verbringen die Menschen eine immer längere Zeit in Pflegeheimen, bevor sie sterben.

Ewige Jugend

Also: wir wollen nicht nur ewig leben, sondern auch ewig jung und gesund bleiben. Das macht die Aufgabe ein ganzes Stück schwieriger. Und vielleicht erzielen wir dann immer noch nicht den Effekt, den wir uns wünschen. Wenn wir unser normales Leben einfach auf mehr Jahre verteilen, dann käme es uns vielleicht nicht einmal länger vor und irgendwann wäre es auf jeden Fall vorbei.

In einer fernen Zukunft, wenn wir alle bereits tot sind, werden die Menschen vielleicht jede Alterung verhindern können. Nur wären wir damit keineswegs unsterblich. Auch wenn die biologische Uhr bei 25 Jahren stehenbleibt, muss man immer noch mit Unfällen, Kriegen, Hungersnöten und Naturkatastrophen rechnen. Biologisch gesehen lassen sich die Menschen vielleicht in Glasfiguren verwandeln, die nicht altern, rosten oder verfallen. Aber irgendwann werden sie trotzdem zerschlagen, zerdrückt oder verbrannt.

Auch gäbe es immer weniger Kinder, sonst würde die Anzahl der Menschen sehr schnell jede Grenze sprengen. Und natürlich sähe die Gesellschaft anders aus. Die Menschen hätten mehr Angst um ihr Leben als je zuvor, denn sie hätten sie viel mehr Jahre zu verlieren als heute.

Das Leben im Computer

Wenn der Körper schon nicht unsterblich werden kann, was ist mit dem Geist? Die Transhumanisten träumen davon, das menschliche Gehirn auszulesen, und die Daten in einen Computer hochzuladen. Dann könnte man nach Belieben Backups anlegen. Aber Moment: „Hochladen“ heißt ja nur „kopieren“. Wer sagt uns denn, dass unser Lebensfunke, unsere Identität, in die Kopie wandert? Vielleicht sterben wir ja beim Hochladen und keiner bekommt es mit …

Natürlich könnte man Stück für Stück Teile des Gehirns durch Siliziumchips ersetzen, bis schließlich die letzte Nervenzelle verschwunden ist. Dieser Trick sollte eigentlich unsere Identität erhalten können, so dass wir uns schließlich nach einem sanften Übergang als Siliziumwesen fühlen dürfen. Aber auch Computer leben nicht unendlich lange, und selbst ein großes Datennetz wird irgendwann zerfallen.

Genau genommen ist nichts wirklich ewig: sogar das Universum endet irgendwann.

Schon Gilgamesch erhielt in seiner Suche nach der Unsterblichkeit irgendwann den Rat, sich mit dem unvermeidlichen Ende abzufinden (musste er am Ende auch). Hier der Text :

[Rede der Schankwirtin]

Als die Götter die Menschheit erschufen,
Teilten den Tod sie der Menschheit zu,
Nahmen das Leben für sich in die Hand.
Du, Gilgamesch — dein Bauch sei voll,
Ergötzen magst du dich Tag und Nacht!
Feiere täglich ein Freudenfest!
Tanz und spiel bei Tag und Nacht!
Deine Kleidung sei rein, gewaschen dein Haupt,
Mit Wasser sollst du gebadet sein!
Schau den Kleinen an deiner Hand,
Die Gattin freu‘ sich auf deinem Schoß!
Solcher Art ist das Werk der Menschen!

(Übersetzung von Albert Schott)ii

Heute würden wir vielleicht hinzufügen: verschaff dir genug Bewegung, iss und trink mäßig, lass dich regelmäßig untersuchen. Dadurch lebt man nicht unbedingt länger, bleibt aber in jeden Fall gesünder und aktiver. Die moderne Medizin kann bis ins hohe Alter viele Leiden lindern oder heilen. Ewiges Leben hat sie bis auf weiteres nicht im Angebot.

Anmerkungen

[1] Sie haben gedacht, Gott hätte die ersten Menschen aus dem Paradies vertrieben, weil sie vom falschen Baum gegessen hatten? Und sie hätten im Paradies ein unbegrenztes Leben genossen? Aber nein, so war es nicht. Gott wollte verhindern, dass die Menschen unsterblich werden – deshalb mussten sie gehen. Hätten sie nach der Erkenntnis, dass sie nackt waren, nicht so ratlos herumgestanden, wären ihre Nachfahren jetzt vielleicht unsterblich.

[2] Einen ähnlichen Rat findet man in der Bibel. In Prediger 9,7-10 heißt es:

So geh hin und iss dein Brot mit Freuden, trink deinen Wein mit gutem Mut; denn dies dein Tun hat Gott schon längst gefallen. Lass deine Kleider immer weiß sein und lass deinem Haupte Salbe nicht mangeln. Genieße das Leben mit deiner Frau, die du lieb hast, solange du das eitle Leben hast, das dir Gott unter der Sonne gegeben hat; denn das ist dein Teil am Leben und bei deiner Mühe, mit der du dich mühst unter der Sonne. Alles, was dir vor die Hände kommt, es zu tun mit deiner Kraft, das tu; denn bei den Toten, zu denen du fährst, gibt es weder Tun noch Denken, weder Erkenntnis noch Weisheit.

Im alten Orient war das die Sehnsucht nach dem ewigen Leben also sicher genauso ausgeprägt wie heute. Der alttestamentarische Text stammt aus einer Zeit, in der ein Jenseits mit Himmel oder Hölle nicht Teil des jüdischen Glaubens war.

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Martina Grüter ist Medizinerin und befasst sich seit 2001 der angeborenen Prosopagnosie, einem erblichen Defizit in der Gesichtserkennung und Verarbeitung. Das Thema hat ihr gezeigt, wie vielschichtig die Verarbeitung von Informationen im Gehirn sind und wie wenige Erkenntnisse wirklich gesichert sind. Sie ist affiliert am Lehrstuhl für allgemeine Psychologie und Methodenlehre der Universität Bamberg und arbeitet mit Wissenschaftlern an mehreren deutschen Universitäten an verschiedenen Forschungsprojekten.

6 Kommentare

  1. 1. Mose 6,2-3 😎

    2 da sahen die Gottessöhne*, wie schön die Töchter der Menschen waren, und nahmen sich zu Frauen, welche sie wollten.

    3 Da sprach der Herr: Mein Geist soll nicht immerdar im Menschen walten, denn auch der Mensch ist Fleisch. Ich will ihm als Lebenszeit geben hundertundzwanzig Jahre. 😊

  2. In heutiger Sprache sagt die Schankwirtin zu Gilgamesch: Live fast and die young Und die Jungen der Post68-er Generation glaubten tatsächlich, dass Aufregung, Glück und früher Tod zusammengingen, Gemächlichkeit und Langeweile aber für ein langes, insgeamt aber nicht lebenswertes Leben sorgten. Doch heute gibt es Umfragen folgend in den wohlhabenden Ländern sehr viele glückliche, alte Menschen, Menschen, die sogar zufriedener sind als während ihres Arbeitslebens. Aus Sicht der heutigen Gesellschaft und ihrer Aurechterhaltung sollte man aber das Leben nicht verlängern, sondern nur die Zeitspanne der Gesundheit bis an die Lebensgrenze verschieben. Um wirklich älter als die heute maximal 120 Jahre zu werden, bräuchte es mit ziemlicher Sicherheit genetische Eingriffe, haben doch Untersuchungen bei sehr alten Menschen gezeigt, dass sie praktisch keine Stammzellen mehr haben, also keine Zellen, die für Nachschub sorgen könnten. Allerdings zweifle ich kaum daran, dass solche, das biologische Alter verlängernde Geneingriffe bald schon möglich werden.

    • Ergänzung: wer alt werden will sollte jedenfalls den Ratschlag der Schankwirtin an Gilgamesch nicht befolgen: Du, Gilgamesch — dein Bauch sei voll,
      Ergötzen magst du dich Tag und Nacht!
      Feiere täglich ein Freudenfest!
      Tanz und spiel bei Tag und Nacht!
      Zuwenig Schlaf ist für die Gesundheit und das Jungbleiben jedenfalls nicht gut und Völlereien sind noch schlimmer.

  3. Zitat:

    Hochladen heißt ja nur kopieren

    Ja, ein Hochgeladener ist ein Kopierter, der aber vielleicht meint sich von nichts vom Original zu unterscheiden so wie ich bei jedem Aufwachen feststelle, dass ich mich in Nichts vom Original unterscheide, das ich vor dem Einschlafen war.

  4. Natürlich könnte man Stück für Stück Teile des Gehirns durch Siliziumchips ersetzen, bis schließlich die letzte Nervenzelle verschwunden ist.

    Nö!

    Genau dies muss nicht gehen, die Grenzen zwischen den Welten könnten unüberschreitbar sein.

    Dr. W hat sich hier hauptsächlich gemeldet, nicht weil er die Idee verwirft (was er tut), sondern sich wegen der adjektivistischen, adverbialen Bestimmung ein wenig amüsiert hat.

    Wie ist es möglich hier ein ‘natürlich’ (“geboren”) “mal eben so rauszulassen”?

    MFG + schönes Wochenende noch,
    Dr. Webbaer

  5. Gerade dadurch, dass die Menschen bei Vorliegen (theoretischer) Unsterblichkeit kaum noch Risiken eingehen werden, wird die Welt dadurch zu einem friedlicheren Ort. Ich hoffe sehr, dass der technologische Fortschritt sich diesbezüglich ein wenig beeilt.

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