Interview mit Jesco von Puttkamer

Am 27. Dezember starb Jesco von Puttkamer – einer der letzten Raumfahrtvisionäre, der fast von Anfang an dabei war. Er half im Team von Wernher von Braun mit, das Apollo-Programm zum Erfolg zu führen. Er plante die Skylab-Station der NASA. Am Ende begleitete er mit der ISS auch das neuste und bis heute umfangreichste Projekt der bemannten Raumfahrt. Vor allem aber war sein Schaffen dem Space Shuttle verschrieben. Bis zum Ende war er überzeugt, dass wiederverwendbare Raumfahrzeuge der richtige Weg seien – selbst nach dem tragischen Ende von Challenger und Columbia und ihren Besatzungen.

Gesprochen habe April 2011 mit ihm. Meine Fragen waren eher kritisch, er blieb sehr freundlich und sachlich. Teile davon gelangten in einen Artikel über den 30. Jahrestags zum Erststart des Space Shuttles. In der Langform war es bisher unveröffentlicht.

Jesco von Puttkamer im Juli 2009 (Fotograf Schilling, CC-BY-SA 3.0)
Jesco von Puttkamer im Juli 2009 (Fotograf Schilling / Wikimedia Commons, CC-BY-SA 3.0)

Karl Urban (KU): Im Jahr 1962 kamen Sie zur NASA und gelten heute als einer der dienstältesten Mitarbeiter. Was für eine Stimmung beherrschte Sie damals, als das Space Shuttle geplant wurde?

Jesco von Puttkamer (JvP): Wir sahen, dass sich eine Revolution des Transportwesens anbahnte. Sie würde uns befähigen, den Weltraum zu unser aller Vorteil zu erschließen. Der Schlüssel dazu waren sinkende Transportkosten durch ein wiederverwendbares neues Raumfahrzeug.

KU: Am Ende kosteten Shuttleflüge ein Vielfaches einfacher Raketstarts. Was ist schief gelaufen?

JvP: Je leichter zu warten ein Raumfahrzeug ist, umso günstiger ist es im Betrieb. Gleichzeitig sind die anfänglichen Entwicklungskosten aber sehr hoch. – Sie waren vor allem den Politikern zu hoch, die die Ingenieurlogik nicht geteilt haben. Wir wollten ein Gerät haben, das wirtschaftlich im Einsatz ist. Aber das wäre in der Entwicklung sehr teuer geworden. 15 Millionen Dollar [pro Flug] haben wir damals ausgerechnet. Man uns dann auf 6,5 Millionen Dollar heruntergehandelt.

KU: Hat sich Ihre Zuversicht in die Zuverlässigkeit des Spaceshuttle über die Jahre gewandelt – insbesondere nach den Unglücken von 1986 und 2003?

JvP: Als wir die Challenger 1986 verloren, stellten sich die ersten Schwächen des Shuttles heraus. Vor allem haben wir dann das Pentagon als Partner verloren. Es hat sich sofort vom Shuttle abgewendet, das bis dahin als nationales Verkehrsmittel auch für militärische Satelliten zuständig gewesen war. Dafür war es teilweise auch konstruiert worden. Man hat sich abgewendet und sich dafür den robusteren Einwegraketen zugewendet. Das Shuttle hatte einen bis dahin wichtigen und einflussreichen Kunden verloren.

KU: Spätestens nach dem Challenger-Unglück wurden die Flüge immer teurer. Was war der Grund dafür?

JvP: Die Startvorbereitungen zwischen zwei Flügen wurden immer komplexer, teurer und zeitaufwendiger. Wir hatten ursprünglich gedacht, dass das Shuttle als Raumfluggerät eines Tages so wichtig werden könnte wie die Douglas DC-3 als Verkehrsflugzeug. Das hat sich als falsch herausgestellt. Wir hatten eben doch nur eine Billigausgabe entwickelt und nicht das, was wir ursprünglich bauen wollten. Dadurch konnten wir eben nicht routinemäßig fliegen, sondern mussten nach jedem Flug viel mehr Zeit und Arbeitsstunden aufwenden, um das Shuttle wieder startbereit zu machen.

KU: Während der Entwicklung gab es mehrere große Herausforderungen. Dazu gehörten wiederverwendbare Hitzeschutzkacheln – ein Novum in der Raumfahrttechnik. Mit welchen Problemen hatten Sie während der Entwicklung zu kämpfen?

JvP: Die Kacheln sind an sich genial. Die waren aber so konstruiert, dass sie auf der Aluminiumhaut nicht überall gleichmäßig hafteten. Das wussten wir vorher nicht. Der Grund dafür war, dass im Innern Glasfaserwolle steckt, die zufällig verteilt ist. In eine bestimmte Richtung gelenkte Glasfasern würden ja einen Wärmetransport verursachen. Dadurch haftete aber die linke obere Ecke anders auf der Aluminiumhülle als die obere rechte, so dass an der einen Stelle nicht die gleiche Festigkeit herrschte wie an der anderen. Das hatten wir vorher nicht gewusst, weil die Kacheln völlig neu waren.

KU: Der erste Raumflug von STS-1 fand dann bereits mit zwei Astronauten statt. Heute gilt er im NASA-Jargong als mutigster Testflug der Geschichte (boldest test flight in history). Zurecht?

JvP: Das Problem des ersten Flugs war, dass wir noch niemals mit einem Flugzeug diesen Wiedereintritt geflogen sind. Den Aufstieg hatten die Astronauten streckenweise im Simulator geübt und als erfahrene Piloten ist der Start für sie Routinesache gewesen. Aber was völlig neu war und uns allen etwas Sorge machte, war der Wiedereintritt. Niemals ist vorher ein bemanntes Gerät mit 25-facher Schallgeschwindigkeit in die Erdatmosphäre eingetreten. Es war das erste mal, dass ein geflügelter bemannter Körper so schnell flog. Und so hatten es John Young und Bob Crippen mit einem Grenzbereich zu tun, auf dem es auf den Gebieten der Aerodynamik – des Verhaltens hochverdünnter Gase und des Realgaszustands der Atmosphäre bei Plasmatemperaturen – noch Dinge gab, die sich unserem Wissen bisher entzogen hatten.

Ohne die Bordcomputer hätten die beiden die Landung sowieso nicht durchführen können, weil die Dinge so schnell passieren. Man hat ein Gerät, das mit 25-facher Schallgeschwindigkeit in 120 Kilometern Höhe in die Erdatmosphäre einschießt. Knapp eine halbe Stunde später und 8000 Kilometer vom Eintrittspunkt entfernt hat es dann seine ganze Energie ohne Schaden zu nehmen abgegeben – und landet als Gleitflugzeug zielicher am gewünschten Ort. Zusätzlich hat es keine Triebwerke und kann nicht durchstarten. Die Landung muss also gleich funktionieren.

Vorher wurde genau das nicht für möglich gehalten: Ein Gerät zu bauen, dass aerodynamisch so geformt ist, dass es sowohl im Hyperschall bei 25 Mach, als auch im Überschall und auch im Unterschall bei der Landung formgerecht ist. Da ist das Shuttle schon beim allerersten bemannten Flug in ein unbekanntes Gebiet vorgestoßen.

KU: Wo lagen beim Abstieg das größte Risiko – aus heutiger Sicht?

JvP: Auf den 8000 Kilometern vom Eintritt bis zur Landung werden rund 56 Prozent mit maximaler Oberflächenerhitzung geflogen. Am gefährlichsten sind die 12 Minuten zwischen 122 und 70 Kilometern Höhe bei Mach 24,7 und Mach 20. Da ist die Erwärmung durch Luftreibung am stärksten, stellenweise bis 1300 °C. Dort ist das auch mit der Columbia passiert, wo der Flügel durchgeschmolzen ist.

KU: Nicht zuletzt die tragischen Unfälle von Challenger und Columbia haben heute den Glauben in die Raumfahrt erschüttert. Wie hat sich in Ihrer Sicht die öffentliche Wahrnehmung der NASA verändert?

JvP: Die Erwartungshaltung ist enorm gestiegen. Der Science Fiction hat Erwartungen gesetzt, die wir gar nicht erfüllen können. Die Jugend ist geneigt zu sagen: Bei der NASA ist ja alles so altmodisch. Warum machen die das nicht so wie in Hollywood?

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Karl Urban wäre gern zu den Sternen geflogen. Stattdessen gründete er 2001 das Weltraumportal Raumfahrer.net und fühlt sich im Netz seitdem sehr wohl. Er studierte Geowissenschaften und schreibt für Online-, Hörfunk- und Print-Publikationen. Nebenbei podcastet und bloggt er.

7 Kommentare

  1. Schönes Interview. Hier – ‘Wir wollten ein Gerät haben, das wirtschaftlich im Einsatz ist. Aber das wäre in der Entwicklung sehr teuer geworden. 15 Millionen Dollar [pro Flug] haben wir damals ausgerechnet.’ – hätte vielleicht noch nachgehakt werden können: Was wäre wodurch genau ‘wirtschaftlich’ geworden?

    Und warum eigentlich ‘pro Flug’, wenn es einmal bereit steht?

    MFG
    Dr. W

  2. Dr. W

    In der Tat, an dieser Stelle blieben meine Fragen zu oberflächlich. Es sieht so aus, dass Puttkamer als Ingenieur dem absoluten Technikglauben der 1960er anhing – und ihn bis zum Ende verteidigte. Seine These, das Shuttle wäre bei vernünftiger Anfangsinvestition witschaftlich gelaufen, mutet zumindest spekulativ bis abenteuerlich an.

  3. Wenn man auch nur den Hauch einer Wirtschaftlichkeit bei den extraterrestrischen Bemühungen herauskitzeln könnte, wäre das eine feine Sache.

    Zurzeit hegt der Schreiber dieser Zeilen, der auch die Mondlandungen beobachten durfte, noch die Hoffnung, dass sich i.p. Geo-Engineering was machen lässt, die neuen Herausforderungen betreffend.

    Ansonsten will wohl niemand heraus.

    MFG
    Dr. W

  4. Space Shuttle, complexity+hybris

    Das Versagen des Space-Shuttle Konzepts ist nur bedingt dem (Zitat)” absoluten Technikglauben der 1960er” anzulasten, sondern wohl vor allem der damaligen (und heutigen?) Unfähigkeit die Konsequenzen eines solchen Designs unter den Randbedingungen der Technik der 1980/1990er Jahre voll zu erfassen und in Kosten und Risiken umzurechnen. Mit anderen Worten: Das Space-Shuttle-Konzept war eine Abkehr von der Einfachheit vorheriger Raketen – wo auch das Nutzlastvehikel immer noch als weitere Stufe aufgefasst werden konnte – hin zu einem sehr komplexen Design (einer auch komplexen Anordnung) mit Ansprüchen an das Material, die an oder über dem damals technisch erreichbaren lagen.

    Das Space-Shuttle und die Wiederverwenbarkeit
    Und wozu das alles? Um Wiederverwendbarkeit zu erreichen.
    Wirkliche Wiederverwendbarkeit wurde mit den Space-Shuttles nie erreicht, weil das Wiederflottmachen nach der Landung viel zu aufwendig und teuer war.
    Jesco von Puttkamer als Verfechter des Space-Shuttle-Konzepts und darauf basierenden futuristischen Zukunfstvisionen (Weltraumkraftwerke, Nuklearabfallentsorgung auf der Venus) rechnete in seinem Buch “Der erste Tag der neuen Welt” mit Nutzlastkosten von 500 Dollar pro Kilogramm für einen Transport in den niedrigen Orbit (LEO). Eine Überblick über die grotesk überhöhten Erwartungen in das Space Shuttle gibt der Artikel Die Geschichte des Space Shuttles
    In Wirklichkeit lagen die Space-Shuttle-Nutzlastkosten nicht bei 500 Dollar pro Kilo sondern bei 15’000 Dollar ( 30 Mal so hoch wie geplant).

    Das Fiasko des Space-Shuttles ist ein Lehrstück dafür, dass unbeherrschte Komplexitiät und zuviele Unbekannte (z.B. Materialverhalten) zu massiven Kostenüberschreitungen und zum kompletten Verfehlen der ursprünglichen Ziele führen kann. Dieses Phänomen kennen wir auch aus Softwareprojekten

    Wiederverwendbarkeit: Die Ironie der Geschichte
    Auch Raketen können wiederverwendbar konzipiert werden und das ohne die ganze Komplexität eines Shuttle-Systems.
    Welche Ironie: Man baute ein unendlich kompliziertes, auf den ersten Blick elegantes System, – das Space Shuttle -, und verfehlte das anvisierte Ziel der Wiederverwendbarkeit um Meilen. Nur die Aesthetik des Shuttle-Flugs und der Shuttle-Landung blieb unübertroffen und mein Sohn vermisst die Schönheit der jetzt eingemotteten Shuttles.
    Die letzten Tests mit Grasshopper, dem SpaceX Testsystem für Wiederverwenbare Raktenstufen sind vielversprechend.

  5. Komplexität

    Danke für den Einwurf. Komplexität technischer Systeme ist ja heute wichtiger denn je, seit Flugzeuge und teilweise sogar Autos von Software mit quasi beliebig vielen Betriebszuständen gesteuert werden.

    Dennoch frage ich mich: Was ist die Vernachlässigung von Komplexität anderes als blinde Technikgläubigkeit?

    Beim Shuttle jedenfalls gab es die von Puttkamer vertretene Ideologie, das wiederverwertbar auch günstig bedeute. Puttkamer schiebt dann die Schuld der zu kleinen Anfangsinvestition zu – und den Auflagen des Militärs. Das wollte immerhin das Shuttle ggf. für Kampfeinsätze nutzen, startete dann doch nur Satelliten und zog sich nach 1986 ganz zurück.

  6. @pikarl: Space Shuttle Nachvollziehbar

    Die Komplexität des Space-Shuttle – Projekts macht es auch schwierig die Gründe für das Scheitern, also den effektiven Nutzlastpreis von 15’000 Dollar anstatt der geplanten 500 Dollar, zu eruieren. Doch ohne eine solche Analyse lassen sich auch keine Lehren ziehen.
    Die (Zitat)“Ideologie, dass wiederverwendbar auch günstig bedeute” gibt es übrigens auch heute noch. Elon Musk will volle Wiederverwendbarkeit über alle Raketenstufen erreichen und rechnet dann mit Nutzlastkosten im Bereich von 100 bis 500 Dollar, weil dann praktisch nur noch die (niedrigen) Treibstoffkosten als Fixkosten bleiben und sich die Kosten einer Raketenstufen über mehrere bis viele Starts amortisieren.

  7. Jesco von Puttkamer: Ende einer Ära

    Jesco von Puttkamer’s Tod beendet eine Ära, in der Raumfahrt sowohl Ausdruck eines Menschheitstraums als auch nationaler Aspirationen war. Sein Mars-Projekt bewarb er in seinen letzten Jahren als Gemeinschaftsprojekt aller Nationen.

    Heute verspricht eine Privatperson – nämlich Elon Musk – Flüge zum Mars für 500’000 Dollar und entwirft seine eigene Vision einer permanenten 80’000 Menschen umfassenden Mars-Kolonie

    Elon Musk ist nur die prominenteste Figur einer neuen Ära der privat finanzierten und inspierierten Weltraumeroberung zu der schon mehr als 20 private Weltraumfirmen gehören, die Dienste anbieten von Suborbitalflügen, Transporten in den niedrigen Orbit, Mondflügen über Weltraumhotels und -stationen bis zur Rohstoffgewinnung aus Asteroiden.

    Sind das alles Luftschlösser? Werden die meisten dieser Projekte bald schon in aller Stille begraben? Nein. Das scheint nicht der Fall zu sein. Und selbst wenn viele private Firmen wieder verschwinden haben heute selbst Universitätsinstitute, Fachhochschulen, kleine Firmen und sogar Privatpersonen Zugang zum Weltraum, beispielsweise über das CubeSat-Programm, welches standardisierte Picosatelliten einsetzt.

    Diese neuen privaten Initiativen sind bitter nötig scheint die Nasa doch wie gelähmt – und das nicht erst seit dem Einmotten des Space Shuttle Programms.

    Ob allerdings Grossprojekte wie der Flug zum Mars wirklich von Privatfirmen allein gestemmt werden können, darf bezweifelt werden. Am ehesten traut man ein solches Projekt noch den Chinesen zu, die es scheinbar nicht eilig haben, die aber die selbstgesetzten Meilensteine regelmässig erreichen und mit ihrem “langen Atem” wohl auch ganz grosse Ziele ansteuern können – wenn sie auch nicht schon in den nächsten Jahrzehnten auf dem Mars landen werden wie Elon Musk das plant.

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