Die Wissenschaft und die Emotionen
Tagebücher der Wissenschaft

Ein älterer Herr sitzt knurrig in einer Küche und rührt in seiner Tasse. Die Tür geht auf und herein tritt ein weiterer Herr, vermutlich etwas jünger, dafür in einem braun-grauen Anzug. Wortlos durchquert dieser den Raum und lässt sich dann in einem erhöhten Stuhl nieder, dem Schiedsrichterstuhl beim Tennis nicht ganz unähnlich. Fortan sitzt er schweigend da und schaut dem Anderen bei dem zu, was dieser so in seiner Küche treibt. Wobei das in diesem Fall nicht gerade viel ist.
Die Szene stammt aus dem Film Kitchen Stories. Nordnorwegische Hausmänner sollen von schwedischen Forschern in ihrem Küchenverhalten beobachtet werden und dies natürlich nach den strengen Regeln der Wissenschaft. Ich liebe diesen Film, vor allem, weil er genau das so herrlich auf die Schippe nimmt.
Denn Folke, der Mann im Anzug, hat den ausgesprochen wichtigen Auftrag, seinen Hausmann fortwährend in dessen Küche zu beobachten. Dabei ist ihm jeglicher Kontakt mit seinem Untersuchungsobjekt untersagt. Natürlich soll so die Beeinflussung des Objektes in seinem natürlichen Verhalten unterbunden und die Qualität der Wissenschaft sichergestellt werden. Verstöße werden strengstens bestraft, in diesem Fall droht der Ausschluss aus dem Forschungsprojekt.
Nun ist die Tatsache, dass da ein Fremder mit Notizbuch und dicken Socken im Hochstuhl sitzt und nichts sagt, alles andere als eine natürliche Situation. Und wie absurd das Ganze tatsächlich ist, zeigt sich spätestens, als Isak beschließt, seine Rolle als Untersuchungsobjekt anders auszufüllen, als der Untersuchungsplan vorsieht. (Mehr wird nicht verraten, das verdirbt den Spaß am Selbergucken.)
Der Film spielt auf einen Grundgedanken wissenschaftlichen Arbeitens an: Nur forscherfreie Forschung ist gute Forschung! Schließlich ist Wissenschaft eine höchst ernste und damit rationale Angelegenheit, die objektive Einsichten in die Befindlichkeit von Dingen und Menschen liefern soll. Ein Forscher, noch dazu, wenn es sich um so ein unberechenbar-emotionales Wesen wie einen Menschen handelt, stört da nur den Erkenntnisprozess.
Homo Scientificus – Das rationale Wesen. Quelle.
Der Mensch, der sich auf dieses Unterfangen trotzdem einlässt, muss da einen ziemlichen Drahtseilakt hinlegen, denn
einerseits:
Wissenschaft ist ab und an durchaus ein mühsames Unterfangen. Auch bei spannenden Forschungsfragen purzeln die Erkenntnisse nicht ununterbrochen in des Forschers Computer. Da müssen zunächst Untersuchungspläne entworfen, Daten erhoben und – oh schreck! – auch umfangreich ausgewertet werden. Dann geht auch noch hier und da etwas schief oder ganz daneben. Und immer die Angst im Nacken, dass irgendjemand die gleiche Studie in dem Magazin veröffentlicht, bei dem man sich selbst gerade bewerben will. Das Ganze ist in der Regel nicht auf wenige Monate ausgelegt, sondern wird eher in Jahren gerechnet. Das alles ist nicht immer lustig.
So ein Forscherwesen braucht eine gehörige Portion Eigenmotivation, um das alles unbeschadet durchzustehen. Und wo soll diese Motivation bitte schön herkommen wenn nicht durch die Begeisterung für das Thema (Achtung Emotionen), Begeisterung für genau diese Art von Arbeit (schon wieder Emotionen) und eine gehörige Portion Neugier (hier besteht der dringende Verdacht der Subjektivität)???
Nebenbei: Man könnte hier anmerken, dass Wissenschaft von sich aus schon den Keim böser Subjektivität in sich trägt, denn das Thema muss mindestens zwei Menschen interessieren: einen, der bereit ist, Arbeit und Mühe hineinzustecken und einen zweiten, der den ersten finanziert. Was niemanden interessiert, wird auch nicht erforscht.
Andererseits:
Ja, andererseits, soll Wissenschaft eben doch eine rationale und nicht emotionale Angelegenheit sein, auch wenn durchaus fraglich ist, ob sich das so wirklich trennen lässt. (Ich stimme Herrn Damasio in dieser Hinsicht zu und sage "nein", aber das ist eine andere Geschichte und soll in einem anderen Blogbeitrag erzählt werden.) Der Forscher hat sich zurückzunehmen und nur objektiv gültige Ergebnisse vorzulegen. Emotionen sind verpönt, gefragt ist – auch wenn der Kontakt zum Planeten Vulkan bedauerlicherweise noch nicht hergestellt werden konnte – Mr. Spock in vielfacher Ausführung .
Wissenschaft hat Ernstes zu berichten und soll entsprechend ernst genommen werden. Manche Autoren scheinen schwer geplagt zu sein von der Angst, in ihrer nicht-emotionalen-dafür-wissenschaftlichen Bedeutung nicht ernst genommen zu werden; anders kann ich mir die Fülle unglaublich trockener und noch dazu oft völlig unverständlicher Publikationen bei eigentlich spannenden Themen nicht erklären.
Es geht also um Seriosität in der Forschung und Seriosität ist immer eine ernste Angelegenheit. Diese Verbindung ist oft so eng, dass andersherum alles, was anschaulich und vielleicht sogar unterhaltsam sowie auch für die Menschen auf der Straße verständlich daherkommt, eher suspekt erscheint. Das macht ja Spaß, dass kann doch keine seriöse Wissenschaft sein!
Nicht nur, dass ich meine Zweifel habe, ob diese objektiv-rationale Wissenschaft tatsächlich möglich ist; ich frage mich zudem, ob die Verknüpfung Wissenschaft = Ernsthaftigkeit sinnvoll ist. Das scheinen sich mehrere Menschen zu fragen, sonst wären Kabarettisten mit wissenschaftlichem Hintergrund nicht so erfolgreich.
Es ist durchaus möglich, Wissenschaft auch nach außen mit viel Begeisterung und Herzblut zu vertreten, ohne dafür gleich zum Kabarettisten werden zu müssen. Die junge Dame in dem folgenden Video möchte gerne die Welt retten und das – man höre und staune – mit Computerspielen. Dabei zeigt sich auch: Begeisterung und Herzblut der Forscherin sind dem Wissenstransfer und den Aha-Erlebnissen weiterer Menschen durchaus zuträglich. Und das ist doch die Aufgabe von Wissenschaft, oder?
(Mehr Infos zu ihr gibt’s hier: http://www.ted.com/speakers/jane_mcgonigal.html )
PS: Folke und Isak, die beiden Herren aus Kitchen Stories, sind sich später sehr einig: Wenn man tatsächlich etwas von anderen Menschen erfahren will, sollte man mit ihnen reden.
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